ஜღKapitel 02ღஜ
Nach drei weiteren Vorlesungen, einem entspannten Mittagessen mit meinen Freundinnen und einem rauchenden Kopf verließ ich am Abend die Stadtbibliothek in der Innenstadt.
Obwohl es noch warm war, zog ich meine dünne Strickjacke etwas enger um mich, schulterte meine Tasche und schritt Richtung Wohnheim. Mein Fahrrad schob ich neben mir her. Zwar hätte ich auch fahren können, um schneller zu sein, doch nach dem langen Sitzen in der Bibliothek wollte ich mir noch ein wenig die Beine vertreten und genoss daher den kleinen Spaziergang.
Leise vor mich hin pfeifend und in Gedanken schon an die wohltuende, warme Dusche, ging ich zügig weiter.
Auf meinem Weg musste ich den Stadtpark durchqueren, der an diesem Sommerabend gut besucht war. Viele der Studenten nutzten diese Abende, um vom Alltag und Stress abzuschalten. Sie trafen sich mit Freunden, besuchten die ein oder andere Party und nicht selten kam es vor, dass so auch Alkohol getrunken wurde, welcher oft nicht zu knapp war.
Ich selbst besuchte keine Partys, vergrub mich lieber hinter meinen Büchern und paukte für die Arbeiten, die auf mich zu kamen.
Vielleicht war dies auch einer der Gründe, warum mich einige der Jungs aus meiner Clique oft als Streberin darstellten.
Auch wenn mir mein Studium sehr wichtig sein mochte, so wollte ich jedoch niemals in die Fußstapfen meiner Eltern treten. Für mich erschloss sich die Arbeit in einer Schönheitsklinik als nicht relevant. Ich konnte dem ganzen Schönheitswahnsinn nichts abgewinnen.
Während ich durch den Park lief, wehten vereinzelt Stimmen, Gelächter, so wie die Lautstärke der Bässe eines Ghettoblasters zu mir herüber.
Würden mein Kopf sowie mein Körper nicht nach einer heißen Dusche und einem warmen, gemütlichen Bett verlangen, hätte ich große Lust gehabt, mich einfach anzuschließen, um vielleicht dadurch ein wenig abschalten zu können. Doch der Drang nach meinem ruhigen Zimmer war stärker, sodass ich ihm schließlich nachgab und weiter festen Schrittes voran ging.
Den Park hatte ich bereits zur Hälfte durchquert, als mir eine größere Gruppe links von mir auffiel. Normalerweise achtete ich nicht sonderlich auf so etwas, doch heute war es anderes.
Die Gruppe verhielt sich nicht anders, als andere. Sie saßen zusammen, lachten, tranken wahrscheinlich Bier und unterhielten sich. Doch etwas oder besser gesagt jemand von ihnen, schien mir bekannt vorzukommen.
Ich beobachtete diese ein wenig. Und tatsächlich: Einer von ihnen war unmissverständlich mein großer Bruder Simon.
Ich schüttelte den Kopf. Typisch mein Bruder. An der Uni ein absoluter Streber und in der Freizeit ein Partygänger.
Genauso war er schon in seiner Pubertät gewesen.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie Simon mit gerade mal fünfzehn Jahren sturzbetrunken zu mir durchs Fenster ins Zimmer geklettert kam.
Unsere Eltern hatten ihm Hausarrest aufgebrummt, doch daran gehalten hatte sich Simon nicht. Er war gerade in der Pubertätsphase und rebellierte daher gerne und oft gegen unsere Eltern. Kurz nachdem diese zu einigen Freunden fuhren, weil sie eingeladen wurden, war Simon einfach abgehauen. Als seine kleine Schwester machte ich mir natürlich Sorgen um ihn, aber ich wusste auch, dass mein Bruder auf sich aufpassen würde. Und ich wollte ihn auch nicht bei meinen Eltern verpetzen, denn dafür war unsere Geschwisterliebe doch zu groß.
Als er jedoch um halb eins morgens immer noch nicht auftauchte, machte ich mir Sorgen um ihn. Erst das Poltern an meinem Fenster ließ mich erahnen, dass mein lieber Bruder wohl endlich heimkam.
Sturzbetrunken wie er war, konnte er von Glück reden, dass ich ihn überhaupt hereingelassen hatte.
Das Einzige, was er noch zu Stande brachte, war ein gehauchter Kuss auf meine Wange, welcher nach Alkohol roch und ein »Ich hab dich lieb, Schwesterherz.«, bevor er sich wankend aus meinem in sein Zimmer schlich.
Zu diesem Zeitpunkt waren Timo und ich schon mehr als drei Jahre voneinander getrennt gewesen.
An diesem Abend telefonierte ich wieder einmal mit meinem besten Freund.
Leise meckernd stieg ich zurück ins Bett und klemmte mir das Haustelefon unters Ohr.
»War das dein Bruder?« Timos leises Lachen am Ende der Leitung bescherte mir eine feine Gänsehaut.
Mit meinen gerade einmal sieben Jahren wusste ich ganz genau, dass ich meinen besten Freund niemals verlieren wollte. Er bedeutete mir einfach zu viel. Mit ihm konnte ich lachen, weinen, mich freuen, oder einfach nur die Stille genießen. Er verstand mich oft ohne Worte.
Manchmal hatte ich die Vermutung, wenn wir im Kindergarten zusammen spielten, er wüsste genau, wie ich mich fühlte. Ob beim Spielen, beim gemeinsamen Essen oder einfach nur beim Kuscheln.
Immer war er in meiner Nähe und wenn nicht, dann fühlte ich mich schnell einsam. Timo schien es ähnlich zu ergehen, denn immer wieder suchte der kleine Junge mit den wunderschönen, braunen Schokoaugen meine Nähe und wich mir kaum mehr von der Seite.
Wenn es abends jedoch Richtung nach Hause ging, fühlten wir uns, als wenn man uns trennte. Als wenn ein Teil des jeweils anderen weggerissen würde. Die Einsamkeit blieb und für mich fühlte es schrecklich an, doch ich sagte nichts. Ich blieb stumm, aus Angst, Timo könnte mich auslachen, was jedoch völliger Quatsch war, denn wir vertrauten einander. So wie jetzt ... er fehlte mir und ich versuchte mit dieser Einsamkeit so gut es ging, fertig zu werden.
»Ja, das war mein blöder Bruder«, grummelte ich und unterdrückte ein Gähnen.
»Naja, sei froh, dass du nur einen Bruder hast. Meine Schwester Melanie ist viel anstrengender.«
Timos Schwester hatte ich fast nie zu Gesicht bekommen, denn sie lebte nicht bei ihm und seiner Mutter, sondern bei deren Vater.
Einer der Gründe vielleicht, warum sich Timo als Klein-und Schulkind so oft bei mir und meinen Eltern aufhielt, anstatt bei sich zu Hause. Er hatte schließlich nie miterlebt, wie es sich anfühlte in einer intakten Familie zu leben und aufzuwachsen.
Einen Moment herrschte Schweigen zwischen uns, in dem ich an die dunkle Zimmerdecke starrte und darauf wartete, dass Timo etwas sagte. Doch auch er schwieg.
»Rena ...«, kam es nach einer längeren Pause und ich spürte, dass Timo etwas bedrückte.
»Ja ...?«
»Wenn ich irgendwann einmal zu dir sagen würde, dass ich dich mehr als nur ...«
Ich hielt den Atmen an und krallte meine linke Hand in die Bettdecke. Mein Herz begann wie wild zu pochen und alles in mir kribbelte.
Gerade, als ich dachte, er würde diesen Satz beenden wollen, klopfte es an meiner Zimmertür und ich zuckte zusammen. Genervt krabbelte ich aus dem Bett und ging zur Tür, um diese aufzuschließen, denn mein Bruder rief gerade ziemlich laut: »Rena, ich brauch das Telefon.«
»Warte mal kurz!«, bat ich Timo am Ende der Leitung, klemmte mir das Telefon unters Ohr und drehte den Schlüssel der Tür.
Kaum war dies geschehen, fiel Simon auch schon fast in mein Zimmer herein. Er schwankte bedrohlich, brachte aber trotzdem ein Grinsen zustande. Auffordernd streckte er die Hand nach dem schnurlosen Haustelefon aus.
»Du hast ein Handy«, murrte ich und funkelte ihn böse an. Er sollte schließlich merken, dass er mich gerade nervte. Immerhin bot sich für mich endlich mal wieder eine Gelegenheit, mit meinem besten Freund sprechen zu können. Denn in den letzten Tagen war es nicht möglich gewesen, da meine Eltern mich oft früh zu Bett geschickt hatten.
»Ich weiß. Aber mein Vertrag wurde gesperrt und Dad hat die Rechnung noch nicht bezahlt. Also gib schon her, Schwesterchen.« Die Worte verließen eher lallend als normal sprechend seinen Mund, was mich das Gesicht leicht verziehen ließ.
Ich seufzte ungehalten auf. Immer war es das Gleiche. Nie konnte man in dieser Familie seine Ruhe haben.
»Ich melde mich morgen wieder, okay?«, sagte ich genervt und es tat mir jetzt schon leid, dass ich meinen besten Freund etwas anmaulte.
Doch dieser nahm es gelassen, wie ich an seinem Lachen erkannte.
»Kein Problem. Melde dich einfach, wenn du wieder Zeit hast! Ich hab dich lieb.«
Damit reichte ich das Telefon Simon, der es an sich nahm und gleich mal Timo mit »Hey, Alter, was geht ab?«, begrüßte. Mit einem lässigen Handgruß und einem frechen Zwinkern an mich gewandt drehte er sich um und ging schwankend aus meinem Zimmer.
»Idiot!«, murmelte ich, weil ich ahnte, dass Simon genau wusste, dass ich mit meinem besten Freund telefonierte. Er hätte lieber ins Bett gehen sollen, anstatt zu telefonieren, so betrunken, wie er war.
Aber hier stellte ich mal wieder unmissverständlich fest, dass große Brüder wirklich ätzend waren und leider schien sich das seitdem nicht wirklich geändert zu haben.
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Gerade wollte ich weitergehen, als ich wohl offensichtlich von einem aus der kleinen Runde entdeckt wurde.
»Rena?! Rena, komm her.« Der junge Mann, welcher mich gerufen hatte, war Jonas Wesinger. Dieser studierte ebenfalls bei mir an der Uni, jedoch im Bereich der Medizin und war wirklich für jeden Spaß zu haben. Daher kam er auch in unserer Clique super gut an.
Mein Vater hatte Jonas unter anderem schon fast als zukünftigen Schwiegersohn gesehen, als ich ihn vor etwa zwei Jahren bat, mich zu einem dieser Ärztebälle zu begleiten, zu denen ich als Tochter nun einmal mitgemusst hatte. Zu dumm aber auch, dass ich Jonas zwar mochte, weil er nun einmal ein Komiker war, aber ansonsten keinerlei Interesse an ihm zeigte.
Also schlenderte ich auf die Gruppe zu, auch wenn es mich immer noch viel lieber in mein warmes Bett zog. Aber ein bisschen plaudern und vom Alltag abschalten schien ja nicht schaden zu können.
Kaum erreichte ich die Gruppe, wurde mir auch schon ein Platz von Jasmin, die links neben einem halbleeren Kasten Bier saß, angeboten. Somit lehnte ich das Fahrrad an einen nahegelegen Baum und setzte mich dann zwischen meinen beiden besten Freundinnen. Das ließ mich immerhin doch ein wenig Hoffnung aufkeimen, dass der Abend nicht ganz im Alkoholrausch endete.
»Ich hatte dir eine WhatsApp Nachricht geschrieben, aber die hast du bestimmt mal wieder nicht gelesen, stimmt's?«, stichelte Kathi, grinste mich an und ich verdrehte leicht die Augen. Sie wusste, dass ich ihre Nachricht nicht gelesen hatte, da in der Bibliothek Handys verboten waren und bisher war ich auch noch nicht dazu gekommen, dies wieder einzuschalten.
Ich streifte meine Tasche von den Schultern, die wieder einmal eine Menge Bücher beherbergte und ließ mich auf der Decke im Schneidersitz nieder.
»Hier, zum Auflockern.« Stefan reichte mir eine Flasche Becks Green Lemon, die er wohl schon offen in der Hand gehalten hatte. Ich beäugte sie misstrauisch.
»Keine Sorge, ich hab nichts rein gemischt, sonst bringt mich Simon noch um, wenn ich seiner Kleinen auch nur ein Haar krümme«, brachte er mit einem Lachen hervor, welches alle anderen zum Kichern brachte und mir ein Schmunzeln entlockte.
Ich nahm sie entgegen und trank einen kleinen Schluck. So schlecht schmeckte es gar nicht.
Die anderen waren wieder ins Gespräch vertieft, sodass ich mich in aller Ruhe umsehen konnte, mit wem ich hier eigentlich genau saß.
Außer meinen besten Freundinnen waren noch mein Bruder und Jonas, Leon sowie Pascal anwesend. Die beiden kannten meinen Bruder noch vom Gymnasium. Während ihres Studiums verloren sich beide aus den Augen, trafen dann jedoch vor gut einem Jahr wieder aufeinander. Wie genau das aber alles damals zu Stande gekommen war, wusste ich nicht, denn ich hatte Simon nie danach gefragt. Leon und Pascal studierten ebenfalls, allerdings in einem ganz anderen Fachbereich. Dennoch schien die Freundschaft unter ihnen als Kumpels immer noch zu bestehen, wie ich jetzt sah. Ich bekam von dem ja nicht viel mit, was mein Bruder so mit seinen Kumpels trieb, da ich eigene Sorgen und Laster oftmals mit mir herumtrug. Der letzte im Bunde unserer Clique war Stefan und ... mein Blick blieb an einer Person hängen, die ich bisher gar nicht wahrgenommen hatte.
Sie unterhielt sich leise mit meinem Bruder, sodass ich nicht erkennen konnte, wer genau es war. Dennoch weckte dies sofort mein Interesse.
Ich nippte hin und wieder an meiner Flasche und behielt die Person im Auge.
Da es noch recht hell war, konnte ich das Profil von dieser gut in Augenschein nehmen.
Dunkle Haare, ein gut durchtrainierter Oberkörper, welchen man unter dem sehr enganliegenden Shirt ausmachen konnte. Die Person saß zwar im Schneidersitz, dennoch ließ es mich erahnen, dass sie fast eineinhalb Köpfe größer sein musste als ich.
Dunkle Baggy-Hosen verhüllten die Beine, sodass ich nicht genau erkennen konnte, ob diese eher lang, oder kurz zu sein schienen.
Ich ließ meinen Blick einige Male an dem jungen Mann entlanggleiten, ehe ich mich seinem Gesicht widmete. Die ausgeprägten leicht hervorstehenden Wangenknochen sowie der sinnliche Mund kamen mir bekannt vor, doch konnte ich diese nicht zuordnen.
Erst, als ich meinen Blick weiterwandern ließ und geradewegs in warme, freundliche braune Augen blickte, die mich neugierig musterten, dämmerte es mir. Vor Schreck verschluckte ich mich an meinem Bier und bekam einen halben Hustenanfall. Halb röchelnd hob ich den Blick und blickte nun in ein grinsendes Gesicht. Ich verdrehte die Augen, während ich mich allmählich wieder erholte.
»Geht's?«, fragte Jasmin und ich nickte.
»Ach, Rena. Das weißt du ja noch gar nicht. Rate mal, wer wieder hier ist?« Mein Bruder deutete auf den jungen Mann neben sich, schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und dieser feixte.
»Keine Ahnung. Der Papst oder Jesus scheint es nicht zu sein«, brachte ich immer noch mit leicht erstickter Stimme hervor.
Irgendetwas sagte mir, dass ich gleich den Schock meines Lebens präsentiert bekommen würde.
»Sag bloß, du erkennst Timo Wittenberg nicht mehr?! Jetzt bin ich ehrlich gesagt schockiert, Rena.«
Einen Moment lang war ich wirklich wie versteinert. Simon machte gerade Witze, oder?
Timo, mein Timo, meine erste große Liebe sollte dieser Typ neben meinem Bruder sein?
Niemals.
»Simon, wenn du mich verarschen willst, dann war das gerade ein sehr, sehr schlechter Scherz. Du weißt ganz genau, dass ich ... dass ich ...«
» ... dass ich Timo geliebt habe, dass ich Gefühle für ihn hatte und ich ihm nie verzeihe, dass er irgendwann auf einmal wie vom Erdboden verschluckt schien, selbst als ich versuchte, ihn daheim zu erreichen«, beendete ich meinen Satz in Gedanken.
Doch Simon, sowie alle anderen, die ich der Reihe nach ansah, schienen nicht so, als wenn sie scherzen würden.
Okay, also entweder waren sie alle schon ein wenig zu betrunken, oder aber ...
»Hey Rena, dein Bruder hat Recht. Ich bin es wirklich. Eigentlich muss ich ehrlich sagen, dass ich dich heute in der Uni gar nicht wiedererkannt hab. Simon und ich sind uns heute auch das erste Mal seit einigen Jahren wieder über den Weg gelaufen. Er hat mich am Namen erkannt, als ich mich heute Morgen in die Vorlesungen eintrug und im Sekretariat noch einiges klären musste. Wir konnten selbst nicht glauben, dass wir uns nach so vielen Jahren wiedersehen würden ... Na ja, und wie das eben so ist, keimten dann wieder die alten Erinnerungen hoch. Erst, als Simon mir sagte, dass du ...«
»Ja, das stimmt. Ich hab's echt versäumt, dir zu sagen, Schwesterherz. Ich meine ... ich musste Timo erst einmal die Uni zeigen und so ... sorry, Rena.«
Wollte ich wirklich hören, was mein toller Bruder über mich beziehungsweise über das plötzliche Auftauchen Timos zu sagen hatte? Wollte ich wirklich wissen, warum meine erste große Liebe nach Jahren der Trennung so ganz plötzlich wieder in mein Leben geschneit kam?
Wenn ich ehrlich sein mochte, wollte ich es nicht, doch auf der anderen Seite war ich schon ein wenig neugierig, warum Timo nach all den Jahren wieder auftauchte. Ob es wirklich nur an der Uni lag oder ob noch etwas anderes dahinter steckte.
Kaum dachte ich daran, musste ich automatisch an unser allererstes Treffen damals denken. Ich wusste nicht, wieso ... sie war einfach da, die Erinnerung an damals und sie wirkte so frisch, als wäre sie erst gestern gewesen.
Im Alter von gerade einmal fünf und drei Jahren waren Timo und ich uns das erste Mal im Kindergarten begegnet. In diesem Alter hatte ich natürlich noch nicht allzu viel zu sagen, geschweige denn zu tun gehabt.
Timo war damals der einzige Junge gewesen, der mich vom ersten Tag an seiner Seite haben wollte.
Er war es, der mir den Kindergarten gezeigt, der mit mir gespielt und mich getröstet hatte, wenn ich traurig war oder es mir schlecht ging.
Für mich galt Timo von da an wie ein Beschützer. Ohne Timo fühlte ich mich unausgeglichen und einsam.
Wie jedoch im Kleinkindalter üblich, gab es auch bei uns beiden Zeiten, in denen wir uns um Kleinigkeiten zankten. So hatte Timo mein Kuscheltier, eine weiße Katze, mit nach draußen zum Spielen genommen. Diese sah danach auch dementsprechend aus und meine Laune rutschte auf einen Tiefpunkt. Meine Eltern, so wie die damalige Erzieherin hatten alle Hände voll zu tun, um mich einigermaßen wieder zu beruhigen.
Timo bekam, weil er nach seiner Attacke auf mein Kuscheltier so ein dämliches und schadenfrohes Grinsen im Gesicht hatte, am nächsten Tag die Quittung von mir kassiert.
Nachdem ich ihn beim Radfahren ein wenig auf dem Hof des Kindergartens beobachtete, beschloss ich, ihn ebenfalls zu ärgern.
So kam es, dass Timo kurze Zeit später im hohen Bogen vom Rad flog und sich dabei zwei Milchzähne ausschlug.
Unschuldig und zugleich schadenfroh darüber, weil ich ihm einen Stock zwischen die Speichen seines Fahrrads geschmissen hatte, verzog ich mich in die Spielecke.
Konsequenzen gab es im Nachhinein dennoch für mich, was ich natürlich wiederum total doof und unfair fand.
Nachdem solche und noch weitere kleinere Missgeschicke zwischen uns passierten, begannen wir uns irgendwann besser zu verstehen.
Unsere Eltern konnten nach den zahlreichen Blessuren sowie Heulattacken im Kindergarten und bei uns daheim gar nicht glauben, dass wir auch ganz normal miteinander umgehen konnten.
Aus Hass wurde somit eine liebevolle und unzertrennliche Freundschaft.
Wäre Timos Umzug damals nicht dazwischen gekommen, wer wusste, was dann noch alles passiert und wie unsere Freundschaft weitergegangen wäre?
Hier saß ich nun und dachte über unsere allererste Begegnung nach, während um mich herum die anderen aus der Clique quatschten, tranken und einfach gut drauf waren.
»Hey!« Ich zuckte leicht zusammen, als ich auf einmal jemanden vor mir wahrnahm und aufblickte.
Vor mir hockte kein anderer als Timo höchstpersönlich und blickte mich an.
Es war ein Blick, der neugierig, aber dennoch frech wirkte.
Da ich zu keinem Wort fähig schien, sah ich ihn einfach stumm an.
Timo kaute auf seiner Unterlippe herum, schwenkte die halbvolle Bierflasche in seinen Händen und schwieg.
Was zur Hölle wollte er?
»Hey!«, brachte ich endlich mehr als trocken hervor, was ihn dazu veranlasste, den Blick zu heben und mich mit seinen braunen Augen anzusehen.
Seinen Blick konnte ich nicht deuten, doch ich hoffte, dass ihn meine, zugeben desinteressierte Stimme, dazu veranlasste, von mir Abstand zu halten. Immerhin hatte er mir damals das Herz
gebrochen, auch wenn er davon nichts wusste. Dennoch ... mit ein bisschen Verstand hätte er eigentlich merken müssen, dass ich in ihn verliebt war ... sofern man das in unserem damaligen Alter als Verliebt sein ansehen konnte.
»Rena ...«, begann er, doch ich ließ ihn nicht ausreden.
»Für dich, Timo Wittenberg, immer noch Karena, verstanden?«
Er seufzte, fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar, welches ich nur zu gerne anfassen würde, und atmete tief durch.
»Ich weiß, dass das jetzt alles etwas viel für dich ist. Glaub mir, wenn du magst, kann ich dir alles in Ruhe erklären.«
War er jetzt vollkommen durchgedreht? Was wollte er mir in Ruhe erklären? Dass er, als mein bester Freund, mit dem ich damals alles teilte, einfach so weggezogen war? Dass er mich damit mehr als verletzte, als er sich aus heiterem Himmel dann plötzlich gar nicht mehr meldete, nachdem ich mehrfach in den Ferien bei ihm gewesen war? Dass er unsere Freundschaft und somit auch mein Herz aufs Spiel gesetzt hatte?
»Danke, nicht nötig«, erwiderte ich trocken und nahm einen Schluck von meinem Bier. Das aufkeimende Kribbeln in meinem Bauch versuchte ich dadurch zu ersticken.
»Karena bitte. Hör mir wenigstens zu. Ich hab oft, sogar sehr oft an dich denken müssen, als ich damals wegzog, aber es ging alles viel zu schnell und ... können wir nicht noch einmal von vorne
anfangen? Ich möchte dir gerne erklären, warum das alles so kam und wieso das jetzt so ist. Du hast ein Recht darauf, dies zu wissen, denn ... ich ...«
Ich ließ ihn jedoch nicht weiter zu Wort kommen, wollte jetzt hier vor allen und vor allem nicht von einem angetrunkenen Timo Wittenberg, eine Erklärung für sein Verschwinden, für sein jahrelanges Schweigen haben.
Und dass Timo angetrunken war, merkte ich. Ich roch es an seiner Bierfahne und rümpfte nur angewidert die Nase. Nichts gegen ein paar Bier, aber von einem Angetrunkenen eine Erklärung zu erhalten, war definitiv nicht das, was ich wollte. Wenn ich denn überhaupt eine Erklärung von ihm wollte, denn ganz sicher schien ich mir plötzlich auch nicht mehr zu sein. Ob ich diese Erklärung überhaupt verkraften würde ...
Ich antwortete nicht, stand aber auf und wandte mich an die anderen. Timo beachtete ich nicht.
»Sorry, Leute. Ich werde mich mal auf den Heimweg machen, ist ja schon spät und morgen hab ich einen anstrengenden Tag vor mir«, verabschiedete ich mich von der Clique und wandte mich zum Gehen.
»Schwesterherz, denk dran, dass du morgen Schicht in Nicos Café hast«, erinnerte mich Simon und grinste verschmitzt. Im Gegensatz zu Simon, der mit seinem Geld offenbar wunderbar auskam, jobbte ich alle drei Abende in einem kleinen Café in der Innenstadt, um mir ein wenig was dazuzuverdienen.
»Jaja«, erwiderte ich nur und verdrehte leicht lachend die Augen.
Jasmin und Kathi erhoben sich, um mich noch zu verabschieden. Jasmin versprach auch bald in die WG zu kommen, was ich nickend entgegen nahm.
Die Jungs verabschiedeten mich mit einem Handgruß und einigen gemurmelten Worte, welche ich mit einem Daumen nach oben erwiderte, damit sie sahen, dass ich sie verstanden hatte.
»Übertreibt's nicht«, warnte ich sie alle noch lachend und musste mich wegducken, ehe eine leere Dose an mir vorbei segelte und im Gras dumpf aufschlug.
»Du konntest auch schon mal besser treffen, Stefan«, brachte ich belustigt hervor, ehe ein »Das nächste Mal treff ich dich, Rena!«, folgte.
Dann machte ich mich auf den Heimweg.
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Ich versuchte den gesamten Weg über nicht an Timo zu denken und wundersamer Weise klappte es auch.
Äußerst geschafft schloss ich, nachdem ich mein Fahrrad vor dem Hauseingang am Fahrradständer angeschlossen hatte, im Wohnheim angekommen, die Zimmertür auf und schaltete das Licht an.
Ich teilte mir mit Kathi ein Zimmer. Nicht, dass mich meine beste Freundin nervte, aber es war dennoch manchmal der Wunsch da, nach ein bisschen Freiheit. Denn hier musste immer jemand von uns beiden auf den jeweils anderen Rücksicht nehmen, was nicht weiter schlimm war, aber trotzdem ... manchmal nervte es ganz schön.
Einen Moment blieb ich an der geschlossenen Tür angelehnt stehen, ehe ich meine Schuhe auszog und die Jacke an den Türhaken hängte. Meine Tasche schmiss ich, nachdem ich den breiten Schrank umrundet hatte, achtlos aufs Bett. Unser gemeinsames Zimmer war großzügig geschnitten, dennoch hatten wir während des Einzugs damals beschlossen, dies zu teilen. Eine breite Schrankwand trennte unsere Betten voneinander, was ganz praktisch war. So konnten wir beide zumindest ungestört schlafen oder nachts noch etwas lesen, ohne den anderen mit dem Licht der Nachttischlampe zu nerven.
Aus meinem Schrank holte ich neue Wäsche, meine Schlafpanty und mein Schlafshirt und begab mich über den Flur ins Gemeinschaftsbadezimmer. Nach einer wohltuenden, heißen Dusche und Zähneputzen lag ich zwanzig Minuten später in meinem gemütlichen Bett, doch an Schlaf konnte ich noch lange nicht denken.
Dafür schwirrten mir zu viele Gedanken im Kopf herum.
Gedanken, die sich um meine ehemalige Sandkastenliebe Timo Wittenberg drehten.
Warum war er gerade hier? An dieser Uni, an der Uni, an die auch ich ging? Hätte er sich nicht einfach eine andere aussuchen können?
Seufzend drehte ich mich auf die Seite, schob meine linke Hand unter das Kopfkissen und die andere locker daneben und starrte an die weiße Wand.
Doch so sehr ich mir auch wünschte, dass mich die Müdigkeit überrollte, nichts dergleichen geschah.
Stattdessen erblickte ich vor meinem inneren Auge Timo, der mich stumm anblickte.
»Hau ab!«, zischte ich, denn ich wollte ihn nicht in meine Gedanken und schon gar nicht in mein Herz lassen. Die Gefahr, dass er es vielleicht erneut in Stücke riss, war zu groß.
Doch etwas in mir war stärker und das Gefühl, ihm vielleicht doch Unrecht getan zu haben, kroch in mir hoch wie heiße Lava.
Meine Gedanken kamen nicht zur Ruhe, stattdessen dachte ich an jenen Abend zurück, an dem ich mir mit Timo damals das erste Mal ein Bett geteilt hatte. Vielleicht lag es daran, dass just in diesem Moment ein erstes Donnergrollen zu vernehmen war. Ein Gewitter zog auf; genau wie damals, genauso, wie ich es in Erinnerung hatte.
Es war Herbst gewesen und Timo hatte nach langem Betteln endlich bei mir daheim übernachten dürfen, nachdem unsere Eltern erst strickt dagegen gewesen waren. Eigentlich hatte Timo bei Simon in seinem Zimmer geschlafen. Doch nachdem das Gewitter immer schlimmer geworden war und ich vor Angst kein Auge zu bekommen hatte, war ich schließlich zu Simon ins Zimmer geschlichen. Dieser hatte ein Etagenbett, genau wie ich. Ich wusste, dass Simon unten lag und zuerst wollte ich auch in sein Bett schlüpfen. Doch nachdem ich merkte, dass dieser für mich in seinem Bett keinen Platz mehr hatte, weil er sich so breit machte, blieb ich unschlüssig an der Leiter stehen.
Timo, welcher offensichtlich noch wach lag oder durch das leise Quietschen der Zimmertür aufgewacht war, lugte nun über das Geländer zu mir herunter.
»Hast du Angst?«, fragte er in die Stille, die das Zimmer erfüllte. Er schien mich bereits eine ganze Weile beobachtet zu haben, denn ich stand seit geschlagenen zehn Minuten vor Simons Bett.
Ich blickte auf und erkannte Timo, wie er mich aufmerksam musterte.
Zumindest kam es mir so vor.
»Nein. Du etwa?«, gab ich leise zurück und starrte an die dunkle Zimmerdecke. Es sollte tapfer klingen, doch es war gelogen. Warum sollte ich im Zimmer meines Bruders nachts stehen und vor Angst fast anfangen zu weinen? Das Grollen wurde lauter und allmählich wurden auch die Blitze sichtbar, denn sie erhellten für kurze Momente das Zimmer.
»Nein!«, kam es bestimmt zurück, doch uns war beiden klar, dass es gelogen war.
Wieder herrschte Stille und ich sah ihn unverwandt an, was er mir gleich tat.
Nach kurzem Zögern seinerseits meinte er leise: »Wenn wir uns ein Bett teilen, dann geht das Gewitter bestimmt bald weg.«
Ich überlegte einen Moment, ehe ich leicht nickte. Obwohl ich lieber bei meinem Bruder im Bett geschlafen hätte, aber dieser war einfach nicht wachzubekommen und da meine Angst zu groß war, blieb mir nichts anderes übrig.
Mit wenigen Sätzen war ich die Leiter zu ihm hochgeklettert und lag Sekunden später neben ihm, das Gesicht ihm zugewandt.
Keiner von uns sagte etwas, ich hielt sogar für einen Augenblick den Atem an.
So nah war ich dem besten Freund meines Bruders bis dahin noch nie gewesen. Zumindest nicht in einem Bett.
Als es wieder zu grollen anfing und die Blitze kräftiger denn je über uns zuckten, legte Timo, der mein Zusammenzucken gemerkt hatte, einen Arm um mich.
Ich schaute ihn mit großen, ängstlichen Augen an. Langsam, fast schon vorsichtig zog er mich fester in seine Arme und nach kurzem Zögern ließ ich meinen Kopf an seine Brust gleiten.
Ich wusste nicht, ob es sein gleichmäßiger Herzschlag sowie sein Atmen war, der mich ungemein beruhigte, oder ob es an der beschützenden Umarmung sowie dem Gefühl der Geborgenheit lag.
Jedenfalls legte sich meine Angst langsam und dank seines Streichelns über meinen Rücken übermannte mich langsam die Müdigkeit und ich schlief irgendwann ein.
Ich glaube, meine Eltern müssen einen Schock damals bekommen haben, als sie wieder heim gekommen waren, mich und Timo in ein und demselben Bett schlafen sahen. Und das, obwohl beide nur für wenige Stunden weg gewesen waren und mein Bruder die Aufsicht für mich hatte.
Doch glücklicherweise sprach dieses Thema am Morgen keiner an.
Immerhin waren wir noch Kinder und in diesem Alter schien es wohl durchaus normal zu sein, nebeneinander einzuschlafen.
Als ich über diese Kindheitserinnerung mit Timo so nachdachte, musste ich doch etwas schmunzeln und schlief irgendwann darüber hinaus ein.
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Das Schrillen meines Weckers holte mich morgens um Punkt neun Uhr aus meinen Träumen. Wobei ich hierzu sagen musste, dass ich nicht einmal wusste, ob diese schön waren. Generell konnte ich mich fast nie an einen Traum erinnern und wenn, dann nur schemenhaft.
Halb blind tastete ich im verdunkelten Zimmer, da die Vorhänger an den Fenstern zugezogen waren, nach dem Wecker. Diesen erwischte ich und schmiss ihn von meinem Nachtschränkchen.
»Scheiß Ding«, grummelte ich verschlafen und hätte mich am liebsten gleich wieder auf die Seite gedreht, um weiterzuschlafen.
Kathi schien nicht mehr da zu sein, denn ansonsten hätte ich sie im Zimmer gehört. Leise war für sie oft ein Fremdwort. Doch heute war es still. Offenbar hatte ihre Vorlesung bereits angefangen.
Lustlos schwang ich meine Beine aus dem Bett und stand auf.
Auch wenn das Studentenleben entspannt war, so gab es dennoch Tage, an denen ich mich am liebsten erst gar nicht in eine der Vorlesungen oder in die Bibliothek bewegt hätte. Doch ohne Fleiß kein Preis und so musste auch ich hin und wieder in die Vorlesungen. Genau wie an diesem Morgen. Denn später würde ich vor lauter Hausarbeiten gar nicht mehr wissen, ob ich überhaupt noch eine Vorlesung besuchen sollte, wenn ich mit dem Papierkram nicht hinterher kam.
Nach einer Dusche, die meine Lebensgeister ein wenig aufmunterte, zog ich mich an und verließ mit einigen Büchern, die ich in der Kantine noch schnell durchblättern wollte, und meiner Tasche auf den Schultern das Zimmer.
Die Kantine sollte noch offen haben, sodass ich mir ein Frühstück gönnen würde.
Ich hätte zwar auch in der Küche des Wohnheims frühstücken können, doch mein Kühlschrankfach war so gut wie leer und gab daher fast nichts Essbares mehr her.
So schritt ich den Flur des Wohnheims entlang, öffnete die Haustür und trat nach draußen.
Es war, wie sollte es auch anders sein, warm, weshalb ich nur eine hellblaue, kurzärmlige Bluse, eine dunkelblaue Dreiviertelhose und Ballerinas trug.
Meine braunen, langen Haare hatte ich zu einem lockeren Zopf gebunden, der lässig bei jedem Schritt hin und her wippte.
Mit zügigen Schritten machte ich mich auf den Weg zum Uni-Gelände, das nicht allzu weit vom Wohnheim entfernt war. Auf mein geliebtes Fahrrad hatte ich heute Morgen irgendwie keine große Lust.
Auf dem Weg schrieb ich Kathi und Jasmin eine WhatsApp Nachricht, in der ich beide zum Mittagessen in der Kantine einlud. Zum Weggehen abends war keine Zeit, da ich heute meine erste Schicht im Café nach den Semesterferien hatte.
Bepackt mit meinen Sachen machte ich mich auf den Weg.
Gerade hatte ich das Gelände erreicht, kamen mir unzählige Studenten, Referendare sowie Professoren entgegen. Ich ging in Gedanken meine heutigen Vorlesungen durch, als ich fast in jemanden hineingelaufen wäre.
Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich fangen, sonst wäre ich wohl der Länge nach hingeflogen.
»Hoppla!«, kam es von demjenigen und diese Stimme ließ mich erstarren.
Es war genau die gleiche Stimme, die ich vor fast vierundzwanzig Stunden das erste Mal seit Jahren wieder vernommen hatte und die mich in meinen Erinnerungen seit gestern verfolgte.
Es war die Stimme, die mich seit meinen Kindertagen begleitet hatte. Es war seine Stimme und es war sein Aftershave, welches mir in die Nase stieg und mich kurz meine Augen schließen ließ, um diesen herben-süßlichen Duft einzuatmen.
»Timo!« Alleine seinen Namen auszusprechen, auch wenn er eigentlich nur gehaucht schien, war für mich ein Fluch.
»Karena.« Sein Arm stützte mich, bevor ich wieder Halt fand und mich langsam aufrichtete, ehe ich in braune, warme Augen blickte.
»Ach, du hast dir meinen vollen Namen gemerkt? Ist ja nicht zu glauben, Herr Wittenberg.«
Mein Sarkasmus war nicht zu überhören.
Innerlich schüttelte ich meinen Kopf über mich selbst. Warum zeigte ich ihm bei unseren Begegnungen immer wieder die kalte Schulter? Wenn ich jedoch an unsere gemeinsame Vergangenheit, an unsere Kindheitserinnerungen dachte, musste ich fast immer lächeln und fühlte mich wohl bei dem, was ich von ihm hielt und dachte.
»Rena ...«, begann er, doch ich verengte die Augen augenblicklich zu Schlitzen und er hob abwehrend die Hände.
» ... Karena. Ich weiß wirklich nicht, was dein Problem ist, also was du für ein Problem mit mir hast, aber ich würde mich freuen, wenn wir das aus der Welt schaffen könnten. Ich hab mich nicht extra für diesen Weg entschieden, um dir Schaden zu wollen oder dich zu verunsichern. In meiner Vergangenheit sind Dinge passiert, die mich dazu veranlasst haben, die Uni zu wechseln und Heidelberg war nun einmal eine Möglichkeit davon. Dass ich Simon hier begegnete, hätte ich niemals für möglich gehalten und als er mir ...«
»Weißt du was, Timo? Es interessiert mich nicht die Bohne, warum du hier bist oder warum du dich mit meinem Bruder verbündet hast. Ich möchte einfach meine ...«, doch seine hochgezogene Augenbraue ließ mich nicht weiter reden. Ich verstummte, denn diese Geste von ihm erinnerte mich an die Grundschulzeit, wo er damit angefangen hatte. Immer, wenn er merkte, dass ich log, zog er nur ganz leicht, aber extrem gekonnt, die Augenbraue hoch, ohne etwas zu sagen. Und diese Geste brachte mich nicht nur in Verlegenheit, sondern zeigte mir auch ganz deutlich, wie gut er mich kannte. Dass diese Angewohnheit immer noch bei mir zog, überraschte selbst mich.
Ich seufzte frustriert auf, verdrehte die Augen und kniff die Lippen zusammen.
»Kaffee trinken in der Mensa? Ich denke, wir haben noch genügend Zeit, um unser kleines Missverständnis aus dem Weg zu räumen, oder was meinst du?«
Abwartend sah er mich an, ehe ich knapp nickte und ihm dann Richtung Mensa vorauslief.
Wenn er meinte, dass es mit einem Kaffeetrinken getan war, dann hatte er sich aber gewaltig geschnitten.
Kindheitserinnerungen hin oder her: Er hatte mich damals mehr als nur verletzt und das war mit nichts auf der Welt wieder gutzumachen.
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