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Kapitel 9 - Will


Will wusste, dass Dean irgendetwas vor ihm verheimlichte. Er war öfters kurz davor zu fragen, überlegte es sich aber immer in letzter Sekunde anders. Wenn Dean es ihm erzählen wollte, würde er es von sich aus tun. Aber das half leider nicht, gegen das immer dichter werdende Geflecht aus Gedanken und Ideen, was es wohl sein könnte. Immerhin hatte Will ziemlich schnell begriffen, dass Dean sich seit der Halloweenparty seltsam verhielt. Da kam schnell die Frage auf, was auf der Party wohl noch passiert war, nachdem Will schlafen gegangen war. Vielleicht war ja Alex aufgetaucht. Oder jemand als Peter Pan. Und Dean hatte das Gefühl, mit Will nicht darüber reden zu können, weil Will die Sache mit Xander ja schon soo gut aufgenommen hatte. Gut, daran war Will selber schuld. Er nahm sich fest vor, sich für Dean zu freuen, wenn der ihm endlich von seiner neuen Eroberung erzählen sollte, auch wenn es sich anfühlen würde, als würde es Will das Herz aus der Brust reißen.

Der November half nicht gerade dabei, Wills Stimmung zu heben. Das Wetter verschlechterte sich täglich, es regnete die erste Woche praktisch ununterbrochen und es wurde kalt. Obwohl Will den Winter lieber mochte als den Sommer und auch lieber Pullis trug als T-Shirts, genoss er es nicht gerade, morgens an Autos mit zugefrorenen Scheiben vorbeizufahren und eine Frostwarnung auf dem Display des Armaturenbretts zu sehen.

Bei Dean in Minnesota war es natürlich noch eine ganze Ecke kälter und Dean beschwerte sich regelmäßig darüber, wie sehr er die Hitze des Sommers vermisste. Auch wenn er sich auf Thanksgiving und Weihnachten freute, Dean war ein Sommermensch.

Wills Leben hatte sich innerhalb der letzten paar Wochen ziemlich gewandelt, das meiste davon war auch gut. Bei ihrem letzten GSA Treffen war jemand neues dazugekommen, ein Mädchen von dem er nur wusste, dass sie in der Theater-AG war. Er hatte als Regel festgelegt, dass niemand sich outen oder seine Sexualität für die GSA offenlegen musste, immerhin sollte es ein sicherer Ort für alle sein. Die anderen hatten es trotzdem getan, Will eingeschlossen. Es hätte sich vielleicht nicht wie eine große Sache anfühlen sollen, immerhin war es für ihn nicht das erste Mal, aber es war das erste Mal vor mehr als einer Person. Trotzdem hatte er diesmal keine Angst. Hätte er aber vielleicht haben sollen.

Jeden Tag sah er seine Flyer, an Wänden, an Spinden, auf Tischen, überall. Die Leute hatten angefangen, sie zu bemalen und Beleidigungen draufzuschreiben. Einige hatten sogar das Bild von Riley verunziert. Das waren die einzigen Flyer, die Will jedes Mal abriss und in den Müll beförderte, weil er sah wie es Raquel zusetzte. Sie hatte den Ruf als Schulschlampe, aber ihr Herz hatte nur an einer einzigen Person gehangen. Riley hatte ihre Gefühle nicht versteckt und es hatte sie in den Tod getrieben. Raquel sagte, sie würde sich das nie verzeihen.

Ich könnte das nie, sagte Dean jeden Tag, wenn Will neue Flyer mitbrachte, um sie aufzuhängen. Hast du gar keine Angst?

Doch, erwiderte Will aufrichtig, während er vor seiner Literaturstunde neue Flyer im Korridor verteilte. Manchmal bestehe ich nur noch aus Angst.

Aber du machst trotzdem immer weiter. Deans Bewunderung war ungefiltert in jedem seiner Worte. Es war wie warme Milch mit Honig an einem der kälteren Abende. Es war pure Geborgenheit.

Ich muss eine Hydra sein, sagte Will. Sie nehmen einen meiner Flyer ab und ich hänge zwei neue auf.

Es war jeden Tag dasselbe Spiel, da war es an sich nur natürlich, dass Dean merkte, wenn Will nervöser war als üblich.

Du hast recht, sagte Will, als Dean ihn darauf ansprach, der Grund ist ... lächerlich, ehrlich gesagt.

Das glaube ich nicht, widersprach Dean. Du fühlst eben was du fühlst, oder? Nichts Lächerliches daran.

Will hängte den letzten roten Flyer auf und seufzte. Mit den Händen tief in den Hosentaschen, machte er sich auf den Weg zum Unterricht. Jeder von uns muss heute ein Gedicht vortragen. Vor der ganzen Klasse. Ich ... ich weiß nicht, ob ich das schaffe, es ist so unangenehm.

Die GSA zu gründen war eine Sache. Ein Gedicht vor einem ganzen Raum voller Menschen vorzutragen, die nichts von Poesie verstanden und sie nicht zu schätzen wussten - geschweige denn ihn - war etwas ganz anderes.

Du hast letztens diesen Lehrer dermaßen fertiggemacht, und ein Gedicht aufsagen jagt dir Angst ein? Will konnte Deans Verwunderung verstehen, wirklich. Er war ja selber verwundert. Aber das half ihm auch nicht. Wenn es nicht irgendeinen Weg gab, sein Selbstbewusstsein um achtzig Prozent zu steigern, dann würde das eine sehr unangenehme Erfahrung werden.

Was, wenn du es für mich aufsagst?, fragte Dean unvermittelt, als Will bereits seinen Platz eingenommen hatte. Zu allem Überfluss kannte er niemanden in diesem Kurs näher - einmal abgesehen von Tyler, der Will seit einigen Wochen ignorierte. Aber alle kannten ihn. Der Junge mit den Flyern. Der schwule Junge. Sie hatten noch andere Ausdrücke für ihn, weniger deskriptiv, weniger freundlich. Er versuchte sie zu überhören, aber es nagte an Will und machte die Vorstellung vorne zu stehen, an sein Papier geklammert, beinahe unerträglich. Wäre Dean nicht da gewesen, hätte Will möglicherweise die Flucht ergriffen.

Wie meinst du das?

Tu einfach so, als würdest du das Gedicht gar nicht der Klasse vorlesen, sondern mir. Vielleicht ist das besser?

Das wäre auf jeden Fall besser. Ja, so würde er es machen.

Die Lehrerin rief ihre Namen in alphabetischer Reihenfolge auf. Es waren einige Leute vor ihm dran, die mehr schlecht als recht ihre Gedichte von Robert Frost, Walt Whitman und Shakespeare aufsagten. Keiner konnte seins perfekt auswendig. Als Will aufgerufen wurde, nahm er seinen Zettel nur mit, um etwas in den Händen halten zu können. Er brauchte nicht draufgucken. Er konnte es auch so.

Irgendjemand kicherte verhalten, als er sich räusperte. „Annabel Lee - von Edgar Allan Poe", verkündete er, ehe er begann.

Es begab sich vor sehr langer Zeit,
In einem Königreich an der See,"

Dean lauschte gespannt, das wusste Will. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, und vielleicht war das gut so. Annabel Lee ist eines der größten Liebesgedichte, die je geschrieben wurden. Es handelt von zwei Liebenden, die durch den Tod getrennt werden, doch der Erzähler lässt sich davon nicht entmutigen und glaubt fest daran, seine geliebte Annabel Lee im Tod wiederzusehen.

„Sie und ich waren jung an Jahren,
In diesem Königreich an der See;
Aber wir liebten uns mit einer Liebe, die mehr war als das -
Ich und meine Annabel Lee;"

Will musste sich zwingen, seine Stimme ruhig zu halten, sonst hätte sie gezittert. Er sah bei seinen Worten keine schöne Maid an der See, er hatte ein ganz anderes Bild vor Augen.

„Und weder die Engel im Garten Gottes
Noch die Höllenbrut im Schattenreich,
Können meine Seele je trennen von der
Der lieblichen Annabel Lee."

Als er zum Ende kam, schnappte er nach Luft. Dean war still und auch seine Klassenkameraden blieben stumm, bis sie anfingen auf die Tische zu klopfen, nachdem sie ein paar Sekunden verdaut hatten, was er gesagt hatte. Annabel Lee war ein dankbares Gedicht zum Vortragen, Will wusste das. Es hatte seine eigene brillante Melodie, Höhen und Tiefen, wie Stromschnellen. So schrieb Edgar Allan Poe meistens.

Will.

Ja? Sogar Wills innere Stimme war atemlos, zittrig. Er wusste, wie rot er war, als er endlich auf seinen Platz zurückkehrte. In seinen Ohren rauschte es, aber zum Glück war es vorbei.

Will, das war ... unfassbar, ich weiß gar nicht ... 'Wir liebten uns mit einer Liebe, die mehr war als das' - das ist so schön formuliert, ich -

Dean hörte sich so aufgewühlt an, wie Will sich fühlte. Aber Dean war auch romantisch veranlagt, da resonierte so ein Gedicht bei ihm mit Sicherheit. Und vielleicht hatte er inzwischen dabei auch ein bestimmtes Bild im Kopf. Wills Magen zog sich beim Gedanken daran schmerzhaft zusammen, aber er zwang ein Lächeln auf seine Lippen. Gut. Will würde Dean nie wieder von irgendetwas oder irgendjemandem fernhalten.

Hat es dir gefallen?

Will! Was für eine Frage, ja natürlich! Du musst mir demnächst noch mehr Gedichte vorlesen!

Will schüttelte ungläubig den Kopf und stellte fest, dass sein Lächeln sich sofort weniger gezwungen anfühlte. Ist das dein Ernst?

Ja! Versprich es mir!

Will schickte ein Lachen durch die Verbindung. Versprochen.

Dean antwortete mit einem Jubeln.

Ich dachte, du magst Gedichte nicht besonders, gab Will nach einer Weile zu, in der er versuchte und dabei versagte, dem Mädchen zuzuhören, das gerade ein Gedicht von Nikita Gill vortrug.
Es ist was anderes, wenn du sie mir vorliest, sagte Dean, als wäre es ein großes Geständnis.

Will ging nicht darauf ein, er freute sich einfach bloß. Viel zu sehr.

***

Ein paar Tage nach Annabel Lee, Will hatte gerade einmal wieder glorreich im Schach gegen Dean verloren, war es so weit.

Will? Ich muss dir was sagen.

Etwas in Will schien sich anzuspannen wie eine Bogensehne. Er betrachtete das Gemetzel auf dem Schachbrett und begann nervös einen Läufer hin und herzuschieben. Bevor er antwortete, zwang er sich Tee aus der Kanne in seine Tasse zu gießen.

Dean hat einen Freund, sagte er sich wieder und wieder, Dean hat einen Freund und das ist okay. Du bist glücklich wenn Dean glücklich ist.

Ja? Was denn?

Es herrschte eine Weile Schweigen und Will begann wieder mit dem Läufer zu spielen. Der Duft von Ingwertee beruhigte ihn normalerweise, aber Deans Schweigen hatte er nicht das Geringste entgegenzusetzen.

Es ist schwierig, sagte Dean schließlich bloß.

Will biss sich auf die Lippe. Das hatte er ja toll hinbekommen. Dean hatte auf der Halloweenparty vermutlich jemanden getroffen und war endlich wieder verknallt in jemanden. Vielleicht hatte er einen Freund, den er küssen konnte, mit dem er gemeinsam einschlief und sich Milchshakes teilte. Und Will hatte ihm das Gefühl gegeben, dass er es ihm nicht erzählen konnte, weil Will so zart besaitet war und einfach ausflippen und schlechte Stimmung verbreiten würde. Das musste aufhören. So wollte er nicht sein.

Dean, was auch immer es ist, du kannst mir vertrauen. Ich bin immer für dich da, versprach er. Er hatte selten etwas so ernst gemeint. Wenn Dean Beziehungsratschläge von ihm wollte, würde er sein Bestes geben, auch wenn er keine Ahnung hatte. Wenn Dean sich beschweren wollte oder davon erzählen, wie glücklich er war, würde Will da sein und zuhören. Auch wenn es noch so wehtat. Weniger verdiente Dean einfach nicht.

Du musst mir glauben, es war keine Absicht. Ich wollte nicht ... aber gleichzeitig macht es mich so glücklich?

Alles passte zusammen. Will nahm einen Schluck Tee und verschluckte sich fast. Warum fühlte sich alles so falsch an?

Wenn es dich glücklich macht, kann es ja nicht so schlimm sein, hm?, meinte Will aufmunternd. Dann nahm er wieder den Läufer zur Hand und drehte ihn mit geschlossenen Augen zwischen den Fingern. Er wappnete sich. Auch wenn er vorbereitet war, es zu hören würde sich anfühlen wie ein Schuss zwischen die Rippen.

Dean seufzte tief, als müsste auch er sich erst sammeln. Ich bin hoffnungslos in dich verliebt, Will.

Der Läufer glitt ihm aus den Fingern und rollte auf die Tischkante zu und darüber hinaus. Mit einem Klonk schlug Holz auf Holz, während Will einfach nur stumm dasaß und nicht glauben konnte, was er gerade gehört hatte. Alle Geräusche wurden übertönt vom schnellen Schlagen seines Herzens. Alle bis auf eins.

Will?

Nein. Nein, das hatte er nicht gewollt. Oder doch? Was hatte er getan, damit jemand wie Dean sich in ihn verliebte? Er war doch bloß er selbst, er hatte nichts gemacht, um das zu verdecken. Er hatte nicht versucht, Dean in sich verliebt zu machen, wieso also ...?

Alles drehte sich, als Will die Augen wieder öffnete. Hatte die Welt sich verändert? Sie fühlte sich anders an als noch vor einer Minute.

Dean erwartete eine Antwort. Er verdiente eine Antwort. Er verdiente so viel, so viel Besseres als Will. Dean brauchte jemanden, den er umarmen, berühren, küssen konnte. Jemanden, den er so lieben konnte, wie er es am besten tat. Wie es normal war. Und Will konnte nichts davon für ihn sein.

Dean. Es tut mir leid.

Dean schwieg nur für eine Sekunde, aber für Will war es eine Ewigkeit.

Was meinst du?

Dean, du bist toll und ich mag dich wirklich sehr, aber ... ich mag dich nicht so, wie du mich. Die Lüge riss Will innerlich auseinander. Er bekam kaum noch Luft und Tränen traten ihm in die Augen.

Bist du dir sicher? Deans Stimme klang vorsichtig neutral. Habe ich ... habe ich Sachen falsch gedeutet?

Will konnte nicht mehr stillsitzen. Er hob den Läufer vom Boden auf und begann durchs Wohnzimmer auf und ab zu gehen wie ein eingesperrter Panther.

Es tut mir leid, sagte Will wieder, weil es die Wahrheit war. Dean zu verletzen fühlte sich grauenhaft an, aber es musste sein. Dean würde sich davon erholen und bald jemand neuen finden, der besser für ihn war als Will, besser und näher. Daran musste Will glauben, ansonsten wäre er hier und jetzt eingeknickt.

Oh Gott, nein, mir tut es leid, sagte Dean und seine Worte stolperten übereinander. Ich wollte nicht - ich dachte - es tut mir leid.

Du musst dich nicht entschuldigen, sagte Will mit weit aufgerissenen Augen. Ich will dich nicht als Freund verlieren, Dean, ehrlich.

Die Verbindung blieb kurz still. Ja, sagte Dean dann, ich will dich auch nicht verlieren. Ich brauche nur etwas Zeit, okay?

Nimm dir alle Zeit der Welt. Ich bin hier.

Danach herrschte eine alles verzehrende Stille. Die Leere in seinem Kopf war so groß wie ein Ozean und spiegelte die Leere in seinem Herzen wieder. Er hielt es nicht mehr im Haus aus und zog sich eilig Winterjacke und Schuhe an, dann rannte er die Einfahrt entlang und weg, einfach nur weg. Irgendwann fand er den Wald und genoss die Ruhe trotz der blattlosen, kargen Landschaft. Die kahlen Äste sahen vor dem grauen Himmel aus wie verzweigte Adern. Will lief weiter, bis es zu dunkel wurde, um die Hand vor Augen zu sehen. Da setzte er sich einfach an den Wegesrand und blickte in den wolkenverhangenen Himmel hinauf. Wieso fühlte es sich so falsch an, das Richtige zu tun?

Nach einer Weile holte er sein Handy aus der Tasche, weil er die Stille nicht mehr ertrug und schickte eine Nachricht an Tina.

<Was ist passiert??

Sie antwortete schnell und deutete auch seine kryptischsten Nachrichten wie so oft richtig. Mit von der Kälte klammen Fingern tippte er eine Antwort, in der er mager beschrieb, was zwischen Dean und ihm vorgefallen war.

<Gott, Will. Warum hast du das gemacht?

>Weil es besser so ist.

<BESSER? FÜR WEN? Du bist am Boden zerstört, DEAN ist am Boden zerstört, ICH bin außer mir - also für wen genau ist das hier besser?!

Wut wärmte ihn innerlich ein wenig, als er antwortete.

>Dean hat einen Freund verdient, der tatsächlich für ihn da ist, physisch gesehen. Ich kann das nicht sein, okay, ich bin nicht nah genug, gut genug und ... du weißt genau was ich meine, lass es mich nicht erklären.

Er starrte auf die drei kleinen Punkte, während sie postwendend eine Antwort tippte.

<Das ist nicht deine Entscheidung, Will.

>Was soll das heißen?

<Du kannst nicht einfach bestimmen, dass du nicht gut für ihn bist. Er sieht das offensichtlich anders, oder? Du hast einfach nur Angst.

Tina hatte doch keine Ahnung, wovon sie sprach. Um Angst ging es hierbei überhaupt nicht.

<Du weist ihn ab, sodass es euch beiden dreckig geht, weil du zu feige bist, um ehrlich zu sein.

Sie war anscheinend noch lange nicht fertig mit ihm. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Wills Brust aus, während er ihre Antworten las. Es fühlte sich an wie ein eisiger Wasserfleck.

<Du versteckst dich lieber hinter deiner dämlichen Märtyrer-Nummer, von wegen DAS RICHTIGE tun. Weil du einfach zu große Angst hast, dass er es sich anders überlegt.

>HÖR AUF

<Nein! Gib zu, warum du dich/euch in diese Situation gebracht hast und sag mir verdammt noch mal die Wahrheit, Will!

Frustriert legte er das Handy auf den Boden, damit er nicht in Versuchung kam, es wegzuwerfen. Er legte die Arme auf die Knie und stützte seine Stirn darauf. Plötzlich war gar nichts mehr in ihm außer Angst. Tina hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie war sauer auf ihn, nicht mal unbedingt, weil er sich wie ein Mistkerl gegenüber Dean verhalten hatte, sondern weil er ihr gegenüber seine wahren Beweggründe nicht zugeben wollte. Sein Handy vibrierte immer wieder neben ihm, aber er brachte es lange Zeit nicht über sich, ihre zweifellos wütenden und komplett gerechtfertigten Nachrichten zu lesen. Erst, als der feuchte Boden langsam Tribut forderte und Wills Kleidung durchweichte, griff er wieder nach dem Handy.

>Was soll ich jetzt tun?, schrieb er, nachdem er durch ungefähr zwanzig ihrer Nachrichten gescrollt hatte. Offenbar hatte Tina zu dem Thema einiges zu sagen.

Als sie jetzt antwortete, klang sie aber deutlich ruhiger.

<Will, Liebe ist immer beängstigend. Es gibt kein Netz und keinen doppelten Boden. Die Möglichkeit verletzt zu werden, gibt es immer, aber wäre es das denn nicht wert?

Tina hatte das unzweifelhafte Talent, zur richtigen Zeit die richtigen Fragen zu stellen. Wäre Dean es wert, sich von ihm sein Herz brechen zu lassen? Dean hatte seine Entscheidung getroffen und die Frage für sich mit Ja beantwortet. Andernfalls hätte er seine Gefühle für sich behalten. Aber er hatte sie Will gestanden.

>Erstmal gehe ich wieder nach Hause.

Will stand auf und klopfte sich den Dreck von der Hose. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich erinnerte aus welcher Richtung er gekommen war, dann lief er los.

<Du bist nicht zuhause?! Wo bist du??

>Im Wald. Es ist nicht weit.

Das war gelogen, es dauerte fast zwei Stunden, bis Will wieder die Zivilisation erreichte. Es war ihm gar nicht klar gewesen, dass er so lange gelaufen war. Dann dauerte es auch noch eine Weile vom Waldrand bis nach Hause und als er das endlich geschafft hatte, war sein Handyakku leer, seine Schuhe waren schlammbespritzt und er zitterte vor Kälte.

Seine Mum kam in den Flur, als er gerade seine Jacke an die Garderobe hängte.

„Mein Gott, William. Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen." Sie legte eine Hand an seine Wange, ehe er sie aufhalten konnte. „Und du bist eiskalt. Ist alles in Ordnung?"

Er senkte den Kopf und zog die Schuhe aus. „Nein", sagte er ehrlich und schaute in die Augen seiner Mutter, die genauso blau waren wie seine eigenen. Ihr Ausdruck wandelte sich von besorgt zu mitfühlend. „Irgendetwas, wobei wir dir helfen können?"

„Nein", sagte Will wieder und versuchte sich an einem Lächeln. Es ging ziemlich daneben.

„Nimm ein heißes Bad", riet ihm seine Mum, „danach gibt es Ratatouille. Dein Dad steht schon in der Küche."

Will nickte müde und schleppte sich die Treppe hinauf. Er ließ sich Badewasser mit einer Menge Schaumbad ein, warf alle seine Klamotten in den Wäschekorb und versuchte an gar nichts zu denken. Es funktionierte natürlich nicht. Wenn man versucht nicht an rosa Elefanten zu denken, denkt man garantiert an rosa Elefanten. Dean war sein rosa Elefant.

Er blieb in der Wanne mit den Ohren unter Wasser, bis sein Magenknurren ihn in die Realität zurückholte. Widerwillig zog er seinen Pyjama an und leistete seinen Eltern Gesellschaft, die bereits mit ihren Weingläsern am gedeckten Tisch saßen. Sein Dad klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, als Will sich setzte.

„Wein?", fragte er und hielt die Flasche hoch.

Will schüttelte den Kopf und zog die Knie an die Brust. Ein Zitat von einem deutschen Dichter kam ihm in den Sinn: Wer eine unglückliche Liebe in Alkohol ertränken möchte, handelt töricht. Denn Alkohol konserviert.

„Was ist denn los, Schätzchen?", fragte seine Mum, jetzt wieder besorgt.

Will vermied zwar Alkohol normalerweise sehr gewissenhaft, trank aber ab und zu ein halbes Glas Wein zu französischem Essen, wenn seine Eltern dabei waren. Es abzulehnen war inzwischen wohl ein Grund zur Sorge.

„Frauenprobleme?", fragte sein Dad, bemüht um ein kumpelhaftes Auftreten.

Will seufzte lediglich erschöpft. „Nur Hunger."

„Da können wir helfen." James Fleming stand auf und warf in der Küche einen Blick in den Ofen.

Wenig später kehrte er mit einer dampfenden Auflaufform voller Ratatouille zurück. Will bediente sich als erster und nahm sich eine große Portion. Es duftete köstlich und er hatte Hunger, aber keinen Appetit. Das Essen hinterließ keinen Eindruck auf seiner Zunge, er hätte genauso gut Pappe essen können.

Als Will sich später ins Bett kuschelte, hätte er sich beinahe aus Gewohnheit bei Dean gemeldet. Aber Dean hatte ihn nur um eins gebeten: Um Zeit. Wenigstens die wollte Will ihm geben.
Will warf sich von einer Seite auf die andere, gab es irgendwann auf und meditierte für eine Stunde. Das half ihm kein bisschen. Auch die App, die Vogelzwitschern und Meeresrauschen abspielte, konnte ihn nicht dazu bringen einzuschlafen. Irgendwann lag er mit weit offenen Augen da und starrte an die dunkle Decke. Er stellte das Meeresrauschen aus und stellte fest, es war fast drei Uhr morgens.

Es ging nicht.

Er konnte nicht anders.

Dean? Er legte einen Arm über seine Augen, um der Welt nicht ganz so offen ausgeliefert zu sein. Bist du wach?

Zu seiner Überraschung dauerte es nur ein paar Sekunden, bis Dean antwortete. Du kannst also auch nicht schlafen?

Natürlich nicht, antwortete Will. Bist du okay?

Dean schien darüber nachzudenken. Einigermaßen. Ich bin bei Lemon im Bett.

Wäre es irgendein anderer Name als Lemons gewesen, hätte die Eifersucht Will schon wieder gepackt. Aber bei Lemon war das anders. Will kannte ihn nicht mal, aber irgendwie hatte er das Gefühl, Lemon sein Leben anvertrauen zu können, so wie Dean von ihm sprach.

Gut. Ich bin froh, dass du nicht allein bist.

Dean summte zustimmend. Dann: Bist du denn okay?

Will überlegte. Sein erster Impuls war es zu lügen, aber er musste an Tina denken. Wie hatte sie es genannt? Dumme Märtyrer-Nummer?

Nicht wirklich. Dean, ich hab solchen Mist gebaut.

Was meinst du? Dean hörte sich auf einmal wacher an als noch eine Minute zuvor.

Will hätte das hier gern vorher geplant und mindestens zehnmal in seinem Kopf durchexerziert, aber dafür blieb keine Zeit und der Zustand in dem sein Kopf gerade war, ließ das auch gar nicht zu.

Ich habe einem Jungen, in den ich sehr verliebt bin, einen Korb gegeben, sagte Will und sein Herz schlug so schnell wie nie zuvor. Weil ich Angst vor dem habe, was passiert, wenn er merkt, dass er viel toller ist als ich.

Dean schwieg eine qualvolle Minute lang, während Will atemlos und wie gelähmt auf eine Antwort wartete.

Meinst du das ernst?

Ja. Zu einer ausschweifenderen Antwort war Will nicht im Stande.

Will, ich finde dich unglaublich großartig, aber du bist so ein Trottel, manchmal.

Wie konnte Dean es fertigbringen, ihn jetzt zum Lachen zu bringen? Jetzt?

Ich will dich nicht von einer normalen Beziehung fernhalten, verteidigte sich Will. Ich weiß, du vermisst die Nähe zu jemandem. Ich kann doch nicht - ich kann nicht so für dich da sein.

Anscheinend brauchte Dean eine Weile, um sich zu sammeln. Will, ich hoffe, du machst Witze, weil ich so was Dummes noch nie in meinem ganzen Leben gehört hab und ich bin mit Lemon befreundet.

Es ist mein voller Ernst!, rief Will trotzig.

Will, du bist der unglaublichste Mensch den ich kenne. Ich höre deine Stimme in meinem Kopf und du bist immer da, für jedes noch so kleine Wehwehchen. Denkst du wirklich, ich würde lieber mit irgendwem in einer Umkleide knutschen als jede Minute mit dir in meinem Kopf zu verbringen?

Ein sehr unverdientes Lächeln stahl sich auf Wills Lippen. Du willst lieber mich?

Ich will immer lieber dich, bestätigte Dean sofort.

Will vergrub den Kopf in seinem Kissen, um das glückliche Lächeln noch eine Weile vor der Welt zu verbergen.

Ich liebe dich, Dean. Will wollte der erste sein, der es sagte. Und warum warten? Es würde nie mehr wahr sein als in diesem Moment. Will hatte Dean so verletzt, er wusste das genau, hatte es die ganze Zeit gewusst. Und Dean war hier und verzieh es ihm sofort. Wollte ihn immer noch.

Ich liebe dich auch, Will.

Dean klang so glücklich, wie Will sich fühlte. Er drehte sich wieder um, strahlte in die Dunkelheit wie der Sonnenaufgang.

Ich hab gerade Lemon geweckt und es ihm erzählt.

Lemon weiß von ... der Sache?

Will meinte die Sache mit den Stimmen und Köpfen. Dean hatte nie erwähnt, es Lemon erzählt zu haben.

Er hat es ganz gut aufgenommen. Spätestens jetzt weiß er, dass es wahr ist. Oh, er fragt, ob du deine Gefühle nächstes Mal sortieren kannst, wenn er nicht gerade in einer Tiefschlafphase ist.

Will kicherte. Sag ihm, ich werde mich bemühen.

Dean erwiderte ein paar Minuten lang nichts, wahrscheinlich redete er gerade mit Lemon. Will? Ich war noch nie so glücklich, sagte er dann unvermittelt.

Ich auch nicht, antwortete Will, ehe er endlich die Augen schloss.

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Frohe Weihnachten! Oder schöne Feiertage, falls ihr kein Weihnachten feiert. Will und Dean freuen sich auf euch im nächsten Jahr ^-^

Kurze Anmerkung: Die verwendete Übersetzung von Annabel Lee wurde gemacht von meinen sehr talentierten Freundinnen Fee und Vicky. Es ist mit Abstand die beste deutsche Übersetzung von dem Gedicht, die es weit und breit gibt. Nur die Zeile "Aber wir liebten uns mit einer Liebe, die mehr war als das -" hab ich beigesteuert. Also nur der Fairness halber, an der Übersetzung hab ich keine Rechte und ich hab die Erlaubnis, sie zu benutzen :)

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