Kapitel 7 - Will
Will!
Will antwortete nicht und fuhr stur weiter. Er drehte sogar das Radio auf, in der Hoffnung, dass es die Stimme in seinem Kopf untergehen lassen würde. Passenderweise wurde gerade der neue Song von Taylor Swift gespielt.
WILL!
Vor ihm lag der schier endlose, dunkle Highway. Wenn er Glück hatte, würde er gegen Mitternacht wieder zuhause sein. Dann durfte er vermutlich die Fragen seiner Eltern beantworten und würde sich irgendeine Lüge einfallen lassen müssen. Er konnte schlecht erzählen, dass er durch zwei Staaten gefahren war, um zuzusehen wie ein Junge, den er nicht kannte, sich an einen anderen Jungen heranmachte, den er ebenfalls nicht kannte.
Will, bitte.
Will war so voller Vorfreude gewesen, als er sich ins Auto gesetzt hatte, um nach Fort Wayne zu fahren. Er hatte sich die Überraschung auf Deans Gesicht vorgestellt, wenn er Will nach dem Wettkampf vor den Umkleiden erblickte, hatte sich alle möglichen Varianten ihrer ersten Begegnung ausgemalt. Fast alle. Die Wirklichkeit ist immer die Variante, an die man vorher nicht gedacht hat. Es war dumm von Will gewesen, sich vorzustellen, dass Dean sich überhaupt über ihn freuen würde. Und das hatte Will jetzt davon, er saß allein in seinem Auto, hörte schlechte Popsongs und Dean wusste nicht einmal, dass er dort gewesen war.
Will, es tut mir so leid.
Es tut dir leid?, fragte Will unwillkürlich zurück und biss sich auf die Lippe. Wieso konnte er Dean nicht wenigstens ignorieren, bis er zuhause angekommen war?
Können wir reden? Wo bist du jetzt?
Will schielte zum Display seines Handys, das er als Navigationsgerät benutzte. Dean hatte es also irgendwie herausgefunden.
Kurz hinter Terre Haute, gab Will zurück und fuhr seufzend auf den Standstreifen. Er schaltete den Motor aus und starrte in den dunklen Himmel. Er befand sich mitten im Nirgendwo, es gab nicht einmal Straßenlaternen. Ohne das Radio war die Stille bedrückend und seine Augen gewöhnten sich erst allmählich an die plötzliche Dunkelheit. Der Mond hing noch tief am Himmel und um ihn herum begannen die Sterne zu glitzern. Es hätte ein schöner und friedlicher Moment sein können, wäre da nicht ein schmerzhaftes Gefühl, das wie ein Messer in seiner Brust steckte.
Es lagen immer noch mehr als zwei Stunden Fahrt vor ihm.
Woher weißt du, dass ich da war?, fragte er.
Xander hat dich erwähnt.
Will hatte eine genaue Vorstellung davon, wer dieser Xander war. Bestimmt der dunkelhäutige Typ mit den Rastas, der aussah wie ein Unterwäschemodel.
Wer ist Xander?, fragte er gehässig.
Dean schwieg eine Weile. Xander ist der Typ, mit dem ich heute geflirtet hab, sagte er dann aufrichtig. Hätte ich gewusst, dass du hier warst, ich hätte nicht -
Wills Hände umklammerten das Lenkrad. Spielt keine Rolle. Du kannst flirten mit wem du willst.
Dean seufzte. Du bist fünf Stunden gefahren, um mich zu überraschen und was tue ich? Flirte vor deinen Augen mit irgendeinem Typen. Schrei mich an oder so, aber sag mir nicht, dass es in Ordnung ist.
Aber es musste in Ordnung sein. Will hatte kein Anrecht auf Eifersucht und auf den Schmerz, der sich in seinem Brustkorb eingenistet hatte, seit er gesehen hatte wie Dean Xanders rotes Trikot überzog.
Will wusste, dass Dean es vermisste, einen Freund zu haben. Heute hatte Dean etwas dagegen unternommen und sich jemand Neuen gesucht. Will war der Störfaktor, niemand sonst.
Ich bin nicht sauer auf dich, sagte Will und es stimmte. Wut verspürte er wirklich keine.
Wieso nicht? Ich glaube, wenn ich dich mit jemand anderem sehen würde, wäre ich sauer.
Will lehnte den Kopf gegen das Lenkrad und schloss die Augen.
Ich hätte dich so gerne gesehen, fuhr Dean fort, ich wünschte ich könnte die Zeit zurückdrehen, Will.
Ich auch.
Will wäre niemals nach Fort Wayne gefahren, wenn er gewusst hätte, wie traurig es ihn machen würde.
Ich dachte, wir würden uns umarmen und zusammen Milchshakes trinken gehen, gab Will leise zu. Ich schätze, das war dumm.
Nein, war es nicht. Genau das hätten wir getan, wäre ich nicht so ein unglaublicher Idiot, beteuerte Dean sofort. Ich würde Milchshakes mit dir jederzeit einem Techtelmechtel mit Xander vorziehen.
Dafür ist es jetzt zu spät. Will richtete sich langsam wieder auf und schaute auf die stille Straße vor ihm. Du kannst wieder zu ihm zurückgehen. Ich wollte dir nicht den Spaß verderben.
Ich ziehe auch Unstimmigkeiten und ernste Gespräche mit dir einem Techtelmechtel mit Xander vor, erwiderte Dean. Außerdem bin ich wie von der Tarantel gestochen geflüchtet, als er sagte er hat dich gesehen. Nach dem Auftritt kann ich da nicht mehr rein.
Will ließ den Motor wieder an und drehte den Katy Perry Song leiser, der gleichzeitig zum Leben erwachte. Ich muss jetzt weiter, sagte er abschließend.
Will, hör zu. Eines Tages werden wir uns sehen und ich mache das hier wieder gut. Ich versprech's dir.
Will blinkte und fuhr wieder auf den Highway. Versprich nichts, was du nicht halten kannst, dachte Will, schickte aber nur ein eines Tages vielleicht an Dean zurück.
Ich weiß, ich hab dich verletzt ... aber bezweifle nicht mein Wort.
Ich bezweifle alles, meinte Will kryptisch.
Sag mir Bescheid, wenn du Zuhause bist. Vorher gehe ich nicht schlafen.
Das war schon wieder so fürsorglich und süß von Dean. Er hatte anscheinend mindestens zwei Gesichter. Obwohl Will im Augenblick wirklich nicht sagen konnte, wie seine Gefühle um Dean standen, stimmte er zu, ehe er sich wieder auf Katy Perry und den Highway konzentrierte.
Um halb eins teilte er Dean mit, dass er gerade das Auto geparkt hatte, bevor er seinen Rucksack von der Rückbank klaubte und sich auf Zehenspitzen ins Haus schlich. Es war umsonst, seine Eltern waren wach und saßen mit zwei Teetassen am Esstisch, zwischen ihnen das Schachbrett aufgebaut. Eine dritte Tasse stand neben der Teekanne - sie warteten auf ihn.
Seine Mutter sprang auf und zog ihn in eine Umarmung, als sie ihn in der Tür stehen sah.
„Mum!" Er befreite sich, als sie anfing Küsse auf seinem Haar zu verteilen.
„William, wo bist du gewesen?"
„Wir waren krank vor Sorge", fügte sein Vater mit einem strengen Blick hinzu.
Will blieb stehen und wusste nicht, was er sagen sollte. „Seid ihr denn nicht sauer?", fragte er vorsichtig.
Wills Mum zeigte auf den Stuhl neben ihrem und goss ihm eine Tasse Tee ein. Der Duft von Minze und Honig stieg ihm in die Nase und seine Nerven beruhigten sich allmählich.
„Wir sind nicht sauer", sagte sein Dad. „Du fährst sicher, du hast ein gutes Auto. Aber du musst uns Bescheid sagen, wenn du so lang wegbleibst."
„Du kennst uns doch, wir verbieten dir nichts", beteuerte seine Mum.
„Andrea hat recht. Wir vertrauen dir, Will, aber du musst uns auch vertrauen."
Will atmete das Aroma des Tees ein und nickte. Er fühlte sich erschlagen nach der langen Fahrt und dem viel zu langen Tag. „Es tut mir leid. Wird nicht wieder vorkommen. Definitiv nicht."
Seine Mum zerstrubbelte ihm die Haare. „Du hast nichts getrunken, oder?"
„Andrea!" „Mum!"
„Schon gut, schon gut. Natürlich hast du nicht."
Will trank schlückchenweise seinen Tee und betrachtete die verfahrene Situation auf dem Schachbrett. Seine Mum hatte ihm beigebracht zu spielen und er hatte seinen Dad immer herausgefordert, wenn er zuhause war und Zeit hatte. Bis Will irgendwann so gut geworden war, dass es keine Herausforderung mehr bot, gegen seinen Dad anzutreten.
„Ihr spielt wie zwei Blinde", stichelte er.
„Geh ins Bett, Kurzer, oder ich überlege mir das mit unseren lockeren Erziehungsmethoden noch mal", entgegnete sein Dad. Dabei bildeten sich um seine Augen Fältchen. Will salutierte ironisch, ehe er seinen Rucksack schulterte und sich mit der Teetasse auf sein Zimmer verzog. Obwohl es spät war, war an Schlaf nicht zu denken. Er öffnete eine Meditationsapp auf seinem Handy und breitete seine Yoga-Matte aus.
***
Am Sonntag redeten er und Dean nicht viel. Will schlief lange und bereitete dann seinen Plan für den folgenden Tag vor. Er hatte gesagt, er würde nicht aufgeben, ehe seine Schule eine GSA hatte und das war so gemeint gewesen. Aber er hatte sich zu sehr auf Deans Unterstützung verlassen und wusste, dass Dean ihm seinen Freiraum ließ, bis Will bereit war, ihn wieder ein Stück an sich heranzulassen. Und Dean hatte sich entschuldigt, was also wollte Will mehr? Die Enttäuschung würde mit der Zeit vergehen, aber Will war nicht geduldig. Was er jetzt brauchte, war ein Erfolg. Seinen eigenen kleinen Sieg. Und den würde er auch ohne Deans Hilfe erreichen.
Am Montag kam Will in die Schule, einen Stapel Flyer in allen Regenbogenfarben unter den Arm geklemmt. Er verteilte sie auf den Tischen seines Geschichtsraums, erntete dafür einige befremdete Blicke und viel Getuschel hinter mehr oder weniger vorgehaltenen Händen. Er ließ es an sich abperlen. Sollten sie doch reden. Wenn er auch nur eine Person damit erreichte, die so war wie er, dann würde es das wert gewesen sein.
In der Pause lief er durch die Gänge und klebte Flyer an irgendwelche Spinde, als ihm jemand auf die Schulter tippte. Er drehte sich um und sah sich mit der Schönheitskönigin konfrontiert.
Auch heute trug sie Highheels, dazu ein Kleid und eine Jeansjacke. In der Hand hatte sie einen grünen Flyer.
„Woher hast du dieses Bild von ihr?"
Will machte einen perplexen Schritt zurück. Die Schönheitskönigin sah recht mitgenommen aus und ihr Lidschatten war ein bisschen verwischt.
„Ich hab's in meinem Spind gefunden. Der hat -"
„ - mal ihr gehört", ergänzte sie nickend. „Du willst wirklich eine GSA gründen?"
Das war Interesse von unerwarteter Seite. „Ja."
„Warum machst du's nicht einfach?"
Will erzählte ihr kurz von seinem Gespräch mit dem Vertrauenslehrer und davon, dass ein Schüler allein nicht ausreichte, um eine GSA zu rechtfertigen.
„Ich will dir helfen", verkündete sie. „Gib mir welche von den Flyern."
„Die Pause ist gleich vorbei", gab Will zu bedenken, reichte ihr aber trotzdem die Hälfte seines Stapels rüber.
„Egal. Das hier ist wichtiger. Komm."
Sie hielt ein Blatt an einen Spind und wartete, dass er es festklebte. „Wie heißt du eigentlich?", fragte Will, immer noch etwas überrumpelt.
„Raquel. Und du bist Will?" Sie tippte auf die Stelle auf dem Flyer, wo sein Name stand.
„Genau."
Sie arbeiteten eine Zeitlang schweigend, aber dann dachte sich Will, wenn sie schon gemeinsam schwänzten, dann konnte er sie auch fragen, warum sie ihm half.
„Du bist neu, deswegen siehst du mich nicht so wie alle anderen. Ich bin die Schulschlampe." Sie breitete die Arme aus und lächelte, als würde sie den Titel wie eine Krone tragen. „Aber Riley hat das nie gestört. Riley hat niemanden verurteilt und sich nie verstellt. Und jetzt ist sie tot." Raquel hielt inne und sah Will traurig an. „Ich hab sie sehr gemocht, verstehst du?"
Will dachte an das Datum und an das Herz auf der Rückseite des Fotos. „Ja", sagte er, „ich verstehe."
Beim Mittagessen saß Will heute zum ersten Mal mit jemandem zusammen, mit dem er sich unterhalten wollte. Tyler, der Rotschopf, schien seinen Blick zu meiden, was für Will okay war.
Dafür waren die Flyer anscheinend Schulgespräch. Raquel sagte, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die Leute sich bei Will melden würden, immerhin war er mutig und dumm genug gewesen, seinen Namen auf die Flyer zu drucken.
Was steht sonst noch drauf?, fragte Dean, als Will ihm beim Mittagessen von seiner neuen Freundin und von der Idee mit den Flyern erzählte.
Oben ist ein Foto von Riley, darunter steht 'Ihr Tod war tragisch, aber ihr Leben war es nicht. Ihr seid nicht allein. Schüler der St. Louis High erhebt eure Stimmen für eine GSA.'
Dean brauchte einen Moment. Wow, sagte er dann. Heftiges Zeug, Will. Ich bin stolz auf dich.
Will wurde rosa im Gesicht. Er war auch stolz auf sich, aber es war doch etwas anderes, es von Dean zu hören. Und er hatte es ganz ohne Deans Hilfe geschafft. Danke, Dean.
Ist zwischen uns wieder alles okay?
Irgendwie war es beruhigend zu wissen, dass die Sache mit Fort Wayne auch bei Dean noch nah an der Oberfläche trieb.
Ja, alles wieder okay.
Super! Danke, Will, ich ... du weißt schon.
Was?
Du bist toll und ich hab dich lieb.
Die rosa Färbung verdunkelte sich. Ich, äh, hab dich auch lieb?
Jetzt machst du mich verlegen, Will.
Wenn Dean wüsste ...
***
Nach der letzten Stunde war Will vor seinem Spind mit Raquel verabredet. Sie wartete auf ihn, allerdings war sie nicht allein. Zwei schüchtern aussehende Jungs standen neben ihr, einer war ein bisschen pummelig, der andere groß und schlank mit stachelig gegelten schwarzen Haaren. Will fragte sich, ob es jetzt vielleicht Stress geben würde, da bemerkte er die Flyer in ihren Händen.
„Will! Das hier sind Kyle und Ryusei. Zwei weitere Mitglieder für unsere GSA."
„Wow, ich ... äh, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Danke?"
„Nah, wir müssten eigentlich dir danken", sagte Ryusei und wirkte irgendwie erleichtert. „Eine GSA ist lange überfällig."
Zu viert bewegten sie sich langsam in Richtung der Büroräume. Ehe sie den Korridor erreichten, beugte Raquel sich zu Will herunter und flüsterte: „Gleich nicht erschrecken. Ich hab ein paar Leute zusammengetrommelt, die mir den einen oder anderen Gefallen schulden. Die warten schon."
Wie sich herausstellte, meinte Raquel damit die etwa zwanzig Kids, die bereits vor der Tür des Vertrauenslehrers standen und auf sie warteten.
Holy Shit, Dean.
Er beschrieb Dean schnell die Situation.
An deiner Stelle würde ich diesen scheinheiligen Mistsack von einem Vertrauenslehrer nach Strich und Faden verarschen.
Das war nicht Wills Art, aber der Typ hatte es an sich schon verdient. Will kratzte sein ganzes Selbstbewusstsein zusammen und versammelte die anderen um sich. „Hört zu", flüsterte er und erläuterte seinen Plan. Allgemeines Nicken und zustimmendes Murmeln, dann klopfte er an die Tür und betrat mit Raquel das Büro.
„Hallo, Will", begrüßte ihn Mr. Worthington. „Und Raquel, was kann ich für euch tun?" Er bot ihnen Stühle an, aber sie blieben stehen.
„Wir sind wegen der GSA hier", sagte Raquel mit einer unversöhnlichen Note in der Stimme.
„Wie Sie sehen, bin ich nicht mehr allein", fügte Will hinzu und behielt Worthington genau im Auge. „Außerdem habe ich hier eine Grundordnung, in der alles Wichtige zum Thema GSA zusammengefasst ist." Will hatte gestern einige Stunden damit verbracht und ließ die zwei getippten Seiten auf Worthingtons Schreibtisch fallen.
Du bist gut vorbereitet.
„Nun." Der Lehrer lachte nervös. „Ich hatte mir da schon eine etwas größere Anzahl vorgestellt als zwei."
Damit hatte Will gerechnet. „Ach so? Wie viele Leute muss ich denn in ihr Büro bringen, damit LGBT-Kids an Ihrer Schule ein Existenzrecht bekommen? Vier? Acht? Sagen Sie schon." Will trat ganz nah an den Schreibtisch und stützte seine Handballen darauf ab. Innerlich gab er zitternd jedes Wort an Dean weiter, der gespannt lauschte.
„Will, ich kann dir da wirklich keine genaue Zahl sagen ..."
„Der Schachclub besteht aus drei Leuten plus Ihnen, Mr. Worthington, also warum ist das okay für Sie und für uns nicht?"
Buuuuurn!, rief Dean.
„Ach, aber das ist doch -"
„Etwas anderes?", fragte Will kalt. „Wenn Sie einen Blick auf die Grundordnung werfen, werden Sie einen Verweis auf den Equal Access Act finden. Ich nehme an, Sie wissen, was das ist."
Das hab ich schon mal gehört, meinte Dean und lauschte weiterhin gespannt.
Worthingtons Gesicht nahm einen verhärmten Ausdruck an. „Nun gut. Ihr braucht dennoch jemanden, der als Berater fungiert. Das ist vermerkt im Regelhandbuch der Schule."
Das wusste Will natürlich, aber er hatte es vernachlässigt, weil er keinen der Lehrer oder jemand anderen aus dem Personal gut genug kannte, um so eine Bitte vorzubringen.
Allerdings trat jetzt Raquel vor ihn. „Ich bin sicher, Mrs. Moss übernimmt das mit Freuden", sagte sie zuckersüß. Er beobachtete sie fasziniert, wie sie sich auf dem Schreibtisch abstützte, vollkommen sicher auf ihren Absätzen, ein Lächeln auf den Lippen wie Honig und ihre Worte wie Gift.
Mr. Worthington holte ein Formular aus einer Schublade und trug ein paar Dinge darauf ein, dann überreichte er es Raquel. „Wenn Mrs. Moss das unterschreibt, stehe ich euch auch nicht mehr im Weg. Und jetzt raus mit euch."
Das ließ sich Will nicht zweimal sagen. Auf dem Flur schickte Raquel ihre Freunde weg, meinte, sie wären auch allein zurechtgekommen, ehe sie sich freudestrahlend an Will wandte. „Das war abgefahren!"
Will lehnte sich an die Wand und schloss kurz die Augen. Vor allem war das purer Stress gewesen. Und jetzt mussten sie immer noch die Unterschrift von dieser Mrs. Moss kriegen, die Will nicht einmal kannte. Während er sich noch sammelte, erzählte Raquel mit großen Worten und großen Gesten Ryusei und Kyle, was drinnen vorgefallen war. Das meiste hatten sie mit den Ohren an der Tür verfolgt, aber Raquel ließ alles so großartig klingen. So hatte es sich gar nicht angefühlt.
„Ach ja, was ist dieses Ding, dieser Equality Act?", fragte Ryusei, als Raquel fertig war.
Will öffnete die Augen. „Der Equal Access Act. Dadurch können die uns die GSA nicht verbieten. Wenn sie andere Organisationen erlauben, müssen sie unsere auch durchgehen lassen. Schulen, die sich geweigert haben, sind verklagt worden und haben immer verloren."
„So was weißt du einfach so?", fragte Kyle und klang dabei irgendwie ganz ähnlich wie Dean.
„Nein, ich hab echt viel recherchiert." Er warf einen Blick auf Rileys Gesicht auf einem Flyer an der Wand. „Jemand hat mir gesagt ich soll einen Weg finden, um die Spielregeln zu ändern. Ich weiß nicht, ob ich das kann, also versuche ich einfach mein Bestes."
Will lächelte schief und betrachtete die drei anderen. Eine Schönheitskönigin, die sich auf seine Seite geschlagen hatte. Ein Frischling, der genauso lang an der Schule war, wie er selbst. Und ein Typ aus dem letzten Jahrgang, der Will auf den Kopf spucken könnte.
„Ich glaube, du kannst das sehr wohl", sagte Raquel und legte einen Arm um seine Schultern.
Will fragte sich mit einem eigenartig leichten Gefühl im Bauch, ob er ganz plötzlich Freunde gefunden hatte.
„Wenn wir uns beeilen, erwischen wir Mrs. Moss noch", sagte Ryusei mit einem Blick auf die Uhr.
„Gut. Folgt mir!" Raquel griff nach Wills Hand und führte sie mit einem beeindruckenden Tempo durch die Korridore. Will wäre gestorben, mit diesen Schuhen. Aber Raquel ließ jeden Schritt leicht aussehen.
Ihr Weg führte sie zur Krankenstation, wo nichts mehr los war. Die Schulkrankenschwester saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl und las ein Buch, als die vier hereinstürmten. Ihr Namensschild wies sie als Mrs. Moss aus und sie blickte alarmiert auf, entspannte sich aber sichtlich, als offenbar niemand von ihnen verletzt war.
„Mrs. Moss, wir brauchen Ihre Hilfe", verkündete Raquel, ohne Vorrede.
Die Krankenschwester runzelte leicht die Stirn. Sie hatte ein freundliches Gesicht mit sanften Fältchen um ihre hellen blauen Augen, kurzes dunkles Haar, das sie zurückgekämmt hatte und sah sogar in weißem Kittel und Crocs hübsch aus.
„Mein Freund Will hier hat ein Anliegen", fuhr Raquel fort und erzählte in haarsträubendem Tempo, wobei sie Hilfe brauchten. Mrs. Moss musste hin und wieder nachfragen und Raquel ausbremsen, aber am Ende nickte sie Will zu.
„Ich bin gern eure Beraterin und unterschreibe euch alles, was ihr braucht." Das tat sie dann auch und lächelte jeden von ihnen an. „Ich kannte Riley, müsst ihr wissen. Und ich habe viel mit der Polizei gesprochen, nach allem, was passiert ist. Vielleicht wäre sie noch hier, hätte es damals schon eine GSA gegeben."
Will nahm das unterschriebene Formular von ihr entgegen. „Genau deswegen machen wir das."
Mr. Worthington war schon weg, aber sie warfen ihm das Formular einfach in den Briefkasten neben seiner Bürotür. Dann standen sie ein paar Sekunden schweigend im Korridor. So viel Fortschritt, so schnell, ihm war beinahe schwindlig. Und Will war nicht mehr allein. Er hätte nicht damit gerechnet, noch heute Gleichgesinnte zu finden.
„Wer hat Lust auf Milchshakes?", fragte Will in die Runde und erntete Jubel.
Das war der Wahnsinn, sagte Dean schlicht. Du bist der Wahnsinn.
Schleimer.
Dean lachte. Es war immer noch eines der schönsten Geräusche, die Will auf dieser Welt kannte. Daran würde nichts jemals etwas ändern.
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