Kapitel 17 - Will
Der Januar kam mit Regen und Hagel in St. Louis, aber Wills Stimmung trübte das nicht. Er hatte eine Entscheidung getroffen und sich von Deans Vorfreude anstecken lassen. Sie planten ihr Treffen, für das sie noch keinen Termin hatten, geschweige denn einen Ort, aber sie bauten trotzdem fleißig Luftschlösser, was mehr war, als sie sich je erlaubt hatten. Die Möglichkeit eines Treffens rückte in greifbare Nähe und weil Dean nie Zweifel daran äußerte, Will wirklich sehen zu wollen, verflogen bald auch seine eigenen. Angespannte Nervosität und Herzklopfen sollten ja erlaubt sein, vor dem ersten Date mit dem Seelenverwandten.
Nachdem sie zwei Wochen lang wild hin und herüberlegt hatten und sich die unmöglichsten (aber durchaus reizvollen) Szenarios ausgedacht hatten, begannen sie allmählich die Sache ernster zu nehmen. Aber genau diese Phase hatte Will gebraucht, um zumindest damit anzufangen, seine Angst hinter sich zu lassen und Dean mehr zu vertrauen.
Will schaute bei Googlemaps die Städte an, die zwischen St. Cloud und St. Louis lagen und suchte dort nach Orten, an denen man sich treffen könnte. Aber nichts fühlte sich richtig an. Mit jemandem einen Kaffee trinken zu gehen mit dem man seit Monaten jeden Tag sprach, war irgendwie zu alltäglich. Sie brauchten etwas wie ein Riesenrad bei Sonnenuntergang oder ein Restaurant in einer sich drehenden Turmspitze. Alles nicht so leicht zu finden. Deswegen war es am Ende mehr Zufall, als Will die Suche für den Tag eigentlich schon beendet hatte, dass er bei YouTube auf ein Kunstprojekt mit dem Namen 'Meet In The Middle' stieß.
Die Regeln sind ziemlich einfach, sagte er, als er Dean davon erzählte, man nimmt zwei Orte und trifft sich exakt am geographischen Mittelpunkt. Genau genommen soll man, wenn man sich für einen Ort und eine Zeit verabredet, danach nicht mehr miteinander kommunizieren, bis man dort ist, aber ich finde, das können wir vernachlässigen.
Dean schaute sich das Video dazu an und klang erst mal nicht abgeneigt. Diese beiden Typen haben das gemacht und sich dann einfach zum Mittagessen in einem Baum im Vorgarten von irgendwem getroffen? Er lachte. Das ist super lustig. Bis auf das mit der Kommunikation.
Na ja, stimmt, aber streng genommen sagen sie in den Anweisungen nichts von Telepathie, erwiderte Will grinsend.
Wo ist denn überhaupt die Mitte zwischen St. Cloud und St. Louis? Du hast doch bestimmt schon nachgeguckt.
Dean kannte Will wirklich ziemlich gut. Statt zu erklären, schickte er Dean einen Link auf sein Handy, der die markierte Stelle auf einer Karte zeigte.
Das ist direkt an einem See in Iowa, erklärte er trotzdem. Die nächste größere Stadt ist Cedar Rapids, aber davon ist es dann doch noch ein Stück entfernt. Mitten in der Pampa, eigentlich.
Es war vielleicht nicht so bequem, wie sich irgendwo in einem Restaurant zu treffen oder bei einem von ihnen zuhause, aber sich genau in der geographischen Mitte zwischen ihren beiden Städten zum ersten Mal zu sehen hatte etwas eigenartig ... Perfektes an sich. Es war dramatisch, irgendwie, und Will kannte sonst niemanden, der so etwas tat. Er verstand nach wie vor eigentlich gar nichts von Kunst, aber diese Art der Kunst gefiel ihm. Der Gedanke, dass Kunst nicht unbedingt ein Objekt sein muss, sondern eine Erfahrung oder ein Abenteuer, das mochte er. Er hatte noch nicht allzu viele richtige Abenteuer erlebt und da er Dean als sein erstes wirklich großes ansah, wurde ihm die Art, ihm so zu begegnen, gerecht.
Und Dean sah das ganz ähnlich. Sie beschlossen, sich also in der Mitte zu treffen, an einem See irgendwo in Iowa. Dean fand schnell heraus, dass es einen Campingplatz in der Nähe gab, wo man zumindest parken konnte.
Also entweder wir warten, bis es warm genug zum Zelten ist, oder wir übernachten in einem Hostel oder so.
Ich will nicht bis zum Frühling warten, gestand Will. Die Mischung aus Vorfreude und Unruhe war jetzt schon manchmal kaum auszuhalten, in ein paar Monaten würde er ein emotionales Wrack sein. Oder der Gedanke Dean zu treffen, hätte bis dahin seine magische Anziehungskraft verloren. Will wusste nicht, was schlimmer war.
Es gab ein hübsches Hostel in Vinton, gar nicht so weit von ihrem Treffpunkt entfernt. Es sah im Internet zumindest gut aus. Dean reagierte mit Belustigung, als Will ihm auch dazu den Link schickte. Dean war eben mehr Abenteurer als Will, er ließ sich von seinem Bauchgefühl leiten und schaute dann, wo er rauskam. Will plante lieber alles, um unangenehmen Überraschungen aus dem Weg zu gehen.
Okay, wir treffen uns also am Cedar Lake, irgendwann mittags oder nachmittags, jeder von uns fährt ungefähr fünf Stunden, wir sollten aber ein bisschen mehr einrechnen. Dann schauen wir, wie lange wir es an einem eiskalten See aushalten, ehe es uns reicht und fahren dann nach Vinton ins Fairground Hostel.
Will.
Wir können ein Wochenende lang bleiben, hoffentlich gehen wir uns dann nicht schon auf die Nerven, was denkst du?
Will.
Dean schmunzelte, was Will innehalten ließ. Er hatte einige Tabs an seinem Laptop offen und klickte die ganze Zeit dazwischen hin und her. Eigentlich wollte er eine Liste machen, mit allen Infos, aber Dean war offenbar nicht angesteckt worden von Wills plötzlicher Energie.
Was denn?
Du machst den zehnten Schritt vor dem zweiten. Wir haben noch gar kein Datum.
Oh.
Würden sie das diesen Monat noch schaffen? Es war bereits Mitte Januar, auch wenn der Monat sich gewöhnlich hinzog wie Kaugummi, um so ein wichtiges Treffen zu planen reichte das kaum.
Ich habe eine Idee, sagte Dean dann und spannte Will absichtlich auf die Folter. Er merkte das genau, die Verbindung vibrierte vor Albernheit.
Sag schon, Dean.
Der Valentinstag fällt auf einen Samstag.
Valentinstag. Will hatte sich noch nie sonderlich um diesen Tag geschert, es war bloß der Tag, an dem Tina sich am meisten über Pärchen aufregte. Letztes Jahr hatte er sich mit ihr getroffen und sie hatten zu zweit eine herzförmige Pralinenpackung leer gefuttert. Das war der einzige gute Valentinstag, den Will jemals erlebt hatte. Und jetzt konnte sich das ändern.
Ja, sagte er weich. Ein Meet In The Middle am Valentinstag.
An einem eiskalten See irgendwo im Nirgendwo.
Hört sich richtig an, oder?
Das tat es für sie beide.
***
Will war zwischenzeitlich so vollauf begeistert von ihrem Plan, dass er es in der GSA seinen Freunden erzählte.
„Ach, und dabei wollte ich fragen, ob wir eine Lonely Hearts Party feiern wollen", meinte Raquel, die es fertigbrachte gleichzeitig zu schmollen und zu grinsen. „Du triffst also endlich Dean. Und das erste, was ihr zusammen macht, ist ein komisches Kunstprojekt?"
Will nickte. „Es passt irgendwie zu uns, schätze ich. Nicht, weil es Kunst ist, sondern weil es so anders ist. Und strange."
Die anderen lachten. „Ja, das passt wirklich", meinte Raquel und durchwuschelte ihm die Haare.
Er brachte sie wieder in Ordnung. „Aber ich bin schon nervös. Ich hatte noch nie ein Date."
Ryusei winkte ab. „Es kann nicht schlimmer sein als meine Grindr-Dates."
„Du hast Grindr-Dates?", fragte Kyle schockiert.
„Hatte." Ryusei schaute Kyle an, eigenartig intensiv. Will fragte sich unwillkürlich, ob einer von den beiden mit jemandem zusammen war und die Antwort war nein. Ryusei beschwerte sich nicht zum ersten Mal darüber, wie schwierig es war, auf ein gutes Date zu gehen und Kyle war fünfzehn und hatte zuhause noch nicht sein Coming-Out.
„Jetzt musst du erzählen", drängte Sarah und goss Ryusei zwinkernd mehr Schokomilch in seinen Plastikbecher.
Ryusei überlegte. „Das beste Date hatte ich glaube ich mit einem Kerl, der mir gesagt hat ich sehe aus wie sein Dad, ehe er versucht hat, mich zu küssen."
Selbst Will musste lachen. „Das war dein bestes erstes Date?"
Ryusei nickte düster. „Warte ab. Es gab einen, der hat nach dem Essen beim Spazierengehen jemandem in den Vorgarten gekotzt und am Ende zu mir gesagt, ich wäre schlecht im Dating. Schlecht im Dating? Was soll das überhaupt heißen?"
Sarah klopfte auf den Tisch und wischte sich Tränen aus dem Augenwinkel. „Oh Gott, bitte. Peinlicher geht's nicht mehr."
„Geht es wohl", drohte Ryusei. „Der eine Typ hat mich nach einem Dreier mit seiner Freundin gefragt. Und noch einer war eigentlich ein Drogendealer und hat versucht mir Speed zu verkaufen."
So moralisch verwerflich das sein mochte, Will fühlte sich besser. Solche Sachen würden ihm mit Dean nicht passieren, das zumindest stand zu tausend Prozent fest.
„Ich kann doch nicht der Einzige sein, mit so miesen Dates, oder?", fragte Ryusei und kratzte sich am Kopf.
Kyle grinste. „Hatte noch nie ein Date, was eigentlich traurig ist. Aber nicht so traurig wie deine Grindr Geschichten."
„Amen, Bruder."
„Ich hatte einige Dates, aber die meisten waren okay", meinte Raquel. „Bis auf den einen Kerl, der nur über Basketball geredet hat. Also nur. Wirklich, es hätte beeindruckend sein können, wenn Basketball nicht so langweilig wäre."
Sarah lehnte sich vor. „Und hast du jemanden gedatet nach ... du weißt schon?"
Raquel blinzelte verwirrt, dann schluckte sie. „Nach Riley? Nein, sie war ... ich wollte danach einfach niemand anderen mehr."
Will konnte sich nicht mal vorstellen, wie es war wenn die Person starb, die man liebte. Und Riley war nicht einfach so gestorben, sie hatte sich dazu entschieden. Wenn Dean Selbstmord begehen würde, wäre Will einfach am Ende. Er wüsste nicht mehr weiter, wüsste nichts mehr mit der Stille in seinem Kopf anzufangen, obwohl er vor Dean nichts anderes gekannt hatte. Wenn man jemanden trifft, der das ganze Leben vollkommen auf den Kopf stellt, kann es danach nie wieder so sein wie vorher.
Mit dem Planen des Meet In The Middle und allem Drum und Dran ging der Januar erschreckend schnell um. Will fing an zu backen, weil er Dean unbedingt Kekse mitbringen wollte und die GSA war gezwungen, seine Rezepte zu probieren und zu bewerten.
„Was für eine Strafe", mümmelte Kyle, den Mund voller Red Velvet Kekse, „wir furchtbar wir von dir benutzt werden, Will!"
Will entschied sich am Ende für normale Zuckerkekse mit hellrosa Frischkäsefrosting. Er machte einen Tag vor der Reise eine richtige Wagenladung davon, ließ sie über Nacht ruhen, brauchte zwei große Dosen, um die Kekse zu verstauen und warf einen letzten Blick auf sein Spiegelbild am Garderobenspiegel, bevor es endlich losgehen sollte. Er trug warme Sachen, nichts außergewöhnlich Hübsches, hatte einen großen Rucksack auf dem Rücken und Deans leuchtendblaue Mütze auf dem Kopf. Wenn er nachhause zurückkam, würde alles anders sein. Er würde anders sein. Er würde seinem Seelenverwandten zum ersten Mal begegnet sein und wenn alles so lief wie erhofft, würde er ihn sogar geküsst haben.
Es wurde Zeit. Mit einem Abschiedsruf für seine Eltern im Wohnzimmer schob er die Träger seines Rucksacks zurecht, griff sich den Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Fünfeinhalb Stunden, höchstens. Dann war es so weit.
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Hoffe wie immer, es hat euch gefallen und ihr seid genauso gespannt auf das Date, wie Will :)
Meet In The Middle gibt es wirklich: &t=334s
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