Kapitel 30: Sol
Die plötzliche Ruhe ließ die feinen Härchen an meinem Nacken kerzengerade aufstellen. Durch die massige Gewitterfront, die in einem Gemisch aus dunkelblauen und tiefgrauen Wolken unheilvoll und brachial den Himmel bedeckten, wurde der Raum in gespenstige Dunkelheit getaucht. So wie sich die Wolken zusammenformten und sich auftürmten, wirkte es, als würde die Apokalypse kurz bevorstehen.
Die Angst vor der Dunkelheit war immer ein Teil von mir gewesen. Schon als ich jünger war, fürchtete ich mich vor dem, was unter meinem Bett hauste.
Ein greller Blitz, gefolgt von einem tiefen Donnergrollen, erhellte das Zimmer für einen Sekundenbruchteil mit Licht.
Ich fuhr zusammen und drängte mich noch tiefer in die harten Kissen. Schnell zog ich die Decke schützend über mein Gesicht. Für einen Sekundenbruchteil bildete ich mir ein, aus dem Augenwinkel einen Schatten an mir vorbeigehuscht haben zu sehen, doch ich schob es kurzerhand auf meine Paranoia, die mich bereits einige Nächte an Schlaf gekostet hatte.
Vielleicht konnte ich damals aus diesem Grund akzeptieren, dass Sensenmänner auf dieser Erde wandelten. Die Monster unter meinem Bett waren real, nur waren sie anders, als ich sie mir vorgestellt hatte.
Mein Blick glitt nach draußen. Dicke Regentropfen krachten in einer solchen Intensität gegen die Schreibe, dass sich die Angst in mir regte, sie könnten sie zerbersten.
Ich dachte immer, dass Gewitter etwas Befreiendes an sich hatten. Doch in diesem Moment fühlte ich nicht die Faszination, mit der ich sonst immerzu am Fenster klebte, sondern einen unersättlichen Druck, der sich schleichend um meine Kehle bildete.
Die Dunkelheit im Raum schien sich mit jeder verstrichenen Sekunde zu verdichten. Ein Kratzen in meiner Lunge und das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, ließ mich schwer einatmen. Schnell schlug ich die Decke beiseite und beugte mich nach vorne, um dem aufkommenden Hustenreiz besser nachzugeben.
Irgendetwas stimmte nicht.
Du merkst schon, dass das hier gerade wie in so einem schlechten Horrorfilm ist, oder?, fügte der Klugscheißer in meinem Gehirn dazu.
Unruhig huschte mein Blick durch das Zimmer, doch da war nichts, was meine Reaktion erklärte. Der Raum war unverändert.
Plötzlich fingen meine Augen an zu brennen, als würde etwas in der Luft sie verätzen. Die aufkommenden Tränen verschwammen mir Sicht. Blindlings tastete nach dem Lichtschalter, doch als ich ihn betätigte, geschah nichts. Mein Herz klopfte alarmierend gegen meine Brust, während ich immer wieder den Schalter drückte.
Okay, das ist jetzt wirklich gruslig, sagte Amy und aktivierte dabei all meine Angstrezeptoren, die ich besaß.
Der starke Druck in meiner Brust engte mich ein. Es war, als würde mein Körper klaustrophobisch auf sich selbst reagieren. Immer mehr wurde mir die Luft abgeschnürt, als würde mich eine imaginäre Macht gefangen halten.
Doch das war es nicht, was die Angst in mir schürte und meinen Körper lähmte. Sondern das Gefühl, vor dem, was sich in der Dunkelheit versteckte, nicht entkommen zu können.
Gerade als mein Blick durch den Raum huschte, sprangen plötzlich die Fenster auf und ein kalter Windzug stieß ins Zimmer. Sofort begann ich zu frösteln, als der eisige Wind auf meine nackten Arme traf. Die Fenster krachten gegen die Wände, woraufhin ich zusammenzuckte.
Eine unangenehme Gänsehaut breitete sich in rasender Geschwindigkeit auf meinem Körper aus, als ich mit weit geöffneten Augen erkannte, wie sich eine große, dunkle Gestalt aus den Schatten schälte. Ein heller Blitz erleuchtete das Zimmer und ließ mich zusammenfahren, als ich erkannte, wer da vor mir stand.
Ich hatte sein Gesicht nur für einen Sekundenbruchteil gesehen, doch an diese roten Augen würde ich mich immer erinnern.
Die Macht, die dieser Mann ausstrahlte, war so stark, dass sie mich zurück in die Kissen drückte und mich bewegungsunfähig werden ließ.
Mit vor Schreck geweiteten Augen und klopfendem Herzen beobachtete ich, wie die Gestalt langsam auf mich zukam. Der Druck in meiner Brust stieg ins Unermessliche. Meine Augen tränten unaufhaltsam, während der beißende Geruch des Todes mir die Nase verätzte.
Als er direkt vor mir zum Stehen kam und seine feuerroten Augen auf mich fielen, setzte mein Herzschlag für einige Augenblicke aus. Noch ehe ich die Gelegenheit hatte zu schreien, schnipste er mit den Fingern und die Zeit kam zum Stillstand. Mitten in der peitschenden Bewegung des Windes hielten die Fenster inne. Die lauten Geräusche der Straße erstarben und das unaufhörliche Piepen des Monitors hörte schlagartig auf.
Mein Körper war gelähmt, nur meine Pupillen huschten unruhig umher. Innerlich begann ich zu zittern, als der dunkle Schatten sich zu mir herunterbeugte und ich am liebsten schreiend davonlaufen wollte.
Innerlich verfluchte ich Athanasios, dass er seine Schatten mit der Fähigkeit, die Zeit anzuhalten, ausgestattet hatte.
Ein überhebliches Grinsen bildete sich auf seiner Fratze. Die dicke, schwulstige Narbe, die sich quer über seinem linken Auge erstreckte und die Augenbraue durchtrennte, verlieh ihm das Aussehen eines Kriegers. Seine pechschwarze, ärmellose Kampfuniform aus Leder, die seinen breiten Oberkörper brachial wirken ließ und das Spiel seiner Muskeln untermauerte, wirkte wie aus einer anderen Zeit.
Die Brutalität war ihm ins Gesicht geschrieben. Er war kein Mann, der Gnade walten ließ.
Ich wollte diese Person nie wieder sehen und doch stand sie nun vor mir und starrte mich mit einem ausdrucklosen Gesicht an. Seinen Blick stand zu halten, glich einer Fahrt in die Hölle. In seinen Augen spiegelte sich die Verdammnis und das Leid der Seelen wider, die durch seine Hand ihr Ende fanden. Kurz bildete ich mir ein, ihre Schreie und ihr Wehklagen zu hören.
Sofort fühlte ich mich zurückversetzt in den Moment, in dem Atlas seine Gestalt angenommen hatte.
Er strahlte eine solche Macht aus, dass es mir kalt den Rücken herunterlief. Auch wenn es nicht möglich sein sollte, war seine Dunkelheit viel bedrohlicher und intensiver als die seines Schöpfers.
Denn dieser Mann war die Verdammnis.
Die Angst in mir schien mich zu erdrücken, als ich mich an Athanasios' letzte Worte erinnerte. Die Seele des Mädchens wird bald mir gehören. Wenn du sie nicht zu mir bringst, wird es ein anderer machen. Und du wirst nicht erfreut darüber sein, wer es sein wird, der dem Mädchen die Seele aus dem Körper reißen wird.
Das war also sein Plan gewesen. In mir fegte ein Feuer und brannte alle meine Hoffnungen nieder, aus dieser Situation lebend herauszukommen.
Denn Kain, der mächtigste und älteste Sensenmann, der auf Erden wandelte, war hier, um meine Seele zu holen.
,,Du bist also das Seelenmädchen'', sagte er mit einer solch tiefen Stimme, dass die Wände anfingen zu zittern. Das Rot seiner sichelförmigen Augen erinnerte mich an einen Blutmond, so intensiv bohrte es sich in mich. Dabei hinterließ sein Feuer ein unangenehmes Brennen in mir, das mich innerlich zu Asche werden ließ. Atlas erzählte mir einmal, dass die Farbe eines Schattens etwas über seine Persönlichkeit aussagte. Während Atlas' silberne Iriden für Leichtigkeit, Freiheit und Klarheit standen, und gleichzeitig auf den Betrachter kühl und zurückhaltend wirkten, spiegelten Kains teuflisch weinrote Augen Kampf, Wut und Vergeltung wider.
Ich konnte auf seine Feststellung nichts erwidern. Die Zeit stand noch immer still und ich war nicht in der Lage, auch nur einen Muskel zu bewegen.
,,Du siehst aus, als hättest du den Tod gesehen'', spuckte er mir die Worte gehässig ins Gesicht. Dabei hoben sich seine Mundwinkel leicht an und er seine Augen verwandelten sich zu schmalen Schlitzen, die einer Schlange ähnlich waren.
Na Amy, der Humor sollte dir doch gefallen, animierte ich Amy zum Sprechen, um mich von dem Druck in meiner Brust abzulenken. Doch gerade als ich die Stimme des Biestes am meisten brauchte, blieb sie stumm. Kein Laut war von ihr zu hören, als hätte Kain auch sie zum Schweigen gebracht.
Kleine Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Das Feuer in mir schlängelte sich durch meine Venen und ließ mein Blut in Flammen aufgehen. Meine Augen zuckten im Raum hin und her und suchten nach einer Fluchtmöglichkeit in dieser ausweglosen Situation.
Denk nach, schrie ich mich in Gedanken an. Was würde Amy machen? – Wahrscheinlich würde sie ihn so lange anschreien und beleidigen, bis er ihr den Mund zutackerte. Das war also keine Option.
Mein Blick schnellte zu seinen schwarzen Rauchschwaden, die sich lechzend um seinen Körper schlängelten.
Ich musste ruhig bleiben und Zeit schinden. Atlas würde bald kommen und ihn...
Ja, was eigentlich? Ob er gegen Kain eine Chance hatte?
Zweifel regten sich in mir und plötzlich hatte ich nicht mehr Angst um mich selbst, sondern vor dem, was Kain mit Atlas anstellen würde, wenn er herausfand, dass er mein Seelenpartner war.
,,Weißt du, ich besitze zwar nicht die Gabe des Gedankenlesens, aber selbst ich kann sehen, wie die Murmeln in deinem Kopf wild umherrollen und nach einer Fluchtmöglichkeit suchen. Aber soll ich dir etwas verraten?'', sagte er mit einer Spur Spott in der Stimme, während sein Mundwinkel überheblich zuckte. ,,Es gibt keinen Weg heraus.''
Sein Gesicht lauerte nur wenige Zentimeter über mir. Seine Augen flackerten immer wieder pechschwarz auf, ehe sie sie wieder ihre gewohnten Rottöne annahmen, sodass ich mir beinahe sicher war, dass er mehr war als ein Sensenmann. Mich würde es nicht wundern, wenn in dieser Welt auch Dämonen existierten. Nur so konnte ich mir die leeren, schwarzen Iriden erklären, die keinerlei Emotionen, Mitgefühl oder Reue zeigten.
Ganz schwach erinnerte ich mich, was ich im Religionsunterricht über den Ur-Kain gelernt hatte. In der biblischen Erzählung war er der älteste Sohn von Adam und Eva und er war derjenige, der in den Geschichtsbüchern als erster Mörder der Welt einging. In einem Streit hatte er seinen Bruder Abel getötet und wurde dafür bestraft.
Meine Pupillen fuhren aufgeregt umher, ehe sie bei seinem vernarbten Gesicht hängen blieben. Seine Augen lagen abwartend auf mir, wie ein Raubtier, das auf seine Beute wartete.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Seine altmodische Kleidung, sein Name und der Umstand, dass Atlas ihn einmal als ältesten Schatten bezeichnet hatte...Das konnte unmöglich ein Zufall sein.
Wenn er der Ur-Kain war, dann...
Dann sind wir ziemlich am Arsch, beendete Amy meinen Satz.
Zu meiner Bestätigung wurde mein Blick nahezu magisch von der alten Rune auf seinem linken Unterarm angezogen. Das enorm große Tattoo von einer Sense auf seinem anderen Arm, das sich von seinem Schulterblatt bis hinunter zu seinem Handgelenk erstreckte, ignorierte ich dabei vorerst. Denn die schwarze Markierung beantwortete mir meine dunkle Vermutung.
Auch wenn ich in der Schule nie sonderlich viel aufgepasst hatte, hatte sich dieses Zeichen in mein Gehirn eingebrannt. Als ich es zum ersten Mal gesehen hatte, erinnerte es mich an einen Galgenturm.
Er trug das Kainsmal – das Zeichen der Schuld, das ihn auf ewig brandmarkte und ihn als Brudermörder identifizierte.
Panisch riss ich meine Augen auf und versuchte das Feuer in mir zu mobilisieren, mich zu bewegen. Die züngelnden Flammen peitschten gegen mein Fleisch, während ich gegen seine übernatürliche Macht ankämpfte.
Fieberhaft versuchte ich den dicken Kloß herunterzuschlucken, der sich in meiner Kehle festgesetzt hatte, doch er löste sich nicht. Meine Augäpfel brannten sich förmlich in das Symbol, in der Hoffnung, es wäre alles nur ein fürchterlicher Traum. Doch so wie ich mich kannte, stürzte ich nur von einem Albtraum in den nächsten.
,,Ich sehe, du bist gar nicht so dumm, Seelenmädchen'', schnalzte er, als er meinen Blick auf das Kainsmal zu bemerken schien. Fast schon stolz drehte er seinen Arm und hielt ihn mir noch näher vors Gesicht, damit ich es eingehender betrachten konnte.
Alles in mir schrie und tobte, doch ich war nicht in der Lage, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
,,Ich kann deine rohe Angst förmlich riechen'', säuselte er und zog dabei die Luft ein. Ein eiskalter Schauder läuft mir dabei über den Rücken. ,,Wenn du weißt, wer ich bin, wäre es dann nicht klüger, deine Angst vor mir zu verstecken? Immerhin bin ich dafür bekannt, das Morden zu genießen. Ist es nicht das, was ihr Menschen über mich erzählt? Schließlich habe ich doch meinen Bruder erbarmungslos erschlagen, oder nicht!?'', donnerte seine Stimme durch die gespenstige Stille. Seine Augen glühten dabei glasig rot auf, als würde in der nächsten Sekunde ein Inferno losbrechen.
Die Angst in mir stieg ins Unermessliche, und doch war da diese leise Stimme in mir, die sich einbildete, sie hätte für einen Sekundenbruchteil Schmerz in seinen Augen aufflackern sehen.
Doch ich konnte dieser Stimme keine weitere Beachtung schenken, da mein Blick plötzlich von etwas silbern Glänzendes abgelenkt wurde.
Als ich die messerscharfe Sense hinter seinem breiten Oberkörper herausblitzen sah, wurde mir speiübel.
Kain war tatsächlich der erste Sensenmann, den Athanasios geschaffen haben musste. Von ihm stammen die Gruselgeschichten, die sich die Menschen über die Jahrhunderte erzählten. Der Schnitter, vor dem sie solch eine Angst hatten.
Und nun, da ich ihn leiblich vor mich stehen sah, verstand ich plötzlich die Furcht der Menschen vor dem Tod. Er war nicht wie Atlas oder der Sensenmann, der in der Geschichte vom Vater und Sohn beschrieben war. Kain würde keine Gnade zeigen, das wurde mir in diesem Moment schlagartig bewusst.
Der dunkelgraue Rauch im Zimmer verdichtete sich, als Kain die Hände zu Fäusten ballte und mit einem so schnellen Schlag, dass ich nicht einmal sehen konnte, dass er ausgeholt hatte, ein Loch in die Wand schlug. Mit vor Schreck geweiteten Augen beobachtete ich, wie der Putz auf seinen Handrücken bröckelte.
Auch wenn ich ihn irgendwie bewundere, scheint er nicht so eine hohe Frustrationstoleranz zu besitzen,bemerkte Amy.
Ich schluckte kräftig, um den Geschmack von Rauch aus meiner Lunge zu bekommen.
Nachdem er die Wand demoliert hatte, richtete er sich zu seiner vollen Gestalt auf und ließ langsam die Knochen in seinem Nacken knacken.
,,Ich denke, wir haben lange genug geredet'', sagte Kain und ein Funkeln stahl sich in seine feuerroten Iriden.
Wenn ich könnte, hätte ich eine Augenbraue gehoben, doch meinen irritierten Blick musste er mir auch so angesehen haben.
Mit einem schmalen Grinsen, das in seiner entstellten Fratze völlig fehl am Platz schien, sah er mich an. ,,Du hast recht, Seelenmädchen. Es war eher ein Monolog als ein Dialog. Aber was soll ich machen? Deine Stimme würde ihn zu dir rufen und ich kann ihn nicht ausstehen.''
Lässig, fast teilnahmslos zuckte er mit den Schultern.
Sprach er von Atlas? Kannte er ihn?
Eine Flut an Panik machte sich in mir breit, als ich beobachtete, wie er ganz langsam hinter sich griff und er seine scharfkantige Sense hervorholte. Fast schon genussvoll, als wäre er in eine Art Ekstase versetzt, strich er über die schneidende Seite und starrte mich dabei mordlustig an. Seine Augen verengten sich einen Spalt breit.
,,Mich interessiert es nicht, ob Atlas dein Seelengefährte ist. Du wirst sterben. Und ich werde dafür sorgen'', stieß er schonungslos hervor. Kurz darauf packte er mich am Hals und manövrierte mich im Würgegriff aus dem Bett. Meine Kehle schnürte sich augenblicklich zu und ein stechender Schmerz durchfuhr meine Rippen, als er meinen zerbrechlichen Körper gegen die Wand presste.
Die Zeit bewegte sich wieder in ihrem gleichmäßigen Rhythmus. Der Regen peitschte ins Zimmer und hinterließ vor dem Fenster eine Pfütze. Das laute Donnergrollen übertönte den Lärm der Hauptstraße. Nur die Sirenen der Krankenwagen schallten schrill durch den Raum.
Ich packte seine Hände und versuchte, sie von mir zu lösen. Doch ich hatte keine Chance gegen ihn.
Seine Hand verkrampfte sich um meine Kehle, während ich röchelnd Luft holte. Quälend langsam hob er mich an, sodass meine Füße über dem Boden baumelten. Der Schmerz in meiner Brust explodierte, als er mich immer und immer wieder gegen die Wand schmetterte.
Mein Blick verschwamm und der Raum begann sich zu drehen. Panisch versuchte ich durch ein Schlupfloch Sauerstoff in meine Lungen zu pumpen. Doch die Luft in meinen Lungen wurde immer dünner. Ich strampelte mit den Füßen und schlug nach Kain, der mich erbarmungslos im Würgegriff hielt.
Eine Falte bildete sich zwischen seinen Augen, ehe er den Mund zu einer schmalen Linie verzog und den Kopf schief legte.
,,Ich bewundere deinen Kampfgeist, Seelenmädchen. Aber das wird dir nichts nützen'', stieß er jähzornig hervor und drückte noch fester zu. Mein verschwommener Blick fiel auf das Kainsmal, das rot zu leuchten begonnen hatte. Es brannte sich förmlich durch seine Haut. Kurz blitzte in mir die Frage auf, ob er dabei Schmerzen empfand, doch als er mich ein weiteres Mal kräftig gegen die Wand stieß, vergaß ich diesen Gedanken augenblicklich.
,,Hör auf'', krächzte ich mit der letzten Kraft, die ich noch in mir hatte.
Für einen Wimpernschlag lockerte er seinen Griff, als hätte er nicht erwartet, dass ich ihn ansprechen würde. Doch schon im nächsten Augenblick verstärkte er ihn wieder und presste das letzte bisschen Leben aus mir heraus.
Meine Fingernägel, die sich in sein rohes Fleisch gebohrt hatten, lösten sich mit jeder verstrichenen Sekunde mehr von ihm, ehe sie nur noch schlaff auf seiner Hand lagen. Die Füße hörten auf, sich zu wehren und mein Körper fiel in sich zusammen, während meine Lungen explodierten.
Immer mehr dämmerte ich weg. Nur verwischt konnte ich noch die letzten Worte hören, die Kain zu mir sagte. Und dieses Mal glaubte ich der Stimme in mir, die mir weismachen wollte, dass der Schnitter ebenso wenig eine Wahl hatte wie ich.
,,Meine Schuld ist noch längst nicht beglichen, Seelenmädchen. Verstehst du!?'', brüllte er mich verzweifelt an.
Verzweifelt, warum...?
,,Manchmal verlieren die Guten und die Bösen gewinnen. Ich kann verstehen, dass deine Seele mich auf Ewigkeiten verfluchen wird. Im nächsten Leben werde ich dich nicht für etwas bestrafen, für das du nichts kannst. Denn ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn...''
Das, was er als Nächstes sagte, konnte ich nicht mehr hören. Ich spürte nur, wie der Griff um meinen Hals sich lockerte und ich gnadenlos auf den harten Boden knallte und das Bewusstsein verlor.
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