5
Shania
»Wenn das nicht der große Revali und sein liebenswerter Anhang ist«, begrüßt uns Teba, als er uns vor dem Eingang stehen sieht. Er sitzt mit Sita auf dem Schoß auf einem Sitzkissen neben dem Tisch und winkt uns hinein. »Na los! Kommt rein!«
Revali, der Nakari an der Hand hält, lässt mir den Vortritt. Ich lächle meinem Mann dankbar zu und trete mit Nio im Arm ein. Verschreckt guckt sich Nio im Raum um. Saki klappert in der Kochnische mit dem Geschirr, was meinem Küken zunehmend Angst zu machen scheint. So drückt er sein Gesicht an meine Brust und schließt unter einem erstickten Laut die Augen. Besänftigend streichle ich sein Gefieder und drücke ihm einen Kuss auf sein immer länger werdendes Haarbüschel. Ob ich ihm Zöpfe flechten soll, wenn seine Haare lang genug sind? Er würde bestimmt putzig aussehen, wie die Miniaturversion seines Vaters.
Während ich Nio weiterhin kraule bewege ich mich auf Teba zu. Die kleine rosafarbene Orni blickt von ihrem Vater auf und wirft dem Daunenbündel in meinen Armen einen verwunderten Blick zu. Sita ist nur ein Jahr älter, als unsere Zwillinge. Auch sie spricht inzwischen schon.
Heute sind wir bei Teba und Saki zum Essen eingeladen. Das ist das erste Mal, seitdem unsere Kinder laufen und sprechen können. Wir hoffen, dass sie sich Tulin und Sita annähern und vielleicht sogar heute mit ihnen spielen.
»Liebenswerter Anhang?« Ich erhebe eine Augenbraue und lächle schief.
Vergnügt grinst mich Teba an und vollzieht eine einladende Flügelbewegung zu dem Sitzkissen neben ihm. »Das Beste an Revali bist definitiv du und deine Kinder, Shania!«
Ich höre, wie Revali hinter mir einen empörten Laut von sich gibt, genau in dem Moment, als ich mich zu Teba setze.
»Pfft! Wenn du willst kann ich ja wieder gehen«, mosert Revali genervt.
Teba lacht. »Ach komm schon! Ich dachte selbst du, wüsstest was ein Witz ist.«
Unter einem verärgerten Brummen führt mein Mann Nakari durch den Raum.
»Ja so was!«, meint Teba erstaunt zu mir. »Nakari geht ja schon.«
»Ja!«, erwidere ich ihm stolz. »An der Hand klappt es schon ganz gut, nur freihändig hat sie noch Schwierigkeiten.
Unsere Zwillinge sind inzwischen schon fast zwei Jahre alt. Übernächsten Monat feiern sie ihren zweiten Geburtstag.
Plötzlich seufzt Teba und schenkt seiner Tochter einen leicht melancholischen Blick, während er ihr liebevoll den Kopf tätschelt. »Küken werden ja so schnell groß. Kaum machen sie ersten Schritte lernen sie auch schon fliegen. Und ehe man sich versieht...«
»Onkel Revali! Tante Shania! Endlich seid ihr da!«, höre ich jemand schreien.
Plötzlich kommt Tulin hinter der Kochnische hervorgeeilt und rennt auf Revali und Nakari zu. Rhythmisch wippt Tebas Sohn von links nach rechts und strahlt erfreut über das ganze Gesicht.
Tulin ist inzwischen 10 und deutlich in die Höhe geschossen. Ich erinnere ich mich noch daran, als ich den kleinen, grauen Orni zum ersten Mal sah. Damals war er fünf gewesen. Krank und nach Atem ringend lag er in einem behelfsmäßigen Nest in einer großen Hütte. Er war der Erste, den ich von der schrecklichen Krankheit, die die Orni damals heimgesucht hat, befreit habe. Tulin hat mich von Anfang an ins Herz geschlossen und ich ihn. Er ist ein fröhlicher kleiner Kerl und kommt da wohl ganz nach seinem Vater.
»Ich hab mich schon den ganzen Tag auf euch gefreut!«, gesteht er uns und hüpft vor Freude in die Luft.
Revali lacht hämisch, als er stehenbleibt und seinen Neffen einen amüsierten Blick zuwirft. »Tja, nur glaube ich dir das nicht! In Wahrheit hast du dich mehr auf die Zwillinge gefreut, als auf mich. Habe ich recht?«
»Aber Onkel Revali...«, protestiert Tulin etwas bockig. »Das stimmt doch gar nicht!«
Mein Mann lacht nur und sieht dabei zu, wie Nakari ihren Cousin ganz neugierig beäugt. Natürlich haben sich unsere Zwillinge, Tulin und Sita schon gefühlte tausend Male gesehen, seitdem Nio und Nakari das Licht der Welt erblickt haben, doch heute scheint meine Tochter wohl zum ersten Mal richtig zu analysieren, dass da ein kleiner Orni vor ihr steht.
»Lin-Lin!«, plappert Nakari und zeigt auf ihren Cousin.
Langsam tapst sie vorwärts. Revali lässt ihre Hand los, passt jedoch auf, dass sie nicht hinfällt und geht hinter ihr her.
»Hallo Nakari!«, begrüßt Tulin freudestrahlend die kleine Halb-Orni und wartet bis sie näherkommt.
Der Gang meiner Tochter wirkt zwar äußerst wackelig, dennoch schafft sie es, zu Tulin zu gelangen. Kichernd fängt Tebas Sohn die Kleine auf.
Unser Mädchen sieht ja so süß aus mit ihrem grünen Kleid und dem Haarschöpfchen, das ich ihr mit einer Federspange hochgesteckt habe.
»Hab dich!« ruft Nakari in ihrer quietschenden Kinderstimme.
»Nein, nein!«, lacht Tulin. »Ich hab dich!«
Nakari lacht und wirft sich Revalis Neffen in die Flügel. Gerührt schmunzle ich, als ich sehe, wie Tulin die Umarmung seiner Cousine erwidert und seinen Schnabel auf ihre Schulter ablegt. Revali steht daneben, stemmt einen Flügel gegen seine Hüfte und schaut lächelnd auf die beiden hinab.
»Die beiden scheinen sich ja schon mal gern zu haben«, bemerkt Teba fröhlich und bringt seine Tochter zum Lachen, indem er sie mit seinen Fingerfedern etwas kitzelt. »He, kleines Fräulein! Warum sagst du eigentlich nicht deinem Cousin guten Tag?«
»Guten Tag!«, plärrt Sita kichernd in Nios Richtung.
Doch mein Küken reagiert gar nicht. Er presst einfach nur weiterhin sein Gesicht gegen meine Brust. Inzwischen fühlt sich die Stelle, an der der Kleine seinen Atem ausstößt, ziemlich heiß an.
»He, kleiner Piepsi!«, versuche ich Nios Aufmerksamkeit zu erregen. »Da hat dir jemand guten Tag gesagt.«
»Piepsi! Hihihi!«, wiederholt Sita ganz verzückt.
»Warum wünscht du ihm nicht nochmal guten Tag und nennst ihn beim Namen?«, schlägt Teba vor und wippt sie verspielt mit seinen Beinen.
»Guten Tag, Piepsi!«
Ihr Ausruf bringt alle im Raum zum Lachen, bis auf Saki. Das Geräusch von klappernden Tellern und Töpfen macht mich darauf aufmerksam, dass sie die Einzige ist, die hier in diesem Raum arbeitet und sich nicht amüsiert. So beschließe ich, zu ihr gehen und ihr zu helfen.
Doch der Versuch, Nio abzusetzen und ihn bei Teba und Sita zu lassen, scheitert kläglich. Mein Küken klebt nämlich an mir fest. Er weigert sich strikt, von mir runterzugehen und drückt sich unter einem flehenden Laut nur noch stärker an mich. So werfe ich Teba einen entschuldigenden Blick zu, der einfach nur amüsiert mit dem Schnabel nickt. Gemeinsam mit der plüschigen Klette an meiner Brust, verschwinde ich hinter der Küchennische, während Tulin mit Nakari das Laufen übt. Da Revali dem Anschein nach überflüssig geworden ist, begibt er sich zu seinem Bruder und gesellt sich zu ihm.
»Hallo Saki!«, begrüße ich meine Freundin, die gerade dabei ist, dass Essen zu zubereiten.
Gerade bückt sich Tebas Frau nach einem weiteren Topf. Abrupt hebt sie den Blick und sieht mich an. Die rosafarbene Orni sieht ziemlich gestresst aus.
»Hallo Shania...« Ihr Gruß klingt ganz kleinlaut. »Tut mir leid, dass ich noch nicht dazu gekommen, euch zu begrüßen.«
»Ist schon gut«, beruhige ich meine Freundin. »Da die Männer und die Kinder zu beschäftigt sind, um dir ihre Hilfe anzubieten, gehe ich dir eben zu Hand.«
Als Saki sich aufrichtet, blinzelt sie mich zunächst erstaunt an, doch dann freut sie sich offenkundig. »Oh danke, Shania! Du könntest...«
Mit großen Augen mustert Nio die pinke Orni. Auch Saki kennt er inzwischen schon. Sie hat ihn schon oft gehalten und eigentlich wirkte mein Küken dabei immer recht angetan von Saki. Allerdings wirkt mein Sohn heute etwas verängstigt. Ich frage mich eindringlich, warum Nio heute gar so scheu ist? Ob es an Tebas Hütte liegt?
Ich nutze die Tatsache, dass Nio abgelenkt ist und hebe ihn ganz schnell auf die Kochzeile. Verdattert blickt er mich an. Er piepst irritiert, brabbelt danach etwas Unverständliches in einem ziemlich wehleidigen Ton.
»Mama hilft jetzt Tante Saki. Und du bleibst hier sitzen und schaust brav zu, ja?« Leicht beuge ich mich zu meinem Küken herunter und lächle ihm sanft zu.
Als Antwort streckt er mir seine Flügel entgegen und reckt sich mit bettelndem Blick nach mir. »Mama?«, winselt der Kleine sehnsüchtig.
Geführt funkle ich ihn an und streichle ihm seinen flauschigen Kopf. »Mama ist ja da. Aber jetzt brauche ich meine Hände für etwas anderes.«
Traurig lässt der Kleine den Schnabel hängen und piepst ganz niedergeschmettert. »Mama... Mama, will... will zu Mama.«
»Du hast aber mal ein ziemlich anhängliches Küken«, bemerkt Saki hinter mir, während sie weitere Schälchen und Schüsseln zum Vorschein bringt.
Sachte schmunzle ich und beobachte Nio dabei, wie er sich weiter nach mir reckt. Er erwartet sehnsüchtig, dass ich ihn wieder in meine Arme nehme. Als ich seinem Wunsch nicht nachgehe und Saki helfe, wird er plötzlich weinerlich und beginnt zu schniefen. Seufzend gebe ich schließlich doch nach und erlaube ihm, auf meinen Rücken zu klettern. Dort saugt er sich fest, wie eine Zecke. So knete ich gemeinsam mit Saki den Teig für den Fisch im Teigmantel. Dieses Unterfangen ist gar nicht so einfach, wenn man ein liebesbedürftiges Küken auf dem Rücken hat.
Irgendwann haben wir das Kochen beendet, decken den Tisch und essen.
Genüsslich schiebe ich mir ein Stück von dem Fisch in den Mund, während ich Revali dabei beobachte, wie er Nakari füttert. Bereitwillig öffnet sie ihr Mäulchen und wartet bis ihr ihr Vater das Löffelchen voll Karottenbrei in den Mund steckt. Schmatzend klatscht sie in die Hände, nachdem der Löffel sein Ziel gefunden hat.
Revali lacht vergnügt über die Reaktion seiner Tochter und fragt sie: »Na? Schmeckt es dir?«
Nakari nickt ganz langsam. »Nam-Nam!«
Grinsend taucht mein Mann den Löffel wieder in den Brei und schenkt seiner Tochter einen liebevollen Blick. »Dann kommt jetzt die zweite Fuhr angeflogen. Schnabel auf!«
Obwohl Nakari keinen Schnabel hat, sperrt sie sofort die Lucke auf, nachdem sie ausgiebig über die animierenden Fluggeräusche von Revali gelacht hat.
Saki sitzt zwischen mir und Tulin. Als meine Freundin endlich zur Ruhe kommt, pickt sie entspannt nach den Röstnüssen, während sie ihrem redseligen Sohn lauscht. Schmunzelnd sehe ich dabei zu, wie Tulins Essen am Auskühlen ist, da er wieder einmal nichts als Reden im Sinn hat. Er scheint mächtig viel Freude darin zu haben, uns von seinen neuesten Entdeckungen zu erzählen. Teba allerdings scheint seinem Sohn nicht richtig zuzuhören, schließlich ist er dabei, Sita zu zeigen, wie man manierlich von einem Apfel abpickt. Die kleine Orni lernt schnell und macht sich sofort daran, ihrem Vater zu zeigen, dass sie das schon kann. Stolz nickt der graue Orni, als sein Blick plötzlich auf Revali abschweift der mit väterlicher Hingabe unsere Tochter füttert.
Mit einem Mal schüttelt er mit einem höchst vergnügten Lächeln den Kopf und meint zu seinem Bruder: »Wenn mir vor 10 Jahren jemand gesagt hätte, dass du einmal Vater wirst...«
Doch Revali lässt sich von Tebas Spruch nicht beeindrucken. Unberührt macht er so weiter wie bisher und lässt den Löffel in Nakaris Mund „fliegen". Woraufhin sie verzückt und mit den Füßen strampelt und erneut in die Hände klatscht.
»Tja, jetzt siehst du ja, dass ich meine Sache ganz gut mache!«, erwidert Revali ihm und wischt Nakari den Mund mit einer Serviette ab.
Teba sagt nichts mehr darauf, er lacht einfach nur fröhlich und dreht Sita den Apfel so hin, dass sie ein weiteres Stück abpicken kann.
Nio sitzt währenddessen auf meinem Schoß. Da mein Küken inzwischen schon gewöhnliche Nahrung ist, teile ich mein Essen mit ihm. Fisch scheint ihm genauso sehr zu schmecken, wie mir. Das nächste Stück bekommt Nio. Ich halte es ihm hin und er pickt zaghaft danach. Genüsslich schlingt er den Happen hinunter. Geduldig sieht er mir dabei zu, wie ich mir ein Stück von der gedämpften Rübe abschneide und es schlemme. Im Anschluss füttere ich Nio damit. Probierfreudig greift er zu. Zufrieden lächelt er, nachdem er davon gekostet hat. Langsam aber sicher, scheint mein Küken etwas aufzutauen und seine schreckhafte Haltung abzulegen.
Nachdem wir das Essen beendet und ich gemeinsam mit Tulin, Teba und Saki den Tisch abgeräumt haben, kommt Hertis mit Molly vorbei. Während der Bogenbauer uns begrüßt und sich zu Revali und Teba gesellt, rast das fliederfarbene Orni-Mädchen zu Tulin, Sita und Nakari, die am Boden hocken und mit ihren Orni-Puppen spielen.
»Hallo!«, ruft Molly überglücklich.
»Hallo Molly!«, lacht Tulin und lädt seine Freundin ein, mitzuspielen. »Wir spielen Rettet-die-Prinzessin. Willst du mitspielen?«
»Ja!«, kreischt Molly und setzt sich hin.
Zusammen mit meinem Küken auf dem Schoß sitze ich etwas abseits neben Saki auf dem Boden. Saki und ich schauen Nio erwartungsvoll an. Er blickt zwar zu den vier spielenden Kindern hinüber, drückt sich aber schüchtern an mich.
»Nio...«, spricht meine Freundin mit ihm mit sanfter Stimme. »Willst du nicht rübergehen und mit den anderen Kindern spielen?«
Schnell schüttelt Nio den Kopf und presst sich enger an mich. Aufmunternd streichle ich den Kleinen das Köpfchen und hoffe, ihn selbst animieren zu können.
»Die anderen Kindern freuen sich bestimmt, wenn du mit ihnen spielst.«
Doch auch mein Argument bringt nichts. Er murmelt lediglich »Mama...« und schmiegt seinen Schnabel an mich.
Ernüchternd schaue ich Saki an, die lediglich mit den Schultern zuckt. »Er hat dich eben sehr lieb.«
»Ja, hat er, aber...«
Seufzend blicke ich zu Molly, Nakari, Sita und Tulin hinüber. Im Gegensatz zu Nio scheint Nakari keinerlei Probleme zu haben, den Kontakt zu anderen zu suchen, mein Küken aber schon und das macht mir Sorgen. Nio ist ziemlich schüchtern und ängstlich, zwar ist er noch klein, aber mir ist wichtig, dass er sich mit anderen Orni-Kindern anfreundet.
Genau in diesem Moment, dreht sich Molly mit einer Puppe im Flügel um, sie erkennt, dass Nio ganz furchtsam auf meinem Schoß hockt. Es wundert mich sehr, als die kleine, freundliche Orni die Initiative ergreift, aufsteht und zu uns herübereilt.
Als Nio sie kommen sieht, vergräbt er sich zunächst verschreckt in meinem Mantel. Belustigt schmunzeln ich und Saki aufgrund seiner Reaktion.
»Hallo, Nio!«, begrüßt Molly den Cousin ihres besten Freundes. »Willst du nicht mitspielen?«
Man kann ihn zwar nicht sehen, aber ich spüre, dass er unter meinem Mantel den Kopf schüttelt. Molly lässt sich davon jedoch nicht ermutigen und lacht einfach nur.
»Wenn du nicht Rettet-die-Prinzessin spielen willst, kannst du auch etwas anderes mit uns spielen. Wenn du willst können wir auch verstecken oder fangen spielen«, schlägt sie ihm gutgelaunt vor.
Ganz, ganz, ganz vorsichtig lugt der Kleine von meinem Mantel hervor. Langsam nähert sich mir Molly und lächelt mein Küken mit so einer Freundlichkeit an, dass er sie wie hypnotisiert anstarrt.
»Na komm, ich picke dich auch ganz bestimmt nicht! Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin ganz lieb, versprochen!«, versichert ihm Hertis Tochter mit einem aufrichtigen Strahlen im Gesicht.
Verwundert sehe ich dabei zu, wie Nio aus seinem Versteck hervorkommt und äußerst vorsichtig von mir herunterklettert. Doch so recht scheint er sich noch nicht, in Mollys Nähe zu trauen. So blickt er verunsichert zu mir hoch.
»Na, geh schon, meine kleine Plüschkugel!«, ermuntere ich ihn. »Geh spielen!«
Plötzlich nimmt Molly ihn ganz sanft am Flügel. Vor Schreck zuckt Nio zusammen und wird von einem Moment auf den anderen noch viel plüschiger, weil sein Gefieder sich aufrichtet.
Molly lacht verzaubert und meint zu mir: »Plüschkugel trifft sich ganz gut!«
Nio macht bereits Anstalten, wieder in meine Richtung zu flüchten, da zupft Molly ihn verspielt an den Federn, was den Kleinen überraschender Weise zum Lachen bringt. Emsig zupft das Mädchen weiter mit ihrem Schnabel nach ihm, das verzückt mein Küken so sehr, dass er plötzlich seine Scheu vergisst.
Auf einmal ruft Molly dann: »So jetzt bist du dran. Aber zuerst muss du mich fangen!«
Lachend läuft die fliederfarbene Orni los. Zunächst steht Nio noch wie angewurzelt da, blickt ihr verdattert hinterher.
»Na los!«, motiviert ihn Saki. »Lauf ihr nach!«
Mit einem Lachen und einer auffordernden Handbewegung animiere ich meinen Sohn ebenfalls. »Ja, schnapp sie dir!«
Prompt dreht sich Nio von uns weg und läuft seiner neuen Freundin hinterher, die bereits auf ihn wartet. Kaum ist er in ihre Nähe gelangt, setzt sie sich wieder in Bewegung und lässt sich von meinem Küken durch das ganze Haus jagen. Die beiden haben so viel Freude daran, dass sie aufgeregt kreischen.
Interessiert dreht sich Nakari nach den beiden um. Als sie bemerkt, wie viel Spaß die beiden haben, schreit sie: »Will auch! Will auch!«
Tulin legt die Puppe weg und wirft seiner Cousine einen besorgten Blick zu. »Aber du kannst ja noch nicht mal richtig laufen.«
Doch davon lässt sich meine Tochter offenbar nicht abhalten. Sie versucht von selbst aufzustehen und wackelt alleine ein paar Schritte vorwärts. Ich will schon aufstehen und Nakari helfen, doch da ist Tulin bereits zur Stelle und fängt die Kleine auf, bevor sie umfällt.
»Das ist nicht fangen, Nakari. Aber du hast ein neues Spiel erfunden«, scherzt Tulin und wirkt dabei, ganz wie sein Vater. »Es nennt sich, laufen und fallen.«
»Pfallen!«, ruft Nakari in ihrer Kindersprache und lacht.
Tulin kichert. Er nimmt Nakari an der Hand und hilft ihr beim Laufen. Ganz begeistert beobachtet sie Nio und Molly beim Spielen, während sie sich von Tulin führen lässt. Sita spielt währenddessen ganz allein mit den Puppen, denn sie scheint in ihrer eigenen Welt versunken zu sein.
Doch dann passiert plötzlich etwas Merkwürdiges. Nio stürzt sich kichernd auf Molly. Sie lässt sich von ihm fangen und er pickt genüsslich in ihre Federn. Während die beiden so herumalbern, bekommt er plötzlich ihre Schwanzfeder zu fassen. Erschrocken schreit Molly auf und hebt ihr Gefieder. Mit einem Mal wird es im Raum still. Saki neben mir versteift sich und läuft rot an, während die Orni-Männer aufhören zu reden und Nio entsetzt ansehen. Während Teba einfach nur starr stehenbleibt, verdüstert sich Hertis Gesichtszüge, als wäre er verärgert. Nio scheint jedoch Spaß an der kurzen Schwanzfeder von Molly zu haben und zieht kichernd daran. Molly dreht sich unter einem beschämten Gesichtsausdruck von ihm weg. Doch Nio versteht genauso wenig wie ich und will wieder nach Molly Schwanzfeder schnappen. Da wird Hertis plötzlich unruhig, er macht sogar Anstalten sich vorwärtszubewegen. Doch da kommt Revali ihm zuvor. Er poltert zu Nio hinüber und hält ihn auf. Verschreckt flüchtet Molly hinter meinen Mann. Verdutzt hebe ich eine Augenbraue und schaue verwirrt drein. Was ist denn jetzt kaputt?
»Nein, Nio! Das darf man nicht!«, rügt Revali unseren Sohn mit strengem Ton. »Lass das!«
So wie ich, versteht Nio die Welt nicht mehr. Er sieht seinen Vater an, der ihn mit einem ernsten Blick straft, und lässt die Flügel sinken. Nio wirkt dabei wie ein geschlagener Welpe. Genervt brumme ich über Revalis Reaktion, als die fröhliche Spielstunde damit offiziell beendet ist und Nio schluchzend zu mir hinüberläuft und sich vor den Rest des Nachmittags in meinem Mantel vergräbt. Na super, ganz toll gemacht, Revali!
Als unser Besuch bei Teba zu Ende ist, verabschieden wir uns von den Kindern, Teba, Saki und Hertis und kehren nach Hause zurück. Nio ist noch immer nicht aus von meinem Mantel hervorgekommen. Ich spüre, wie er zittert und sich eng an mich drückt. Selbst mein Streicheln und meine Liebkosungen führen nicht dazu, dass er sich beruhigt.
Warum musste ihn Revali denn so anschnauzen? Was hat Nio denn so Schlimmes verbrochen? Ich verstehe das nicht.
Nakari sitzt singend und brabbelnd auf Revalis Schultern und hält sich an seinem Kopf fest. Wenigstens sie ist fröhlich. Obwohl Nakari Sita mal mit der Puppe geschlagen hat, weil sie nicht teilen wollte, griff auch niemand ein, außer ich. Aber Nio ist meines Erachtens grundlos zusammengestaucht worden. Ich hätte ja gerne gefragt, warum sich alle so merkwürdig verhalten haben, aber als die Stimmung sich wieder aufgeheitert hat, wollte ich sie nicht wieder zerstören. Allerdings muss ich zugeben, dass ich etwas verstimmt bin. Ich kann die Reaktion der Orni eben einfach nicht nachvollziehen.
»Stimmt etwas nicht?«
Revali wollte wohl soeben meine Hand nehmen, doch ich war so in Gedanken, dass ich nicht reagiert habe. Seufzend bliebe ich stehen, wir befinden uns gerade in der Nähe der Hängebrücke, die zu unserem Haus führt und drücke mein Küken sanft, das immer noch zittert.
»Warum hast du Nio so zusammengestaucht, als er mit Molly gespielt hat? Warum hast du ihn so verschreckt, nun wo er endlich aus sich rausgekommen ist? Jetzt wird er vermutlich nie wieder mit Molly oder irgendwem anders spielen wollen. Warum hast du das getan?«
Nakari singt immer noch fröhlich weiter, lässt sich von der nebligen Atmosphäre zwischen mir und ihrem Vater nicht im Geringsten beeindrucken. Revali dagegen blinzelt mich einfach nur überrascht an.
»Das nennt sich Erziehung, Shania...« Der Orni klingt irgendwie irritiert. »Er hat Mollys Schwanzfeder angefasst.«
Ich verstehe immer noch gar nichts. »Und das darf man nicht?«
Plötzlich scheint Revali ein Licht aufzugehen. Er schmunzelt milde und ergreift meine Hand. Obwohl ich immer noch wütend und verwirrt bin, lasse ich es zu.
»Ich dachte, dass du inzwischen wissen müsstest, dass die Schwanzfeder ein äußerst intimes Körperteil an uns Orni ist.«
»Äh...« Mit einem Mal laufen meine Wangen rot an, als ich beginne, zu verstehen. »Aber Molly und Nio sind doch noch Kinder. Sie haben nur gespielt und Nio weiß nichts davon, dass die Schwanzfeder privat ist.«
Ach, darum haben die Orni also so verkrampft reagiert! Ja, ich weiß durchaus, dass die Schwanzfeder bei Orni ein empfindliches Körperteil ist, aber an die Tatsache, dass dies bei den Orni als Unsitte betrachtet wird, daran habe ich nicht gedacht.
»Ja, er wusste es nicht, schon klar«, meint Revali und zuckt mit den Achseln. »Aber es ist äußerst unsittlich, die Schwanzfeder einer Orni zu berühren. Das kommt dem gleich, wenn ein Hylianer dir an den Hintern grabschen würde.«
»Ha, ha! Jetzt habe ich es auch verstanden. Trotzdem gibt dir das noch lange nicht das Recht, Nio so anzuschnauzen. Du hättest es ihm auch anders sagen können. Du hast ihm einen Riesenschrecken eingejagt.«
»Ach...« Revali zuckt zusammen, als sein Blick auf die Beule in meinem Mantel fällt, dort, wo sich Nio im Verborgenen hält. »Darum versteckst du dich also die ganze Zeit unter Mamas Mantel. Und ich dachte schon, du spielst verstecken.«
Was? Das hat Revali tatsächlich gedacht? Ihm war also die ganze Zeit gar nicht bewusst, wie sehr er Nio verschreckt hat?
Ich verdrehe die Augen und stoße die Luft aus. »Ist das dein Ernst, Revali?«
»Tut mir leid!« Mit aufrichtigem Bedauern blickt mich mein Mann an und streicht über die riesengroße Beule in meinem Mantel. Erst jetzt bemerkt der Orni, wie sehr sein Sohn zittert. »Papa hat es nicht so gemeint.«, entschuldigt er sich bei Nio und streichelt ihm immer weiter über meinem Kleidungsstück.
Vorsichtig öffnet Revali meinen Mantel und schiebt ihn beiseite. Nio zuckt zusammen und presst sich an mich, als er seinen Vater sieht. Liebevoll herzt er den Kleinen mit seinem Schnabel und versucht ihn damit zu beruhigen.
»Vielleicht bin ich etwas laut geworden. Bitte verzeih mir, Kleiner!«
Irgendwann lässt Nio sich von Revali nehmen. Allerdings schaut mein Küken seinen Vater immer noch leicht verängstigt an. Beruhigend hutscht er den Kleinen und murmelt ihm ständig eine Entschuldigung zu. Schließlich seufze ich auf. Die Anspannung fällt von mir ab. Die Wut in mir ist verflogen. Auch Nio entspannt sich langsam. Nakari klatscht währenddessen ihre Hände brabbelnd auf die lange Feder auf Revalis Kopf.
»Das alles war einfach nur ein blödes Missverständnis. Naja, ich meinte, ich wüsste inzwischen mehr über die Sitten der Orni«, meine ich mehr zu mir selbst, als zu Revali.
Doch das hält meinen Mann auch nicht davon ab, mir etwas zu erwidern. Er schaut auf und lächelt mich schelmisch an. »Nun ja... Hätte es sich um einen Test gehandelt, wärst du wohl durchgefallen. Und das obwohl, du mit einem Orni verheiratet bist. Shania, du solltest dich schämen!«
Lachend schlage ich ihn meine flache Hand gegen die Flügel, was Revali ebenfalls zum Lachen bringt.
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