14
Nio
Heute gehe ich mit Mama und Nakari einkaufen. Nakari hockt immer nur auf Mamas Schulter und ist laut. Sie plappert die ganze Zeit, aber Mama lächelt. Interessiert schaue ich auf den Tisch hoch. Da liegen Pilze, die herrlich nach Wald duften und Weizen, der nach Wind und Erde riecht. Ich mag solche Düfte. Ich rieche auch gerne an Blumen, vor allem an den violetten. Mama und Papa haben sie uns mal gezeigt. Da wachsen so viele auf einem ganz großen Feld, alles ist lila und es riecht soooo gut. Mama mag die Blume auch gern. Mama sagt dazu Papendel... oder so ähnlich.
»Komm, Nio!«, ruft mich Mama.
Überrascht drehe ich mich um. Mama ist weg. Mama steht nicht mehr vor dem Tisch. Ich erschrecke. Wo ist meine Mama? Da höre ich Nakari lachen. Mama ruft mich nochmal. Ich schaue in die Richtung, aus der Mamas Stimme kommt. Da ist sie ja. Eilig laufe ich aus dem Laden, wo Mama mit Nakari auf mich wartet. Ich höre, wie die Vogelfrau hinter mir lacht.
Eilig laufe ich auf Mama zu. Meine Federn sind dick geworden, hab nämlich gedacht, Mama sei ohne mich gegangen. Sofort umarme ich Mamas Fuß, reibe meinen Schnabel an Mamas Hosenbein. Lächelnd schaut Mama runter zu mir. Der sanfte Klang ihrer Stimme beruhigt mich.
»Haha! Keine Sorge, ich geh schon nicht ohne dich! Jetzt lass uns nach Hause gehen, komm!«
Mama streckt die Hand nach mir aus. Ich muss mich ein wenig strecken, um Mamas Hand zu erwischen, doch mein Flügel ist lang. Glücklich spaziere ich mit Mama über die Bretter.
Ich sehe hinauf zu Nakari. Nakari sitzt immer noch auf Mamas Schulter. Schwester singt fröhlich. Nakari singt gern. Nakari hat eine schöne Stimme. Ich mag singen auch, aber Papa guckt immer so komisch, wenn ich singe. Vielleicht mag Papa meine Stimme nicht. Bei Nakari guckt er nie komisch. Nakaris Stimme gefällt Papa wohl besser. Weil Papa so komisch guckt, traue ich mich nicht zu singen, doch Mama sagt, dass ich eine schöne Stimme habe. Mama fordert mich gern auf, ihr was vorzusingen. Mama lächelt immer, wenn ich singe. Ich mag es, wenn Mama lächelt. Mama lächelt gern. Papa lächelt auch, aber nicht so oft. Manchmal da guckt er ganz grimmig, aber nicht bei uns, bei uns ist er fröhlich.
Plötzlich bleibt Mama stehen. Hätte Mama mich nicht am Flügel gehalten, wäre ich hingefallen. Tante Saki steht vor Mama und ein paar andere Vogelmamas. Mama und Tante Saki begrüßen sich. Die anderen Vogelmamas bücken sich nach mir. Sie sind laut. Ich mag keine lauten Vogelmamas. Schnell verstecke ich mich hinter Mama. Mama beugt sich leicht, um meinen Kopf zu tätscheln. Ich schaue in Mamas Gesicht. Mama lächelt mich wieder ganz warm an. Ich fürchte mich nicht mehr, aber von den lauten Vogelmamas will ich trotzdem nicht berührt werden. Nakari dagegen wird gern von den Vogelmamas berührt. Mama nimmt Schwester sogar von den Schultern und drückt sie in den Flügel einer grünen Vogelmama. Nakari ist fröhlich, redet ganz viel. Nakari fühlt sich wohl, wenn alle sie anschauen. Ich glaube, Nakari mag das ganz gern. Ich dagegen mag das gar nicht.
An den Fuß meiner Mama gedrückt schaue ich mich verschreckt um. Mama redet immer noch mit Tante Saki. Die Vogelmamas reißen sich um Nakari. Jeder darf sie mal in den Flügel nehmen und streicheln. Nakari sonnt sich in der Aufmerksamkeit. Plötzlich höre ich Kinderlachen. Ein paar Küken, die größer sind als ich, spielen auf einem großen Platz aus Holz. Die Küken sind bunt, alles Mädchen. Sie lachen, spielen fangen. Ich schaue ihnen zu, mache große Augen.
Das Spiel macht Spaß, ich spiel auch gerne fangen mit Tulin, Sita und Molly. Molly ist ganz, ganz lieb. Sie habe ich am liebsten. Mit Nakari fangen spielen ist nicht immer lustig. Nakari ist oft ganz wild und wirft mich um, wenn sie mich fängt und das tut dann aua.
Das grüne Mädchen wurde gefangen, jetzt muss sie die anderen fangen. Die anderen laufen von ihr davon. Der Gelbe kracht beim Davonrennen in einen großen Vogelpapa hinein. Der Vogelpapa schaut das Mädchen überrascht an. Das Mädchen entschuldigt sich. Dann wird das gelbe Mädchen von der Grünen gefangen. Die Gelbe beschwert sich. Der Vogelpapa zieht an den spielenden Mädchen vorbei. Er trägt Kleidung sowie Papa und einen Bogen. Der Bogen des Vogelpapas ist viel kleiner, als der von meinem Papa.
Papa hat mir das Bogenschießen beigebracht, aber ich übe nicht gern. Meistens ist Papa so streng mit mir. Er will immer, dass ich besser aufpasse und genauso gut bin, wie Nakari. Doch ich bin nicht wie Nakari. Ich will lieber, dass Mama mit mir trainiert. Mama ist viel geduldiger. Doch Papa will lieber selbst der Lehrer sein. Aber Zuschauen ist toll. Bei Papa und Onkel Teba schaut das so schön aus, wenn sie fliegen und schießen, ganz besonders wenn sie Puff-Puff-Pfeile benutzen. Dann kracht es und es gibt ein Feuerwerk.
Der Vogelpapa mit den Bogen auf dem Rücken geht auf andere Vogelpapas zu. Er grüßt sie. Gemeinsam gehen sie zur Holzrampe und fliegen davon. Kurz werden meine Federn wieder dick, wieder habe ich mich erschreckt. Ich sehe wieder diesen Orni. Er steht mitten im Treiben, ist umgeben von den anderen, aber keiner redet mit ihm, alle scheinen, ihn zu ignorieren. Das macht mich traurig. Ich kann nicht verstehen, warum niemand mit dem Vogelmann redet, schließlich wirkt er doch nett. Vielleicht soll ich zu ihm hinübergehen und mit ihm reden. Bestimmt freut sich der Vogelmann auch.
So lasse ich Mamas Fuß los. Ganz langsam gehe ich zu dem Vogelmann hinüber. Die anderen Vogelmamas und Vogelpapas gehen an mir vorbei, manche passen auf mich auf, andere nicht. Meine Federn werden wieder dick, als ein unvorsichtiger Vogelpapa mich streift. Mein Herz macht Poch-Poch. Ich bleibe stehen, will wieder zurück zu meiner Mama, doch der Vogelmann steht immer noch da. Wieder sieht ihn keiner, wieder spricht keiner mit ihm. Der Vogelmann sieht die anderen an sich vorbeiziehen. Ich will doch nicht zu Mama, ich will lieber mit dem Vogelmann reden. Er tut mir leid. Keiner scheint ihn lieb zu haben. Das macht mich immer noch traurig. Ich gehe weiter, ganz, ganz schnell.
Plötzlich stehe ich vor dem Vogelmann. Er sieht mich nicht an, er beobachtet Mama und Nakari. Mit großen Augen schaue ich zu ihm auf. Ich lege mein Gesicht schief. Die grünen Lichter um seine Federn wirken lustig. Er ist nicht der Einzige, der diese lustige Lichter hat, die um ihn fliegen. Manchmal sehe ich Vogelmamas und Vogelpapas mit lustigen Lichtern. Doch immer werden sie ignoriert. Ob es an den Lichtern liegt, das keiner mit ihnen redet? Vielleicht sollte ich den Vogelmann fragen.
Gerade will ich ein Hallo piepsen, da schaut der Vogelmann plötzlich auf mich hinab. Er hat grüne Augen, wie Nakari und Papa. Er lächelt auch so wie Papa. Sein graues Gefieder erinnert mich an Onkel Teba, aber das Grau von dem Vogelmann ist viel dunkler.
»Hallo, Kleiner!«, begrüßt mich der Vogelmann ganz nett.
Der Vogelmann wirkt freundlich. Ich kann gar nicht verstehen, warum niemand mit ihm redet.
»Hallo!«, piepse ich zurück.
Der Vogelmann verschränkt seine Flügel hinter dem Rücken, sowie Papa das gerne macht und geht einen Taps auf mich zu. Er beugt sich ein bisschen zu mir herunter. Der Vogelmann guckt ganz lieb.
»Solltest du nicht lieber bei deiner Mama sein?«, fragt er mich.
Ich schaue zurück zu meiner Mama. Mama redet immer noch, Nakari auch. Ich drehe mich wieder zu dem Vogelmann. Die grünen Lichter gefallen mir so. Sie sehen aus, wie das Feuerchen unter dem Kessel, wenn Mama kocht. Ob die grünen Lichter auch heiß sind? Ich will meine Flügel danach ausstrecken, lasse es aber lieber. Ich habe Angst, dass es doch Aua tut.
»Fürchtest du dich nicht davor, du könntest deine Mama verlieren, wenn du dich von ihr entfernst?«, fragt der Vogelmann nochmal, weil ich nicht geantwortet habe.
Ganz kurz schüttle ich den Kopf und schaue ganz groß zu dem lieben Vogelmann auf. Eigentlich habe ich Angst vor fremden Orni, eigentlich habe ich sogar Angst vor Orni, die ich kenne, außer vor Onkel Teba, Tante Saki, Tulin, Sita, Molly und ihrem Papa. Ich wundere mich. Vor diesem Vogelmann habe ich keine Angst. Er wirkt so lieb und irgendwie erinnert er mich an Papa und Onkel Teba. Außerdem sehe ich ihn fast jeden Tag, selbst beim Papa-Platz war er schon ein paar Mal und hat Papa und Onkel Teba ebenfalls beim Schießen zugeschaut. Doch Papa redet auch nicht mit ihm und Onkel Teba auch nicht, selbst Mama nicht. Ob der Vogelmann etwas angestellt hat, weil keiner mit ihm redet? Ich bin so neugierig. Ich muss ihn fragen.
»Wie heißt du eigentlich?«, will ich wissen, bevor ich ihn die ganz, ganz wichtige Frage stelle.
»Mein Name ist Argus, kleiner Mann!«, antwortet er mir ganz freundlich.
»Und warum reden die anderen nicht mit dir?«, piepse ich ganz leise, weil ich nicht weiß, ob die Frage unhöflich ist, aber der Vogelmann scheint mich zu hören.
Er lächelt. Der Vogelmann schaut so aus wie Papa, wenn er etwas lustig findet.
»Das liegt daran, weil die anderen mich nicht sehen können«, sagt er.
Meine Augen werden ganz groß. »Aber das stimmt doch gar nicht. Ich kann dich doch sehen.«
»Da bist du aber schon die einzige Ausnahme, bis auf deine Mutter natürlich.«
»Was? Mama kann dich auch sehen? Aber warum redet Mama dann nicht mir dir?«
»Ich zeige mich nicht immer offen vor ihr. Aber wenn ich es wollte, könnte sie mich sehen.«
»Kann ich dich auch nur sehen, weil du es willst?«
Der Vogelmann lacht. Es ist ein lustiges Lachen. Nachdenklich wackelt er mit den Kopf. »Ja und Nein... Eigentlich kannst du mich immer sehen. Du bist etwas anders, als deine Mama.« Dann streckt er mit einem Mal den Flügel aus und zeigt in eine Richtung. »Du siehst ja schließlich auch den da drüben, oder?«
Ich drehe mich um. Ich sehe Kaneli. Der große, dicke Eulenmann geht selten spazieren, aber heute ist ein schöner Tag und es ist warm. Ein paar Küken folgen ihm und da ist noch jemand... Er sieht aus, wie ein Uhu, statt graue Federn wie Kaneli hat er braune. Um den Uhu-Vogelmann schweben auch Lichter.
»Wer ist das?«, frage ich.
Der Vogelmann kniet sich hin. Er lächelt mir ins Gesicht. »Das ist sein Ur-Opa, er begleitet Kaneli schon sehr, sehr lange und wacht über ihn. Viele, die so sind, wie ich, wachen über andere Orni.«
»Ach ja?« Wieder werden meine Augen ganz groß. »Über wen wachst du denn?«
Er streckt den Flügel nach mir aus. Seine Federn fühlen sich so komisch an, sie berühren mich nicht richtig, aber spüren kann ich sie trotzdem.
»Über deinen Papa und deinen Onkel und ihre Frauen... und über deine Cousine und deinen Cousin... und über dich und deine Schwester«, antwortet mir der Vogelmann.
Ich blinzle. »Darum bist du also gern am Papa-Platz!«
Der Vogelmann nickt. »Dein Papa kann mich zwar nicht sehen, aber ich bin immer da und passe auf ihn auf. Wir wollen doch schließlich nicht, dass ihm etwas passiert.«
»Das ist aber nett von dir!«, sage ich zu dem lieben Orni-Mann und lächle.
Plötzlich wird das Gesicht des Papa-Wächters irgendwie komisch. Er wirkt auf einmal traurig. Ich würde gerne wissen, warum er so traurig ist, doch da ruft mich Mama auf einmal.
»NIO! Nio komm her!«
Eilig laufe ich zu Mama. Auf halben Weg bleibe ich stehen. Ich habe vergessen, mich zu verabschieden, das ist unhöflich. Schnell drehe ich mich wieder um, doch der Vogelmann mit den grünen Lichtern ist weg. Wo ist er nur hin?
Wieder ruft Mama nach mir. Nun aber schnell zurück zu Mama! Der Papa-Wächter kommt bestimmt wieder, dann kann ich mich ja dafür entschuldigen, dass ich nicht Tschüss gesagt habe.
Shania
Nun rufe ich Nio bereits zum zweiten Mal. Er hat sich umgedreht und nach irgendetwas Ausschau gehalten. Doch da, wo er hinsieht, kann ich nichts erkennen.
Es sah so aus, als hätte er sich vorher mit irgendeinem Fantasiefreund unterhalten. Wie niedlich! Wen er sich da wohl vorstellt? Nio ist eben ein kleiner Träumer. Ständig scheint er mit seinen Gedanken irgendwo anders zu sein. Er nimmt seine Welt völlig anders wahr, als seine Schwester.
Mein kleines Küken kommt auf mich zugelaufen. Ein Lächeln befindet sich auf seinem winzigen Schnabel, als er mich mit seinen großen, braunen Augen ansieht.
Nakari sitzt wieder auf meiner Schulter, nachdem sie einer Orni nach der anderen gereicht wurde. Sie sah ziemlich glücklich aus in der Gruppe aus überschwänglichen Müttern. Sie scheint sich mindestens so sehr nach Aufmerksamkeit zu verzerren, wie ihr Vater. Nio dagegen ist anderen gegenüber schüchtern, besonders Fremden.
Ich verabschiede mich von Saki und ihrem Anhang und gehe mit meinen Kindern und den Einkäufen nach Hause.
»Mit wem hast du denn da gesprochen?«, frage ich belustigt, als Nio nach meiner Hand greift und gutgelaunt mit mir nach Hause geht.
Seine braunen Augen blinzeln mich an. Plötzlich lacht er vergnügt und piepst zu mir hoch: »Mit dem Vogelmann mit dem grünen Lichtern!«
»Hä? Ein Vogelmann mit grünen Lichtern? Aber da stand doch keiner und schon gar kein Vogelmann mit grünen Lichtern! Was fantasierst du dich schon wieder zusammen?«, meldet sich seine Schwester sofort zu Wort, die um Einiges gesprächiger ist als ihr Bruder, sehr zu meinem Bedauern, denn Nakari kann einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen.
Ja... Seitdem Nakari das Reden beherrscht, hat sie viel Freude am Kommunizieren. Allerdings muss sie lernen, dass man nicht unbedingt immer seinen Senf dazugeben muss und es manchmal besser ist, wenn man den Mund hält.
»Jetzt sei doch nicht so unhöflich zu deinem Bruder«, schelte ich meine Tochter mit sanfter Stimme, ehe ich mich wieder meinem Sohn zuwende. »Erzähl mir doch von dem Vogelmann mit den grünen Lichtern!«
Zwar kann ich Nakari gerade nicht sehen, aber anhand ihres angespannten Körpers, den ich auf meiner Schulter spüre und dem genervten Seufzer, den sie von sich gibt, bin ich mir sicher, dass sie verärgert über meine Zurechtweisung ist.
»Er ist nett!«, antwortet mir Nio in seiner süßen, piepsigen Stimme.
»Und was hat er zu dir gesagt?«, will ich mit ehrlichem Interesse wissen.
Nio schaut mich an. »Dass keiner mit ihm redet, weil niemand ihn sehen kann. Außer du Mama, aber auch nur, wenn er will, dass du ihn siehst.«
Erwärmt blicke ich auf den kleinen, süßen Orni hinab. Ich finde es rührend, dass mein Kleiner mich in sein Spiel einbezieht.
Es ist schön, dass er sich Dinge einfallen lässt. Eine eigene Fantasiewelt zu haben, in der man sich jederzeit zurückziehen kann, ist wichtig, vor allem wenn man sich mal einsam fühlt. Als ich klein war, haben ich und Daruk uns immer einen sprechenden Steinmann vorgestellt. Wir haben uns stets Spiele ausgedacht, die wir dann zusammen mit unserem Fantasiefreund gespielt haben. Es war eine schöne Zeit, ich denke gerne daran zurück. Vielleicht lässt sich Nakari von Nios Fantasie anstecken und sie spielen gemeinsam mit dem Vogelmann mit den grünen Lichtern.
Wir erreichen die lange Hängebrücke zu unserem Haus, als Nio stehenbleibt, damit ich ihn hochheben kann. Über die Brücke geht er nicht alleine. Er hat zu viel Angst, dass er runterfällt. Mit den Einkäufen auf dem Arm und Nakari auf den Schultern wird es jetzt allerdings schwierig, Nio auch noch zu tragen. So bücke ich mich und lasse mein Küken in meine Arme springen. Voll beladen überquere ich die Brücke. Die Hängebrücke ächzt unter meinem Gewicht.
»Und ich darf ihn nicht sehen, oder was?«, grummelt Nakari nach einer Weile beleidigt auf meinen Schultern.
Entschuldigend funkelt Nio seine Schwester an. »Tut mir leid...«
»Und warum nicht?« Jetzt spüre ich, wie die Kleine erbost die Arme verschränkt.
Ich keuche unter dem Gewicht meiner Kinder und der Einkäufe. Nur noch ein bisschen, die Hälfte habe ich schon geschafft. Die Diskussion der beiden lenkt mich allerdings ab, sodass sie mir meine Anstrengung nicht anmerken. Oh, Mann! Wie sehr ich mir gerade wünschte, ich wäre ein Orni, dann könnte ich so wie mein Mann einen Huckepack nehmen und den andere in den Krallen halten, während ich anmutig über den See fliege.
»Weil du es nicht kannst«, antwortet Nio seiner Zwillingsschwester schlicht.
»Und warum kann ich das nicht?«, zischt sie.
»Weiß nicht...«, murmelt Nio nur. »Er hat nicht gesagt, warum.«
»Das ist so doof!«, schreit Nakari mit einem Mal lauthals. »Ich will ihn auch sehen!«
Während ich mich voranschleppe, versuche ich, meine aufbrausende Tochter zu beruhigen. »Sei nicht sauer, Nakari! Ich bin mir sicher, dass du ihn eines Tages sehen darfst.«
»Sei nicht sauer, Nakari...«, wiederholt Nio in meinen Armen und meint das auch ernst.
»Ja, ja...«, brummt Nakari nur. »Der Vogelmann mit den grünen Lichtern ist sowieso nur erfunden.«
Endlich habe ich es geschafft! Ich habe das Ende der Brücke erreicht. Schwer atmend bücke ich mich und lasse mein Küken herunterhüpfen. Erleichtert stoße ich die Luft aus, als auch Nakari von mit runterklettert. Ich könnte laut lachen, als ich die beiden so ansehe. Nakari steht ihrem Bruder gegenüber mit einem höchst verärgerten Blick. Die Kleine sieht so süß aus, wenn sie säuerlich ist, allerdings kann das Ganze auch schnell eskalieren und dann ist so ganz und gar nicht mehr süß. Nio dagegen wirkt ganz unschuldig, lächelt seiner Schwester sogar aufmunternd zu.
»Gibs doch zu!«, poltert Nakari laut, als sich die beiden schon mal in die Richtung unserer Hütte begeben. »Der Vogelmann mit den grünen Lichtern ist doch nur frei erfunden. Warum soll denn sonst niemand ihn sehen können, außer du?«
»Weil er über andere Orni wacht...« Entmutigt schaut Nio zu Boden. Langsam frustriert ihn das Verhalten seiner Schwester.
»Aha... Und über wen soll er wachen?«, entgegnet ihm Nakari unbeeindruckt.
Nio hat inzwischen die Lust verloren, der kleinen Halb-Orni zu antworten. Er verzieht das Gesicht und tapst ganz langsam in Richtung Haus. Während ich die Einkäufe schleppe, beobachte ich dabei, wie Nakari rot anläuft.
»Über wen wacht er denn nun?«, plärrt sie.
»Wenn ich es dir sage, bist du dann wieder lieb zu mir?«
Nakari sieht ihren Bruder mit ihren grünen Augen an. Zunächst wirkt sie völlig überrascht, dann wird sie wieder sauer.
»Ich bin doch lieb zu dir!«, schnaubt sie, verdreht die Augen und verschränkt die Arme.
Schmunzelnd blicke ich auf mein Töchterchen hinab. In dieser Pose sieht sie genauso aus, wie ihr Vater.
Nio tapst weiter, sagt nichts zu Nakari. Die Kleine folgt ihm. Wir durchqueren den Garten. Am Fuße der Treppe bleiben die beiden stehen, ich gehe schon mal hinauf.
Die Treppe haben ich und Revali mit Hilfe einiger anderer Orni erbaut, als unsere Kinder ungefähr vier Jahre alt waren, damit sie nicht ständig die Leiter nutzen müssen, um zu Hütte rauf zu gelangen.
Ich bin jetzt schon froh darüber, wenn ich die Lebensmittel endlich abstellen kann. Heute Abend werde ich uns etwas Gemüse-Curry kochen, denn ich besitze dank Daruk nach einen Jahresvorrat an Goronen-Gewürz. Als Nachspeise mache ich etwas Eier-Pudding, den mögen die Kinder so gern.
»Okay, okay, ich bin lieb! Jetzt sag mir doch endlich, über wen er wacht!«, quengelt Nakari unaufhaltsam.
Ich befinde mich schon oben auf dem Balkon, als ich Nio einrenken höre. »Er wacht über Papa und Onkel Teba... und über uns.«
Als ich mich mit den Einkäufen in den Händen umdrehe und die beiden die Treppe hochkommen sehe, bemerke ich, wie Nakaris Augen beeindruckt glitzern.
»Ist er etwa ein Engel? Papa sagt Mama und ich sind Engel. Hylia hat uns zur Erde heruntergeschickt. Mama hat allerdings ihre Flügel verloren, aber ich hab noch welche. Nur Engel wachen über andere. Papa sagt immer, dass Mama auf ihn aufpasst.«
Verliebt schmunzle ich. Revali liebt es, den beiden Geschichten zu erzählen. Außerdem hat es mich von Anfang an berührt, als der Orni angefangen hat, mich seinen Engel ohne Flügel zu nennen, obwohl ich zunächst gar nicht wusste, was ein Engel sein soll.
Zu Nakaris Verdruss schüttelt Nio plötzlich sein Köpfchen. »Nein, der Papa-Wächter ist kein Engel...«
»Was ist er dann?«, ruft Nakari aufgebracht.
»Jemand, der auf uns aufpasst.«
»Blöde Antwort!«, schnaubt meine Kleine unzufrieden.
Ich trete in das Innere des Raumes und die beiden folgen mir.
»Und warum passt er auf Papa und Onkel Teba auf und auf uns?«, stichelt Nakari nach und rollt genervt mit den Augen.
Mein kleines Küken tapst an seiner Schwester vorbei zu der gemeinsamen Schlafecke. Dort setzt er sich auf den Teppich und beginnt, mit den Figuren zu spielen, die wir unseren Zwillingen zum letzten Geburtstag geschenkt haben.
Ich packe die Einkäufe aus, hänge die Kräuter über die Kochnische und beobachte Nakari dabei, wie sie rot anläuft, genervt die Luft ausstößt und sich zu ihrem Bruder auf dem Teppich plumpsen lässt. Wieder verschränkt sie bockig ihre Arme und reckt ihr winziges Näschen in die Luft. Warm lächle ich und bemerke erneut, wie sehr sie ihrem Vater dabei ähnelt.
»Nio! Ich habe dich was gefragt«, meckert Nakari.
Fröhlich spielt Nio mit dem kleinen Miniatur-Daruk und scheint dabei bereits in seiner eigenen kleinen Welt versunken zu sein. Wieder erhält die Halb-Orni keine Antwort und pustet sich erbost eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Erst schaut sie noch recht finster drein, doch dann beschließt sie, sich die Figur zu schnappen, die aussieht, wie ihr Papa.
»Dann lass uns gemeinsam die Schatten bekämpfen, großer Daruk!«, ruft Nakari plötzlich und reckt die Miniatur-Version meines Mannes in die Luft.
Nio lächelt. Gemeinsam spielen meine Kinder auf dem Teppich. Gerührt schaue ich den beiden dabei zu, während ich mich daran mache, das Gemüse zu waschen.
Die erste Zeit verläuft ganz friedlich zwischen den beiden. Die Sache mit dem Vogelmann scheint vergessen, doch irgendwann im Laufe ihres Spiels...
»Und jetzt kommt der Vogelmann mit den grünen Lichtern und macht die Monster kaputt!««, schreit Nakari und wischt die Mini-Bokblins, die ihr Bruder vorhin sauber aufgereiht hat, mit ihrer Hand vom Feld.
Kritisch blinzelt Nio seine Schwester an. »Aber das kann er doch gar nicht! Er wacht doch nur und passt auf, dass nichts Schlimmes passiert. Er kann die Monster nicht kaputt machen.«
»Woher willst du das wissen?«, giftet Nakari wütend.
»Weil er es mir gesagt hat.«
»Der Vogelmann ist doch nur erfunden. Also kann ich auch erfinden, dass er die Monster kaputtmacht!«, quietscht die Kleine ein bisschen zu hoch.
Nio wendet sich von seiner Schwester ab. Er reiht die Recken brav nebeneinander auf, nimmt auch die Figuren von Yunobo, Riju, Mipha und Teba dazu. Davor stellt er Prinzessin Zelda, mich und Link hin. Als er alle zusammengebracht hat, macht er ein glückliches Gesicht. Im Anschluss fällt sein Blick auf den Mini-Revali, den Nakari immer noch in der Hand hält.
»Fehlt nur noch Papa!«, höre ich ihn sagen.
»Aber Papa muss doch dem Vogelmann helfen, die Monster kaputt zu machen«, widerspricht ihm seine Schwester.
Nio schüttelt einfach nur den Kopf.
Genervt seufzt Nakari auf. »Wie nennen wir den Vogelmann eigentlich? Wir müssen ihn noch einen Namen geben.«
»Oh, er hat schon einen Namen...«, meint mein Sohn und zieht mit seinen Figuren fröhlich umher.
Prinzessin Zelda scheint Nio besonders zu gefallen. Mir ist aufgefallen, dass er mit ihr am liebsten spielt... und mit meiner Figur.
»Aha...«, meint Nakari unbeeindruckt. »Und wie heißt er?«
Nio lässt sich mit seiner Antwort Zeit. Er schaut seine Schwester an, während er Prinzessin Zelda über die Recken hinwegfliegen lässt.
Ich lege das gewaschene Gemüse beiseite und trockne mir die Hände ab.
Gerade nehme ich die Eier in die Hand, als ich Nio sagen höre: »Er heißt Argus!«
Es macht Platsch. Die Eier fallen auf den Boden und gehen sofort zu Bruch. Meine Kinder haben mein Missgeschick bemerkt und drehen sich nach mir um. Mit geweiteten Augen schaue ich Nio ungläubig an. Die Räder in meinem Gehirn drehen sich, dennoch brauche ich eine Weile, um die Information zu verarbeiten.
»Oh, Mama! Die Eier sind jetzt Matsch!«, bemerkt Nakari und schaut den Eiern bedauernd hinterher.
Regungslos stehe ich da, kann immer noch nicht fassen, was ich soeben gehört habe. Doch das muss noch lange nichts heißen. Revali erzählt unseren Kindern ständig von ihrem Opa. Bestimmt hat Nio seinen Namen aufgeschnappt, als ihr Vater von ihm berichtet hat.
So räuspere ich mich, entferne mich von der Sauerei, die ich veranstaltet habe und gehe ein paar Schritte auf meine Kinder zu.
»Hast du gerade gesagt, dass der Vogelmann Argus heißt?«, frage ich gezielt meinen Sohn.
Irritiert blickt mich Nio mit seinen großen, braunen Augen an. Er nickt nur.
Plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher, ob der Vogelmann mit den grünen Lichtern aus Nios Fantasie entsprungen ist. Ich kenne die Seelen. Ich weiß, dass viele von ihnen noch hier sind, um über ihre Ahnen zu wachen. Argus ist auch einer von ihnen. Außerdem sind Geister von Seelenfeuer umgeben, es wirkt wie grünschimmernde Flammen.
Langsam setze ich mich zu meinen Zwillingen. Ich versuche, meinen besorgten Gesichtsausdruck mit einem Lächeln zu verschleiern.
»Nio, erzähl mir mal mehr über Argus! Wie sieht er denn aus?« Gezielt bemühe ich mich um eine mütterliche, liebevolle Stimme, versuche dabei auch nicht zu aufdringlich oder verhörend zu klingen, schließlich will ich mein süßes Küken nicht verschrecken.
Prompt krabbelt Nakari auf meinen Schoß und ruft. »Hey! Das will ich auch wissen. Wie sieht er denn aus? Hat er pure Lichtaugen, mit denen er die Monster kaputtschießen kann?«
Mein Kleiner kommt sich plötzlich ziemlich überrumpelt vor. Er lässt schüchtern den Kopf hängen und sagt erst einmal gar nichts. So schaue ich meine zuckersüße Plüschkugel liebevoll an und ziehe ihn zu seiner Schwester auf meinen Schoß. Ganz zärtlich streichle ich sein Gesicht. Ich dränge ihn nicht, erwidere ihm außer meinem weichen Lächeln zunächst gar nichts. Nio schaut mich an. Bald wirkt er ganz zufrieden und schmiegt sich an meine Brust. Er kuschelt mit mir und ich reibe mein Gesicht an seinem plüschigen Flaum. Nakari will gerade den Mund aufmachen, da lege ich ihr einen Finger auf den Mund. Meine Tochter sieht mich so überrascht an, dass ich leise lachen muss. Im Anschluss zwinkere ich ihr zu. Ihre Augen werden groß, als sie versteht.
Nakari mag zwar etwas vorlaut und aufbrausend sein, aber für ihr Alter ist sie bereits sehr schlau. Sie weiß, dass ich einen Plan habe, der dazu führt, dass sie doch noch ihre Antwort bekommt.
Als Nio sein Gesicht von meiner weichen Brust nimmt, blinzelt er mich fröhlich an. Er scheint sogar die Anwesenheit seiner Schwester kurz zu vergessen, die ihn nur zu gern mit ihrer aufdringlichen Art nervös macht.
»Er hat grüne Augen wie Papa und er sieht auch ein wenig aus wie er... aber auch ein bisschen wie Onkel Teba. Seine Federn sind aber dunkler, als die von Onkel Teba. Aber der Vogelmann ist ganz lieb und die Lichter, die um ihn fliegen, sind lustig.«
Prompt beiße ich mir vor Schreck auf die Zunge. Ich versuche, vor den Kindern nicht in Panik zu verfallen und mich so gelassen, wie möglich zu geben. Woher sollte Nio wissen, wie Argus aussieht? Kann es wirklich sein, dass er mit ihm gesprochen hat? Hat der Geist des Vaters meines Mannes sich seinem Enkel gezeigt? Nun, es besteht immer noch die Möglichkeit, dass Revali ihnen das Aussehen seines Vaters beschrieben hat. So entscheide ich mich dazu, der Sache erst auf den Grund zu gehen, bevor ich mir das Hirn zermartere.
»Nakari?« Ich wende mein Gesicht meiner Tochter zu. »Weißt du, wie Papas Papa aussieht?«
Ahnungslos schaut mich Nakari mit ihren grünen Augen an. »Nö!«, antwortet sie mir zu meinem Bedauern. »Wieso?«
Mein Blick fällt auf Nio, der mich immer noch anlächelt und sein winziges Schnäbelchen verschmust an mich drückt. Ich antworte ihm, in dem ich ihn mit meiner Hand liebkose, während ich meiner Kleinen erwidere: »Ach nur so...«
Oh, ich glaube, das ist kein gutes Zeichen! Oder... vielleicht doch? Ich weiß auch nicht so recht, was ich davon halten soll, falls sich meine Vermutung bewahrheitet. Was, wenn Nio tatsächlich, Seelen erkennen kann? Was, wenn ich meinem süßen, kleinen Küken wirklich die Kraft der Seelenbändiger vererbt habe?
Bald ist es Abend. Das Essen ist fertig und steht dampfend auf dem niederen Tischchen in der Mitte des Raumes bereit.
Revali kommt nach Hause. Kreischend begrüßen meine Kinder ihren Vater. Nachdem mir mein Recke einen Kuss auf die Stirn gedrückt hat, setzen wir uns und essen.
Dabei kann ich es nicht unterlassen, ständig meinen Sohn zu beobachten. Die ganze Zeit über zerbreche ich mir den Kopf. Ich mache mir Sorgen, Sorgen, dass er ein Seelenfänger sein könnte, so wie ich. Es bestand immer die Möglichkeit, dass einer der beiden mein Erbe antreten könnte, doch jetzt, wo es so scheint, macht mir die Tatsache einfach nur Angst.
Später kommen Molly und Tulin zum Spielen vorbei. Seufzend sitze ich draußen auf dem Balkon und lasse meine Füße baumeln. Nachdenklich gestimmt schaue ich den Kindern zu. Mein Blick ist dabei ständig auf Nio gerichtet.
»Hey...«, höre ich plötzlich hinter mir. Im nächsten Augenblick spüre ich, dass Revali sich zu mir setzt.
Seine bloße Anwesenheit tut mir bereits gut. Kaum spüre ich seine Federn auf meiner Haut, lehne ich mich an den Orni und lege meinen Kopf auf seine Schulter ab.
»Stimmt irgendetwas nicht?«, fragt mich mein Mann. »Du wirkst irgendwie bekümmert.«
Ich beschließe, nicht lange um den heißen Brei zu reden und Revali über meinen Verdacht aufzuklären. »Ich glaube, Nio hat heute deinen Vater gesehen.«
Entgeistert schaut mich Revali an und weicht etwas von mir. Er starrt mir in die Augen, versucht anhand meiner Gesichtszüge mehr über diese Aussage zu erfahren.
»Wie meinst du das, er hat meinen Vater gesehen?«, krächzt Revali verdutzt.
Mit sorgenvoller Miene blicke ich nach unten zu Nio. »Ich denke, Argus hat sich ihm gezeigt und mit ihm geredet. Er hat unserem Sohn gesagt, dass er über dich und deine und Tebas Familie wacht. Zunächst habe ich noch geglaubt, er hat sich den Vogelmann mit den grünen Lichtern nur eingebildet, doch dann ist sein Name gefallen. Und als ich Nio dann fragte, wie dieser Vogelmann aussieht, hat er ihn deutlich beschrieben. Revali...« Ich bedenke meinen liebsten Orni mit einem zerknirschten Blick. »Kann es sein, dass du ihnen erzählt hast, wie Argus aussieht?«
Revali scheint zu überlegen. Er legt den Kopf schief und denkt nach.
Doch nach einer Weile schüttelt er den Kopf und meint: »Nein, ich denke nicht!«
Laut seufze ich auf. Alle Indizien sprechen für sich. Niemand kann eine Seele außerhalb einer Traumerscheinung sehen, alle bis auf die Seelenbändiger. Großmutter hat mir einmal erzählt, dass nur noch drei Seelenfänger zu selben Zeit existieren können. Von Astor haben wir schon lange nichts mehr gehört. Die Prinzessin scheint ihn tatsächlich besiegt zu haben. Es wäre also nicht unmöglich, dass es sein könnte, dass Nio ebenfalls die Kraft der Seelenbändiger in sich trägt. Schließlich ist er ja auch ein Halb-Shika.
Der Orni-Krieger hat offenbar erkannt, dass es mir mit diesen Gedanken schlecht geht.
Revali legt mir seinen Flügel auf die Schultern und blickt mich mitfühlend an. »Beunruhigt es dich, dass Nio auch ein Seelenbändiger sein könnte?«
»Ja... ich weiß, was auf ihn zukommen wird, wen dem so wäre. Es würde eine Riesenverantwortung auf seinen Schultern lasten. Allerdings... Ich wäre nicht mehr alleine und wir könnten uns die Bürde teilen.«
Ich seufze lange und ausgedehnt. Mein Blick fällt Richtung Himmel, dort vermute ich die große Göttin Hylia. Die Taten der Göttin sind niemals unbedacht. Dass sie meinem Sohn mit der Kraft der Seelenbändiger gepriesen hat, muss daher seine Gründe haben. Vielleicht wollte sie mich so unterstützen oder sie wollte, dass durch Nio das Vermächtnis der Seelenfänger erhalten bleibt. Es käme mir durchaus gelegen, wenn ich nicht die Einzige mit dieser Last wäre. Andererseits will ich nicht, dass mein kleines, unschuldiges Küken eine solch große Verantwortung tragen muss. Ich will nicht, dass er daran zerbricht.
Langsam sacke ich immer mehr in meinem Unmut zusammen. Dies bleibt von meinem Gatten nicht unbemerkt. Revali rückt noch näher an mich. Zwischen uns befindet sich kein Platz mehr. Aufmunternd sieht er mich an, während er liebevoll meine Wange mit seinem Schnabel herzt.
»Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber uns hätte von Anfang an klar sein müssen, dass unsere Kinder alles andere als gewöhnlich sein werden. Zugegeben, ich dachte eher daran, dass Nakari in deine Fußstapfen treten würde. Doch dass Nio deine Kraft geerbt hat, überrascht mich mindestens genauso, wie dich.«
Verwundert blinzle ich meinen Ehemann an. »Wie meinst du denn das?«
»Naja...« Revali entfernt seinen Schnabel von meinem Gesicht und starrt stattdessen nachdenklich auf meinen Schoß, da er die richtigen Worte zu suchen scheint. »Deine Vorfahren haben in den letzten Jahren nur weibliche Seelenbändigerinnen hervorgebracht. Ich ging davon aus, dass dein Blut diese neue Tradition womöglich fortführen möchte.«
»Wie du siehst...«, sage ich und beobachte einen fröhlichen Nio dabei, wie er von Tulin gejagt wird, der gerade mit fangen dran ist. »..., ist es Zeit für Veränderungen. Doch muss es unbedingt mein Küken treffen?«
Mein liebster Orni mustert mich mit einem amüsierten und zugleich berührten Blick.
Er reibt seinen Schnabel an meiner Schulter und meint: »Dein kleines Küken wird aber wohl oder übel eines Tages erwachsen werden.«
Unbeeindruckt schnaube ich und sehe den Recken mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Dein unschuldiges Engelchen aber auch!«, kontere ich.
Revali wirkt über meine Aussage nicht gerade begeistert. Er hört auf, sich an mir zu reiben und schaut hinab zu seiner Tochter, die nun allen brüllend mit den Worten »Ich bin ein Moblin und ich ziehe euch die Federn über die Ohren!« hinterherjagt.
»Höchstwahrscheinlich...«, grummelt der Vater meiner Kinder missgestimmt. »Aber sie wird immer mein Engelchen bleiben, egal, welche Bestimmung sie auch zu erfüllen hat. Außerdem verstehe ich gar nicht, warum du dir solche Sorgen machst.« Revali bäumt sich im Sitzen auf. In seinen grünen Augen lodert der Hauch von Stolz. »Du wirst ihm eine ausgezeichnete Mentorin sein. Da bin ich mir gewiss!«
Gerade eben hat Nakari Molly gefangen, oder besser gesagt über den Haufen gesprungen, das trifft es wohl eher. Revalis Engelchen ist so ganz und gar nicht unschuldig, sie ist eher ein kleiner Wildfang. Mir ist jetzt schon klar, dass sie das Bild, das Orni von einer Frau haben, niemals erfüllen wird. Nakari setzt jetzt schon alles daran, wie ihr Vater zu werden. Sie kann es kaum erwarten, eines Tages eine Kriegerin zu sein. Nio ist da ganz anders. Er ist für sein Alter ziemlich fürsorglich und hilfsbereit. Mein süßes Küken versucht die versteckten Gefühle hinter der Fassade anderer auszumachen. Dies sind Tatsachen, die nicht für ein typisches Kind in seinem Alter sprechen. Er ist etwas ganz Besonderes, genauso wie Nakari, nur auf eine andere Art und Weise. Vielleicht wird unsere Tochter eines Tages die Kriegerin verkörpern, die Revali sich gewünscht hat. Und Nio, er hätte die Möglichkeit ein weitaus besserer Seelenbändiger zu werden, als ich es bin. Schließlich musste ich mir das Meiste selbst beibringen und Nio hätte jemanden, der ihn unterstützt.
Zögerlich lächle ich und wende Revali mein Gesicht zu. »Vielleicht hast du gar nicht so Unrecht. Mir hat niemand gezeigt, wie ich meine Kräfte am besten nutzen kann. Ich hatte Glück, dass mich die Seelen nach besten Mitteln unterstützt haben. Bei Nio wäre alles anders. Ich werde ihn von Anfang an auf seinem Weg als Seelenfänger begleiten.«
»Na, siehst du!«, raunt Revali und zieht mich in eine zärtliche Umarmung. »Ich für meinen Teil mache mir jedenfalls keine Sorgen, dass du unseren Sohn zu einer Legende machst. Du bist schließlich bereits selbst eine.«
Aus dem Augenwinkel heraus erkenne ich, dass mich Revali mit einer Mischung aus Verliebtheit und Schelm ansieht. Plötzlich beginnt er, an meinem Hals zu knabbern. Sein Schnabel kitzelt.
»Nein, bin ich nicht!«, widerspreche ich ihm und kichere, während ich versuche, seinen Schnabel von meinem Ohr fernzuhalten.
»Von mir aus, dann eben nicht«, lacht Revali und kitzelt mich weiter mit seiner Schnabelspitze. »Aber ich bin es durchaus, die größte Legende Hyrules.«
»Du ausgestopftes Daunenkissen! Hör auf so selbstverliebt zu sein!«
Sanft stoße ich meinen Mann von mir, der sofort mit seinen Federn anrückt und mich durchkitzelt.
»Ich bin nicht selbstverliebt!«, antwortet mir Revali lachend, während er mir die Tränen vor lauter Lachen in die Augen treibt. »Im Gegensatz zu dir, bin ich mir meiner Überlegenheit bewusst und ich scheue mich auch nicht davor, andere davon wissen zu lassen.«
»Aufgeplusterter Federwisch!«, fange ich prustend zu schimpfen an, während ich versuche, seine Kitzel-Attacken abzuwehren.
»Verschrecktes Hühnchen!«, kontert Revali.
Jetzt strecke ich ihm die Zunge raus. »Langstelziger Gockel!«
Das lässt Revali nicht auf mich sitzen. Er drückt sein ganzes Gewicht auf mich, sodass ich schon bald unter ihm liege und mich vor seinen heimtückischen Kitzel-Krieg nicht mehr retten kann. »Jammernde Pute!«
Nio
»Was machen eure Eltern denn da?«, fragt Molly.
Molly bleibt stehen. Sie wollte Tulin gerade fangen, aber der läuft ihr jetzt davon. Mit großen Augen glubscht sie nach oben. Papa kitzelt Mama mal wieder. Ich höre Mama und Papa lachen. Mamas Lachen ist aber viel lauter.
Nakari bleibt auch stehen. Sie dreht sich um und sieht auch, wie Mama von Papa gekitzelt wird. Breit lächelt Nakari.
»Mama und Papa spielen mal wieder. Papa kitzelt Mama so lange, bis sie keine Luft mehr bekommt. Das macht Papa auch manchmal mit mir. Das ist ganz lustig.«
Mama schreit, dass Papa aufhören soll und lacht weiter, ganz, ganz laut. Doch Papa sagt, dass er nicht aufhören wird und kitzelt Mama unaufhörlich. Schön, dass Mama und Papa Spaß haben. Papa ist immer lieb zu meiner Mama. Wir haben einen tollen Papa. Ich hab Papa sehr lieb. Viele mögen Papa nicht. Das macht mich traurig. Manchmal wünschte ich, ich könnte ihnen zeigen, wie brav mein Papa ist, dann würden sie ihn auch liebhaben.
Später sitze ich auf Mamas Schoß, draußen auf dem Balkon. Es ist kalt und dunkel, doch ich friere nicht. Ich kuschle mich einfach an Mama. Mama ist so schön weich hier oben. Papas Federn sind auch weich, aber es ist nicht das Gleiche. Mama schaut mit mir die Sterne an. Sie kuschelt uns in ihre Federjacke. Mir ist ganz warm. Ich fühle mich wohl.
Drinnen spielt Papa mit Nakari. Ich höre Schwester lachen. Papa jagt sie erstmal durchs Haus, hat sie aber schnell gefangen. Papa trägt Nakari an seinen Schreibtisch. Er erzählt von seinen Abenteuern. Nakari hört ihm zu. Ihre Augen werden ganz groß.
Ich mag Papas Geschichten auch, aber jetzt will ich nicht zuhören. Lieber will ich bei Mama sein. Hier bei Mama ist es ganz warm. Ich hab Mama ja sooooo lieb!
Mama streichelt mich, drückt mich ganz nah an sich. Ich reibe meinen Schnabel an Mama. Plötzlich hört sie auf. Wo ist Mamas Hand hin? Nicht aufhören! Bettelnd schaue ich in Mamas Gesicht. Mama lächelt. Ich mag es, wenn Mama lächelt. Mamas Lächeln ist schön.
»Nio...«, sagt Mama plötzlich zu mir. Irgendetwas stimmt mit Mamas Lächeln nicht. Mamas Lächeln ist nicht ehrlich. Ich glaube Mama ist eigentlich traurig. Aber warum? »Siehst du da oben die Sterne?«
Ich schaue nach oben. Am Himmel sind ganz, ganz viele Lichter. Sie leuchten so schön. Und über uns ist eine ganz, ganz große Scheibe. Die leuchtet auch schön. Ich nicke Mama zu und reibe meine Wange, dort wo Mama so weich ist.
Endlich streichelt mich Mama wieder. Sie gibt mir sogar einen Kuss. Ich liebe es, mit Mama zu schmusen.
»Weißt du, warum die Sterne leuchten?«, fragt mich Mama auf einmal.
Ich höre auf, mich an Mama zu schmiegen und schüttle den Kopf.
Mama zeigt auf die Lichter am Himmel. »Wenn jemand von uns geht, also wenn er stirbt, kommt er zu Hylia in den Himmel. Und wenn nachts die Sonne untergeht, da leuchten die Seelen der Verstorbenen im Dunkeln. So wie jetzt.«
»Aber Mama...«, piepse ich. »Es sind so viele. Warum sind sie denn alle gestorben?«
Traurig schaue ich Mama an. Es ist nicht schön, wenn jemand geht. Warum können nicht alle hierbleiben. Beruhigend streichelt mich Mama. Gleich bin ich nicht mehr traurig.
»Die Welt ist schon sehr alt und alle müssen irgendwann mal gehen. Aber das ist nichts Schlimmes, Nio. Hylia kümmert sich um alle, die gegangen sind. Bei ihr haben sie es gut. In Hylias Reich ist es schön. Aber... Weißt du, meine kleine Plüschkugel... Nicht alle kommen zu Hylia in den Himmel. Manchmal da wollen die Seelen dableiben, um ihre Familie zu beschützen, so wie Opa.«
»Opa?« Meine Augen werden ganz groß, als ich Mama ansehe.
Mama lächelt ganz lieb. »Ja... Opa ist nicht mehr Teil von dieser Welt. Er ist jetzt eine Seele. Er besitzt zwar keinen Körper mehr, aber dennoch ist er immer noch da und wacht über uns, über Papa, über Onkel Teba, Tante Saki, Tulin und Sita, über mich und über dich und Nakari.«
»So wie der Vogelmann?«, rufe ich begeistert.
»Also Nio... Es ist so...« Mama schaut mich ganz lange an. »Der Vogelmann mit den grünen Lichtern ist dein Opa.«
Mama sagt nichts mehr. Ich schaue von Mama weg, suche nach meinem Opa, aber er ist nicht da. Ist der Vogelmann mit den grünen Lichtern wirklich der Papa von meinem Papa?
»Mama?«, sage ich, nachdem ich Opa nicht gefunden und lange die Sterne angesehen habe. »Warum kann ich nur Opa sehen?«
»Oh! Ich kann Opa auch sehen, wenn er will, dass ich ihn sehe. Willst du wissen, warum ich das auch kann?«
Ich nicke.
»Gut!«, sagt Mama und schmust mit mir. »Weil ich eine Seelenbändigerin bin und du auch.«
»Mama? Was ist denn ein Seelen-Pampiger?«
»Ein Seelenbändiger!«, korrigiert mich Mama lachend und knufft meinen Schnabel, was mich zum Lachen bringt. »Seelenbändiger wachen über das Reich der Seelen. Sie nehmen Geister Verstorbener auf und nehmen sie mit ins Seelenreich. Die Seelenbändiger passen auf sie auf und bekommen als Gegenzug Kräfte von den Seelen. Du kennst doch zum Beispiel Mipha, Onkel Sidons Schwester.«
Mama hat mir oft von Mipha erzählt und Onkel Sidon redet auch immer von ihr. Ich mag Onkel Sidon auch ganz, ganz gern, genauso wie Onkel Daruk. Auf Onkel Daruk kann man wunderbar herumklettern und Onkel Sidon hat mir das Schwimmen beigebracht. Und wenn Onkel Daruk und Onkel Sidon sich treffen, sind sie ganz, ganz lustig und erzählen viele Witze. Ich und Nakari müssen da immer ganz doll lachen.
»Mipha hatte die Gabe, alle Auas wegzuzaubern. Und als Mipha gestorben ist, hat sie deiner Mama diese Gabe geschenkt.«
»Deshalb kannst du alle Auas wegmachen?«
Mama lächelt ganz fröhlich. »Ja... Und ich bin mir sicher, dass du das auch kannst.«
»Wirklich?« Meine Augen werden nicht nur groß, sondern ganz, ganz riesig.
»Aber ja!«, lacht Mama und wuschelt meine Haare. »Ich werde es dir zeigen, wenn du es lernen willst.«
»Kann Nakari das auch?«
Mama schüttelt den Kopf. Ich bin verwirrt. Warum kann Nakari keine grünen Lichter sehen und ich schon? Heißt das Nakari kann keine Auas wegzaubern?
»Warum nicht?«, will ich von Mama wissen.
»Hylia wollte das nur du die Kraft bekommst? Aber warum hat sie mir nicht gesagt. Nakari wird andere Dinge können. Jeder hat seine Aufgabe, weißt du Nio.«
Ich weiß nicht, was eine Aufgabe ist, aber mir gefällt der Gedanke, Auas wegpusten zu können, sowie meine Mama. So kuschle ich mich an Mama, habe sie ganz doll lieb. Mama drückt mich fest an sich. Ich rieche Mamas Duft. Mama riecht gut. Ich will immer bei meiner Mama sein.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro