29
Revali
Shanias letzter Pfeil bleibt mittig in der Zielscheibe stecken. Sie hat alle 20 Ziele getroffen. Ich bin schwer beeindruckt. Eine Schleife fliegend bringe ich uns zurück auf den Steg der Schützenhütte. Als ich mich flügelschlagend direkt über den Dielen befinde, lasse ich meine Kleine los. Mit beiden Beinen landet sie auf dem Steg. Stolz grinst sie zu mir hinauf. Ihre Augen funkeln vor Begeisterung.
Abrupt lande ich zu ihren Füßen und schreite mit majestätischer Haltung auf sie zu. Als ich vor ihr stehe, hebe ich ein leichtes bisschen den Schnabel.
»Ich denke, von nun an wird es kein glücklicher Zufall mehr sein, dass du es schaffst, tatsächlich alle Ziele zu treffen«, lobe ich sie mit verspielt anmaßender Stimme.
Meine Frau lacht und wedelt fröhlich mit ihrem Bogen vor meinem Gesicht. »Du solltest deine Bemühungen von nun an verstärken, Revali! Pass bloß auf, dass ich dir sonst deinen Titel als besten Bogenschützen nicht wegschnappe!«
Belustigt schaue ich auf die Hylianerin hinab und stemme einen Flügel an die Hüfte. Auflachend ziehe ich an meinem Mädchen vorbei, mache mit der freien Schwinge eine wegwerfende Bewegung.
»Nun werde mal nicht übermütig, kleines Fräulein! Ich dachte, ich hätte dich seit unserem Wettkampf im Felsenmassiv eines Besseren belehrt.«
Als ich gut ein paar Schritte von ihr entfernt bin, drehe ich leicht mein Gesicht, um zu meiner Gattin hinüberschielen zu können. Entspannt hat sie sich gegen das Geländer gelehnt und wirft mir einen höchst amüsierten Blick zu.
»Ich habe keinen blassen Schimmer, was du meinst. Schließlich kann ich mich noch gut daran erinnern, dass ich dich fast geschlagen hätte. Nur durch ein Missverständnis mit zwei Zielen ist mir der Sieg knapp entronnen.« Shania legt ihre rechte Hand auf ihre Brust und reckt ihre Nase mit vorgespielter Überheblichkeit in die Luft.
Kopfschüttelnd schaue ich wieder nach vorne und schmunzle über meine Kleine. Es ist immer wieder höchst vergnüglich, wenn sie mich nachmacht. So tappe ich leise lachend zum Anfang des Stegs auf die Hütte zu, wo sich meine Ausrüstung befindet. Ich knie ich mich nieder und mache mich daran, mir meinen Bogen und den Köcher umzuschnallen. Dabei überprüfe ich zusätzlich, ob die Pfeile aufgefüllt werden müssen, doch ich stelle fest, dass der Köcher immer noch voll ist.
»Soll ich uns nachher Mittagessen machen?«, fragt mich Shania plötzlich, deren Blick ich immer noch auf mir spüre.
»Sag bloß, du hast schon wieder Hunger, du kleiner Nimmersatt! Ich dachte, wir beide hätten heute Morgen gut genug gefrühstückt«, erwidere ich ihr vergnügt, während ich mich weiter um mein Equipment kümmere.
Mit einem Seitenblick schaue ich zu Shania hinüber, die nach wie vor gegen die Brüstung lehnt und mich beobachtet.
Mit beiden Händen klopft sie sich gegen den Bauch und meint: »Unser Training hat meine Frühstücksration bereits aufgebraucht. Ich fürchte, dein köstliches Omelett ist bereits vollständig verdaut.«
Vielleicht wäre eine Kleinigkeit zu Mittag keine so schlechte Idee. Wenn Shania sich schon anbietet, für mich zu kochen, so sollte ich ihr reizendes Angebot nicht ausschlagen.
»Über ein paar gegrillte Pilzspieße wäre ich tatsächlich nicht abgeneigt«, bemerke ich zu meiner Kleinen, während ich meine Aufmerksamkeit erneut meiner Ausrüstung zuwende.
»Mal sehen... Ich habe noch Trüffel, Ausdauerpilze, Fitlinge und ein paar Zitterlinge.«
»Keine Spurtpilze?« Während ich die Pfeile so durchsehe, bemerke ich, dass manche Spitzen bereits stumpf sind. Ich sollte sie noch heute schleifen. Am besten jetzt gleich.
»Nein, tut mir leid! Die habe ich gestern alle für die Pilzsuppe verwendet.«
»Die übrigens außerordentlich köstlich war«, lobe ich meine Kleine und berühre vorsichtig jede Pfeilspitze. Die Stumpfen lege ich daneben hin, die Spitzen kommen zurück in den Köcher.
»Danke! Ich gebe mir Mühe, meinen Ehemann auf jede erdenkliche Weise zufrieden zu stellen.« In ihrer Stimme verbirgt sich ein zweideutiger Klang.
Betört schmunzle ich, als ich an unseren Übungskampf denken muss. Jeden zweiten Tag kämpfe ich mit ihr, bereits fast einen Monat lang. Es ist eine äußerst interessante Erfahrung, einen richtigen Kampf mit der Hylianerin auszutragen. Zugegeben, anfangs hatte ich Sorge, sie könnte sich nicht anständig verteidigen und ich könnte sie daher versehentlich verletzen, doch meine Kleine schlägt sich überraschend gut. Sie glänzt sogar mit der ein oder anderen taktischen Überraschung. Doch offen gestanden, es ist ihr bis jetzt nicht gelungen, mich zu besiegen, auch wenn mich ihre aufreizende Art, sich in dem Kampf so verführerisch zu bewegen, ziemlich ablenken kann.
»Und das weiß ich sehr zu schätzen, meine kleine Ehefrau«, entgegne ich ihr und ernte dafür ein strahlendes Lächeln.
»Meinst du, es ließe sich einrichten, wenn wir heute noch ein wenig Schild-Schlittern gehen?«, schlägt mir meine Kleine vor.
Ihr Vorschlag wäre gar nicht so übel, leider habe ich mir vorgenommen am Nachmittag meine Schüler zu trainieren und mein eigenes Training mit Medoh sollte ich auch nicht vernachlässigen. Allerdings glaube ich, dass wir durchaus einen Kompromiss finden werden.
»Tut mir leid, mein Täubchen! Heute bin ich ziemlich beschäftigt. Aber warum gehen wir nicht morgen früh?« Geduldig warte ich auf eine Antwort, doch es kommt keine.
Mit fragendem Blick schaue ich zu Shania rüber. Sie hat den Blick von mir abgewandt und sieht zum Übungsplatz hinaus. Den Kopf schief legend, blinzle ich mein Mädchen an. Prompt gehe ich davon aus, dass sie wohl enttäuscht sein muss. Seitdem wir nach Tabanta zurückgekehrt sind, verbringen wir eigentlich nur noch zusammen Zeit, in dem wir miteinander trainieren oder zusammen essen. In unseren Flitterwochen war alles so anders, wir probierten neue Dinge aus und verbrachten ununterbrochen Zeit miteinander. Die Ausflüge, das gemeinsame Fliegen und die Spontanität müssen ihr fehlen. Zwar habe ich meine Pflichten, die ich ohne Unterlass gewissenhaft zu erfüllen weiß, doch ich kann sie verstehen, ich vermisse die Unbeschwertheit unserer Flitterwochen auch.
»Ich weiß, dass es nicht leicht für dich ist, deinen Recken mit dem Dorf zu teilen, doch ich versichere dir, Shania, wir beide werden schon Zeit für uns finden. Schließlich...«
»Hast du das auch gehört?«, unterbricht mich die Hylianerin plötzlich. Ihr Blick ist nach wie vor auf den Übungsplatz gerichtet.
Mit sofortiger Wirkung strenge ich mein Gehör an, doch ich vernehme nicht das winzigste Geräusch, das mir fremdartig vorkäme. Ich höre lediglich das Flüstern des Windes und das Krächzen einer Krähe in der Ferne.
»Vermutlich hast du nur ein paar Orni-Frauen gehört, die vorbeigeflogen sind und sich währenddessen mit Klatsch und Tratsch versorgen«, vermute ich stark.
Doch Shania schüttelt den Kopf, marschiert ein paar Schritte auf das Ende des Steges zu. »Nein, das klang, wie... Ich weiß auch nicht, aber Orni-Frauen waren es sicherlich nicht.«
Endlich habe ich das Sortieren meiner Pfeile beendet. Mit hochgezogenen Augenbrauen blicke ich auf den Haufen, den ich ausgelesen habe. 10 stumpfe Pfeile sind es. Nun sollte ich mit Shania nach Hause fliegen und diese abgestumpften Taugenichtse spitzen. Derweil kann die Hylianerin unser Mittagessen machen. Nach dem Essen werde ich dann meine Lehrlinge zusammentrommeln und anschließend...
Plötzlich höre ich, wie Shania meinen Namen schreit. Alarmiert hebe ich den Kopf. Genau in diesem Augenblick geht der Steg in die Luft. Holzteile splittern in jede erdenkliche Richtung, fliegen mir ins Gesicht. Entsetzt fahre ich hoch, die Pfeile fallen mir aus dem Flügel. Meine Augen funkeln fassungslos im Angesicht dessen, dass Shania noch eben auf dem Steg stand, der gerade zerstört wurde. Ich höre sie schreien, im nächsten Moment vernehme ich ein Platschen. Panisch renne ich zum Ende des zerstörten Stegs und stürze mich, ohne einen klaren Verstand zu bewahren, hinunter.
»Gütige Hylia! Shania! Shania, wo bist du?«, schreie ich etwas zu schrill, im Eifer meiner aufsteigenden Panik.
Wo ist sie nur? Was ist passiert? Warum ist der Steg in die Luft geflogen?
Meine scharfen Augen suchen das Wasser ab, noch ehe ich die Hälfte des Abgrunds erreicht habe. Bevor ich meine Frau unter all den Trümmern im Teich ausfindig machen kann, werde ich von allen Seiten beschossen. Auf den Felsen über mir, kann ich die maskierten Gesichter der Yiga erkennen. Verdammt! Das ist ein ausgeklügelter Hinterhalt! Wir werden angegriffen.
Gekonnt manövriere ich mich aus der Salve an Pfeilen heraus und setze zum Gegenangriff an. Kurz lande ich auf einen Felsen, der wie ein kleiner Turm aus dem Wasser ragt und lasse mich in die Luft befördern. Der Wirbel schützt mich, verhindert, dass ich von den Pfeilen des Yiga-Clans getroffen werde. Als ich eine bestimmte Höhe erreicht habe, bin ich an der Reihe, mir diese Hallunken vorzuknöpfen. Meine scharfen Augen machen jeden Einzelnen von ihnen aus. So greife ich an, als Rache, dass sie meiner Frau bedroht haben. Ich durchbohre sie mit einem Regen aus Pfeilen oder schnappe mir den einen oder anderen von ihnen persönlich, um ihn gegen die Wand zu werfen. In wenigen Augenblicken ist der Platz geräumt.
Keuchend lande ich kurz auf einem Felsen, um zu verschnaufen. Da spüre ich plötzlich ein Zwicken in meinem Flügel. Zögerlich hebe ich meine Schwinge. Mit verärgertem Gesichtsausdruck stelle ich fest, dass es einem der Clowns tatsächlich gelungen ist, mich zu treffen. Unter einem unterdrückten Krächzen ziehe ich mir den Pfeil aus dem Fleisch. Blut spritzt auf den leicht verschneiten Felsen.
Doch es ist mir gleichgültig, dass ich verletzt bin. Ich muss Shania finden. Einer der Trümmer könnte auf sie gestürzt sein und sie bewusstlos geschlagen haben. Sie könnte ertrinken. Und wenn die Explosion sie in Stücke gerissen hat? Unwirsch schüttle ich den Kopf. Nein, das darf nicht sein!
Im Eifer meiner Angst stürze ich mich vom Felsen hinunter zum Teich, der den Grund der Schlucht ausmacht. Dicht fliege ich über dem Wasser, blicke hektisch in jede Richtung. Schockiert stelle ich fest, dass der Teich an manchen Stellen so gar nicht tief ist. Und wenn Shania sich bei dem Sturz das Genick gebrochen hat? Bitte, Hylia! Sorg dafür, dass es ihr gutgeht! Sie darf nicht...
Mein Herz setzt einen Moment lang als, als ich ihren Körper im Wasser treiben sehe, mit dem Gesicht nach unten.
»Nein...«, murmle ich und stürze mich unter einem erstickten Laut auf sie.
Meine Schritte peitschen durch das Wasser. Auch hier ist die Stelle seicht. Abrupt bücke ich mich nach meiner Kleinen, knie mich zu ihr in das stechend kalte Nass. Mit zitternden Flügeln drehe ich sie um. In ihrem Gesicht haben sich Kiemen gebildet. Hylia, sei Dank! Wenigstens konnte sie Atmen. Aber sie atmet doch noch, oder? Die nackte Angst erfasst mich, als ich mein Ohr an Shanias Brust drücke. Doch da, ein Herzschlag! Und auch ihren Atem kann ich hören! Schnell taste ich den Körper meiner Frau ab, vergewissere mich, ob etwas gebrochen oder sie anderweitig verletzt ist. Das Wasser hat sie unterkühlt und der Sturz sowie die Explosion haben Wunden und Schrammen hinterlassen, aber es ist nichts, was sie nicht problemlos heilen könnte.
Mit dem Flügel wische ich ihr die Strähnen aus dem Gesicht. Zärtlich schnäble ich ihre Nase und flüstere ihr ins Ohr, dass sie wieder zu sich kommen und sich heilen soll. Doch dann spüre ich plötzlich einen entsetzlichen Schmerz in meinem Flügel. Es brennt wie Feuer. Gepeinigt schreie ich auf. Ich möchte nach meiner Schwinge sehen, doch geschockt stelle ich fest, dass ich sie nicht mal mehr heben kann.
»Alles ist irgendwie... taub!«, bemerke ich mit gedämpfter Stimme und muss hilflos mitansehen, wie all meine Körperglieder erschlaffen.
Bevor ich zusammenbreche, drehe ich mich so, dass ich mit dem Rücken voran ins Wasser falle. Röchelnd ringe ich um Atem. Im nächsten Augenblick fühle ich mich miserabel. Die Welt verschwimmt vor meinen Augen. Es gelingt mir nicht mal, die kleine Fingerfeder zu heben. Und dann werde ich plötzlich so müde. Die eisige Kälte, die ich vorher verspürte, schwindet. Nun fühle ich gar nichts mehr. Nur noch der Wunsch nach Schlaf bleibt. Blinzelnd versuche ich gegen die todbringende Müdigkeit anzukämpfen. Ich darf nicht schlafen. Das Dorf, ich muss es beschützen. Wir werden angegriffen. Und Shania... Bestimmt sind die Yiga nur wegen ihr her. Sie wollen ihre Sache von damals beenden, sie wollen meine Frau umbringen. Das darf ich nicht zulassen, ich muss... ich muss...
Meine Lider werden immer schwerer. Meine Muskeln sind gelähmt. Meine Sinne werden schwächer. Mein Herzschlag wird immer langsamer. Meine Augen fallen zu. Mich umfängt die Dunkelheit. Da ist nur noch der Wind, den ich heulen höre, doch selbst der wird immer leiser... leiser... immer leiser, bis er nur noch einem Flüstern gleicht.
»Wach auf!«, flüstert der Wind. »Revali, wach auf!«
Doch ich höre nicht auf sein Wispern, ich bin zu müde, ich will schlafen.
»Revali...«
Da ist da plötzlich dieses grüne Licht, das mich wieder ins Leben zurückruft. Das Heulen des Windes wird wieder lauter. Zaghaft gelingt es mir, wieder meine Glieder zu rühren. Meine Sinne kehren zurück. Ich kann die Luft schmecken und das kalte Wasser fühlen. Schockartig reiße ich die Augen auf. Unruhig hasten meine Pupillen umher. Unkontrolliert peitschen meine Flügel ins Wasser. Alles dreht sich, mir ist schwindelig. Am liebsten würde ich mich umdrehen und mich übergeben, doch dann... Doch dann sehe ich sie, meinen Engel ohne Flügel.
»Revali! Geht es dir gut?« Shania hockt im Wasser. Wahre Sorge spiegelt sich in ihren treuherzigen, braunen Augen. »W-was ist passiert? Bist du etwa vergiftet worden?«
Plötzlich spüre ich ihre Hand auf meinem Schnabel. Mit einer wischenden Bewegung streicht sie darüber. Anschließend hebt sie ihre Hand hoch, sodass ich sie sehen kann. Auf ihren Fingern befindet sich nun eine gelbliche, schaumartige Substanz. Meine Augen weiten sich. Kam diese ekelhafte Zeug etwa aus meinem Schnabel? Dann erinnere ich mich plötzlich an den einen Pfeil, der mich erwischt hat. Im nächsten Moment fällt mir auch wieder ein, wie sehr mein Flügel gebrannt hat, bevor ich zusammengebrochen bin. Tja, kein Zweifel, die Pfeilspitze war eindeutig vergiftet.
Als es mir gelingt, mich wieder kontrollierter zu bewegen, hilft Shania, mich aufzusetzen. Angewidert spucke ich den Rest des Schaumes aus, der sich in meinem Schnabel gebildet hat und schüttle mich. Wir befinden uns immer noch im Wasser. Meine Kleine zittert. Ihr kleben die nassen, schwarzen Strähnen ins Gesicht. Prompt bemerke ich, dass auch mein Körper bebt, selbst mir ist kalt.
»S-Shania, i-ist a-alles in Ordnung m-m-m-mit d-d-dir?«, stammle ich bibbernd vor Kälte und Erschöpfung. »D-der St-Steg w-w-wurde i-in die Luft g-gesprengt. D-d-d-d-du bist g-g-gefallen... i-ich habe mir s-s-solche S-S-Sorgen gemacht.«
»Sssschhhttt...«, beruhigt mich Shania, streichelt die Federn an meinen Wangen und schenkt mir einen liebevollen Blick. »Mir geht es gut. Ich habe mich geheilt. Siehst du?«
Die süße Hylianerin nimmt meinen Flügel in ihre Hand und führt ihn zu ihrem Oberkörper, wo ihr Herz unbeirrt in ihrer Brust schlägt.
»Es ist alles okay«, versichert mir Shania nochmals. »Um dich habe ich mir mehr Sorgen gemacht.« Ein trauriges Lächeln besudelt ihr wunderhübsches Gesicht. »Aber sag mal, Revali, was ist eigentlich passiert? Wer hat uns angegriffen?«
»Die Y-Yiga!«, schnaube ich empört und erhole mich langsam von meinem Schüttelanfall.
Erschrocken zuckt Shania zusammen. »Was? Die Yiga? Aber... Wieso?«
Ihr Blick wandert zum bewölkten Himmel hinauf an den Felsen vorbei, wo die Yiga uns wahrscheinlich die ganze Zeit über beobachtet haben.
»Das f-fragst d-du noch?« Vorsichtig versuche ich aufzustehen. Shania und ich helfen uns gegenseitig dabei. »S-sie wollen dich! Ganon mag zwar v-versiegelt worden sein, aber in ihrer Perspektive bist du trotzdem immer noch der Untergang Hyrules, weil er d-durch dich immer noch in die reale Welt gelangen könnte. Ihre b-bescheuerten Ansichten werden sich durch Kogas Tod nicht geändert haben.«
Nun stehen wir da, beide auf wackeligen Beinen und stützen uns.
»Revali... Ich glaube nicht, dass es ihnen reichen wird, mich umzubringen. Sie wollen dich leiden sehen, Supah will dich leiden sehen. Du hast seinen Vater umgebracht. Er will Rache.« Kummervoll schaut mich Shania an, als sie mir ihre Gedanken mitteilt.
Schwer atmend bedenke ich meine Kleine mit einem ausdruckslosen Blick. Schnell wird mir klar, dass die Hylianerin nicht ganz unrecht hat. Kogas Tod geht auf mein Konto. Sein Sohn will sich wahrscheinlich an mir rächen.
»Wir müssen schnellst möglichst ins Dorf«, sage ich zu Shania und versuche, wieder zu Kräften zu kommen. »Es wird sich schnell herumsprechen, dass wir ihr Attentat überlebt haben.«
»Kannst du überhaupt schon wieder fliegen? Außerdem sind wir beide pitschnass, wir würden nur erfrieren.«
»Dank dir geht es mir wieder besser«, entgegne ich meinem Mädchen, nachdem ich meinen Flügel bewegt habe. »Ich werde uns jetzt hier rausfliegen. Danach trocknen wir das Nötigste und begeben uns dann blitzschnell ins Dorf. Komm!«
Nachdem wir so vorgegangen sind, wie besprochen, kehre ich mit meiner Frau ins Dorf zurück und trommle in Windeseile meine Krieger zusammen. Glücklicherweise sind die Yiga noch nicht ins Dorf vorgedrungen, doch lange wird das nicht so bleiben. Mit Teba und Shania an meiner Seite klügle ich einen Plan aus, um unser Dorf zu beschützen, denn ich bin mir sicher, dass der Gegenangriff der Yiga nicht lange auf sich warten lässt.
Vor den Pforten des Dorfes warte ich im rieselnden Schneefall auf die Yiga, die unser Wachposten bereits erspäht hat. Hinter mir steht zu meiner Rechten mein bewaffneter Bruder, auf der linken Seite befindet sich Shania, die ihre Doppelschwerter fest in ihren Händen hält. Mein Adlerbogen ruht noch auf meinem Rücken, doch ich bin mir sicher, dass er schon bald zum Einsatz kommen wird.
Plötzlich erspähen meine Augen etwas im Schnee, eine einzelne Gestalt. Sie kommt auf uns zu. Schon bald kann ich seinen großgewachsenen, muskulösen Umriss erkennen. Doch erst als ich seinen auffallenden Kopfschmuck und die angerissene, weiße Maske mit dem roten, aufgemalten Auge sehe, bin ich mir hundertprozentig sicher, dass es sich um Supah handelt. Unbeirrt schreitet er auf uns zu. Allmählich bringt die trübe Sicht des Schneetreibens auch seine Anhänger zum Vorschein. Es sind nicht wenige, aber selbst das wird ihm nichts nützen. Teba, Shania und der Rest meiner kampferprobten Krieger, die sich hinter mir befinden, machen sich kampfbereit und gehen in Stellung über. Das große Holztor hinter uns ist geschlossen und verbirgt das Ufer des Orni-Sees und die Brücken die zum Dorf führen.
Einige Flügellängen vor uns bleibt der neue Anführer des Clans stehen. Seine Hände ruhen auf den Griffen seiner langen Schwerter, die in ihren Scheiden stecken. Seine Anhänger verharren ebenfalls, warten die Befehle ihres Meisters ab.
Erhaben stemme ich die Flügel an die Hüfte und erhebe meinen Schnabel. »Ein weiter Weg von der Wüste bis hierher in den kalten Norden. Darf ich fragen, was dich hierher verschlagen hat?«
»Rache!«
»So etwas habe ich mir schon gedacht. Aber dafür hättest du nicht extra herkommen brauchen. Ich hätte dir deine Niederlage auch als Paket in die Wüste geschickt.«
»Wie ich sehe, nimmst du den Schnabel immer noch voll«, erwidert mir der großgewachsene Yiga mit ruhigem, aber missgünstigem Ton. »Hat dir das Gift geschmeckt?«
Angewidert schnaube ich. »Hm! Es war etwas lähmend im Abgang. Aber wie du siehst, habe ich selbst das überlebt.«
»Ja...« Sein verhüllter Blick fällt auf meine Ehefrau. »Dein Weib hat ihren Teil dazu beigetragen. Aber sie wird dich nicht ewig vor mir beschützen können.«
»Verschwende nicht deine Zeit!« Mit hasserfülltem Blick und verschränkten Flügeln schreite ich drei Schritte auf Supah zu. »Ich werde nicht zulassen, dass ihr auch nur einen Fuß ins Dorf der Orni setzt.«
Supah steckt sein rechtes Schwert aus der Scheide und zeigt damit auf mich. »Du hast Koga, den Großmeister der Yiga, auf dem Gewissen. Sein Blut klebt an deinem Gefieder. Ich will dich für deine abscheuliche Tat leiden sehen. Du wirst zusehen müssen, wie dein Dorf fällt und jeder, der dir lieb und teuer ist. Ich werde sie alle qualvoll vor deinen Augen zugrunde gehen lassen und erst dann, wenn ich dich diesen Moment auskosten habe lassen, werde ich dir den Kopf von den Schultern trennen.«
Ein grausiges Bild flammt vor meinem geistigen Auge auf, das Dorf ist zerstört, Teba wird von den Yiga erstochen, Shania liegt Tod in meinen Flügeln und das Letzte, was ich sehe, ist die aufblitzende Klinge des Yiga-Anführers. Nein, das wird nicht passieren! Er und seine dahergelaufene Bande haben keine Chance gegen uns.
»Komm und versuch es doch!«, fordere ich ihn lauthals heraus.
Plötzlich vernehme ich Supahs kehliges, ekelhaftes Lachen. Er besitzt tatsächlich die Frechheit, legt den Kopf in den Nacken und lacht aus vollem Hals. »Revali, Krieger der Orni und oberste Recke... Er hält sich für so gerissen. Zugegeben, dein Schlachtplan war gar nicht so schlecht, doch leider hast du da ein paar Abtrünnige in deinen Reihen.«
In demselben Augenblick höre ich erschrockenes Gemurmel und entsetztes Aufkeuchen hinter mir. Teba, ich und Shania drehen uns um. Entsetzt funkeln wir die Orni-Krieger an, die sich zwischen den Echten als Yiga-Kämpfer enttarnen. Prompt stürzen sie sich mit ihren Schwertern auf meine wahrhaftigen Orni-Krieger.
»Unmöglich!«, fluche ich, reiße mir den Bogen vom Rücken und wende mich Supah zu.
»Und du sagtest noch, du würdest nicht zulassen, dass wir nur einen Fuß ins Dorf setzen? Dabei waren wir schon längst da, die ganze Zeit über.«
Rasend vor Wut werfe ich mich mit Pfeil und Bogen auf den närrischen Anführer der Yiga-Bande. Ein heißblütiger Kampf entbrennt.
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