9
Revali
Seit der Feier ist eine weitere Woche vergangen. Ich kann nicht behaupten, dass es mir inzwischen besser geht, aber ich habe gelernt, mit dem Schmerz in meiner Brust umzugehen. Shania fehlt mir immer noch schrecklich, trotzdem gelingt es mir nun, mich wieder zu konzentrieren.
Im Stand aus treffe ich ein Ziel nach dem anderen. Nach wenigen Augenblicken habe ich alle 20 Zielscheiben erwischt. Ausdruckslos nicke ich und mache mit Pfeil und Köcher auf zum nächsten Parcours. Da vernehmen meine Ohren plötzlich schwere Schritte im Schnee. Überrascht zucke ich zusammen, als ich einen großen, überbreiten Goronen auf mich zukommen sehe. Sofort bleibe ich stehen und nehme eine ungehaltene Pose ein. Daruks runde Augen blicken sorgenvoll auf mich herab, als er schließlich genau vor mir zum Stehen kommt. Eine Zeit lang schauen wir uns schweigend an, bis ich mit herablassendem Gesichtsausdruck den Schnabel hebe und meine Flügel verschränke. Meinen Adlerbogen halte ich dabei nach wie vor in den Schwingen.
»Was machst du denn hier?« Meine Stimme klingt dabei ganz und gar gefühlskalt.
Der große, bärtige Koloss wirft mir einen betretenen Blick zu und kratzt sich am Hinterkopf.
»Wäre es erst nicht mal angebracht, sich zu begrüßen, Bruder?«
»Pah! Nenn mich bloß nicht deinen Bruder!«, krächze ich erbost und schlendere an dem Goronen vorbei.
Stur halte ich auf den nächsten Parcours zu, ignoriere dabei den Steinmann, der mir folgt.
Was will er hier nur so weit weg von Eldin? Er sollte in Goronia sein und sein Dorf beschützen. Stattdessen ist er hier. Ob sein schlechtes Gewissen ihn dazu verleitet hat?
»Revali, ich wollte mit dir reden...«
»Und wie kommst du darauf, dass ich das will?«, erwidere ich ihm, ohne ihn anzusehen. »Du siehst ja, ich bin beschäftigt, also...«
Natürlich ist es unhöflich, den Großen nach seinem langen, beschwerlichen Weg wieder wegzuschicken, aber er ist selbst schuld. Ich habe ihm nicht befohlen, dass er hierherkommen soll. Im Grunde ist er einer der Letzen, den ich gerade sehen will. Darüber hinaus bin ich ziemlich wütend auf ihn. Er hat vorgegeben, dass er mein Freund ist und trotzdem hat er mir nichts gesagt. Genau, er wusste, dass Shania verlobt ist und hat geschwiegen. Elender Feigling!
»Mir war ja klar, dass du ein sturer Gockel bist, aber...«
»Ach komm, steck dir das sonst wohin!«, schnaube ich, als ich stehenbleibe und den Bogen anlege.
Nun befinde ich mich vor der nächsten Wand. Meine Augen fixieren meine Ziele, berechnen in Windeseile die Reihenfolge, in der ich sie treffen will. »Dein Weg hierher war umsonst. Es gibt nichts, was ich mit dir zu besprechen hätte.«
Oder vielleicht hat ja Shania ihn geschickt, weil sie ein schlechtes Gewissen hat. Vielleicht will sie nochmal mit mir reden. Obwohl mein Herz bei diesem Gedanken wie wild hämmert, werde ich wütend. Ich will nicht mit Shania reden, mich mit ihr versöhnen und im Guten mit ihr auseinandergehen. Das Einzige, was ich will, ist meine gottverdammte Ruhe!
»Jetzt hör mir zu...«
»Du bist hier nicht willkommen, Daruk!«, zische ich. Mein Blick ist dabei auf den Pfeil gerichtet, den ich soeben auf die Sehne spanne.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerke ich, dass mich Daruk verwundert anblinzelt.
»Ist ja ne eiskalte Schulter, die du mir da zeigst!«
»Und in wie fern wundert dich das?« Mit einem Mal senke ich den Bogen wieder. Die gespannte Sehne erschlafft. Der Pfeil baumelt haltlos in meinen Fingerfedern. Ich strafe den Goronen mit einem abweisenden Blick. »Du wusstest die ganze Zeit über, das Shania verlobt ist, nicht wahr? Deshalb bist du ja hier, weil du um Vergebung betteln willst. Dein armes Gewissen kann die Schmach offenbar nicht mehr ertragen. Tja, tut mir leid, dass du den weiten Weg extra wegen mir in den kalten Norden gekommen bist. Nur leider muss ich dir sagen, dass du wieder gehen kannst. Ich werde dir nicht zuhören.«
Daruk grunzt lediglich überrascht. Als er mir sonst nichts anderes entgegnet, wende ich mich wieder den Zielen zu. Ich kneife die Augen zusammen und spanne den Bogen, drei Pfeile gleichzeitig ziehe ich auf die Sehne. Abrupt lasse ich sie los, alle treffen. Erstaunt zuckt der Gorone zusammen. So wiederhole ich den Vorgang, wieder und wieder, im Sekundenbruchteil steckt in allen Zielscheiben ein Pfeil, direkt in der Mitte. Zufrieden über mein ausgezeichnetes Ergebnis, stemme ich den Flügel an die Hüfte und wende mich Daruk wieder zu.
»Wie du siehst, bin ich in Topform. Wenn du dich also vergewissern wolltest, ob es mir gutgeht, dann hast du hiermit die Bestätigung. Ich bin oberste Krieger der Orni. Etwas Anderes hat mich im Leben noch nie interessiert«, gebe ich ihm mit selbstgefälliger Stimme zu verstehen.
Daruk allerdings gibt sich ziemlich unbeeindruckt. Er fährt sich mit der rechten Hand durch seinen Bart und schaut auf mich herab.
»Mach dir doch nichts vor! Wenn es so wäre, würdest du dich kaum so verhalten.«
Ohne ihm eine Antwort zu erteilen, drehe ich mich von ihm weg. Ich werde jetzt meine Pfeile wieder einsammeln und dann werde ich mein Training von vorn beginnen. Den Goronen werde ich dabei gänzlich ignorieren. Er kann mir ja zusehen und mich bewundern, wenn er möchte. Es stört mich nicht. Irgendwann wird er schon aufgeben und verschwinden.
»Jetzt halt endlich den Schnabel!« Erstaunt erhebe ich den Kopf, als Daruk sich plötzlich mir in den Weg stellt. Finster blicke ich den Goronen an, als er damit fortfährt, mich weiter zu belästigen. »Loreena ist in großer Gefahr.«
Empört lache ich auf. »Und warum sollte mich das noch interessieren? Sie hat doch jetzt ihren großen, starken Prinzen. Soll der sie doch retten, wenn sie sich wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht hat. Oder ist er sich etwa zu fein dafür?«
»Aber sie ist doch gar nicht bei Sidon. Sie hat...«
Ich komme gar nicht auf die Idee, diesen dummen Felsbrocken ausreden zu lassen. »Verstehe schon, Miss-Das-Schaffe-Ich-Allein ist wiedermal alleine losgezogen. Tja, dann muss das Prinzlein sie eben wieder selbst einfangen. Also wenn du nun so gut sein und mir aus dem Weg gehen würdest...«
»Shania hatte recht, du bist ein verdammt schlechter Zuhörer!«, grummelt der Gorone.
»Na klar, verstehe schon, du bist ganz und gar auf ihrer Seite.« Abrupt verdrehe ich die Augen.
So schnell und wendig, wie ich bin, husche ich an dem Tölpel vorbei. Ich möchte mich bereits agil in die Lüfte erheben, da packt mich der Grobian ganz plötzlich an den Schwanzfedern. Gepeinigt krächze ich auf. Nicht die Schwanzfeder, verdammt! Wenn etwas an meinem Körper extrem empfindsam ist, dann jawohl meine arme Schwanzfeder.
Erbost drehe ich mich zu ihm um, bereit mich mit ihm anzulegen, wenn es sein muss, da schreit er mir plötzlich ins Gesicht: »Loreena hat dich gar nicht verlassen, du Blödkiesel!«
»Natürlich hat sie das, sie hat sich für den Fischkopf entschieden!«, brülle ich zurück und reise ihm meine Schwanzfeder aus der Hand.
»Nein, hat sie nicht! Aber wie sollst du das auch wissen, du bist weggeflogen, bevor sie dir das hatte sagen können.« Daruks Stirn kräuselt sich von den ganzen Zornesfalten.
Mindestens genauso wütend wie er, schnauze ich zurück: »Was meinst du damit?«
Die Verärgerung weicht von Daruks Gesicht. Er seufzt und richtet sich auf. Seine Miene wird wieder weicher.
»Loreena ist nicht wieder mit Sidon zusammen. Sie wollte ihre eigenen Angelegenheiten vorerst aufgeben, um mit dir ins Orni-Dorf zurückzukehren, damit dich deinen Aufgaben als Krieger widmen kannst.«
»Pfft! Wer hat dir denn das erzählt?« Verächtlich verdrehe ich die Augen.
»Sidon hats mir gesagt und jede Silbe davon war ernst gemeint«, meint der Gorone überzeugt.
Unbeeindruckt schnaube ich. »Das glaubst du ja selbst nicht.«
»Jedenfalls ist Loreena jetzt alleine abgehauen, um Kakariko zu finden. Die Yiga und Ganons Schergen sind ihr auf den Fersen und sie ist ganz allein da draußen. Sie wird es nicht schaffen, Revali! Wir beide wissen ganz genau, was letztes Mal passiert ist, als sie alleine war. Dieses Mal wird sie wahrscheinlich nicht nur ihre Erinnerungen verlieren.«
Höre ich da etwa ein Flehen in seiner Stimme? Bettelt mich Daruk etwa an, seine Schwester zu finden? Abrupt habe ich das Bild von der dunklen Shania im Kopf. Am darauffolgenden Tag, als Shania wieder einmal von Ganon überwältigt worden ist, hatte ich einen Traum davon, dass der Schweinepriester sie zu seinem Eigentum gemacht hat. Die Hylianerin sah ganz anders aus, sie hatte rote Augen und trug ein ziemlich anzügliches, schwarzes Kleid. Sie war böse, sie war sein eigen und sie besaß keine Seele mehr. Das wird wohl aus ihr werden, wenn er eines Tages ihren Willen bricht.
»Das liegt nicht mehr in meinen Flügeln«, antworte ich dem Goronen leicht bekümmert und starre auf meine Schwingen. »Ich bin nicht mehr ihr Beschützer und schon gar nicht mehr ihr Gefährte.«
Dann erinnere ich mich an den nächsten Traum, den Traum, den ich vor wenigen Tagen hatte, bevor ich vor rasender Wut meine Hütte auseinandergenommen habe. Shania ist allein. Niemand ist da, um sie vor Ganons Grausamkeit zu beschützen. Ich sollte diesen Part übernehmen, doch ich habe sie im Stich gelassen.
»Du musst mitkommen und mit mir nach ihr suchen. Nur auf dich wird sie hören!«, fleht mich der Große nahezu an.
Abrupt lache ich auf und werfe dem Goronen einen skeptischen Blick zu. »Die Kleine hat ihren eigenen Kopf. Mir hat sie noch nie gehorcht.«
Mit sofortiger Wirkung erinnere ich mich an die vielen Male, in denen sie meine Befehle ignoriert hat. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mich ihre halsbrecherischen Aktionen zur Verzweiflung gebracht haben.
»Das siehst du falsch, Bruder! Du bist ihre stärkste Waffe. Ohne dich wird sie sich gegen die Dunkelheit nicht erheben können, ohne dich ist sie Ganon schutzlos ausgeliefert. Und das weiß sie. Revali! Sie braucht dich!«
»Nein...« Wieder schüttle ich den Kopf. »Nicht mehr! Sie hat jetzt den Prinzen.«
»Wie oft denn noch?«, brummt Daruk genervt. »Sie ist nicht mit Sidon zusammen. Sie hat sich für dich entschieden, du Idiot! Wenn du nächstes Mal andere belauschst, solltest du vielleicht besser zuhören, statt nur die Hälfte mitzubekommen und dir den Rest zusammenzureimen.«
Verwirrt hebe ich den Kopf. »Was meinst du damit?«
»Loreena war in der Nacht, bevor du gegangen bist, in seinem Zimmer, ja. Aber die beiden haben nur geredet, nichts weiter. Meine Schwester wollte dir am nächsten Tag sagen, dass sie mit dir ins Orni-Dorf zurückkehren möchte, statt nach ihrer Mutter zu suchen. Sie wollte das für dich hintenanstellen. Du warst ihr nämlich wichtiger.«
Ungläubig starre ich zu dem Großen zurück. Kann es wirklich sein, dass er die Wahrheit spricht? Falls ja, dann...
»I-ist das wirklich wahr?«, stammle ich überwältigt.
Entschlossen nickt mir der Gorone zu. »Ja, Bruder! Es ist wahr! Loreena hat dich nie verlassen. Genau genommen hast du sie verlassen und sie war am Boden zerstört. Wahrscheinlich wird sie dich genauso vermissen, wie du sie. Mannomann! Ihr beide seid aber auch zwei Sturköpfe.«
»Also hat sie in dieser Nacht gar nicht mit ihm geschlafen und sie will auch nicht mehr mit ihm zusammen sein?«
Langsam schüttelt Daruk den Kopf als Antwort.
Meine grünen Augen flimmern rastlos im Angesicht der Tatsache, dass Shania doch noch mein sein könnte.
»Hast du eine Ahnung, wo sie ist?«, frage ich den Goronen aufgebracht.
»Loreena wird die Gerudo finden wollen, die sie als Baby zu uns gebracht hat.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«, meine ich kritisch an ihn gerichtet.
»N-nun ja...« Mit einem Mal kramt der Dicke in seiner Tasche herum und fischt ein Blatt Pergament heraus. »Loreena hat mir einen Brief geschickt. Ein paar Tage später kam Sidon zu mir und hat mir noch mehr über die Sache, die zwischen euch dreien vorgefallen ist, erzählt. Der Zora hat mich regelrecht angefleht zu dir zu gehen, weil er davon überzeugt ist, dass sie nur dir zuhören wird. Loreena hat einen Brief an mich geschrieben und einen an Sidon. Du kannst beide haben.«
Meine Augen weiten sich. »Und das sagst du mir erst jetzt?«, schreie ich und reiße ihm die Briefe aus der Hand.
Im Stand lese ich hastig die geschriebenen Zeilen. Eindeutig erkenne ich Shanias Handschrift. In dem Brief berichtet die Hylianerin ihrem Bruder von ihrer Reise. Ungläubig schüttle ich den Kopf, als ich lese, dass Shania tatsächlich Kakariko gefunden hat. Sie hat eine Großmutter, eine Cousine und einen Cousin mit dem Namen Link. Dieser besagte Link begleitet sie zur Gerudo-Wüste, dort will sie die Gerudo antreffen, die mit ihrer Mutter einst befreundet war. Sie hat einiges über diese Yiga herausgefunden, die sie verfolgen. Angeblich sollen sie einst auf der Seite ihres Vaters gestanden haben, doch das Herz ihres Anführers soll sich mit den Jahren verfinstert haben und so ist er zu dem Entschluss gekommen, dass die Seelenbändiger etwas Böses seien und die Verheerung Ganon in die Wege leiten werden. Deshalb will der Clan Shania also aufhalten. Als ich die nächste Seite lese, stockt mir schließlich der Atem. Sie bittet Sidon um Verzeihung, dass sie ihn mit einem Blitzpfeil gelähmt hat, damit dieser ihr nicht folgen konnte. Außerdem bedauert sie zutiefst, dass sie mich verloren hat und dass sich wünschen würde, ich wäre immer noch bei ihr. Aber sie ist der Meinung, dass sie es verdient habe, das alles alleine durchzustehen.
Der Innenraum meines Schnabels fühlt sich nun staubtrocken an. Daruk hatte recht, es ist alles wahr. Shania hat mich nie verlassen. Sie liebt mich immer noch. Erst jetzt wird mir klar, was für ein Spatzenhirn ich doch bin.
»Und?«, fragt mich Daruk und sieht mit verschränkten Armen auf mich herab. »Hilft du mir nun Loreena zu finden oder muss ich dich wieder in den Schwitzkasten nehmen und die ganze Strecke über tragen?«
Schockiert fahre ich zusammen und weiche sicherheitshalber eine Flügelspannweite von ihm zurück.
»Bloß nicht!« erwidere ich ihm und hebe abwehrend die Flügel.
Daruk lacht erheitert, als er meine panische Gestalt erkennt.
So drehe ich mich von Daruk weg und beginne erneut, Shanias Briefe zu lesen. Fassungslos schüttle ich immer wieder den Kopf, weil ich es einfach nicht glauben kann. Shania liebt mich immer noch. Sie ist nie zu dem Flossenheini zurückgekehrt. Die Hylianerin hat mich schmerzhaft vermisst. Sie bereut das, was geschehen ist, zutiefst. Langsam hebe ich meinen Blick und stelle mir die Fragen aller Fragen. Will Shania mich immer noch zurück? Ist es noch nicht zu spät?
Oder doch? Vielleicht ist es ja zu spät? In meinen Gedanken spielt sich plötzlich eine Szene ab. Es ist dunkel. Der sternenklare Himmel zeichnet sich über mir ab. Neben mir steht Shania. Sie dreht mir den Rücken zu und verschränkt die Arme. Eben habe ich ihr gestanden, wie sehr es mir leidtut, dass ich sie vermisst habe und dass ich unbedingt zu ihr zurückwill.
Doch Shania schüttelt den Kopf und sagt zu mir: »Nein, Revali! Du hast es vermasselt! Was will ich mit einem Gefährten, auf den ich mich nicht verlassen kann. Ich hätte dich gebraucht. Ja, Revali, ich hätte dich wirklich gebraucht! Aber du warst nicht da. Du hast mich einfach im Stich gelassen. Es tut mir leid, aber es ist vorbei. Ich kann nicht wieder mit dir zusammen sein.«
Ich habe Daruk gebeten, auf mich zu warten. Er befindet sich nun im Stall vor unserem Dorf. Bei dem Gedanken der Koloss würde auf den Planken des Gerüsts, das unser Dorf zusammenhält, herumtrampeln, wurde mir speiübel. Deshalb fand ich es besser, dass er erstmal in der Stallung bleiben sollte, bis ich die Formalitäten geklärt habe.
Zögerlich betrete ich Tebas Haus. Peinlich berührt bleibe ich am Eingang stehen und starre auf dem befremdenden Anblick, der sich mir bietet. Mein Bruder sitzt auf dem Ei, das seine Frau vor kurzem gelegt hat. Zunächst bemerkt mich der graue Orni gar nicht. Ganz gebannt schaut er auf sein Ungeborenes hinunter. Verlegen kratze ich mich an der Stirn und überlege, ob ich später noch einmal zurückkehren soll. Da hebt Teba seinen Kopf und nimmt mir die Entscheidung ab. Unsere Augen treffen sich. Sein Schnabel läuft mit einem Mal knallrot an und seine Pupillen weiten sich vor Überraschung. Die Betretenheit meines Bruders bringt mich zum Schmunzeln.
»Komme ich gerade ungelegen?« Ich trete einen Schritt vor und vollziehe eine erhabene Pose.
Mein Bruder räuspert sich, doch als er spricht, klingt sie immer noch einen Tick zu hoch. »Was willst du, Revali?«
»Wenn du so sehr mit brüten beschäftigt bist, kann ich auch später wiederkommen«, erwidere ich ihm höchst amüsiert.
Teba schnaubt ergeben und beginnt ziemlich, umständlich von dem Ei herunter zu steigen. »Schon gut... Saki ist mit Tulin einkaufen gegangen. Sie wollte mit ihm etwas Zeit verbringen, weil sie der Meinung war, dass er in letzter Zeit etwas zu kurz gekommen ist. Saki sitzt zwar ständig auf dem Ei und es bekommt auch genügend Brutpflege von ihr, aber ich habe es gerade berührt... Es kam mir so kalt vor, also...«
»Also dachtest du, du setzt dich selbst schnell mal kurz drauf«, vervollständige ich den Satz für ihn und verkneife mir dabei ein Lachen.
»Also...« Beschämt wendet er seinen Blick von mir ab, doch plötzlich zuckt er überrascht zusammen. »Moment Mal! Revali, täuscht mich das oder bist du etwa gut drauf?«
Seufzend krame ich Shanias Briefe aus meiner Tasche heraus und halte sie meinem Bruder vor dem Schnabel.
»Daruk war gerade bei mir. Er hat mir Nachrichten von Shania überbracht. Die Kleine hat eine an ihren Bruder geschrieben und einen an diesen Fischkopf. Shania... Sie...« Kurz schweift mein Blick durch das Zimmer, als ich mir meine darauffolgenden Worte zurechtlege. »Shania ist in die Wüste gegangen, um die Gerudo zu finden, die sie als Kind zu den Goronen brachte. Daruk vermutet, sie sei vielleicht in Schwierigkeiten.«
»Und was hast du jetzt vor?« Mein Bruder erhebt die Augenbrauen. »Was erhoffst du dir, wenn du sie rettest?«
»Nun...« Mit dem Pergament in meinem Flügel wedle ich herum. »In diesen Briefen steht etwas ziemlich Interessantes. Es offenbart mehr oder weniger, dass ich ein immenses Spatzenhirn bin.«
Höchst erstaunt funkelt mich mein Bruder an. »Wie bitte? Was? Hat sich der große Revali etwa gerade selbst beleidigt? Bist du etwa krank?«
»Halt den Schnabel und lies einfach die Briefe!«, fahre ich Teba verärgert an.
Er setzt sich zu seinem ungeborenen Kind an dem Tisch und streichelt die harte Schale des Eies, während er die Seiten im Wechsel durchliest. Als er schließlich fertig ist und den Blick hebt, spiegelt sich Vorwurf in seinen Augen.
»Ja, Revali!«, entgegnet er mir mit missbilligender Stimme. »Du bist wirklich ein Spatzenhirn! Vielleicht solltest du beim nächsten Mal besser zuhören, bevor du einfach so verschwindest.«
Einen kurzen Moment lang schließe ich die Augen und schlinge meine Flügel um meinen Körper. »Das brauchst du mir nicht sagen«, knurre ich grimmig. »Ich habe einen gewaltigen Fehler gemacht, den ich wieder gut machen will.«
»Du wirst Shania also durch die Wüste folgen?« Besorgnis regt sich plötzlich in Tebas Gesicht.
»Ich würde Shania überall hin folgen!« So fest entschlossen, wie ich die Worte ausspreche, genauso fest steht mein Entschluss.
»Verstehe...«, meint Teba. Seine Miene wird wieder weicher.
Nun gehe ich auf den Orni zu und nehme wieder die Briefe, die er mir hinstreckt, an mich. Eilig verstaue ich sie in meiner Tasche. Mein Blick fällt zurück auf meinem Bruder.
»Wirst du mich also erneut vertreten?«
Nachdem ich ihm die entscheidende Frage gestellt habe, schenkt Teba seinem ungeborenen Kind einen unsicheren Blick.
»Der Zeitpunkt ist vielleicht nicht der Beste, weil ich Saki nach besten Mitteln unterstützen wollte, aber...« Teba steht von dem Sitzkissen auf und legt mir einen Flügel auf die Schulter. »... du kannst dich auf mich verlassen. Sie du nur zu, dass du dein Mädchen zurückbekommst.«
Ein Lächeln wahrster Dankbarkeit huscht mir über den Schnabel. »Danke, Teba!«
»Keine Ursache!«
»Allerdings gibt es einige Dinge, die wir vorher noch zu besprechen haben«, erkläre ich meinem Bruder und verschränke die Schwingen hinter meinem Rücken. »Ich möchte eine Eingangssperre erteilen lassen. Niemand Auswärtiges, der kein Orni ist, darf das Dorf betreten.«
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