6
Revali
Eine Schneeflocke berührt meinen Schnabel, während ich zusehe, wie diese ungeschickte Hylianerin versucht, die Sehne ihres Bogens zu spannen. Wenn ich nicht so genervt von der Tatsache wäre, dass mir die Frau wertvolle Zeit raubt, hätte ich über ihren Anblick gelacht, der ungefähr dem eines unbeholfenen Kükens gleicht, das zum ersten Mal einen Bogen im Flügel hält.
»Was in Hylias Namen machst du da eigentlich?«, frage ich sie ungeduldig.
Das Mädel hebt ihren Blick und sieht mich unschuldig an. »Ich spanne den Bogen, so wie du es mir gesagt hast«, erklärt sie mir kurz angebunden und hantiert erneut ungelenk an der Sehne herum.
»Der arme Pfeil!«, murmle ich und klatsche mir mit den Fingerfedern gegen die Stirn. »Und so habe ich dir das bestimmt nicht erklärt.«
Wieder legt die Hylianerin den Pfeil an die Sehne. Das Wurfgeschoss verheddert sich, gleitet zu Boden und fällt in den Schnee. Augenblicklich bückt sie sich um das verlorengegangene Ding und hebt es auf.
Ich seufze. Nun kann ich dieser angeblichen Auserwählten nicht mehr zusehen. Meine Geduld ist am Ende. Ohne zu zögern, entreiße ich ihr den Bogen aus der Hand und nehme auch den misshandelten Pfeil in die Flügel.
»Was du gerade tust, hat nichts mehr mit Bogenschießen zu tun, das ist eine pure Folterung einer majestätischen Waffe.«
Mit üblicher Konzentration spanne ich den Bogen auf die Sehne. Doch anstatt ein verärgertes Schnauben oder ein trauriges Schluchzen, vernehme ich ein unterdrücktes Lachen. Fassungslos drehe ich mich zu ihr um und sehe gerade noch, wie dieses Balg die Hand vom Mund nimmt.
Ich strafe die Hylianerin mit einem Blick der höchsten Empörung, senke den Bogen wieder und stapfe auf sie zu. Meine Wut nimmt zu, als ich bemerke, dass sie bei meinem Anblick nicht einmal zusammenzuckt.
»Der Schnee trübt wohl meine Sinne. Ich dachte schon, du hättest mich ausgelacht.« Den warnenden Ton in meiner Stimme verberge ich nicht.
Doch anstatt sich zu beherrschen, zuckt sie mit den Achseln und lacht wieder unbeherrscht auf. »Entschuldige die pure Folterung, aber ich dachte, da du dich als großartigen Helden und Lehrmeister angepriesen hast, wüsstest du, dass es von Vorteil wäre, deinen Lehrling erstmal in die Handhabung der majestätischen Waffe einzuweihen.«
Verbissen bin ich darum bemüht, meine Verärgerung über die Tatsache, dass mich dieses Weib soeben verspottet hat, runterzuschlucken. Wie kann sie es wagen, mich, Revali, den großen Krieger, zu verhöhnen. Eigentlich sollte ich sie zu einem Kampf herausfordern, dann könnte diese einfältige Göre zeigen, was sie draufhat, schließlich soll sie doch die Auserwählte sein. Stattdessen juckt es mich aus irgendeinem Grund in den Federspitzen, mich zu beweisen. Die Kleine soll staunen. Sie soll es bereuen, mich ausgelacht zu haben.
»Du willst eine Einweisung?«, grummle ich mit verschwörerischer Stimme. »Die kannst du haben.«
Ich greife nach dem Köcher, der zu Shanias Füßen liegt und schnalle ihn auf den Rücken. Bevor ich loslege, wende ich mich noch einmal ihr zu und sage: »Sieh zu und lerne!«
Konzentriert fixieren meine Augen die Ziele, die an der grauen teils angeschneiten Felsenwand angebracht sind. In Sekundenbruchteil plane ich die Reihenfolge, in der ich die Scheiben treffen will, dann lege ich los. Still sieht mir die Hylianerin dabei zu, wie ich den Pfeil blitzschnell spanne und ihn im nächsten Augenblick durch die Luft sausen lasse. Der Pfeil trifft sein Ziel. Im Anschluss durchbohre ich fünf weitere Scheiben im untersten Bereich der Wand. Es hat nicht mal 5 Sekunden gedauert. Nun sind die oberen Ziele dran. Ohne Vorwarnung springe ich in die Luft und beschieße weitere Scheiben. Natürlich treffe ich sie alle genau in der Mitte. Nun kann ich mir vorstellen, wie dem vorlauten Mädel die Kinnlade vor Erstaunen herunterfällt. Doch das war noch längst nicht alles, ich bin noch nicht fertig. Sechs Ziele sind noch übrig... und ich werde alle beinahe gleichzeitig treffen. Mit einem Seitenblick zu Shania hüpfe ich nochmal in die Höhe. In Sekundenbruchteil spanne ich drei Pfeile gleichzeitig und lasse sie durch die Luft zischen. Einen Wimpernschlag später ziele ich wieder und wiederhole den Vorgang. Grazil lande ich mit beiden Klauen auf den verschneiten Boden, während alle sechs Pfeile ihr Ziel finden, allesamt in der Mitte. Großspurig verbeuge ich vor der Hylianerin und sehe ihr triumphierend in die Augen.
Ihr Blick spricht Bände. Ihre braunen Augen wechseln ungläubig von einem durchbohrten Ziel zum anderen.
»Wie hast du das gemacht?«, fragt mich die Kleine ziemlich leise.
Ich lache übermütig auf. »Tja, selbst wenn du es je hinkriegen solltest, einen einfachen Pfeil zu spannen, das würdest du niemals schaffen.«
»Das beantwortet aber nicht meine Frage«, antwortet mir die freche Hylianerin und verschränkt ihre Arme.
Abrupt marschiere ich auf die Frau zu und drücke ihr den Bogen in die Hand. Da sie auf meine plötzliche Handlung nicht vorbereitet war, fällt die Waffe in den Schnee. Sie rümpft die Nase und bückt sich nach dem Bogen, hebt ihn auf und schneidet eine erboste Grimasse.
»So wird das nie was"«, beschwere ich mich und verhöhne sie gleichzeitig. »Ach ich vergaß, du bist ja von Goronen großgezogen worden. Kein Wunder, dass du so plump und ungeschickt bist.«
Ich schaue zu ihr auf, blicke sie erwartungsvoll mit herausforderndem Gesichtsausdruck an. Spätestens jetzt gehe ich davon aus, dass irgendeine Reaktion von ihrer Seite kommen muss. Doch zu meiner eigenen Überraschung bleibt sie auch dieses Mal ruhig.
»Das ist der einzige Anhaltpunkt, den ich habe«, erklärt sie mir nachdenklich, ohne einen einzigen verärgerten Unterton. »Der Gorone, den Kashiwa getroffen hat, hat ihm erzählt, dass er mich angeblich vom Goronen-Dorf kenne und dass ich dort aufgewachsen bin. Ich meine, mich an einen Vulkan erinnern zu können und an einige Gesichter... aber das war es auch schon.«
»Wie dem auch sei...«, sage ich und bemühe mich darum, meine Beherrschung wieder zu erlangen.
Ich positioniere mich hinter Shania und greife nach ihren Ellbogen. Verwundert zuckt die Hylianerin zusammen.
»Jetzt nimm nochmal einen Pfeil in die Hand zu spanne ihn!«, verlange ich von ihr und überreiche ihr einen Pfeil aus meinem Köcher.
Dieses Mal gelingt es ihr, den Pfeil auf die Sehne zu setzen. Doch bei dieser mickrigen Spannung würde der Pfeil nicht mal eine Armlänge weit kommen. Ich verdrehe die Augen und ertappe mich dabei, wie ich schon wieder entnervt aufstöhne. So greife ich nach ihrer rechten Hand und bugsiere ihren linken Ellbogen so, dass der Bogen endlich so gespannt ist, wie er sein soll.
Während wir beide so dastehen, bemerke ich, wie klein und zierlich ihr Körper gegen den meinen wirkt. Ich bin einen Kopf größer, als sie. Eigentlich sollte ihre mickrige, schwächliche Erscheinung eher verachtenswert sein, aber für eine Hylianerin finde ich sie gar nicht so abstoßend. Vor allem ihr langes, gewelltes, schwarzes Haar und ihre braunen Augen haben irgendetwas.
Abrupt schüttle ich den Kopf und ermahne mich, mich zu konzentrieren. Dieses fertigkeitslose Gör macht mich noch ganz wahnsinnig.
»Du musst nicht nur den Bogen spannen, sondern auch deinen Körper.« Meine Stimme klingt ernster und gebieterischer, als zuvor.
Wieder korrigiere ich sie und siehe da, endlich ist die Sehne richtig auf den Pfeil gespannt.
»Na endlich!«, rufe ich mit gespielter Freude. »Und jetzt versuche einen der drei letzten Ziele zu treffen, die ich übriggelassen habe.«
»Ach, du hast sie übriggelassen? Und ich dachte, du hättest sie verfehlt«, scherzt die Hylianerin.
Beinahe entweicht mir ein Lachen, doch ich habe mich gerade noch rechtzeitig im Griff. Entsetzt über mich selbst, blinzle ich verwirrt. Wie kann es sein, dass ich über die Frechheit der Kleinen lachen will, stattdessen sollte ich sie eigentlich für ihre respektlosen Worten in den kalten Teich unter uns schupsen. Aber nein, ich finde es auch noch amüsant... Revali, jetzt reiß dich zusammen und mach dich nicht zum Spatzenhirn!
»Genug davon! Konzentrier dich!«, schnaube ich wütend.
»Schon gut, schon gut«, beruhigt mich die Kleine seufzend und spannt den Bogen an.
Mit ihren Augen sucht sie sich ein Ziel aus.
»Jetzt fixiere genau den Punkt in der Mitte! Lass ihn nicht aus den Augen! Denke an nichts anderes!«, belehre ich die angebliche Auserwählte.
Während wir beide konzentriert auf den einen Punkt starren, vergesse ich ganz und gar, ein Stück zurück zu treten. Als Shania den Pfeil loslässt, bekomme ich volle Breitseite ihre Hand ins Gesicht. Die Wucht des Schlags und die Überraschung lassen mich in den Schnee plumpsen. Erschrocken dreht sich der Trampel zu mir um. Mit zusammengekniffenem Schnabel reibe ich mir die schmerzende Stelle.
»Oh, tut mir leid! Alles in Ordnung?«, schreit die kleine Göre und bückt sich zu mir herunter.
Sie schaut mich einen Augenblick lang an und dann besitzt sie doch tatsächlich die Frechheit und lacht. Doch als ich erbost knurre, verstummt ihr ungehemmtes Gekicher.
»Entschuldige, Entschuldige!« Shania erhebt beschwichtigend die Hände, um meinen Zorn zu besänftigen. »Aber ich dachte, als unangefochtener Meister des Bogenschießens, wüsstest du, dass man lieber in Deckung geht.«
Mit einem Ruck erhebe ich mich vom Schnee und poltere auf das Balg zu. Drohend baue ich mich vor ihr auf.
»Wenn du nicht so spatzenhirnig wärst und meine Befehle befolgen würdest, wär das bestimmt nicht passiert. Das ist doch alles nur Zeitverschwendung! So etwas wie du soll die Auserwählte sein?
Zum ersten Mal wendet das Mädchen beschämt den Blick von mir. Doch plötzlich zuckt sie zusammen.
»Äh, Revali... Ich denke, so schlecht bin ich wohl gar nicht«, höre ich die Hylianerin sagen.
Meine Augen folgen Shanias Blick und bleiben bei einen der drei Ziele hängen. In einen von ihnen steckt der Pfeil schön mittig in der Scheibe.
»Anfängerglück...«, murmle ich nur.
Freudestrahlend blickt mich die Kleine an. Der Stolz flackert in ihren braunen Augen.
»Bilde dir nur nichts darauf ein!«, sage ich zu ihr.
Und schon wieder ernte ich ein fröhliches Lachen von ihr, doch dieses Mal regt es mich gar nicht auf.
»Wie ich sehe, macht ihr bereits Fortschritte!«, höre ich plötzlich jemand rufen.
Augenblicklich schaue ich nach oben und sehe Teba mit meinem Neffen auf den Rücken landen.
»Was tust du denn hier?«, grummle ich.
Mein Bruder gibt sich wie immer unbeeindruckt von meiner lieblosen Art. »Ich wollte Tulin zum Üben mitnehmen. Ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn er auch mal wieder mitkommt.«
»Ja!«, jubelt Tulin begeistert und wackelt mit seiner winzigen Schwanzfeder. »Ich bin so gerne mit dir und Papa hier draußen und sehe euch mit Schießen zu.«
Teba nimmt seinen Bogen von den Schultern und stapft mit seinem Kleinen an uns vorbei. Augenblicklich erkenne ich den unsicheren Blick in den Augen der Hylianerin. Aha, verstehe! Zuschauer mag sie wohl nicht so gern. Naja, wenn ich ihr so das vorlaute Mundwerk stopfen kann, dann sollte ich sie den anderen Mal vorführen.
Auffordernd deute ich mit dem Schnabel auf die unberührte Felsenwand, die noch reichlich Ziele aufweist. »Warum zeigst du Teba und Tulin nicht, wie gut du schon bist?«
Entgeistert schaut mich die Kleine an. Wie erwartet, springt Tulin sofort aufgeregt hoch.
»Au ja, ich will sehen, wie gut du bist!«, höre ich meinen Neffen rufen.
Sofort läuft das Mädchen rot an. Ich mache mir gar nicht die Mühe, das schadenfrohe Lächeln auf meinem Schnabel zu verbergen. Mit einem leicht verärgerten Gesichtsausdruck zieht Shania an mir vorbei. Neben Teba bleibt sie stehen, der ihr aufmunternd zunickt. So setze ich mich auf einen Felsen, lehne mich zurück und genieße die Show. So wie ich es mir gedacht habe, funktioniert bei der angeblichen Auserwählten nun gar nichts mehr. Ihr gelingt es weder, den Pfeil auf den Bogen zu spannen, geschweige denn ein Ziel zu treffen. Teba, der neben ihr einen Treffer nach dem anderen versenkt, schielt mitfühlend zu ihr herüber.
»Aber du machst das doch völlig falsch«, meint Tebas Sohn schließlich und ich muss mir mit dem Schnabel auf die Zunge kneifen, um nicht laut los zu lachen. »So triffst du doch nie!«
Ich bin nicht gewillt, dem Mädchen zu helfen, stattdessen genieße ich ihre Scham, die sich deutlich in ihrem Gesicht zeigt.
Plötzlich schaut Teba von den Zielen auf. Er überreicht Tulin seinen Bogen, der etwas Schwierigkeiten damit hat, die schwere Waffe zu tragen, dann marschiert mein Bruder zu der Hylianerin hinüber. Verdutzt zucke ich zusammen. Was macht er denn jetzt?
»Also...«, beginnt er und positioniert sich hinter dem Mädchen, so wie ich vorhin. »Stell dir einfach vor, du seist selbst ein Bogen! Dein linker Arm ist die Sehne.«
Blind lässt sich Shania von den Berührungen meines Bruders führen.
»Dein rechter Arm ist der Pfeil.«
Mit wachsend schlechter Laune beobachte ich Teba, wie er der Hylianerin hilft, den Bogen zu spannen. Genervt atme ich die Luft aus.
»So... Und jetzt stell dir vor, die Mitte der Zielscheibe sei ein See und du musst hineinspringen, du darfst den See nicht verfehlen, sonst schlägst du auf den Felsen auf«, erklärt ihr mein kleiner Bruder, auf seine eigene Art und Weise, die ich ziemlich lächerlich finde.
»Und das soll motivierend sein?«, scherzt die Kleine.
Teba lächelt. »Wenn du dir vorstellst, was passiert, wenn dein Körper auf den Felsen zerschellt und du dir sämtliche Knochen brichst, glaub mir, dann bist du motiviert.«
»Papa hat mir das auch so erklärt!«, ruft Tulin von hinten her.
»Und? Hast du's dir vorgestellt?«, fragt Teba nach einer Weile, lässt das unsichere Mädel los und geht ein paar Schritte rückwärts.
»Äh, ja...«, murmelt die Schwarzhaarige.
»Dann lass jetzt los!«
Die Hylianerin tut, was mein Bruder sagt und schon flitzt der Pfeil durch die Luft. Abrupt hebe ich die Augenbrauen, als ich erkenne, dass Shania tatsächlich beinahe die Mitte getroffen hat.
»Gar nicht mal so schlecht!«, lobt Teba sie.
»Danke, ich finde, du bist ein guter Lehrer!«
Die Worte der Hylianerin bringen mich zum Kochen. Ich bin ein viel besserer Lehrmeister, als mein Bruder. Dieses unkonzentrierte Weibsbild müsste mir nur mal richtig zuhören.
Mit einem empörten Stöhnen stehe ich auf und stampfe zu ihnen hinüber. Unsanft stoße ich Teba zur Seite und entreiße Shania den Bogen aus der Hand. Beide schauen mich ungläubig an.
»Vorhin, als ich es dir gezeigt habe, hast du doch auch getroffen, also...«, herrsche ich das Mädel an, doch als ich merke, dass Tulin etwas ängstlich dreinschaut, mäßige ich meinen Ton. »Gut... Also nochmal von vorne... Ich zeige dir nochmal, wie man einen Bogen anständig spannt und Teba...« Mahnend blicke ich meinen Bruder an. »Zeig Tulin ein paar Tricks!«
»Ja, Papa! Zeig mir nochmal, wie du es machst, damit ich es dir nachmachen kann. Wenn ich groß bin, werde ich ein noch besserer Schütze werden, als du und Onkel Revali!«
»Wenn du so hart trainierst, wie ich, wirst du das ganz bestimmt!«, meint Teba voller Stolz und macht sich daran mit seinem Sohn etwas weiter hinten zu trainieren.
Erleichtert seufze ich auf. Erst jetzt bemerke ich, dass mich die Hylianerin aus ihren braunen Augen merkwürdig anstarrt.
»Ist irgendetwas?«, frage ich schärfer, als gewollt.
Sofort wendet sie ihren Blick ab. »Nein, nein...«, murmelt sie nur.
»Gut, dann trainieren wir jetzt weiter!«
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