15
Shania
Während ich mit Revali über den Wolken schwebe, beäuge ich erstaunt die Landschaft unter mir. Das milde Grün verwandelt sich allmählich zu Weiß und die Berge ragen vor uns auf. Als wir uns genau über der schneebedeckten Landschaft von Hebra befinden, schiele ich verstohlen zu dem Vogelmenschen hinab, dessen Blick eisern nach vorn gerichtet ist.
Aus dem eigensinnigen Orni-Mann werde ich vermutlich nie schlau. Erst ignoriert er mich vier Tage regelrecht und nun drängt er sich auf, mit mir etwas zu unternehmen. Hier und da haben wir ein paar Worte gewechselt, aber es war nur belangloses Zeug. Über den Kuss hat er natürlich kein einziges Wort verloren. Ich hätte ihn ja selbst darauf ansprechen können, aber in Wahrheit hatte ich zu große Angst vor seiner Reaktion. Er könnte mich nur abweisen oder mich gar auslachen oder einfach nur so tun, als wäre nichts geschehen. Seitdem mich Revali geküsst, oder besser gesagt mich „geschnäbelt" hat, fühle ich mich so zerrissen. Wenn die anderen Orni nicht gekommen wären, um uns zu retten, hätte er mich wieder geküsst... und ich hätte seinen Kuss erwidert. Doch seitdem frage ich mich nur, ob dieser Kuss dem Orni je etwas bedeutet hatte, denn er redet nicht darüber, kein Wort. Was hat das nur zu bedeuten?
Der dunkelblaue Orni setzt zu Landung an. Sanft landen wir direkt auf dem Steg der Schützenhütte. Abrupt springe ich von Revalis Rücken ab und mache Anstalten, in die Hütte zu gehen, um mir den Übungsbogen zu holen, da werde ich plötzlich von einem Flügel meines Beschützers aufgehalten.
»Allmählich hat der abgenutzte Schwalbenbogen seine besten Jahre hinter sich gelassen«, höre ich ihn sagen, bevor er seinen Schnabel lächelnd in die Höhe reckt. »Es ist an der Zeit, dass du deinen eigenen Bogen bekommst.«
Revali greift hinter seinen Rücken und schnallt einen Bogen ab. Verdutzt sehe ich den Vogelmenschen an, denn ich habe gar nicht bemerkt, dass er gleich zwei Bögen bei sich hatte. Langsam bringt er einen geschmeidigen Bogen zum Vorschein, mit hellem Holz und Verzierungen mit violetten Blumen-Schnitzereien und gelben verschnörkelten Mustern. Die Enden des Bogens enden wie Revalis Waffe mit einem flügelähnlichen Dekor. Ich staune hörbar, als er mir die Waffe mit beiden Flügeln präsentiert.
»W-was, was ist das? Wie...«
Ich bin so überwältigt, dass ich kein Wort mehr herausbekomme.
Revali lacht belustigt auf. »Das ist ein Bogen und er gehört jetzt dir.«
Mit bebenden Händen nehme ich das Prachtstück an mich. Meine Augen funkeln verzückt, als ich die Schusswaffe in den Händen wiege und an der Sehne zupfe. Ein melodisches Zurrgeräusch ertönt.
Mit einem seiner Fingerfedern deutet der Vogelmensch auf die Mitte des Bogens. »Das Mittelstück ist schlank, aber breit ausgebaut. Solltest du eines Tages die Technik beherrschen, mehrere Pfeile gleichzeitig zu spannen, könnte dir das von Vorteil sein«, erklärt mir der Orni.
»Ich weiß, dass du eine neue Technik ausprobieren wolltest, aber...« Breit grinse ich über beide Ohren. »Könntest du mir nicht doch zeigen, wie das geht? Für den Anfang reicht es auch, wenn ich es nur mit zwei Pfeilen probiere.«
Revali bedauert mich mit einem langen, nichtssagenden Blick. Kurz wendet er sogar seinen Blick ab und schaut die Ziele an, die sauberaufgereiht an der Wand kleben.
»Also, eigentlich musst du dich sowieso erst mit deinen neuen Bogen vertraut machen. Warum nicht!«
Überschwänglich vor Freude stürze ich mich auf Revali und umarme ihn. Doch als ich bemerke, wie scharf der Orni die Luft einatmet, stoße ich mich augenblicklich wieder von ihm ab.
Verlegen schaue ich weg und murmle: »Tut mir leid, hab mich nur etwas zu sehr gefreut!«
Sofort mache ich mich mit dem Bogen in der Hand aus dem Staub. Ich tue so, als würde ich mir bereits ein Ziel aussuchen, um mit meinem neuen Bogen zu üben. Aus dem Augenwinkel heraus betrachte ich ihn jedoch. Von hier aus wirkt es so, als würde sich sein Gefieder aufplustern. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, was das bedeuten soll. Ist er nun sauer auf mich und hat es etwas anderes damit auf sich?
Meine Finger greifen nach einem Pfeil und ziehen ihn aus dem Köcher. Langsam spanne ich das Wurfgeschoss auf die Sehne. Es fühlt sich so anders an. Die Sehne wirkt weitaus straffer. Auch das Gewicht des Bogens ist schwerer, das Zielen fällt mir dadurch nicht leichter. Als ich mir sicher bin, dass der Pfeil die Zielscheibe treffen wird, lasse ich los. Doch der Pfeil verfehlt die Scheibe und zerschellt an der Wand.
»Mist!«, murmle ich in dem Wissen, dass mich Revali beobachtet.
Der Orni tritt hinter mich, ohne in mein Sichtfeld zu gelangen. Sein Flügel greift langsam in meinen Bogen hinein, während seine andere Schwinge meine rechte Hand leitet. Perplex stelle ich fest, dass sich sein Federkleid tatsächlich etwas fluffig anfühlt. Mir wird jedoch überraschend schnell heiß, jetzt, wo er so nah hinter mir steht und meinen Körper berührt. Mein Herz beginnt, heftig zu klopfen. Meine Hände zittern.
»Dein Bogen ist schwerer, als der, mit dem du die letzten Monate geübt hast. Außerdem ist er größer und robuster. Du musst ihn ein wenig anders halten, dann tust du dich leichter. Etwa so...«
Ich halte die Luft an, als Revali meine Hand nimmt und sie korrigiert.
»Du musst dich erst an seine Eigenschaften gewöhnen«, meint er mit ungewöhnlich ruhiger Stimme.
Obwohl mich seine Nähe ablenkt, versuche ich, mich zu konzentrieren. Ich kneife die Augen zusammen und fixiere das nächste Ziel. Revali entfernt sich ein paar Schritte von mir, damit nicht dasselbe passiert, wie bei unserer ersten Übung. Anschließend lasse ich den Pfeil durch die Luft sausen. Diesmal treffe ich. Mit einem siegreichenden Grinsen im Gesicht drehe ich mich zu Revali um. Ein paar Haarsträhnen fallen mir ins Gesicht.
»Klappt doch schon recht gut!«, lobe ich mich selbst.
»Nur zu!« Revali deutet auffordernd mit dem Flügel auf die anderen Ziele. »Tob dich aus!«
Gesagt getan! In den nächsten Tagen üben wir immerzu täglich auf dem Übungsplatz. Den ersten Tag übe ich mit Revali Seite an Seite an meinen neuen Bogen. Während ich mich mit meiner Waffe vertraut mache, lässt der Orni Aufwinde entstehen, um sich aus dem Stand in die Lüfte zu erheben. Inzwischen klappt beides schon recht gut.
Am zweiten Tag bringt mir Revali bei, wie man mit zwei Pfeilen gleichzeitig schießt. Allerdings erweist es sich schon allein sehr schwierig, die beiden Wurfgeschosse auf die Sehne zu spannen. Wieder steht der Vogelmensch hinter mir und führt meine Hand.
»Du musst sie beide mittig fixieren, überkreuzt, kein Pfeil darf länger sein, als der andere!«, erklärt er mir. »Gut... jetzt ziele und lass sie los!«
Ich tue, was er sagt, als er zur Seite tritt, doch verfehlen beide Geschosse ihr Ziel. Enttäuscht und zugleich verärgert atme ich die Luft aus.
Doch zu meiner eigenen Verblüffung redet mir der Orni aufmunternd zu. »Das wird schon! Es ist eben noch kein Meister vom Himmel gefallen.« Er räuspert sich. »Also gut, nochmal!«
Wir üben das immer wieder, so lange, bis wenigstens ein Pfeil die Scheibe trifft, wenn auch nur den äußeren blauen Ring
»Gut... und jetzt versuche, die beiden Pfeile allein auf die Sehne zu legen!«, weist mich mein Lehrmeister an, ehe er herausfordernd lächelt und sich seinen eigenen Zielen zuwendet. »Bin gespannt, ob du das hinbekommst.«
Mit Leichtigkeit verschießt er drei Pfeile, die allesamt in die Mitte treffen. Mit gönnerhaftem Gesichtsausdruck schaut der Orni zu mir zurück.
»Angeber!«, schimpfe ich lachend.
»Dann zeig mal, was du draufhast!«, fordert er mich auf.
Zunächst suche ich mir mit den Füßen einen festen Stand, dann hole ich zwei Pfeile aus dem Köcher. Konzentriert versuche ich, sie so zu spannen, wie Revali es mir erklärt hatte. Beim ersten Versuch gleiten die Pfeile wieder auseinander, wie zwei Essstäbchen, die man nicht richtig beisammenhält. Beim zweiten Anlauf jedoch, gelingt es mir, sie beieinander zu halten. Ich bewege den Bogen, ziele sorgfältig. Schließlich lasse ich los. Ein Pfeil trifft beinahe die Mitte der Scheibe, während der andere den äußeren blauen Kreis streift. Ich hätte laut vor Freude aufgejault, hätte mich das vor Revali nicht kindlich erscheinen lassen. Stattdessen drehe ich mich zu dem Orni um und versuche mich an der gleichen eingebildeten Pose, die er selbst immer vollzieht.
»Nicht schlecht«, rühmt mich mein gefiederter Lehrer. »Dann wollen wir mal sehen, ob das nicht nur Anfängerglück war.«
Mein siegessicheres Grinsen verschwindet für einen Augenblick. Als Revali jedoch zu lachen beginnt, lässt es sich wieder blicken.
Der darauffolgende Tag beginnt, wie der letzte. Ich übe mich mit den Doppelpfeilen. Nicht jeder Schuss trifft und auch nicht jeder Versuch gelingt, aber ich werde immer besser und besser.
Es muss bereits eine Stunde vergangen sein, dann meint Revali schließlich: »Gut, ich denke du bist bereit! Gehen wir nun zu meiner Idee über!«
Abrupt hebe ich meinen Blick, von dem Ziel, das ich soeben ins Visier genommen habe und betrachte den Orni mit einem fragenden Blick.
»Meinst du das mit dem Fliegen und Schießen?«
Der ehrgeizige Orni-Krieger nickt. »Ganz genau!«
Unsicher lasse ich meinen Blick über das Gelände streifen. Ich glaube nicht, dass ich schon bereit dafür bin, aber trotzdem wage ich es nicht, meine Zweifel vor Revali laut auszusprechen. Wieder ertappe ich mich dabei, wie ich mich darum bemühe, ihm zu gefallen und Eindruck zu schinden.
»Und wie hast du dir das vorgestellt? Wie willst du es angehen?«, frage ich den Orni, als ich den Bogen senke.
»Wir beginnen mit einer ganz leichten Übung«, versichert er mir und lässt einen seiner Flügel kreisen.
Schon bald befinde ich mich in Rivalis Klauen zwei Meter über dem Boden schwebend. Mir ist ganz mulmig zu Mute, außerdem stechen mir seine Krallen tief in die Haut und das schmerzt, doch ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. So kommt es, dass ich wie ein nasser Sack in den Fängen des Vogelmenschens hänge, während er flügelschlagend zu mir runtersieht.
»Jetzt versuche einfach nur, mal den Bogen zu heben!«, befiehlt mir der Orni.
Ich tue, was er sagt. Doch allein das erweist sich, als schwierig. Revalis fester brennender Griff an meinen Schultern, hindert mich daran, meine Waffe richtig zu bewegen. Mit der linken Hand komme ich nicht mal an Sehne. Bald gebe ich auf und lasse meine Hände wieder sinken. Hilfesuchend schaue ich zu Revali auf.
»Ich weiß nicht so recht, wie ich den Bogen spannen soll. So kann ich mich ja kaum bewegen«, gestehe ich ihm.
Revali legt den Kopf schief und blickt gegen Himmel. Er denkt nach.
»Was genau hindert dich daran, dich zu bewegen?«
Unsicher starre ich zum Boden zurück. Ich verwehre mir eine Antwort, doch Revali bleibt hartnäckig.
»Was ist das Problem, Shania!?«, wiederholt er mit Nachdruck, um eine milde Stimme bemüht.
Seufzend schließe ich die Augen und gebe nach, obwohl ich mir sicher bin, dass Revali mich nun für ein Weichei halten muss. »Es sind deine Krallen«, bemerke ich. »Du packst zu fest zu. Außerdem muss ich immerzu nach unten starren. Wir haben uns kaum vom Boden entfernt, aber ich muss immer daran denken, was wohl geschehen mag, wenn du mich fallen lässt.«
Natürlich erwarte ich nun ein spottendes Argument, doch es kommt nichts, gar nichts. Plötzlich sinkt Revali mit mir zu Boden und setzt mich auf der Erde wieder ab. Der Orni landet vor mir und bedenkt meine Schultern mit einem mitleidsvollen Blick.
»Vielleicht wäre eine Verstärkung der Schulterpanzerung eine willkommene Lösung«, überlegt er laut. »Denn wenn ich dich nicht fest genug zugreife, kann es sein, dass du mir entgleitest.« Revali hält einen Moment inne, bevor er weiterredet. »Was die Höhe betrifft... Lass dich davon nicht verunsichern! Ich lasse dich nicht fallen, dass verspreche ich dir. Konzentrier dich auf die Ziele, dann vergisst du deine Angst!«
Im ersten Moment habe ich den Drang, mich zu verteidigen und ihm zu versichern, dass ich keine Angst habe, doch dann erkenne ich seinen liebenswerten Blick. Ich schlucke, denn so hat er mich selten angesehen, bisher nur ein paar Mal und in diesen Augenblicken war ich verletzt.
Ich schüttle meinen Kopf und ermahne mich, mich zu konzentrieren.
»Okay«, meine ich schließlich. »Versuchen wir es nochmal!«
Revalis grüne Augen blitzen überrascht auf. »Ohne Schulterpanzerung?«
»Das muss auch so gehen. Um die Schulterpanzerung kümmern wir uns später.«
Der Orni-Krieger nickt zu Frieden. Er schlägt mit den Flügeln und stößt sich wieder vom Boden ab. Regungslos bleibe ich stehen, als er mit seinen Krallen nach mir greift. Schon bald baumeln meine Beine in der Luft.
»Alles klar?«, will er wissen.
»Ja...«, antworte ich kurz und knapp, klinge dabei aber lange nicht so überzeugend, wie ich möchte.
»Gut, dann versuch's nochmal!«
Mit einem Blick zu Revalis Gesicht hoch, strecke ich meine Arme aus. Meine Fingerspitzen berühren die Sehne. Ich zupfe am Faden. Doch auch wenn es mir dieses Mal gelingt, wirklich angenehmer sind Revalis Krallen auf meiner Schulter nicht geworden.
»Dann geh einen Schritt weiter und greif nach dem Köcher auf deinem Rücken«, verlangt der Orni, als er sieht, dass ich mit dem Bogen agieren kann.
Was? Jetzt soll ich auch noch meinen Arm krümmen, sodass sich seine Krallen erst recht in mein Fleisch bohren? Ich erschaudere bei der bloßen Vorstellung davon. Trotz dessen versuche ich es. Langsam bewegt sich mein linker Arm. Revalis Füße greifen stärker zu. Ich stöhne auf.
»Autsch! Weißt du noch, dass ich erwähnte, dass dein Griff zu fest ist?«, erinnere ich den Recken daran.
»Ich weiß, ich weiß!« Ein Anflug von Genervtheit regt sich in seiner Stimme, allerdings beruhigt sich der Orni schnell wieder. »Mach weiter! Es ist auch nicht gerade angenehm für mich, ständig auf der Stelle zu flattern.«
Ich verdrehe die Augen. Oh, Hauptsache der große Revali verspürt keine allzu großen Unannehmlichkeiten!
So beiße ich die Zähne zusammen und greife nach dem Köcher auf meinem Rücken. Ich könnte schwören, dass sich sein Griff wirklich etwas gelockert hat. Schließlich bekomme ich einen Pfeil zu fassen. Doch dann geschieht es und ich falle tatsächlich. Vor Schreck lasse ich den Pfeil los. Ein kurzer Aufschrei entfährt mir, doch Revali hat mich schon bald wieder, bevor ich auf der Erde aufschlagen kann.
»Ich sagte doch, ich muss dich fest packen. Jetzt beschwer dich nicht länger und mach endlich!« Nun klingt er wirklich gereizt.
Revali hat sich das zu einfach vorgestellt. Ich bin nicht er. Aber ich wage es nicht, aufzugeben. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich wenigstens die Aufwärmübung abgeschlossen habe. Wieder greife ich nach dem Pfeil. Die Krallen des Vogelmenschen greifen tief in meine Haut. Die Zähne zusammenbeißend nehme ich den Pfeil in Hand. Nun ziehe ich ihn auf die Sehne. Meine Hände zittern so sehr, dass es mir anfangs nicht gelingen mag. Schließlich atme ich tief durch, versuche, mich zu entspannen. Und siehe da, es klappt! Nun suche ich mir ein Ziel, spanne den Bogen und lasse los. Er trifft nur wieder die äußere Schicht, aber das ist egal, es hat funktioniert. Beide, ich und Revali, blicken dem Pfeil verblüfft nach.
»Sieh an! Du hast getroffen«, bemerkt der Orni-Krieger überheblich, wie üblich.
»Halt den Schnabel da oben!«, antworte ich belustigt. »Ich mache hier schließlich die ganze Arbeit.
»Du?« Revali lacht amüsiert. »Ich muss dich tragen. Du hast ja keine Ahnung, wie schwer du bist.«
»Hey!«, rufe ich ein klein wenig beleidigt.
Doch dann lachen wir beide.
Wieder vergeht ein Tag des Trainings, wieder und wieder. Und jedes Mal muss ich meine geschundenen Schultern am Abend heilen, die meistens tiefblau und zerkratzt sind. Doch immer, wenn ich mich dann verarzte, muss ich an den wundervollen Tag denken, den ich mit Revali verbracht habe. Ich erinnere mich an seine Berührungen, an seine neckischen Kommentare und an seinen stolzen Gesichtsausdruck, wenn ich etwas gut gemacht habe. Dann und wann bekomme ich sogar ein Lob.
Eine Woche haben wir nun bis jetzt richtig gemeinsam trainiert. Heute steigt Revali schon viel höher und ich trage endlich eine ordentliche Schulterpanzerung. Nun verspüre ich nur noch den Druck seiner Klauen. Gerade bin ich dabei, ein Ziel auf der Spitze der Felswand zu treffen.
»Konzentriere dich!«, höre ich Revalis Stimme. »Denk nur noch an das Ziel, an nichts anderes!«
Ich lasse den Pfeil los. Er trifft, sogar fast in die rote Mitte. Jubelnd recke ich den Bogen in die Höhe. Revali setzt zum Sinkflug an. Sanft setzt er mich wieder ab. Am Boden angekommen strecke ich mich und lasse meine verspannten Schultern kreisen. Anmutig landet der Orni direkt vor mir. Protzig breitet er seine Schwingen aus.
»Ein wahrliches Wunderwerk, wenn man zwei so starke Flügel besitzt«, bewundert sich der Meister der Überheblichkeit selbst.
Ich verkneife mir ein lautes Lachen, räuspere mich und sage stattdessen: »Sei du nur froh, dass ich gestern den Nachtisch weggelassen habe.«
Ein vergnügtes Glitzern spiegelt sich in Revalis verführerischen Augen.
»Ach ja, du warst auch nicht schlecht!«, meint er so beiläufig, wie nur möglich, obwohl ich weiß, dass er mir nur etwas vorspielt.
So spiele ich mit. »Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man der selbstgefälligste Vogel in ganz Hyrule ist?« Ich komme ihm ziemlich nahe und sehe ihm fest in die Augen.
Revali hebt seinen Blick. Ich sehe es ihm an, dass meine Neckereien ihm gefallen.
»Es fühlt sich wunderbar an!«, sagt er und posiert.
Ich kichere. Anschließend drehe ich mich um und gehe auf einen Felsen zu. Seufzend setze ich mich drauf und gönne mir eine Pause. Schweigend sehe ich dabei zu, wie Revali auf mich zuschreitet und sich zu mir setzt. Er legt seinen Bogen neben sich. Wir schweigen eine Zeit lang. Schon bald höre ich nur noch Revalis Atem und das melodische Pfeifen des Windes.
»Aber jetzt im Ernst, du machst wirklich große Fortschritte.« Ein aufmunterndes Lächeln zeichnet sich auf Revalis Schnabel ab, als er mich ansieht.
Schon wieder wird mir unangenehm heiß, obwohl ich eigentlich friere.
»Äh, äh...«, stammle ich unbeholfen, da ich nicht weiß, was ich sagen soll.
Plötzlich fällt der Blick des Orni auf meinen Bogen. »Gefällt er dir?«, fragt er mich.
Auch ich schaue nun zu meiner Waffe hinab und betrachte ihre atemberaubende Schönheit.
»Ja«, hauche ich. »Es ist ein wirklich sehr schöner Bogen. Hertis hat sich offenbar viel Mühe damit gegeben. Er ist ein ausgezeichneter Bogenbauer. Aber...« Ich mache eine Pause und blicke Revali lange an, bevor ich fortfahre. »Aber woher hatte er die Idee für das Design?«
Einen Moment lang wendet er den Blick von mir ab. Ungeduldig warte ich auf eine Antwort.
»Ich habe ihm den ein oder anderen Vorschlag gegeben«, gesteht Revali, ohne mich anzusehen. »Ein Bogen muss zu seinem Träger passen.«
Seine Antwort stellt mich nicht zufrieden, aber dennoch freue ich mich nach wie vor über Revalis Geschenk. Wenn er doch nur über den Kuss reden würde. Aber das tut er nicht. Warum nur? Soll ich es etwa ansprechen?
Mein Blick hebt sich. Meine Augen treffen die seinen. Prompt beginne ich, vor Aufregung zu zittern.
»Revali...«, fange ich an. Meine Stimme klingt heiser, so aufgeregt bin ich.
Der Drang brennt in mir, endlich über den Kuss zu sprechen. Ich will wissen, was Revali mir gegenüber empfindet und ich will ihm sagen, was ich für ihn fühle. Doch sein Blick, er ist so undurchdringlich, dass ich einfach den Mut verliere. Ja, ich habe Angst! Angst, dass der Orni mich zurückweist. Nein, ich kann nicht! Ich kann es ihm nicht sagen.
So meine ich stattdessen: »Danke nochmal für den Bogen!«
»Gern geschehen!«, entgegnet er mir und wendet seinen Blick von mir ab.
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