11
Shania
Meine Finger kratzen hektisch über mein Oberteil.
»Oh, Mann! Das juckt vielleicht...«, murmle ich genervt.
Nun gleiten meine Fingernägel unter mein Hemd. Revali hat eindeutig seine Spuren an mir hinterlassen. Prellung und Schürfwunden sind sauber verheilt. Nachdem mich der Orni eingecremt hatte, habe ich mich zusätzlich selbst geheilt. Doch aus irgendeinem Grund scheint meine Haut, diese Salbe nicht zu vertragen und das kann ich nicht heilen. Jetzt juckt es mich die ganze Zeit und an den betroffenen Hautstellen ist ein merkwürdiger Ausschlag entstanden. Und das ist nicht das einzige Problem, denn ich muss die ganze an Revali denken, an seine weichen Federn, die mir mit geschmeidigen Bewegungen die Salbe auftragen, an Revalis Blick, der mich intensiv mustert und an den Moment in der Höhle...
Entgeistert schüttle ich meinen Kopf. Nein, Shania! Reiß dich bloß zusammen! Denk nicht schon wieder an deine Träumereien!
Ich entledige mich eines langen, lauten Seufzers und lasse meinen Blick über die bezaubernde Landschaft von Tabanta streifen. Im Schneidersitz habe ich es mir auf dem Flugplatz in der Nähe meines Zimmers gemütlich gemacht. Gedankenverloren sehe ich in die Ferne. Verbissen versuche ich an etwas anderes zu denken, als an den dunkelblauen Orni. Der Wind wiegt sich sanft in den Bäumen und spielt mit den Ähren der umliegenden Felder. Die bunten Baumkronen schimmern farbenfroh in der Sonne. Die Luft riecht nach Natur und frischgebackenem Brot, das soeben eine Orni-Frau aus dem Ofen schiebt. Außerdem kann ich den Orni-See und die herumliegenden, schneebedeckten Berge erkennen. Hier ist wirklich rein gar nichts, was mich an Rivali erinnern, überhaupt nichts... außer Rivali selbst. Ich erkenne den Orni am Himmel. Graziös manövriert er sich durch die Lüfte. Kurz schlägt er mit den Flügeln, dann breitet er sie wieder aus und lässt sich treiben. Gut, dass er nicht bemerkt, wie ich fasziniert seine anmutige Erscheinung betrachte. Doch dann wendet er im Flug und kommt geradewegs auf mich zu.
Geschockt zucke ich zusammen. Sofort wische ich mir eine Strähne hinters Ohr und tue so, als ob ich den Orni nicht gesehen hätte. Ruhig bleibe ich sitzen und warte bis Revali näherkommt, erst als er auf der Plattform landet, hebe ich den Blick.
»Einen wunderschönen, guten Morgen wünsche ich, verehrte Auserwählte!«, begrüßt er mich mit überheblicher Stimme.
»Was verschafft mir die Ehre?«, ich versuche beiläufig zu klingen, fast sarkastisch, denn ich will nicht, dass er mitbekommt, dass ich mich sehr freue, ihn zu sehen.
Revali verschränkt seine Flügel hinter dem Rücken und umkreist mich. »Ich dachte, ich komm mal vorbei und sehe nach dir. Nicht, dass du wieder in Schwierigkeiten gerätst oder gar einen Abgrund hinabstürzt!«
Ein überraschtes Funkeln glitzert in meinen Augen. »Hat sich der große Revali etwa Sorgen um mich gemacht?«, scherze ich, obwohl ich mir insgeheim wünsche, dass er ja sagt.
Revali bleibt stehen, sieht mich an und erwidert meinen belustigten Blick. »Als dein Beschützer ist es meine Aufgabe, ich bin für dich verantwortlich.«
Es fällt mir schwer, meine Enttäuschung unbemerkt hinunter zu schlucken, aber eigentlich hätte ich nichts Anderes von Revali erwarten dürfen.
»Wie ehrenhaft von dir...«, murmle ich ernüchtert und wende meinen Blick von ihm ab.
Dennoch bin ich verwundert, als sich der Orni neben mich setzt. Seine rote Brustpanzerung, die mit braunen Lederriemen festgeschnürt ist, glänzt in der Sonne. Auch sein cremefarbener Kriegerrock, der über seiner beigen Hose liegt, schimmert im Tageslicht.
»Wie geht es deinen Prellungen?«, fragt er mich und klingt dabei so interesselos, als wollte nur die Tageszeit abfragen.
Mein Magen beginnt sich, abrupt zusammen zu ziehen. Schnaubend blicke ich in das Land hinaus. Ich fasse es nicht, der Vogelmensch macht sich nicht einmal die Mühe, Interesse zu heucheln. Dabei habe ich einen Moment lang tatsächlich geglaubt, Revali hätte sich so um mich gekümmert, weil er anfängt mich gern zu haben. Aber noch viel mehr nervt es mich, dass es mir wichtig ist, dass Revali mich mag. Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass sich seit dem Vorfall in der Höhle etwas geändert hat. Offensichtlich habe ich es mir jedoch nur eingebildet, dass mich Revali seither freundlicher behandelt. Oder liege ich doch richtig? Er ist schon anders zu mir. Oh, Hylia! Warum denke ich überhaupt so viel darüber nach?
»Shania? Bist du Zuhause? Ich dachte, du hättest dir den Oberkörper geprellt und nicht den Kopf!«, höre ich Revali sagen, als ich nicht antworte.
Augenblicklich schüttle ich den Kopf, um wieder zu mir zu kommen und Fassung zu bewahren. »Tut mir leid... Ich war nur in Gedanken. Meinen Prellungen geht es gut. Danke! Es ist alles wieder verheilt.«
»Also hat dir die Salbe geholfen?«, will mein Beschützer von mir wissen.
Nicht wirklich! Aber das möchte ich nicht sagen.
»Ja... Ja, na klar!« Nur zögerlich kommt mir die Lüge über die Lippen.
Erschrocken fahre ich zusammen, als er mich dann auch noch fragt: »Kann ich mal sehen?«
Bevor ich antworten kann, berühren seine Federn mein Hemd. Oh, nein! Bloß nicht berühren! Und schon träume ich wieder davon, als ich leicht bekleidet am Boden lag und mich der Recke verarztet hat.
Sofort weiche ich dem Orni aus. Seine Augen flackern verdutzt auf, als ich ein kleines Stück von ihm wegrutsche.
»Alles in Ordnung!«, versichere ich ihm. »Du brauchst nicht nach zu sehen.«
Ich kann ihm seinen skeptischen Gesichtsausdruck nicht verdenken, aber ich bin nicht scharf drauf, dass Rivali meinen grässlichen Ausschlag sieht. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass mich tausend Messer treffen, wenn er mich anfasst.
»Schön...«, meint der Orni in einem etwas trockenen Ton. »Wie... Wie hast du eigentlich gestern Nacht geschlafen?«
Seine Frage überrascht mich. Warum interessiert er sich plötzlich für meinen Schlaf?
»Gut!«, lüge ich.
Auch diese Nacht habe ich kaum ein Auge zugetan, da ich mich davor gefürchtet habe, wieder Besuch von Ganon zu bekommen. Allerdings hat sich der Dämon glücklicherweise nicht blicken lassen.
»Bist du sicher? Im Dorf erzählt man sich, du hättest Albträume«, erwidert mir der Orni, ohne mich anzusehen.
Ich blase die Backen auf und stoße pfeifend die Luft aus. Man soll merken, dass mich dieses Gerücht nicht gerade begeistert.
»So? Erzählt man sich das im Dorf, ja? Jeder hat mal Albträume, sicherlich auch Orni... und bestimmt auch du «, gebe ich bockig zurück.
Revalis grüne Augen mustern mich misstrauisch, doch er entgegnet mir nichts darauf. Stattdessen meint er nur: »Dann lass uns üben gehen!«
Der Orni steht vom Boden auf. Ausdruckslos sehe ihm nach. Es ist nicht mal Mittag. Eigentlich trainieren wir nur Nachtmittags.
»Was? Jetzt schon? Ich hätte gedacht, du hast auch noch andere Dinge zu tun, als mit mir zu trainieren.«
»Heute nicht«, antwortet mir der Orni etwas milder. »Komm, der frühe Vogel fängt den Wurm!«
Plötzlich spannt Revali seine Flügel. Seine dunkelblauen Federn schimmern in der Morgensonne. Ich bin so gebannt von dem Anblick, dass ich gar nicht mitbekomme, was der Orni eigentlich von mir möchte.
»Worauf wartest du noch? Steig auf!«
»Was?«, frage ich ungläubig.
»Denkst du wirklich, ich würde wirklich wieder mit dir zu Fuß zum Übungsplatz gehen?« Seine Stimme klingt amüsiert.
Nachdenklich schaue ich zum Himmel hinauf. Ein paar wenige Orni befinden sich in der Luft. Schon fast schwerelos treiben sie im unberührten Blau.
»Fliegen... Ich weiß ja nicht so recht.«
Revali zieht eine Augenbraue hoch. »Aber du bist doch schon öfters mit mir geflogen. Erinnerst du dich?«
Das stimmt, doch das erste Mal war ich ohnmächtig, das zweite Mal erschöpft, das dritte Mal habe ich die Augen zugemacht und die anderen Male bin ich in seinen Krallen gehangen, wie ein nasser Sack.
»Sag bloß, du traust dich nicht!« Revalis Spott bringt mich in die Realität zurück.
»Natürlich traue ich mich«, kontere ich.
Schmunzelnd hebt Revali einen Flügel in die Luft. »Der Wind heute ist ideal zum Fliegen. Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich nicht fallen lassen.«
Zerknirscht schaue ich aus der Wäsche, als mir klar wird, dass mich der großartige Revali nun für einen Feigling halten muss. Schon wieder habe ich das Gefühl, mich vor ihm beweisen zu müssen. Aber das hatten wir doch schon, und zwar gestern. Werde ich denn nie dazulernen?
»Ich habe keine Angst!«, beharre ich trotzig.
Augenblicklich stapfe ich auf ihn zu und komme erst zum Stehen, als ich Revalis Federn auf meiner Kleidung spüre. Ich lege meine Hände um ihn und halte mich an den Orni fest. Seine Federn kitzeln meine Nase. Schweigend atme ich Revalis Duft ein. Riechen alle Orni so angenehm?
»Kann es losgehen?«, will der Recke wissen.
Eigentlich fühle ich mich überhaupt nicht bereit. Eigentlich will ich nur schreiend davonlaufen, doch keines Falls will ich Revali meine Unsicherheit spüren lassen.
»Ja!«, antworte ich kurz und knapp und spüre, wie mein Herz hämmert.
»Und halte dich bloß schön fest, ja!«, weist er mich nochmal daraufhin.
Von seinem Befehl bin ich überrascht, denn ich kralle mich schon so fest, dass es ihm doch wehtuen muss.
»Ja, ja...«, entgegne ich ihm stattdessen einfach nur genervt.
Nun sagt Revali nichts mehr. Sein Körper bewegt sich unter mir. Ich fühle nur noch, wie er seine Schwanzfedern senkt, dann erhebt er sich auf schon flatternd in die Lüfte. Augenblicklich schlage ich die Augen zu, um sie gleich darauf wieder aufzumachen. Mir bleibt die Luft weg, als hätte ich das Atmen verlernt. Dann mache ich auch noch den Fehler und schaue nach unten. Die Welt unter uns wird immer kleiner. Alles dreht sich. Wieder schließe ich die Augen. Meine Finger umschließen Revalis Federn so fest, dass ich befürchte, sie jeden Moment auszureißen.
Unbeirrt steigt Revali immer höher und höher. Irgendwann verklingt das flatternde Geräusch, dass seine Schwingen machen. Erst dann öffne ich wieder die Augen.
Mit einem Mal ist wirklich alles still geworden. Hier oben ist es deutlich kühler, aber der Wind bliebt trotzdem ruhig. Erst jetzt bemerke ich, dass ich nun aufrecht auf Revalis Rücken sitze und ihn reite, wie ein Pferd. Über den Gedanken muss ich augenblicklich schmunzeln. Doch dann erwischt uns eine kleine Windböe und ich kann es gerade noch so verhindern, dass ich verschreckt aufschreie. Mein Griff, der sich einen Augenblick lang gelockert hat, versteift sich wieder.
»Und?«, höre ich Revalis Stimme nach einer Weile. »Wie ist die Aussicht von da oben?«
Aussicht? Irritiert sehe ich nach unten. Plötzlich stockt mir der Atem, als ich bemerke, wie hoch wir sind. Der Orni-See wirkt nun, wie ein großer Spiegel, der all die kleinen Punkte über sich wiedergibt. Als ich dann auch noch einen Blick nach vorne werfe, habe ich mich verliebt. Ich erkenne die Berge, die rings um uns herumstehen und kann weit über sie hinwegschauen, tief ins Landesinnere hinein. Leise staune ich über die atemberaubende Aussicht.
»Und das siehst du jeden Tag?«, rufe ich fasziniert aus.
»Tja, wenn man Flügel hat und sich so perfekt, wie ich, in die Lüfte hinaufsteigen kann...«
Ich verdrehe die Augen, als Revali wieder zu prahlen beginnt. Doch dann bleiben meine Augen auf den glitzernden Schnee in der Ferne liegen, der sich wie ein silbernes Band durch die Berge windet. Und schon höre ich dem Vogelmenschen gar nicht mehr zu. Still sitze ich einfach nur da, genieße den Wind und die Landschaft. Schon bald lockere ich meinen Griff. Langsam strecke ich die Arme. Der Wind wirft mein Haar zurück und berührt meine Hände, die ich der Sonne entgegenstrecke.
Rivali lacht. Sein Lachen klingt weder selbstgefällig, noch spottend. Es ist ein Lachen voller Freude.
»Anscheinend ist fliegen doch nicht so schlimm.«
»Ganz im Gegenteil!«, muss ich ihm gestehen. »Es ist der Wahnsinn! Außerdem ist es so wesentlich bequemer, als den ganzen Weg zum Übungsplatz zu laufen. Schade, dass ich keine Flügel habe.«
Revali schweigt eine Zeit lang. Ich frage mich schon, ob ich ihn mit meiner Freude nerve.
Doch dann schlägt er mir etwas vor. »Wenn du es so toll findest, warum fliegst du dann nicht immer mit mir zum Übungsplatz... oder wo anders hin. Es gibt hier so viele Orte, die man nur mit Flügeln erreichen kann.«
Bevor er mir den Vorschlag gemacht hatte, musste ich immer eine halbe Stunde über den Schnee laufen, um den Übungsplatz zu erreichen. Meistens hat Revali bereits schon auf mich gewartet. Es wäre wirklich schön, von nun an gemeinsam mit ihm den Platz zu erreichen. Außerdem freut es mich zutiefst, dass er mir angeboten hat, mich auch an andere Orte mitzunehmen. Plötzlich beginnt mein Herz, heftig zu schlagen. Vielleicht bin ich für Rivali doch mehr, als ein notwendiges Übel. Vielleicht sind wir beide doch Freunde.
»Würde mich freuen!«, antworte ich meinem Beschützer, darum bemüht, nicht zu euphorisch zu klingen.
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