December
Die Scheune war kalt und leer, so wie Catfaces Kopf. Der Junge stand noch immer an Fishs Leiche und starrte in die toten Augen, wie in eine Regenpfütze. Erinnerungen fingen an in ihm hochzukommen, Gefühle und Gedanken von früher, als er noch klein war. Sein Vater war ein Säufer gewesen und hatte ihn und seine Mutter immer geschlagen wenn er betrunken oder gelangweilt war. Oder genervt. Oder müde. Oder hungrig. Oder unentschlossen. Normalerweise hätte Catface bei dieser Erinnerung die Fäuste geballt aber es kamen keine Emotionen in ihm hoch. Ruhig setzte er sich wieder ans Feuer. Ihm kam sein Name in den Sinn, der Name den seine Eltern ihm gegeben hatten, bevor er abgehauen war und als "Catface" weitergelebt hatte. William. Es war alleine seltsam den Namen zu denken, aber langsam aber sicher kam ihm der Gedanke, dass alle die er mit dem Namen "Catface" verband, tot waren. Sein Zuhause war ein Haufen Asche. William. "Ich heiße William", langsam ließ sich der Junge das Wort auf der Zunge zergehen, "ich heiße William... Will. Will klingt besser."
"Freut mich. Ich heiße Sally."
William blickte zur Seite und erkannte ein Mädchen neben dem Feuer ihm gegenüber. Sie trug ein blassblaues Kleid und eine rote Schleife in den langen braunen Haaren. Verwirrt fragte sich Will, wann sie hier herein gekommen war - hatte... hatte sie Fish getötet? Es fiel ihm schwer das überhaupt zu denken, denn Sally schien ein einfaches Mädchen zu sein, aber ansonsten war hier niemand. Er spürte, wie ihm der Tod seines Freundes nicht wirklich schmerzte und er wunderte sich. Fish war die halbe Welt für ihn gewesen und jetzt lag er hier neben ihm, blutbesudelt und totenfahl. "Was machst du hier?", er blickte in Sallys Augen, die wunderlich unterschiedlich waren. Das eine war weiß mit einer schwarzen Pupille, das andere jedoch schwarz mit einer weißen Pupille. Ob sie auf einem Auge blind war? Wenn ja, auf welchem? "Ich sitze und beobachte dich", das Mädchen lächelte, aber es erreichte ihre Augen nicht. Sie zog nur die Mundwinkel nach oben, sodass der Grünäugige sehen konnte, dass die Haut an ihrem Unterkiefer dunkler war als die ihres restlichen Gesichts. Die beide Stücke wurden durch Fäden zusammen gehalten, was Sally wie eine überdimensionale, schlecht reparierte Puppe wirken ließ. "Schön", ließ Will als Antwort verlauten und starrte in die hellen Flammen des inzwischen etwas mickrigen Feuers. Die Leere in seinem Kopf gehörte da nicht hin, sie war ihm fremd und schien von außen in ihn eingedrungen zu sein. Hätte er jetzt nicht um Fish weinen sollen? Da entdeckte er das blutige Messer in Sallys linker Hand, aber es ließ ihn kalt. Sie hatte also tatsächlich den kleinen Jungen umgebracht. Aber was war daran so schlecht? Früher oder später würde jeder sterben und desto schneller, desto besser. Will dachte an Umbrella. Wie sie sich im Fieber hin und her gewälzt hatte, wie ihre Augen komplett geschwollen und mit Eiter verklebt gewesen waren. Da war es doch besser, innerhalb weniger Sekunden an seinem Blut zu ersticken.
Die Tür der Scheune öffnete sich, und Hellosun kam herein. Es war eher ein Schlurfen. Er litt furchtbar unter den Umständen, Will konnte es an seinem Gesicht ablesen, als er sich neben ihn setzte und seine kalten Hände am Feuer wärmte. Er sagte kein Wort, auch nicht zu Sally. Er schien weder Fish noch sie bemerkt zu haben. Oder wollte er es einfach nicht sehen? Will musterte ihn von der Seite. Das magere Gesicht, die dreckige Kleidung, die von der Kälte blauen Füße. Er stank nach Tod und Erde wie eine Leiche, in seinen Augen war nichts lebendiges mehr, nur das Feuer, das sich in ihnen spiegelte. Es klirrte leise als Sally das Messer neben William auf den Boden legte. Bedeutsam funkelten ihre unterschiedlichen Augen, als sie wisperte: "Tu es für ihn, William. Erlöse ihn. Lass ihn die Qualen vergessen. Er zerbricht an der Kälte und dem Tod der ihn umgibt. Er hat schon abgeschlossen mit dem Verlust des Jungen", sie streichelte Fish über das Gesicht, aber Catface schlug ihre Hand weg. Er wollte nicht, dass sie ihn berührte, etwas in ihm sträubte sich dagegen, auch wenn er sich im nächsten Moment darüber wunderte. "Hmm...", Sally legte den Kopf schief, "findest du nicht, dass er hier sehr einsam sein wird, wenn du gehst? Du kannst ihn nicht mitnehmen." William musste nicht lange überlegen um auf den selben Entschluss zu kommen. Er selbst könnte nicht ewig hier bleiben. Vielleicht als Wohnstätte, aber er musste sehen, dass er Arbeit fand wenn er leben wollte. Fish wäre ihm eine Last, aber er war doch so klein, er durfte hier nicht ganz alleine bleiben. Seine grünen Augen lagen wieder auf Hellosun, der die Arme um den mageren Leib geschlungen hatte. Tränen liefen ihm über die Wangen, als er den Blick des Älteren erwiderte: "Ca-Catface ich will nicht mehr. I-ich will zu Mama und Papa." "Es wird alles gut", sagte Catface und er wollte dieses Versprechen halten. Zumindest ein einziges Mal, für eine einzige Person. Bisher hatte er niemanden retten können, obwohl er immer allen gesagt hatte, dass sie am Ende wieder glücklich sein würden. Glück und Frieden würde der Tod nicht bringen, aber sie wären alle wieder zusammen. Mit einer entschlossenen Bewegung packte William das Messer und hackte es Hellosun in die Stirn. Ein einziges Mal genügte und er war sofort tot. Mit einem kräftigen Ruck entfernte Will das Messer wieder aus dem Schädel und sah zu, wie Hellosuns Augen nach hinten rollten, sodass nur noch weiß zu sehen war. Leblos kippte er zur Seite, Blut rann aus der Wunde und verteilte sich auf dem Holzboden. Jetzt hatte Fish jemanden, der auf ihn aufpasste. Jemand der für ihn da sein konnte, wenn Will gerade nicht da war. "Er wird dir dafür auf ewig dankbar sein", sagte Sally und stand auf. Es war nicht klar ob sie damit Hellosun oder Fish meinte, schien sich aber eher um den behinderten Jungen zu kümmern. Das Feuer war nicht mehr als ein Glimmen und William konnte sie nur noch schwer erkennen: "Was hast du jetzt vor?"
"Folge mir!", sie kicherte und lief auf die Tür zu. Ihre langen Haare schwangen wie das Pendel einer Uhr mal zur einen und dann wieder zur anderen Seite, da das Mädchen sehr schleppend und wie in Trance lief. Ihr Körper war seltsam nach hinten gebogen und ihr Kopf leicht schräg, als würde sie die Decke kritisch betrachten. William sah ein letztes Mal zu Fish und hob ihn an, um ihn an sich zu drücken. Er spürte die Kälte die von dem toten Körper ausging und sie ekelte ihn an. Schnell ließ er ihn wieder los und folgte Sally, ohne sich noch ein weiteres Mal zu dem Blutbad umzudrehen. Sallys Messer schob er sich unter den Gürtel, nachdem er es an seiner Kleidung abgewischt hatte.
"Halt dich fest", sagte Sally, dann öffnete sie die Tür.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro