Chapter Nine
Kai Chou legte den Bewusstlosen auf die Bank im Abteil und zog ein Fach über ihm auf, aus dem er einige Utensilien zum Verarzten zog. "Risu hilf mal", sagte er beiläufig zu dem Shinigami, und zu Timber: "schau aus dem Fenster, Kleiner." Der kleine Junge gehorchte zögernd, aber immer noch schneller als Risu. Kai Chou löste das als Verband umfunktionierte Tuch von Shivas Körper und schlug auch seine Kleidung beiseite. Das weiße Hemd war blutdurchtränkt und verfärbt, die goldfarbene Haut viel zu kalt. "Iiiiihh", sagte Risu als die Person mit der Maske die Wunde sah. Sie sah fast aus wie ein professioneller Arzt, dachte Chou und reichte ihr die Gegenstände, die er gefunden hatte. "Ich gebe mein bestes, Kai-kun", der Shinigami wurde ernst und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Niemand war darin so erfahren wie Risu, wo der Tod doch vierzig Erdenjahre in der Oberwelt als Militärarzt gearbeitet hatte. Kai Chou hatte längst aufgehört es sich vorstellen zu wollen. Für ihn war es undenkbar im Jenseits zu leben, er hatte zu viel Angst dort jemanden zu finden, den er zu sehr mochte. Aber dieser Jemand würde vergehen wie eine Blume, und er selbst nicht um eine Erdensekunde altern. Die Gedanken abschüttelnd jemanden verlieren zu können, kauerte er sich neben den Grünhaarigen und strich ihm fast zärtlich über die Wange. Er liebte diese Haut, ihren Farbton von dunklem Karamell und diese Wärme, die von ihr ausging. Kai Chou konnte durchaus Kälte und Wärme empfinden, und auch war sein Körper ebenso gleichwarm wie der eines jeden Säugetiers, aber es war ihm vergönnt, Eis in seinen Händen schmelzen zu lassen oder errötete Wangen mit seinen Händen zu kühlen. Dafür war er doch zu tot. "Risu, wenn er stirbt wird dir niemand mehr die Tür öffnen wenn du mich besuchen willst", ohne großartig einen drohenden Unterton in seine Stimme zu legen, brachte er Risu damit zum Nicken: "Ich geb mir Mühe!" Kai Chou setzte sich auf die Bank gegenüber neben Timber und schlug die Beine übereinander. Die Fahrt war gleichmäßig und geradezu einschläfernd. Normalerweise schlief der Shinigami nicht, ebenso wie er nicht aß solange es keinen triftigen Grund gab. Er müsste nicht einmal atmen, aber das tat man einfach der Etikette wegen, genauso wie Tee trinken und Boot fahren. Er entspannte sich also und schloss die roten Augen, um sich dem Schauspiel eines Traums hinzugeben. Eigentlich war es kein Traum, es war eine Erinnerung, die sich ihm auftat. Wie ein zusammengeknülltes Taschentuch begann sie sich zu entfalten und deutlicher zu werden, bis Risu plötzlich sagte: "Das wars, mehr kann ich auch nicht tun." Der Einhörnige öffnete die Augen wieder und stand auf: "Gut." Mehr sagte er nicht, obwohl er soviel mehr dachte. "Ich glaube nicht, dass er es schafft, Kai-kun", sagte Risu traurig und deckte Shiva mit dem blauen Umhang zu, um den Bewusstloses zu wärmen, "Er ist eben ein Mensch, eine Seele die längst gestorben sein sollte." "Ich weiß, Risu", gab Kai Chou barsch zurück und sah aus dem Fenster. Aber es war nichts außer einem nebelbedeckten See und etwas Wiese zu sehen. Timber war ziemlich still und schaute bedrückt auf seine kleinen Hände, die in seinem Schoß lagen. Er schien über etwas nachzugrübeln. Der Blick des Todes bemerkte ihn, und ganz kurz wünschte sich Kai Chou, Shiva würde leben un der Junge würde sterben. Es war ein bösartiger Gedanke, wie ein Überbleibsel von früher. Anhänglich nistete er sich in seinem Bewusstsein ein, obwohl er versuchte ihn abzuschütteln. Ein Mensch war ein Mensch, er hätte Shiva niemals auch nur beachten sollen. Timber würde bei der Austreibung des Dämons entweder sterben oder in die Oberwelt zurückdürfen, aber für Shiva gab es keinen zweiten Weg. Er war tot. Getötet von seinem Vater. "Kai-kun...?", Risu riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte sich wieder zu dem Eichhörnchen-Shinigami um: "Hm?" "Shiva-kun wird bald aufwachen, wollen wir ihm sagen, dass er bald stirbt?"
"Nein. Das würde ihn belasten."
"Aber... er wird es spüren können."
"Mag sein", Kai Chou horchte auf und lief schnurstracks zur Tür des Abteils, aber dahinter war niemand. "Wahnvorstellungen?", versuchte Risu zu scherzen, aber nicht mal der Tod selbst lachte. "Nein. Hier ist noch ein Passagier." Die Gespensterbahn wurde von vielen Bewohnern unterschiedlichster Dämonsionen genutzt, und daran war auch nichts Illegales, aber Kai Chou hatte keine Lust ausgehorcht zu werden. "Chou?", fragte Timber und zeigte nach draußen, "was ist das da?" Kai Chou blickte auf und betrachtete den Schwarm Krähen, der den Zug zu eskortieren schien: "Das sind Karasus Krähen. Sie sind vollkommen harmlos. Karasu benutzt sie nur, um immer auf dem Laufenden zu bleiben. Als ihre Späher sozusagen."
"Karasu?"
"Sie ist der Tod der Krähen."
"Achso... gibt es auch einen Tod für Ratten?"
"Ja."
"Und für Hühner?"
"Ja, auch."
"Und für Kuchen?"
"Was? Nein. Wie kommst du darauf?"
"Also sind Kuchen untot?"
"Nein, sie besitzen einfach keine Seele."
"Und Gras?"
"Die Pflanzen haben keine wirklichen Seelen, man könnte sie eher mit Maschinen vergleichen. Sie gehen nicht tot, sondern sterben sofort."
"Also sind sie untot?"
"Dieses Wort gibt es nicht. Entweder du bist tot, oder du lebst."
"Aber... und Zombies?"
"Das sind Yoma, Yōkai oder es ist eine Krankheit."
Die beiden schwiegen, verwirrt über die Fragen und Antworten des jeweils anderen, dann schlug Shiva die Augen auf. Zuerst bemerkte es keiner, erst als er sich leise stöhnend aufrichtete, waren alle drei Augenpaare auf ihn gerichtet, sodass er fast schüchtern in seiner Bewegung innehielt und Kai Chou anblickte. Dieser lächelte ganz kurz ein ganz kleines bisschen: "Wie fühlst du dich?" "Benommen", antwortete sein Diener und betrachtete unglücklich den Verband an seinem Bauch, "ich werde euch nur aufhalten." "Was sagst du denn da! Deine Füße sind noch total in Ordnung, und das wird schon wieder!", Risu war wie immer voller Optimismus, wenngleich der Shinigami sich schon etwas schlecht fühlte, Shiva so zu belügen. Er wusste sehr genau wie schlimm es um ihn stand, aber er wollte Kai-kuns Bitte nachkommen. Kai Chou sagte nichts dazu. Still saß er da und blickte zu den Krähen hinüber, die den grauen Himmel mit ihren flatternden Schwingen fast schwarz färbten und unheilvoll wie spionierende Klingen durch den Nebel stoben.
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