𝘌𝘱𝘪𝘭𝘰𝘨
Luna
vier Monate später
„Bist du so weit?", fragte Lance, während er von außen gegen meine Zimmertür klopfte.
„Ja", rief ich und legte mir noch schnell die kleine Goldkette um, die er mir zu unserem Einjährigen geschenkt hatte.
Ich öffnete die Tür und fiel ihm in die Arme. Wie immer roch mein Freund unbeschreiblich gut.
Ich hakte mich bei ihm unter und gemeinsam gingen wir die Treppe nach unten. Meine Familie warte schon auf uns. Meine Mutter steckte in einem teuren Kleid, mein Vater trug die goldene Refortenrüstung. Ein Déjà-vu überkam mich.
„Du siehst toll aus Luna!", rief mein Bruder Herrik mir zu. Er und Jian trugen nun ebenfalls Anzüge. Sie würden uns heute zum Palast begleiten.
Gemeinsam traten wir aus der Haustür und begannen so unseren Fußmarsch zum Palast. Er war nun länger, da wir nicht mehr fliegen konnten, doch in der untergehenden Sonne war es ein schöner Weg.
Den Auserwählten hatten wir es zu verdanken, dass es Nacht- und Tagreich wieder gab.
Sie hatten dafür ihre ganze Energie verbraucht. Es war quasi ein Austausch dafür, dass unsere im Mond steckte.
Noch immer fühlte es sich komisch an. Ich versuchte immer mal wieder auf meine Energie zuzugreifen, doch da war nichts. Kein Kribbeln neben meinem Herzen.
Keine Seelenverbindung zu Lance, die startete, sobald wir in der Nähe voneinander waren und in dessen sicherem Raum wir uns still über alles austauschen konnten.
Keine Flügel, die mich über den Himmel trugen, wann immer ich es wollte.
Doch immerhin hatte ich das Nachtreich zurück. Mein Zuhause. Und meiner Familie ging es gut.
Marie, Pia und die anderen Auserwählten hatten es außerdem geschafft, immerwährende Portale zu erzeugen. Die Reiche standen nun still über der Erde und an vielen Punkten gab es Möglichkeiten, in sie überzuwechseln.
Innerhalb der Reiche gab es nun außerdem mehr Türportale, die das Reisen noch weiter vereinfachten.
Wir schenkten Menschen, die auf der Erde kein Zuhause hatten, eine zweite Chance und andersherum versuchten Natesim, die sich in ihren Reichen nicht wohlfühlten, einen Neustart auf der Erde.
Auch Feuerbändiger hatte es schon ins Nachtreich geschlagen. Jesper zum Beispiel, aber das war eine andere Geschichte.
Gemeinsam mit meiner Familie war ich nun am Palast angekommen. Die Stufen hinauf zur großen Halle waren mir mittlerweile so vertraut wie die Treppe in meinem Haus.
Auch hier wurde ich wieder sentimental. Es gab so viele Erinnerungen an diesem Ort. Der Palast war im letzten Jahr mein zweites Zuhause geworden und ich hatte ihn auch mit einem weinenden Auge verlassen.
Kazumi hatte mir und meiner Familie angeboten, dort zu bleiben, doch wir hatten dankend abgelehnt. In unserem kleinen Haus war es dann doch schöner.
Marie und Pia dagegen waren geblieben. Pias menschliche Familie war zu ihrer Freude ebenfalls eingezogen.
Ebenso wie Jesper und Drew.
Ich umschloss Lance Arm ein bisschen fester bei diesem Gedanken. Es freute mich, dass auch meine beiden besten Freundinnen die Liebe gefunden hatten.
Der Ausdruck beste Freundin versetzte mir zwar noch immer einen Strich, doch ich hatte versucht, meine zwei Leben in dieser Hinsicht voneinander zu trennen. Claire würde immer meine beste Freundin bleiben, auch wenn sie nicht mehr hier war. Sie kannte mich besser als alle anderen.
Doch in Marie und Pia hatte ich nun zwei weitere Personen gefunden, denen ich mir immer anvertrauen konnte. Zu dritt waren wir unzertrennlich und es machte einfach nur Spaß, gemeinsam Zeit zu verbringen.
Wo ich gerade von ihnen sprach ... zwei Gestalten rannten die große Treppe hinunter und riefen meinen Namen.
„Luna! Luna!"
Lachend löste ich mich von Lance und rannte ebenfalls in ihre Richtung. Wir schmissen uns in die Arme und es war so schwungvoll, dass wir fast auf dem Boden landeten.
Ich hatte die beiden nun ein paar Tage nicht mehr gesehen, da ich zurück zur Schule gegangen war und sie viele Dinge auf der Erde zu klären hatten. Sie gaben Interviews und berieten sich mit Politikern, während ich die Schulbank drückte.
„Ich hab euch so vermisst!", rief ich und drückte sie enger an mich. „Bleibt nie wieder so lange weg."
„Das können wir nicht versprechen. Aber nächstes Mal schicken wir dir eine Postkarte."
„Oh ja! Ich will von überallher eine Postkarte!"
„Einverstanden."
Wir lösten uns voneinander, doch ich hielt ihre Hände weiterhin fest. „Was machen die anderen Auserwählten?"
Auch wenn sie nun keine Kräfte mehr hatten, kam ich nicht darum herum, sie immer noch Auserwählte zu nennen. Ich glaube, dass würden sie auch immer bleiben. Wenn auch nicht mehr auserwählt, die Welt zu retten. Aber auswählt, meine besten Freunde zu sein.
„Die sitzen schon drinnen. Ihr seid spät."
„Tut uns leid. Wir unterschätzen immer wieder, wie lange der Weg zum Palast ist."
„Kein Problem. Aber los jetzt." Marie zog uns an unseren Armen Richtung Banques-Saal.
In der Halle, in der ich schon so oft gespeist hatte, war eine riesige Tafel aufgereiht. Fast alle Plätze waren schon belegt und schuldbewusst in Kazumis Richtung lächelnd ließ ich mich an dessen Ende nieder.
Neben Kazumi und Sverre waren alle Auserwählten und ihre Familien anwesend. Außerdem einige Reforten, darunter Drew, Valerian und Cyan. Jesper, Romy und Jacob William.
Auch wenn er nun schon einige Male hier gewesen war, konnte ich es noch immer nicht glauben, wenn ich ihn neben Sverre sitzen sah. Als wäre es etwas ganz Normales.
Noch immer bekam mich manchmal die Panik, dass er den König in einer unbemerkten Sekunde einfach hinterrücks töten würde.
Doch William hatte seine Treue geschworen. Und als Vertreter der Feuerbändiger auch die seines ganzen Volkes.
Das flammende Herz hatte sich zeitgelassen, sich von ihren guten Absichten zu überzeugen. Doch irgendwann hatte es ihnen die Kräfte zurückgegeben.
William hatte durch die Opferbereitschaft der Natesim endlich verstanden. Dass sie nur das Beste für die Welt wollten. Und nie sich nie offensiv gegen ihn gestellt hatten.
William liebte Jesper und da dieser Sverre verziehen hatte, dass er seine Tochter und damit Williams Mutter vor Angst vor den unbekannten Kräften aus den Reichen geworfen hatte, tat er dies auch.
William vertraute Sverre zwar noch immer nicht, doch er versuchte sich auf Jespers Wunsch hin mit seinem Großvater anzufreunden.
Ich warf einen Blick in die Runde. Heute waren nur Personen hier, die zu meinem Freundeskreis gehörten. Die letzten Monate war es oft vorgekommen, dass Politiker der Erde mitgespeist hatten. Natürlich war ich nicht jeden Tag hier, doch Kazumi lud mich oft ein, da auch ich einen großen Teil auf der Reise gespielt hatte.
Meine Augen gingen die Anwesenden der Reihe nach ab.
Meine Eltern versuchten Jian und Herrik gerade zu erklären, dass sie mit dem Essen noch warten mussten, bis die Rede vorbei war. Sie wussten dies eigentlich, immerhin hatten sie lange genug im Schloss gewohnt, doch gerade war ihr Hunger größer als ihr Anstand.
Valerian saß neben seinem Freund Nick und die beiden unterhielten sich mit Cyan über etwas, was ich nicht verstehen konnte.
Jugi und Mrs. Madera redeten ebenfalls miteinander. Wahrscheinlich auf polnisch. Seit Jugi wusste, dass Mrs. Madera ihr Erdjahr dort gemacht hatte und die Sprache sehr gut beherrschte, trafen sie sich oft auf einen Tee.
Die Auserwählten und ihre Eltern saßen bunt gemischt auf der rechten Hälfte des Tisches. Andrew redete mit Maike, während Zane und Elisa versuchten, einen Turm aus den Glasuntersetzern zu bauen.
Romy saß zu meiner rechten und streichelte Wautsi. Auch nachdem ihr die Feuerkräfte vom Herz genommen worden waren und Romy ihre Energie verloren hatte, war der kleine Hund nicht verschwunden.
„Guck wie süß er ist!", sagte sie und hielt ihn zu Jesper. Dieser war zu vertieft in sein Gespräch mit Pia, so dass er es sekundenlang nicht bemerkte. Doch als Wautsi ihm übers Gesicht lenkte, zuckte er zurück.
Ich musste kichern.
Sir Prather saß ebenfalls am Tisch, neben seiner Tochter, und betrachtete die verschiedenen Speisen vor sich. Drew ging noch immer mit Krücken, doch langsam besserte sich ihr Zustand. Marie neben ihr hielt ihre Hand. Die beiden waren zuckersüß zusammen.
Als letztes viel mein Blick auf Lance, der mich wie eigentlich immer, verliebt anlächelte.
Gemeinsam hatten wir so viel durchgemacht, doch er war mir nie von meiner Seite gewichen.
„Woran denkst du?", fragte er.
„Daran, wie gut dir die Rüstung steht", antwortete ich leise.
Lance war nun offiziell bei den Reforten in der Ausbildung. Er hatte dafür die Schule in seinem letzten Schuljahr abgebrochen, was seinem Vater nicht sonderlich gefallen hatte. Doch als er gesehen hatte, wie glücklich Lance seine Arbeit machte, war er mit seiner Wut doch eingeknickt.
„Ich weiß, ich weiß", sagte Lance lachend. „Die Uniform ist aber nicht das Beste. Gestern habe ich endlich geschafft, mit einem Wurfstern was zu treffen. Das muss ich unbedingt Herrik erzählen."
Ich lachte. „Übst du das immer noch?"
„Klar. Ich muss doch deinen kleinen Bruder beeindrucken."
„Sollest du nicht besser mich beeindrucken?"
„Aber das tu ich doch. Mit meiner Rüstung. Hast du gerade selbst gesagt."
„Du Doofi." Mein Lächeln sprach Bände. Ich war glücklich.
Kazumi schlug mit ihrem Messer gegen das Glas, um unser aller Aufmerksamkeit zu erregen.
Gespannt lauschte ich ihren Worten. Wir waren mittlerweile über den Status hinaus, bei jedem Essen das Ereignis von vor vier Monaten zu erwähnen, doch da gerade alle beisammen waren, sprach die Königin des Nachtreichs es nun doch nochmal an.
„Ich kann euch gar nicht sagen, wie dankbar ich für mein heutiges Leben bin. Ich verdanke euch all das Glück, die Liebe und die Freundschaft. Wenn ich an diesem Tisch entlangschaue, sehe ich nur liebevolle Gesichter. Ich denke ich kann für alle sprechen, wenn ich sage, dass wir uns untereinander wahnsinnig viel bedeuten. Wenn nun noch Ade dabei wäre ..."
Sofort wurden Kazumis Augen glasig. Ich wäre jetzt so gerne zu ihr gegangen und hätte sie in den Arm genommen. Ade fehlte wirklich.
„Ich will heute keine großen Worte mehr verlieren", versuchte Kazumi sich zu fangen. „In persönlichen Gesprächen können wir wahrscheinlich besser unsere Dankbarkeit zueinander ausdrücken. Deswegen würde ich euch heute von einer großen Rede verschonen. Also dann, fangt an!"
Wir klatschten und Sverre umarmte Kazumi. Dann entstand ein großes Gemurmel und alle griffen zu.
Mein Blick wanderte zu Marie und Pia. Die beiden sahen zufälligerweise ebenfalls zu mir und ich bedeutete ihr mit einem Blick, mir zu folgen.
Sie verstanden und wir gingen auf einen der großen Balkone, die vom Speisesaal abgingen.
Der Mond leuchtete über uns und ein leichter Wind ging, als sie neben mir durch die bogenförmige Tür traten.
„Was ist los?", fragte Pia.
„Kommt nochmal her", sagte ich und zog sie in eine weitere Umarmung.
„Warum das denn?", fragte Pia und ich musste lachen über ihren Missmut.
„Ich hab euch lieb."
„Wir dich doch auch."
Mein Blick wanderte wieder zum Sternenhimmel, als sich kleine Tränen in meinen Augenlidern bildeten. Ich wusste nicht, wo sie gerade herkamen, aber ich akzeptiere sie.
Es waren keine Tränen der Trauer, sondern welche vor Freude. Gerade schien ich zu realisieren, was in den letzten Monaten passiert war.
Mein ganzes Leben war ich damit aufgewachsen, dass die Erde irgendwann zugrunde gehen würde, da wir nichts dagegen unternahmen. Dass ich ein machtloser Teil in einem zu großen System war. Doch nun war sie gerettet, und ich hatte dabei geholfen.
Ich hatte sie gerettet. Marie, Pia und ich.
Es war Frieden, ich stand im Nachtreich auf dem Balkon des schönsten Palastes der Galaxis.
Gemeinsam hatten wir es geschafft.
Ich trat mit den beiden in meinen Armen an das Geländer und drückte sie fest.
Der Wind fuhr durch meine Haare und verknotetet sie wahrscheinlich mit denen der beiden anderen.
Ein Gemisch aus Pias braunen, meinen schwarzen und Maries blonden Haaren. Ein Tost auf unsere Freundschaft.
Wie schrecklich die Zeit des letzten Jahres auch teilweise gewesen war, ich hatte sie kennen und lieben gelernt, und das war die Hauptsache. Wir hatten zusammengehalten, auch wenn wir uns manchmal stur angestellt hatten.
„Was genau machen wir hier jetzt?", fragte Pia.
„Einfach stehen", sagte ich, während die Tränen meine Wangen hinunterliefen.
Eine Sternschnuppe flog vorbei und ich schloss die Augen, um mir etwas zu wünschen.
Ein langes Leben mit meiner Familie, Lance und meinen Freunden.
„Ich hab euch ganz doll lieb", sagte ich schniefend und zog sie noch enger zu mir. „Auch dich Pia, obwohl du es nicht hören willst."
„Schon ok", sagte sie. Sie musste wohl meine Tränen bemerkt haben, denn plötzlich war auch sie ganz sentimental.
Marie drückte meine Hand, welche ihr um die Schulter lag.
Wieder realisierte ich, was das für uns bedeutete.
Der Kampf war geschlagen.
Es war vorbei.
Wir hatten uns und wir hatten es geschafft. Wir hatten die Welt gerettet.
ENDE
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