𝑃𝑟𝑜𝑙𝑜𝑔
Luna
Blutrote Rosen bildeten einen Kranz der Trauer, in dessen Mitte ein schwarzer, goldverzierter Sarg thronte.
Heute fand die Beerdigung unserer Königin statt. Das ganze Schloss hatte sich in den königlichen Gärten versammelt. Wir befanden uns im Blüten-Pavillon, dem größten und schönsten im ganzen Garten. Auf allen Seiten und an der Decke rankten sich bunte Pflanzen, die trotz des traurigen Anlasses eine wunderschöne Atmosphäre schufen.
Gemeinsam mit Marie und Pia saß ich im hinteren Teil des Pavillons. Vorne hatten sich die Familien von Ade und Kazumi versammelt und ein Fernsehteam nahm den größten Teil des Innenraumes ein.
Die Beerdigung der Königin des Nachtreichs wurde für alle im Reich live übertragen. Trotzdem hatten sich unglaublich viele Natesim an diesem Nachmittag im Schlossgarten eingefunden. Meine Familie und die Eltern der Auserwählten standen in der ersten Reihe nach dem Absperrband, was die offiziellen Gäste der Beerdigung von den trauernden Besuchern trennte.
Ein Trauerredner erzählte gerade etwas über Ades Leben, doch ich hörte gar nicht richtig hin. Zu oft hatte ich in den letzten Tagen um die Königin geweint, wenn ich nur kurz an sie gedacht hatte.
Öffentlich und live im Fernsehen meine Emotionen zu zeigen, kam nicht in Frage. Stattdessen lenkte ich mich weiter damit ab, die Personen jenseits des Absperrbands zu beobachten.
Nachdem der Sarg gleich zum Grab transportiert und dort auf alle Zeit vergraben werden würde, durften alle Besucher der Reihe nach ihren letzten Segen verkünden.
Schon vor Tagen waren mir die Worte klar gewesen, die ich Ade wünschen würde. Sie hatte mir in den letzten Wochen so viel Kraft geschenkt. Sie war wie eine Freundin für mich gewesen. Da viel es mir nicht schwer, einige gute Worte über sie zu verlieren.
Mit einem Lächeln im Gesicht erinnerte ich mich an die Male, in denen ich ihr morgens neue Rosen ins Gewächshaus bringen sollte. Gemeinsam hatten diese Pflanzen und die Königin ihre Stunden hier verbracht. Sie hatten zueinander gehört. Sie waren gemeinsam gewachsen. Ade dadurch, dass sie mit Kazumi das Gesetz ändern lassen wollte und die Blumen, da sie immer größer geworden waren. Und nun lagen ebendiese Rosen auf ihrem Grab. Wie Ade war auch ihnen ihr Leben genommen worden. Was eine Ironie.
„Luna? Es geht los." Marie riss mich aus meinen Gedanken. Sie war neben mir aufgestanden, und ermutigte auch mich dazu, mich von meinem Stuhl zu erheben. Die Trauerrede war vorbei und die Anwesenden fanden sich langsam zu einer Reihe zusammen, die dem Sarg folgen würden. Dabei erklangen die ersten Töne von Ades Lieblingslied.
Ich zog mein schwarzes Kleid zurecht – was echt hübsch war und was ich auch an jedem anderen Tag getragen hätte – und quetschte mich zwischen zwei Stuhlreihen nach draußen.
Gemeinsam mit Marie und Pia verfolgte ich, wie der Sarg in das Grab gelassen und danach von Reforten symbolisch mit ein wenig Erde überschüttet wurde.
Jeder der Anwesenden hatte dann noch die Möglichkeit, eine Blume in das Loch hineinzuwerfen und mit ihr Ade einen letzten Gruß auszurichten.
Nachdem Marie, Pia und ich das erledigt hatten, ließen wir uns noch kurz bei der Feier und dem Bankett sehen. Doch wirklich lang blieben wird nicht. Ich hatte noch nie verstanden, wie man den Tod eines Verstorbenen feiern konnte.
Natürlich wollte auch ich Ade meinen letzten Respekt erweisen, aber hier auf der Tanzfläche sah ich Natesim, die ausgelassen lachten und feierten. Als hätte es Ade nie gegeben und sie wären hier auf einem ganz normalen Fest.
Ich würde lieber morgen noch einmal an Ades Grab gehen und dort ein paar schweigende Minuten verbringen, als dieses Event wieder zu etwas zu machen, bei dem es nur darum ging, von anderen gesehen zu werden, statt um die Verstorbene zu trauern.
Deshalb verzog ich mich mit Marie in die Bibliothek. Wir waren in der Gedichte-Abteilung gelandet und Marie präsentierte mir gerade ein paar ihrer liebsten Texte.
Es tat gut, mal mit ihr allein zu sein. Die letzten Wochen waren wir als Gruppe unterwegs gewesen und Einzelgespräche hatte ich so gut wie gar nicht geführt.
Außerdem hatte ich neben Ade am Tag der Kämpfe auch meine beste Freundin verloren. Als ich Claire damals im Palast des Tagreichs stehen gesehen hatte, war ich unglaublich glücklich gewesen. Zu lange schon hatte ich sie nicht gesehen.
Doch als ich dann bemerkt hatte, dass das Feuer in ihren Augen loderte und die Auserwählten es nicht schaffen, sie zu retten, war meine Freude schnell der Trauer gewichen.
Claire lag nun auf dem Waldfriedhof, welcher sich in der Nähe meines Heimatortes befand. Ich würde auch sie gerne besuchen, doch einen Tagestrip konnte ich mich gerade nicht leisten. Zu wichtig waren die Dinge, die im Schloss anstanden.
Morgen würden das erste offizielle Treffen mit dem Wissenschaftlerteam stattfinden. Die acht Auserwählten hatten sich bereits so getroffen und ein wenig herumexperimentiert, doch nun würden wir gemeinsam versuchen, endlich eine Lösung für die Erde zu finden.
„Luna?" Marie riss mich fragend aus meinen Gedanken. Wie schon so oft in den letzten Tagen hatte ich mich mehr darauf konzentriert, was in der Zukunft vor mir lag, als auf das, was ich gerade in der Gegenwart tat.
„Was ist los?", fragte ich meine Freundin. Dabei ließ ich meine Schultern rotieren. Das Sitzen in den flauschigen Sesseln der Leseecke war zwar entspannend, doch da ich auch den Rest des Tages größtenteils gesessen hatte, sehnte ich mich jetzt nach etwas Bewegung.
„Willst du gehen?", fragte Marie, meinen Bewegungen folgend.
„Eigentlich schon. Ein Spaziergang wäre jetzt gut. Willst du mitkommen?"
„Klar. Vielleicht können wir kurz bei Pia vorbeigehen und sie fragen, ob sie auch mitkommen will."
„Natürlich."
Maries Schwester war nicht mit in die Bibliothek gekommen, da sie trotz ihrer Verwandtschaft zu Marie, nichts mit Büchern anfangen konnte. Lieber hatte sie ein wenig Zeit damit verbringen wollen, einen Film zu schauen.
Dabei hatte sie weniger glücklich ausgesehen, als sie ihr Plan eigentlich machen sollte. Seit Tagen war Pia schlecht drauf. Verübeln konnte ich es ihr natürlich nicht, doch bei ihr steckte mehr dahinter als nur die Angriffe und Ades Tod.
Pia trug Schuld daran, dass die Feuerbändiger uns auf der Erde gefunden hatten. Durch ihre Nachrichten hatten sie gewusst, dass wir uns auf Andrews Farm befanden.
Außer Pia fand das im Nachhinein keiner mehr schlimm. Immerhin hatten wir es unbeschadet geschafft, zu entkommen. Doch die junge Auserwählte wollte davon nichts hören.
Außerdem trauerte sie wohl immer noch ihrem Jesper her, der sich leider als Jacob Williams Sohn entpuppt hatte.
Marie und ich liefen eine Treppe nach unten und grüßten die beiden Reforten, denen wir entgegenkamen. Ich kannte sie nicht und hoffte deshalb, dass sie kein Gespräch mit uns anfangen würden.
Marie war eine Auserwählte und deshalb eine Berühmtheit. Die meisten Leute, die sie das erste sahen, hielten an, um entweder ihre Hochachtung oder ihre Missachtung kundzutun. Denn noch immer waren nicht alle Natesim damit einverstanden, dass die Reiche nun doch mit den Auserwählten zusammenarbeiteten.
Ich hatte Glück und die Reforten liefen vorbei.
Marie atmete neben mir hörbar aus. Auch sie schien erleichtert zu sein. Offenbar war sie kein Fan davon, im Rampenlicht zu stehen.
„Denkst du, Pia wird uns begleiten? Sie war die letzten Tage so distanziert. Ich habe Angst, dass ich sie verliere." Marie spielte ängstlich an ihren Fingern herum.
„Wie meinst du das?", fragte ich.
„Irgendwie war sie in den letzten Tagen nie wirklich bei der Sache. Wenn wir uns getroffen haben, um Experimente mit den Energien zu veranstalten, war sie zwar anwesend, doch sie hat sich sehr zurückgehalten. Meistens hat sie die ganze Stunde lang nichts gesagt."
„Merkwürdig. Dabei schien sie, nachdem sie ihre Eltern in alles eingeweiht hatte, endlich in den Reichen angekommen zu sein. Ich dachte, spätestens da hätte sie erkannt, wie wichtig ihre Aufgabe ist."
„Ich glaube auch nicht, dass es ihr um die Aufgabe geht. Natürlich will Pia die Welt retten, aber ..." Marie suchte nach den richtigen Worten. „Ich glaube, sie ist immer noch enttäuscht darüber, dass unsere Eltern ihr nicht die Wahrheit sagen wollen. Und jetzt kam das mit Jesper William, von dem sie angenommen hatte, er wäre ihr eine emotionale Stütze. Doch dann hat er sie verraten."
„Wie gut kannten sie sich eigentlich? Sie haben sich doch nur ein einziges Mal gesehen. Kann man danach schon so an einem Menschen hängen?"
Marie sah mich schief von der Seite aus an. „Das sagst gerade du. Warst du nicht nach deinem ersten Date schon voll in Lance verliebt." Ein neckender Unterton lag in ihrer Stimme, doch er überspielte nicht die Ernsthaftigkeit, die Marie in ihre Worte legte.
Man hörte genau heraus, wie sie ihre Schwester verteidigen wollte.
„Du hast wohl Recht. Ich bin ein hoffnungsloser Fall", sagte ich seufzend.
„Bei dir ist das ja auch nicht schlimm, Lance ist großartig. Er würde dich nie hintergehen. Aber für Pia muss es hart sein. Sie hat Jesper über die WhatsApp-Nachrichten ihre Geheimnisse und Ängste anvertraut. Und so wie sie es mir erzählt hat, hatte er ihr echt gut weiterhelfen können. Auch wenn er sie schlussendlich verraten hat, kann sie sich nicht vorstellen, dass sein gesamter Charakter verdorben ist. Irgendwo in ihm drin gibt es die Person, die Pia Tipps und Aufmunterungen geschrieben hat."
„Verstehe." Ich nickte andächtig. Wenn man es so betrachtete, klang es gleich viel herzzerreißender. Pia tat mir wirklich leid.
„Denkst du, ihr wird es bald wieder besser gehen?"
„Das hoffe ich", sagte ich und klopfte an Pias Tür. Wir waren mittlerweile vor ihrem Zimmer angekommen.
Da sie sich vorhin bei uns verabschiedet hatte, mit den Worten: „Wenn etwas ist, ich bin in meinem Zimmer", warteten wir nun geduldig auf eine Antwort.
Doch eine Minute verging, und niemand ließ uns herein.
„Vielleicht ist sie im Bad", schlug Marie vor und klopfte mit ihrer Faust noch einmal härter gegen die Tür.
Wieder keine Antwort.
„Sie scheint nicht hier zu sein", sagte ich und probierte die Türklinke. Sie ließ sich öffnen.
Fragend sah ich zu Marie. „Soll ich."
„Klar. Geheimnisse können meine Schwester und ich hier nicht verstecken. Dafür haben wir zu wenig von der Erde in den Palast mitgekommen."
Ich zog die Tür auf und sah mich im Zimmer um. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Überall lagen Klamotten, Schuhe und leere Essensverpackungen. Pia schien jemand zu sein, der nicht viel von Ordnung hielt.
„Bist du da, Pia?", fragte Marie noch einmal in den leeren Raum hinein. Ich wusste nicht, was sie sich dabei gedacht hatte. Man konnte das ganze Zimmer überblicken und offensichtlich war Pia nicht hier. Oder hatte Marie angenommen, dass sie sich unter dem Bett versteckt hatte?
Apropos Bett. Gerade wanderte mein Blick darüber und entdeckte einen kleinen Zettel.
Es war eine Notiz, die direkt an Marie adressiert war.
Ich stupste sie leicht an und deutete mit meiner Hand auf die Notiz. „Da liegt was für dich."
Fragend zog Marie eine Augenbraue nach oben und griff nach dem kleinen Zettel. Sie überflog die wenigen Zeilen und schnappte dann nach Luft.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen als sie mir die Nachricht übergab.
Hallo Marie,
ich halte es hier nicht mehr aus. Deine Eltern wollen mir einfach keine Antwort auf die Frage geben, warum sie mich damals weggegeben haben. Ich fühle mich in ihrer Anwesenheit nicht wohl.
Jesper hingegen hat mir Antworten versprochen. Ich werde ihm zu den Feuerbändigern folgen. Er meint, er passt auf mich auf und mir passiert nichts. Natürlich weiß ich nicht, ob ich ihm trauen kann, aber alles ist besser, als tagtäglich im Palast des Nachtreiches herumzusitzen.
Ich melde mich bald wieder, wenn ich Antworten habe.
Liebe Grüße
Pia
Mein Blick wanderte wieder zu Marie, die immer stärker zu zittern begann.
Auch ich war schockiert.
Pia war gegangen? Sie war wirklich weg! Sie machte sich auf den Weg zu den Feuerbändiger, wo auch immer diese sich befanden.
Und auch wenn es in ihrem Brief so klang, als hätte sie ein wenig Vertrauen in Jesper, war Marie und mir beiden klar, dass er sie früher oder später wieder verraten würde. War Pia so blind?
Wenn wir nichts unternahmen, würde sie von den Bändigern getötet werden, noch bevor sie richtig in deren Unterschlupf angekommen war.
Wir mussten sie retten! Doch wo würden wir unsere Feinde finden? Hoffentlich hatte Sverre eine Idee.
Ich faste Marie am Arm und zog sie mit mir. Wir mussten dem König des Tagreichs einen Besuch abstatten.
Noch immer konnte ich nicht fassen, dass Pia wirklich gegangen war. Obwohl uns aufgefallen war, dass sie etwas beschäftigte, hätten wir niemals gedacht, dass sie es so weit kommen ließ. Was dachte sie sich dabei, zu den Feuerbändigern zu gehen?
Wohin war sie verschwunden?
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