𝑁𝑒𝑢𝑛
Kurze Zeit später befanden wir uns auch schon beim Treffen der Verbündeten. Jesper und ich hatten besprochen, die anderen fürs erste nicht in unsere neue Theorie einzuweihen, weil es dafür noch zu früh war. Zuerst würde ich mit Kazumi und Sverre darüber reden müssen.
Das Treffen fand dieses Mal bei einem anderen Bändiger Zuhause statt. Ich saß zwischen Jesper und Romy und wurde von allen Seiten angestarrt. Natürlich verstand ich, dass ich für die Feuerbändiger DIE Sensation sein musste. Trotzdem war es nervig, nicht in Ruhe frühstücken zu können. Immer wieder wurde ich Dinge gefragt, über die ich gar nicht reden wollte.
Romy schaffte es irgendwann, ein längeres Gespräch mit mir aufzubauen, was mich sehr erleichterte, denn so traute sich kein Fremder, mich einfach anzuquatschen.
Romy und ich konnten hier nicht offen über ihre wahre Identität reden, doch nachdem ich ihr leise zugeflüstert hatte, wie sie den Energie-Schutzschild für mich senkte, den wir gestern gemeinsam aufgebaut hatten, schlüpfte ich ihn ihre Gedanken und kommunizierte so mit ihr.
„Nicht erschrecken", sagte ich schnell. „Versuch mal, was ganz Unschuldiges zu sagen. Vielleicht bekommst du es ja schon hin, deine Gedanken nicht mehr auszusprechen. Aber falls dem nicht so sein sollte, ist es besser, wenn du nicht auf meine Gesprächsanteile eingehst und stattdessen über etwas ganz anderes redest."
Kurz sah ich die Irritation in Romys Augen, doch dann schien sie zu verstehen, was ich von ihr wollte. Sie durfte nicht verraten, dass wir gerade in unseren Gedanken miteinander kommunizierten. Laut und für alle hörbar sagte sie: „Wie geht es dir Pia?"
„Gut", sagte ich. Jedoch war ich ein wenig leiser.
In unseren Gedanken fügte ich hinzu: „Du hast leider laut gesprochen. Sehr laut sogar."
„Das habe ich gemerkt", sagte Romy unüberlegt. Zum Glück konnte man ihre Antwort auch auf die laut gestellte Frage beziehen. Das merkte auch sie, weshalb sie hinterherschob: „Du siehst heute sehr glücklich aus."
„Danke", sagte ich ihr lächelnd. Dann fügte ich nur für sie hinzu: „Versuch es nochmal. Konzentriere dich dabei wirklich nur auf mich. Du willst nicht sprechen, du willst mir ohne Worte etwas sagen."
„Kannst du mir die Butter geben?", fragte Romy. Es war immer noch hörbar, aber schon weitaus leiser.
Ich griff nach der Butter und lobte sie: „Schon besser. Gleich hast du es. Rede nur mit mir. Blende die anderen einfach aus."
„Reichst du mir jetzt noch die Marmelade."
Ich grinste. Dieses Mal hatte Romy ausschließlich in meinen Gedanken gesprochen. „Du hast es geschafft!", berichtetet ich ihr glücklich über das Band.
„Juju!" Romy streckte die Arme in die Höhe und jubelte übertrieben. Ich packte sie sofort und versuchte, sie zum Stillsitzen zu animieren.
„Jetzt hast du alles kaputtgemacht!" Doch ein Lachen konnte auch ich nicht unterdrücken. Was mussten die Verbündeten jetzt von uns denken?
Hoffentlich dachten sie einfach, Romy und ich hätten so leise geflüstert, dass sie es nicht mitbekommen hatten und nicht, dass wir verrückt geworden waren. Wobei das bei unseren Persönlichkeiten wohl auch möglich wäre.
„Tschuldigung", machte Romy kleinlaut. „Nächstes Mal passe ich besser auf."
„Kein Problem. Gleich ist das Essen sowieso vorbei und dann muss ich zurück ins Nachtreich. Wir können uns aber gerne weiterhin über die Seelenverbindung verabreden und unterhalten. Dann kann ich dir noch ein paar Sachen beibringen. Viel weiß ich bisher ja auch noch nicht."
„Gerne. Du bist mir eine große Hilfe." Romy zog mich in eine kleine Umarmung. „Danke, dass du dir die Zeit für mich genommen hast."
„Natürlich." Mit diesen Worten löste ich die Verbindung wieder.
Erst jetzt nahm ich wahr, wie Jesper uns interessiert musterte. Auch alle anderen Bändiger schienen unserer Unterhaltung zu lauschen, doch diese blendete ich aus.
Ich schenkte meinem Freund ein ehrliches Lächeln. „Was genau passiert heute eigentlich noch bei diesem Treffen? Essen wir nur?"
„Nein, gleich soll es noch eine Ankündigung geben."
„Verstehe." Hoffentlich wurde ich dieses Mal außen vor gelassen.
Wie aufs Stichwort stand in diesem Moment eine Bändigerin auf und räusperte sich. „Danke, dass ihr alle gekommen seid." Sie versuchte, jedem in der Runde einen Blick zu schenken. „Wie ihr wisst, werden wir heute Pia Salega verabschieden."
So viel zu dem Thema ...
„Die Auserwählte wird heute zurück ins Nachtreich fliegen und den Natesim von unserer Existenz erzählen. Danach sind wir kein dreckiges Geheimnis mehr, sondern eine Organisation, die bei der Rettung der Erde mithilft."
Lautes Jubeln war zu hören. Für die anwesenden Bändiger musste dies ein sehr bedeutendes Treffen sein. Jahrelang hatten sie sich bedeckt im Untergrund gehalten und nun würden sie endlich dafür kämpfen, dass sich etwas änderte. Wobei ich mir mittlerweile nicht mehr sicher war, ob es noch das Richtige war, für das sie da kämpfen wollten.
„Sobald Pia die Natesim eingeweiht hat, werden wir über unseren Informanten, Jesper William, über ihren Plan informiert. Und dann beginnt für uns die Planungsphase. Was werden wir tun? Und noch wichtiger: Wie werden wir es tun? Denn die Bändiger sollten am besten nichts davon mitbekommen. Unser gemeinster Schachzug wird es sein, zu tun, als würden wir mit ihnen gegen die Natesim kämpfen und dann plötzlich aus ihren eigenen Reihen einen Hinterhalt zu starten. Je unwissender sie sind, desto besser."
Plötzlich sah mich die Feuerbändigerin sehr intensiv an.
„Pia, wir wünschen dir, denke ich mal, alle von Herzen viel Erfolg. Rette unsere Erde, wir werden dir den Rücken stärken!"
Wildes Gemurmel brach aus und nun sahen wirklich alle Anwesenden zu mir. Sollte ich jetzt etwas sagen? Oder wollten einfach alle einen letzten Blick auf mich erhaschen? Ich war vorher wie ein Volksmärchen für sie gewesen und jetzt mit mir gemeinsam am Tisch zu sitzen musste für sie unglaublich sein.
Für mich war es nur umso seltsamer. Bis vor ein paar Monaten hatte ich gar nicht von meinen ach so tollen Kräften gewusst, die mich zu einer bekannten, verehrten oder berüchtigten Person machten.
Noch konnte ich nicht damit umgehen. Und ich fragte mich, ob ich es je können würde.
Unschlüssig räusperte ich mich. „Ich danke euch von ganzem Herzen, dass ich hier so herzlich empfangen wurde. Außerdem habt ihr meinen größten Respekt dafür, dass ihr euch gegen eure Regierung stellt, um das Richtige zu tun." Meine Stimme klang stark und sicher. So fühlte ich mich zwar nicht, aber gut, dass es so rüberkam. „Der Kampf wird hart werden und ich glaube, dass ist euch allen bewusst. Deshalb bleibt mir nur zu sagen: Viel Glück, wir schaffen das!"
Wieder hallten Jubelschreie durch das Wohnhaus. Von allen Seiten streckten sich mir Hände entgegen, die ich lächelnd schüttelte. Ich wurde gedrückt, beglückwünscht und herzlich verabschiedet. Natürlich konnte ich mir nicht jeden Namen und jedes Gesicht merken, doch jeder Händedruck und jede Umarmung hatte mir die Welt bedeutet. Irgendwie tat es weh zu wissen, dass ich all diese Menschen vielleicht zum letzten Mal sah. Vielleicht würden sie in dem bevorstehenden Krieg fallen.
Sie würden sich opfern.
Für die Welt.
Für mich.
Bevor ich weiter über diesen Gedanken stolpern konnte, spürte ich Jespers Hand in meiner. Hatte er mir ansehen können, dass ich dabei war, zu viel über das alles hier nachzudenken? Wahrscheinlich.
„Alles gut", flüsterte er mir zu und strich mit seiner Hand über meine.
„Das alles hier tut mir so leid", antwortete ich ihm.
Wir waren gerade dabei, das Haus, wo das Treffen stattgefunden hatte, zu verlassen. Romy würde erst einmal hier bei den anderen bleiben.
Wenn so viele Bändiger gleichzeitig das Versteck verließen, würde das zu viel Aufsehen erregen.
Deshalb musste ich mich nun von der neuen Freundin verabschieden.
Schwermütig zog Romy mich in eine Umarmung. „Du wirst mir fehlen", sagte sie, den Tränen nahe.
Normalerweise hätte ich es merkwürdig gefunden, wenn mir jemand so etwas nach einem Tag, den wir uns kannten, sagte, doch bei Romy passte es irgendwie. Ich verstand, warum ich ihr so wichtig war. Denn ich hatte ihr dabei geholfen, einen Teil von sich selbst neu zu entdecken. Auch wenn sie noch kein Profi war, die ersten Schritte die Natesim-Seite in sich zu erforschen, hatte sie nun getan.
„Wir werden uns bald wiedersehen", versprach ich Romy. „Spätestens, wenn alles vorbei ist, komme ich euch wieder besuchen."
„Aber was ist, wenn das nie zustande kommt? Wenn es mich, Jesper oder diese Stadt nicht mehr gibt?"
Ja, was dann? Erst gestern hatte ich selbst solch negativ belastete Sätze von mir gegeben, doch nun wo Romy sie aussprach, merkte ich, wie falsch meine Einstellung war.
Man war machtlos, eine aufmunternde Antwort zu geben, da es keine Beschönigung dieser Worte gab. Es war ein Fakt: Vielleicht würde es für uns alle kein Morgen geben.
„Wir schaffen das", versicherte ich Romy. „Auf welchem Weg auch immer, aber irgendwann werden wir uns wiedersehen."
„Versprochen?"
„Versprochen. Und wenn es dich beruhigt, wir können uns in den nächsten Tagen gerne weiterhin über die Seelenverbindung unterhalten. Wenn du weitertrainierst, können wir bald auch das Bild hinzuschalten. Das wird super."
Romy sah mich irritiert an.
„Dann kannst du mich in deinen Gedanken sehen", erklärte ich ihr. „Natürlich stehe ich nicht in echt vor dir, doch du kannst mir wahrnehmen, als sei ich da."
Meine Gesprächspartnerin machte große Augen. „Echt? Wie cool!"
„Ja, aber jetzt leise", ermahnte ich sie. Schon wieder wurden wir von allen Seiten gemustert. Keiner durfte wissen, worüber wir gerade geredet hatten. Auch wenn die hier anwesenden Bändiger unsere Verbündete waren, wusste ich nicht, ob man ihnen Romys Geheimnis anvertrauen konnte. Immerhin war eine Hybrid nochmal etwas ganz anderes als eine Natesim, eine Feuerbändigerin, oder eine Auserwählte.
Ich hatte mich eigentlich nur kurz von Romy verabschieden wollen, doch nun standen wir schon für längere Zeit an der Haustür.
Ich hob meine Hand, um den anwesenden Bändigern zu signalisieren, dass ich jetzt ging.
Sie grüßten zurück oder riefen: „Viel Erfolg."
„Tschüss Romy, wir sehen uns nachher", sagte Jesper noch, bevor er die Tür aufzog und hinaustrat.
Ich drückte die junge Frau noch einmal an mich, bevor ich ebenfalls nach draußen ging. Die Tür fiel hinter uns ins Schloss und ich holte einmal tief Luft. Nun gab es kein Zurück mehr. Meine Reise in der Feuerstadt war zu Ende und ich musste zurück zu meinem neuen Zuhause.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro