𝐹ü𝑛𝑓𝑧𝑒ℎ𝑛
„Sverre und ich sind der Meinung, dass wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sein müssen. Deshalb sollten wir uns weniger darauf konzentrieren, was nun die Wahrheit eines Ereignisses vor abertausenden von Jahren war und mehr darauf, was vor uns liegt."
Lance und ich tauschten einen freudigen Blick. Offensichtlich hatten sich die Königin des Nachtreichs und der König des Tagreichs ähnliche Gedanken gemacht wie wir.
„Deshalb würden wir die Abstimmung heute auch vertagen", berichtete Sverre weiter. „Das Wissenschaftsteam und die Auserwählten werden gleich an die Arbeit gehen und sich über weitere Taktiken Gedanken machen, Sanna und Mano zu befreien. Marita und ihr historisches Team haben eine weitere Woche, Informationen über den vergangenen Krieg herauszufinden. Ihr habt eine Woche, um einen Schlachtplan für die Rettung zu entwerfen. Nach dieser Woche wird hoffentlich eine Entscheidung gefallen sein und die Planungsphase vorbei sein. Dann können wir endlich in die Ausführung übergehen."
Mir blieb die Luft weg. Eine Woche. Eine einzige Woche hatten wir noch, bevor das Schicksal der Erde entschieden wurde. Das war verdammt wenig Zeit, um über etwas so Großes entscheiden zu können.
Wieder suchte ich Lance' Hand neben mir. Ohne ihn würde ich die Anspannung wohl nicht überleben.
Es dauerte noch ein paar Minuten, in denen mehrere der Anwesenden Fragen stellten, aber dann war das Treffen endlich vorbei und wir durften gehen.
Ein wenig orientierungslos sah ich mich um. Die Auserwählten und die Wissenschaftler waren wohl bereits aus einem Ausgang aus der Halle gegangen, weshalb ich sie nicht sofort sah.
Doch da es gleich mit einer Versammlung weitergehen würde, durfte ich sie nicht verlieren.
Zum Glück erblickte ich in dieser Sekunde Maries blonden Haarschopf in der Menge. Sie hatte sich die langen Haare zu einem unordentlichen Pferdeschanz gebunden.
Gerade sprach sie mit Drew, weshalb ich sie nicht unterbrechen wollte. Ich wusste nicht, ob die junge Refortin ebenfalls an unserem Treffen teilgenommen würde, oder gerade spontan dazugekommen war.
Doch da Marie und sie vertieft in ihr Gespräch schienen, wollte ich nicht unterbrechen.
Stattdessen erblickte ich Pia wenige Meter neben ihrer Schwester. Die Auserwählte hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte auf ihr Handy.
Schrieb sie schon wieder mit Jesper?
„Hallo Pia!", begrüßte ich sie fröhlich.
Sie antwortete mir mit einem Nicken. „Was ist los?"
„Kann ich dich zu der Experimentierkammer begleiten?"
„Natürlich", sagte Pia, doch das Seufzen in ihrer Stimme verriet mir etwas anderes. Sie wollte mich nicht sehen oder sich mit mir unterhalten. Ich konnte Pia überhaupt nicht einschätzen, denn dafür kannte ich sie nicht gut genug.
Hasste sie mich? Hasste sie jeden? Oder hatte sie einfach ein Resting-Bitch-Face?
„Du schreibst nicht zufällig gerade mit Jesper?", fragte ich und deutete auf ihr Handy. Wenn sie sowieso schon genervt von mir war, konnte ich auch ein bisschen gehässig sein.
Doch Pia zog ihre Mundwinkel noch weiter nach unten. Offensichtlich hatte sie eine übertrieben schlechte Laune.
Aber warum? Das Treffen war doch ganz gut ausgegangen.
„Geht dich gar nichts an", erwiderte sie mir bissig.
Kurz überlegte ich, ob ich nicht einfach aufgeben, und schweigend neben ihr herlaufen sollte. Doch das passte einfach nicht zu mir. Bevor mein Kopf es mir ausreden konnte, hatte ich auch schon wieder gesprochen.
„Warum bist du so schlecht drauf? Du kannst immer mit mir reden Pia, ich hoffe, dass weißt du."
Dass ich immer noch in einem freundlichen Tonfall mit ihr sprach, schien Pia zu überraschen. Sie sah von ihrem Handy auf. „Ich glaube nicht, dass du mir helfen kannst."
„Wenn du nicht versuchst, es mir zu erklären, werden wir es nie herausfinden."
Pia schien noch immer nicht überzeugt. „Ist schon gut, ich kann das nachher einfach mit Marie besprechen."
„Okay." Es entstand eine unangenehme Gesprächspause, die ich einfach mit weiteren Worten füllen musste. „Magst du mich?"
„Hä?"
„Ich habe manchmal das Gefühl, dass du schnell genervt von mir bist. Aber eigentlich ist das bei dir bei allen Menschen so. Deshalb weiß ich nicht, ob du bei Gesprächen mit mir nur so tust, als seist du nicht daran interessiert, oder ob du es auch wirklich bist. Denn je nachdem könnte ich versuchen, dich wirklich in Ruhe zu lassen, oder weiter nachhaken, bis du mir endlich sagst, was los ist."
Pia sah so aus, als wüsste sie nicht, was sie mir antworten sollte. „Ich denke ... beides ... irgendwie."
Das brachte mich zum Lachen. „Was jetzt? Du magst mich, findest mich aber trotzdem nervig, oder du magst mich nicht, findest mich aber auch nicht nervig?"
Jetzt konnte sich Pia ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. „Du bist super Luna, mir geht nur gerade einfach zu viel durch den Kopf. Und wenn ich ehrlich bin, will ich meine Probleme lieber mit mir selbst, oder maximal Marie oder Jesper ausmachen, aber nicht mit dir."
„Okay." Mit dieser Antwort konnte ich leben. Es verletzte mich nicht, dass sie mir andere Personen vorzog. Marie war eben ihre Schwester und Jesper war ihr ...
„Du redest mit Jesper über deine Gefühle?" Zu spät war bei mir angekommen, was das bedeutete. „Seid ihr etwa doch zusammen?"
Pia machte sofort dicht. „Das verrate ich nicht."
„Warum nicht? Ich sage es auch keinem weiter, versprochen."
„Darum geht es nicht. Viel mehr, um deine Neugierde. Wenn ich mehr verrate, fragst du auch mehr nach."
Ertappt blieb ich stehen, was die Personen, die hinter mir gelaufen war, in mich reinlaufen ließ.
„Aua!", beschwerte sich Marie. Sie schien die ganze Zeit mit Drew hinter uns hergelaufen zu sein.
„Sorry", entschuldigte ich mich überrumpelt.
Pia lachte. „Luna ist zu geflashed davon, wie gut ich sie kenne." Sie zwinkerte mir zu, bevor sie mich stehenließ und einfach weiterging.
„Alles gut bei dir?", fragte Marie und ich nickte. „Was ist mit Pia los?"
„Sie hat heute einen schlechten Tag. Irgendwas bedrückt sie, aber sie wollte mir nicht sagen, was. Am besten, du redest nachher mal mit ihr."
Marie hob ihren Daumen zur Antwort. „Wird gemacht. Aber jetzt sollten wir uns erst einmal auf unser Treffen konzentrieren."
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Der Raum war voll und schon nach kurzer Zeit war es stickig. Die Köpfe qualmten und es wurden eifrig Ideen hinuntergeschrieben. Von manchen mit Papier, von anderen an Tablets oder Laptops.
Mein Blatt war, wie schon so oft während der Treffen, leer. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mir mündlich spannende Taktiken auszudenken, als dass ich mich von einem weißen Blatt und einem Kugelschreiber ablenken lassen konnte.
„Vielleicht könnten wir es schaffen, den Energiefluss zwischen den Himmelskörpern und der Erde zu durchtrennen", schlug gerade einer der Wissenschaftler vor. Seine schwarzen Haare standen ihm alle zu berge. Er schien sich am laufenden Band den Kopf zu raufen.
„Wie befreit das Sanna und Mano?", fragte Xenia ihn. Die junge Frau saß an meiner Seite und leitete wie immer das Treffen. Ihr Job bestand heute vor allem darin, Gegenfragen zu stellen, wenn jemand etwas vortrug. So wurde die Idee sofort auf Herz und Niere geprüft.
Der Wissenschaftler zuckte die Achseln. „Darum könnten wir uns danach kümmern."
„Ich denke nicht."
„Warum nicht? Die Planeten bewegen sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne. Aber das hat nichts mit dem Energieband zwischen ihnen zu tun."
„Na gut", gab Xenia nach. „Dann schreiben Sie es als Idee auf."
„Noch etwas?"
Zu meinem Bedauern schüttelten alle den Kopf. Das vorangegangene Meeting hatte uns allen schon genug Kopfzerbrechen bereitete. Wir waren müde und unsere Konzentration am Ende.
Nach einiger Zeit sah Xenia das auch ein. Wir mussten zwar in spätestens einer Woche eine Antwort parat haben, aber heute würde uns dies nicht mehr gelingen. Lieber kamen wir morgen wieder zusammen, nachdem wir eine ausgeruhte Nacht gehabt hatten.
„Ich bitte euch, vor dem Schlafengehen noch mindestens drei Vorschläge zu notieren", trug uns Xenia auf. „Wie absurd sie auch klingen mögen, alles könnte uns helfen."
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Ich war gerade dabei gewesen, mich bettfertig zu machen, als es an meiner Tür klopfte. Hilflos blickte ich auf meinen Schlafanzug hinab, der weder vorteilhaft saß noch sonderlich gut aussah. Aber schlussendlich war es auch egal. Wenn jemand wegen einer wichtigen Nachricht an meine Tür klopfte, würde sich die Person sowieso nicht für mein Aussehen interessieren.
Ich öffnete die Tür einen Spalt weit und lugte hinaus.
„Was ist los?", fragte ich, als ich Marie erblickte.
Die junge Auserwählte war so aufgeregt, dass sich ihre Stimme die ganze Zeit überschlug.
Nachdem sie einige Sätze gesprochen und ich nur die Hälfe davon verstanden hatte, bat ich sie, in mein Zimmer zu kommen und nochmal von neuem zu beginnen.
„Ok, ganz langsam", forderte ich sie auf. „Was ist mit Pia?"
„Wir haben uns unterhalten ... über ihre schlechte Laune ... und dann ..."
„Was war denn der Grund?"
„Dass meine Eltern ihr noch immer nicht die Wahrheit sagten ... warum sie damals weggegeben wurde. Außerdem antwortet ihr Jesper schon seit Stunden nicht." Ich wusste nicht, ob Pia Marie erlaubt hatte, mich in ihre Geheimnisse einzuweihen, doch sich darüber Gedanken zu machen, war gerade nicht meine Priorität. Dafür hatte mir Marie zu wichtige Fakten anvertraut.
Pia fragte sich also noch immer, warum sie adoptiert worden war, wenn ihre wahren Eltern quasi neben ihr gewohnt hatten.
„Weißt du denn, warum deine Eltern Pia weggegeben haben?", fragte ich. In diesem Punkt konnte ich die junge Auserwählte sehr gut verstehen. Wenn meine Eltern mich abgegeben hätten, ohne mir einen Grund zu nennen, und mich dann nach Jahren wieder als ihre Tochter ansahen und so taten, als sei nichts passiert, wäre ich auch sauer auf sie.
Marie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, warum das passiert ist ... bzw. hatte. Denn während Pia und ich uns unterhalten haben, sind unsere Eltern ins Zimmer gekommen. Sie haben Pia umarmt, obwohl diese es nicht wollte, und gemeint, sie müssten ihr etwas Wichtiges zeigen."
„Was zeigen?", fragte ich atemlos. Würden wir nun endlich die Wahrheit erfahren?
„Ich habe keine Ahnung. Sie haben Pia mitgenommen und mir gesagt, ich solle in meinem Zimmer bleiben. Da ich wusste, dass sie es merken würden, sollte ich ihnen folgen, habe ich gewartet bis sie weg waren und bin dann zu dir gerannt. Ich habe keine Ahnung, was hier abgeht." Marie blickte panisch umher. „Wo bringen sie Pia hin?"
Beschützend legte ich meine Arme um meine Freundin. „Hey, alles wird gut. Du kennst doch deine Eltern, sie würden doch niemals etwas machen, was Pia verletzen würde. Vielleicht wollen sie einfach mal in Ruhe mit ihr reden. Du hast es doch eben selbst gesagt: Noch weiß Pia nicht, warum sie abgegeben wurde. Sollten sie ihr dies heute erläutern, wäre das doch super. Dann hätte sie endlich Klarheit und eure Familie würde enger zusammenwachsen."
„Denkst du das echt?" Marie fuhr sich über die Augen. Kleine Tränen hatten sich in ihnen gebildet, die jedoch noch nicht groß genug waren, als dass sie ihre Wangen nach unten fließen würden. Es war wie bei Vogelbabys, die noch nicht bereit dafür waren, aus ihrem Nest zu fliegen.
„Natürlich. Was sollten sie denn sonst machen?"
„Weiß ich nicht. Ich hatte die letzten Monate immer das Gefühl, als hätten sie Pia immer noch nicht als ihre Tochter akzeptiert. Als ..."
Marie hörte auf zu sprechen. Gerade wollte ich sie fragen, was los war, da spürte ich es auch. Jemand versuchte, eine Seelenverbindung mit uns aufzubauen.
„Pia!", rief Marie sofort, als sie erkannte, mit wem sie sich verbunden hatte. „Was ist los? Geht es dir gut?"
„Ja. Deine Eltern haben mich nur in einen der kleinen Konferenzräume gebracht, um ungestört mit mir reden zu können. Das, was sie mir gleich erzählen wollen, scheint wichtig zu sein. Deshalb hört am besten gut zu."
In meinem Kopf erschien nun das, was sich gerade vor Pias Augen abspielte. Ihre Eltern saßen auf der anderen Seite eines kleinen Tisches und musterten sie intensiv. Noch sprachen sie nicht.
Ich war ein klein wenig irritiert. Zwar war es nett, dass ich hier sein durfte, aber seit wann lud Pia mich in eine so vertrauliche Situation ein? So wie unsere Unterhaltung eben gelaufen war, hätte ich eher angenommen, dass sie mir noch nicht einmal im Nachhinein von diesem Treffen erzählte.
Ich war eben keine ihrer Herzenspersonen, zumindest hatte ich das bis eben angenommen.
Doch es blieb keine Zeit, sie danach zu fragen. Denn endlich räusperte sich Saphira Soon und sprach: „Zuallererst müssen wir uns bei dir entschuldigen Pia. Wir waren ganz schreckliche Eltern für dich, aber wir wissen, dass dein Leben bei den Salegas trotzdem sehr familiär und liebevoll war."
„Natürlich. Meine Adoptiveltern ...", Pia legte sehr viel Gewicht in diese zwei Worte: „... haben sich gut um mich gekümmert. "
„Du musst uns glauben, wir haben dich nicht freiwillig abgegeben", versuchte Moritz seine Frau und sich zu verteidigen.
„Das sagt ihr mir jetzt schon zum zehnten Mal." Pia klang verzweifelt. „Bekomme ich dann auch irgendwann mal eine Erklärung, warum?"
„Deshalb sind wir hier", sagte Saphira. „Wir wollen dir die Wahrheit zeigen."
„Zeigen?" Pia klang ungläubig.
„Ja. Die Prophezeiung über die acht Auserwählten, ist nicht die einzige ihrer Art."
„Du meinst Sonne und Mond, leuchten am Himmel, für immer gefangen ..."
„Nur die acht ... und so weiter ... ja, das meine ich."
Die Prophezeiung war in den Reichen jedem bekannt aber für Pia war sie, wie alles in unserer Welt, neu.
„Kurz vor deiner und Maries Geburt haben wir noch eine zweite Prophezeiung erhalten. Saphira saß am Küchentisch und sie ist einfach so vor ihr aufgetaucht. Wir hatten große Angst und da uns die Natesim eingebläut hatten, dass die erste Prophezeiung so auch eintreffen wird, haben wir sofort alles in unsere Macht Stehende getan, damit es diese zweite nie tun wird."
„Worum ging es?" Pias Stimme hörte sich an, als würde sie gleich vor Neugierde explodieren. Nun würde sie endlich die Wahrheit erfahren.
„Moritz?", forderte Saphira ihren Mann auf und sofort zog dieser ein altes Pergament aus seiner Jackentasche hervor. An einer Seite hatte sich bereits ein Riss im Papier aufgetan und es sah so aus, als würde es bei der kleinsten Berührung auseinanderbröseln. Wo hatten die beiden es wohl all die Jahre lang über aufbewahrt?
„Lies es dir erst einmal durch, dann können wir darüber sprechen."
Pia nahm das Blatt und betrachtete die alten, geschwungenen Buchstaben. Über die Seelenverbindung nahm ich wahr, wie sehr ihre Hand zitterte. Auch wenn sie es wahrscheinlich nie zugeben würde, Pia war nervös. Sie hatte Angst vor dem, was sie gleich erwarten würde.
Marie und ich lasen den Text mit großen Augen über die Seelenverbindung mit und als ich den Sinn der Worte verstanden hatte, schnappte ich hörbar nach Luft. Diese Prophezeiung änderte alles.
Das jüngere Kind, das sag ich euch,
birgt die größte Gefahr.
Denn auserwählt bedeutet nicht,
die Rettung in ein paar Jahrn'.
Statt sich Sonne und Mond anzunehmen,
mit ihren sieben Gleichgesinnten zu helfen, schützen, und Wache zu stehn,
Wird die Tochter Sanna & Mano und auch sich selbst vernichten.
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