𝐸𝑖𝑛𝑢𝑛𝑑𝑧𝑤𝑎𝑛𝑧𝑖𝑔
Bildete ich es mir nur ein, oder sah William heute etwas besser aus? Die Augenringe waren weniger geworden und seine Haare wirkten frisch gekämmt.
Hatte er vermutet, dass heute etwas mit ihm passierte? Oder war er durch unser Gespräch gesternt inspiriert gewesen, wieder etwas an seinem Aussehen zu verändern?
Das wäre merkwürdig, stellte ich fest, als ich so darüber nachdachte. Dann hätten meine Worte doch etwas bewegt. Dabei hatte es so nicht auf mich gewirkt.
Als William erkannte, wer da in seine Zelle getreten war, machte er große Augen. „Du schon wieder."
„Freut mich auch sehr, dich zu sehen", begrüßte ich ihn sarkastisch. „Es gibt aber jemanden, der dich gerne mal wieder sehen würde." Ich drehte das Handy zu ihm und setzte mich auf den Boden.
Ihm das Telefon in die Hand geben, würde ich jedoch nicht. Dafür vertraute ich ihm zu wenig.
William starrte ungläubig auf den Bildschirm. Auch wenn er versuchte es zu verstecken, konnte ich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen erkennen. Es freute ihn, seinen Sohn wiederzusehen. „Jesper?"
„Hallo Dad." Pias Freund klang kühl und abweisend. Offensichtlich hatte er sich eine Mauer aufgebaut, damit sein Vater, was auch immer er sagen würde, nicht zu ihm durchdringen konnte.
„Wie geht es dir, mein Sohn?" William griff nach dem Handy, um Jesper besser in Augenschein nehmen zu können, doch ich zog es zu mir.
„Das geht leider nicht. Das Handy bleibt bei mir."
Jesper seufzte. „Sei nett zu ihr. Und auf die Frage, wie es mir geht: Erstaunlich gut. Ich stehe kurz davor, die Feuerbändiger zu revolutionieren."
„Was meinst du damit?"
„Immer mehr von uns schließen sich den Natesim an."
„Was?" Williams Frage klang aggressiv.
„Ja. Wir helfen ihnen dabei, die Erde zu retten."
Da ich den Bildschirm des Handys auf William gerichtet hielt, konnte ich Jesper nicht sehen. Doch in seiner Stimme klang Stolz mit.
„Das kannst du doch nicht ernst meinen?!? Du willst wirklich alles, was wir über Jahrhunderte aufgebaut haben, einfach wegwerfen?"
Jesper musste wohl genickt haben, denn eine andere Erwiderung blieb aus.
William fuhr vor: „Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass alle meine Verbündeten sich auf deine Seite schlagen. Vielleicht bekommst du ein paar Bändiger in deinem Alter dazu, dir zu helfen, aber der Großteil von uns ist immer noch dafür, Sonne und Mond zu vernichten."
„Es schließen sich mir jeden Tag neue Leute an. Und auch wenn wir in der Minderheit sind, werden wir alles daransetzen, am Ende als Sieger aus der Sache zu gehen. Wir werden die Bändiger frühzeitig aufhalten, damit die Auserwählten Sanna und Mano aus Sonne und Mond retten können."
William schüttelte enttäuscht den Kopf. „Was ist nur aus dir geworden?"
„Ich habe erkannt, dass es nicht darum gehen sollte, zu gewinnen. Sich zu rächen. Es allen heimzuzahlen. Sondern man lieber all den unschuldigen Menschen helfen sollte."
„Aber was ist ..."
„Nein." Jespers Stimme war lauter geworden. „Ich will nichts von dir hören. Dad, du weißt ich hab dich lieb. Aber du bist wirklich der schlimmste von allen. Dir geht es ja nicht einmal um das Schicksal der Erde, der Natesim oder der Feuerbändiger. Du bist wirklich nur auf Rache aus und willst Sverre fallen sehen. Kannst du deinen gekränkten Stolz nicht für ein paar Tage zurückschrauben und uns stattdessen helfen?"
„Warum sollte ich?". schnaubte William.
„Weil deine Alleingänge uns bisher nichts gebracht haben. Du hast dein Feuer in Ade gepflanzt, damit sie Sverre umbringt. Dann hast du Marie und Pia gefangen genommen, um dein Bild bei den Bändigern aufrechtzuerhalten. Dann hast du dich als Hybrid zu erkennen gegeben und versucht, das ganze Tagreich zu vernichten, um Sverre eins auszuwischen. Was für einen Plan verfolgst du überhaupt?"
Fast hätte ich gelacht. So wie Jesper es aufzählte, klang es wirklich absurd. William schien so von seiner Rache geblendet zu sein, dass er gar nicht wusste, wofür er überhaupt kämpfte. Er ging das Ganze viel zu verkopft an. Leider machte ihn das aber nicht weniger gefährlich. Er war ein großartiger Bändiger und dazu noch ein Hybrid. Keiner kannte das Ausmaß seiner Fähigkeiten.
William lachte auf die Frage seines Sohnes nur. „Mein Hauptziel war es und ist es noch immer, Sverre auszuschalten. Aber wenn ich nebenbei erreiche, worauf die Bändiger Jahre hingearbeitet haben, nämlich die Natesim auszulöschen, wäre das natürlich auch nicht schlecht."
„Und es gibt nichts, was dich vielleicht umstimmen könnte?", fragte Jesper. Dieses Mal meinte ich, einen kleinen Schimmer an Hoffnung heraushören zu können. Offensichtlich hatte der junge Bändiger seinen Vater doch noch nicht aufgegeben.
„Was denkst du, jetzt von mir zu hören?", fragte William. „Die Natesim haben unserem Volk alles genommen, woran wir geglaubt haben. Wegen ihnen verstecken wir uns und unsere Kräfte im Untergrund. Warum sollte ich ihnen helfen?"
„Weil wie gesagt die Welt sonst bald untergeht", sagte Jesper verzweifelt. „Durch das Energieband, was Sonne und Mond mit der Erde verbindet, wird diese auseinanderbrechen. Erste Anzeichen dafür gibt es schon. Es bringt nichts, einfach die Natesim zu vernichten. Wir müssen das Problem gemeinsam bewältigen."
William prustete Luft aus. „Da haben sie dir aber süße Flausen in den Kopf gesetzt. Denkst du wirklich, sie danken euch danach für eure Dienste? Nein, sie werden erst recht versuchen, die überlebenden Feuerbändiger auszulöschen. Sobald das Problem mit Sonne und Mond beseitigt ist, stehen wir als einzige Schutzwand vor ihrer Weltherrschaft."
„Aber die wollen sie doch gar nicht." Jesper klang mittlerweile echt wütend und verzweifelt. „Die Natesim haben das Tag- und das Nachtreich. Alles, was sie wollen, ist, dass die Menschen überleben und endlich Frieden zwischen den Völkern herrscht."
„Weißt du was beachtlich ist, Sohn?", fragte William. „Genau das hast du vor ein paar Jahren noch von den Bändigern, von deinem Volk, behauptet. Das ist auch unsere Devise: Frieden. Doch dazu sind die Natesim nicht in der Lage. Wenn es sie nicht mehr gibt, können wir uns endlich wieder den Menschen zu erkennen geben und friedlich mit ihnen zusammenleben. Aber solange diese Biester am Himmel über alles wachen, müssen wir weiterhin in unseren Erdlöchern vergammeln."
Ok, das reichte. William verstand offensichtlich wirklich nicht, was das eigentliche Problem war. Pia hatte uns von der Propaganda berichtet, die sie sich in der Feuerstadt angesehen hatte. Anscheinend war William schon so eingenommen davon, dass er keine anderen Meinungen duldete.
Trotzdem versuchte ich noch eine letzte Überredungstaktik. „Was ist, wenn ich dir versprechen würde, dass wir mit den Bändigern Frieden schließen, solltet ihr uns helfen? Sobald Sanna und Mano mit eurer Hilfe aus Sonne und Mond befreit wurden, könnt ihr tun, was auch immer ihr wollt. Laut deiner Meinung ist das ja, sich frei auf der Welt bewegen zu können. Ich bin mir sicher, dass lässt sich einrichten."
William legte den Kopf schräg. „Und das soll ich dir jetzt einfach glauben? Einer einfachen, minderjährigen Natesim?"
„Gut, ich bin vielleicht nicht die Person, mit der man über solch wichtige Angelegenheiten verhandeln sollte, aber wenn du willst, kann ich Kazumi gerne zu dir schicken. Sie wird dir ebenfalls unseren guten Willen bezeugen können."
William schien seine Möglichkeiten abzuwägen, denn seine Augen wanderten im Raum hin und her. Schließlich verweilten sie wieder auf dem Handybildschirm.
Lange musterte William seinen Sohn. „Du glaubst, dass sie die Wahrheit sagen?"
„Ja. Zumindest den Auserwählten kannst du voll und ganz vertrauen und Luna ist für sie wie eine Schwester. Die Auserwählten wussten ja bis vor kurzem selbst nichts von den Natesim und uns Feuerbändigern. Ihr einziges Ziel ist es, die Erde zu retten. Auch Luna verflogt dieses Ziel."
Dieses Argument schien William wohl zu überzeugen, denn er nickte langsam mit dem Kopf. „Gut, vielleicht hast du damit recht. Aber glaube ja nicht, dass du mich dazu bekommst, euch zu helfen."
„Aber Dad", seufzte Jesper. „Soweit ich weiß, haben die Bändiger gar keine Idee, wie sie die Erde retten könnten. Es bringt doch gar nichts, wenn ihr nur die Natesim aufhaltet. Sagen wir mal, ihr löscht sie wirklich aus. Was dann? Keiner wird stoppen können, dass Sanna und Mano die ganze Energie der Erde stehlen und sie schließlich auseinanderbricht."
„Mach dich nicht lächerlich, natürlich haben wir dafür einen Plan." William wirkte empört. „Den bespricht man doch schon als kleines Kind in der Schule."
„Ja, wow." Jesper stieß ein ironisches Lachen aus. „Das funktioniert doch nur in der Theorie. Habt ihr es jemals ausprobiert?"
„Würden wir ja, wenn die Natesim uns endlich mal an die Oberfläche kommen lassen würden."
„Um was für einen Plan geht es denn?" Ich verstand nur Bahnhof. Hatten sich die Feuerbändiger etwa doch etwas überlegt?
„Der Plan, den wir seit Jahrzehnten versuchen, umzusetzen", erklärte mir William. „Deine werten Oberhäupter sind aber dagegen. Sverre und Ade hatten ganze fünf Anträge abgelehnt."
Langsam wurde mir die Geheimniskrämerei zu viel. „Von was?", fragte ich genervt.
„Wir wollten einen Versuch starten, Sanna und Mano aus Sonne und Mond zu trennen."
„Das habe ich mittlerweile auch verstanden. Aber wie?" Ich verdrehte die Augen.
„Wir wollten alle gemeinsam unser Feuer bündeln und es in die Himmelskörper fließen lassen. Sobald es auf Sanna und Mano treffen würde, würden die beiden in Flammen aufgehen."
Jetzt lachte ich auf. „Ok, ich kann verstehen, warum die beiden diese Idee nicht durchgewunken haben."
„Was Besseres ist ihnen aber auch nicht eingefallen."
„Doch, mittlerweile schon", verteidigte ich meine Leute. „Deshalb sind wir ja zu dir gekommen."
Jesper seufzte. „Ich weiß, dass du uns nicht helfen willst Dad, egal, wie sehr ich dich darum anbetteln würde. Aber deine Kräfte würden uns sicher sehr weiterhelfen. Deshalb brauchst du es nicht für mich tun, nicht für dein Volk oder sonst wen. Tu es für dich selbst. Denn wenn die Erde untergeht, bist auch du davon betroffen."
„Das habe ich ja verstanden." William versuchte gar nicht zu beschönigen, dass es wirklich nur um ihn ging. „Aber wer garantiert mir, dass ihr die Wahrheit sagt und nicht etwas ganz anderes mit mir vorhabt? Nachher helfe ich euch und dann sperrt ihr mich wieder hier rein. Dann ist die Erde zwar gerettet, doch ich muss weiterhin in Ketten leben. Da springt doch nichts für mich dabei heraus."
„Wow, Dad. Schön, dass dich das Schicksal der Erde wirklich so wenig interessiert."
„Was erwartest du denn von mir?"
Jesper klang verzweifelt, als er seinem Vater den nächsten Satz ins Gesicht schrie. „Weißt du was? Ich erwarte gar nichts mehr! Eigentlich hatte ich gehofft, dass du ein Herz hast. Zwar keine klaren Gedanken mehr fassen kannst, aber irgendwo tief in dir drinnen noch immer deinen Sohn liebst. Aber du tust es nicht! Da ist kein beschissenes Herz mehr! Dir ist wirklich egal, dass die ganze Welt untergeht! Dann lass sie halt untergehen! Gehe mit ihr unter! Ich werde kein Mitleid mit dir haben!"
„Ok, Stopp." Ich drehte das Handy zurück zu mir. Eigentlich wollte ich nicht sehen, was mich auf dem Bildschirm erwartete.
Jesper hatte zu weinen begonnen. Er war mir quasi fremd, trotzdem hätte ich ihn jetzt gerne in den Arm genommen. Doch da wir uns nur durch einen Bildschirm sahen, war das nicht möglich.
Ich konnte ihm nur beim Weinen zusehen und das machte die Situation sichtlich unangenehm.
„Ich bringe dich zu Pia", versprach ich Jesper und stand auf.
William würdigte ich keines Blickes mehr. „Auf Wiedersehen", sagte ich kalt und zog die Tür hinter mir zu.
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