
𝐸𝑖𝑛𝑢𝑛𝑑𝑑𝑟𝑒𝑖ß𝑖𝑔
Der Mond war auch aus der Nähe wunderschön. Ich hatte ihn schon immer bewundert, und ihn früher aus meinem Kinderzimmerfenster nachts beobachtet, aber nun, wo ich ihn in seiner ganzen Fülle sah, war ich noch einmal mehr verliebt. Stopp, ich sollte das nicht denken.
Ich musste mich schmerzlich daran erinnern, dass diese Gedanken falsch waren. Der Mond schien zwar äußerlich wunderschön, doch eigentlich war er Sanna. Die Frau, die dort seit Jahrtausenden ihre Rache plant und versuchen möchte, die Welt auszulöschen.
Der Mond war keine mystische Gestalt, die man romantisieren konnte. So komisch es auch klang, aber: der Mond war meine Erzfeindin.
„Sind alle bereit?", fragte ich.
„Ja", antworteten mir alle Auserwählten.
Pia klang dabei aber wenig zuversichtlich. „Romy?", fragte sie panisch. „Romy!"
Oh nein! Die junge Hybrid antwortete nicht.
„William?"
Auch der verfeindete Bändiger blieb stumm.
„Anscheinend ist nun die Zeit der Hybride aufgebraucht. Jesper hat es ja bereits getroffen ...", murmelte ich. „Was ein Zufall, dass es genau dann passiert, wenn wir unbeschadet beim Mond angekommen sind."
„Was willst du uns damit sagen, Marie?"
„Dass Sanna bestimmt ihre Hand mit im Spiel hatte." Es war eigentlich nur ein Hirngespinst gewesen, doch es klang leider viel zu glaubhaft. Ein so großer Zufall wie das hier konnte es doch gar nicht geben.
„Die Energie der Quelle wäre schon vor Minuten zur Neige gegangen und jetzt verlassen uns die Hybride genau dann, wenn sie ihren Dienst getan haben. Irgendetwas ist hier faul."
„Wahrscheinlich hast du recht." Pia sah mich besorgt an. „Seid bitte alle ganz vorsichtig. Wir können keine weiteren Verluste ertragen."
„Verstanden." Paul klang zuversichtlich. Der Sieg über Mano hatte uns alle gestärkt, doch wir durften jetzt nicht übermütig werden.
„Bevor wir uns auf den Weg in den Mond machen, sollten wir uns aber noch um das Energieband kümmern."
In der Zeit, die wir fliegend verbracht hatten, war es kontinuierlich mit uns geschrumpft. Es nahm sich also seine Zeit, die Energie zurück in die Erde zu leiten. „Wenn wir es von hier aus loslassen, wird die Erde wahrscheinlich noch immer zerstört werden. Ich denke, wenn wir es bis in die Atmosphäre bringen, haben wir gute Chancen."
„Aber das dauert doch noch, bis wir dort sind. Die Zeit haben wir nicht."
„Ich würde ja sagen, wir teilen uns auf, doch das ist leider viel zu unsicher. Aber wir müssen das Band loswerden, bevor wir uns um Sanna kümmern. Sonst geht es nachher in dem Kuddelmuddel unter und wir lassen es los."
„Also was schlägst du vor?", fragte Finn.
„Wir fliegen jetzt in die Atmosphäre und lassen dort das Band los. Dann fliegen wir zurück zum Mond."
Gesagt, getan. Wenige Minuten später befanden wir uns am Rand der Atmosphäre.
Zum Glück flog die Energie noch immer schneller, als ein Mensch sich eigentlich bewegen konnte. Zwar war sie nicht so schnell wie mit Lichtgeschwindigkeit, doch die Reise war von erträglicher Länge gewesen.
Nun schienen alle mein Urteil abzuwarten. Es verunsicherte mich, dass ich nun anscheinend die Entscheidungen treffen sollte.
Was war, wenn ich mich irrte, und die Atmosphäre als Radius noch zu groß war? Würde ich dann die Erde zerstören?
Ich bekam Panik.
„Dann lasst uns eintreten", kommentierte Pia zum Glück gerade das Geschehen.
Ich schluckte die Angst herunter und versuchte, mich zu konzentrieren.
Du schaffst das Marie.
Zum Glück bewahrheitete sich meine Theorie. Sobald das Ende des Energiebands auf die Atmosphäre traf, begann es zu glühen. Nun konnte man die Spur, bis hinein in den Erdkern beobachten.
Erst begann sie nur, silbern zu leuchten, doch dann lösten sich einzelne Partikel, und flogen in alle Richtungen davon.
Das Band löste sich auf und seine Einzelteile reparierten die Erde.
Manche der Teile setzten sich an der Atmosphäre fest, andere schossen auf den Boden zu. Gingen ins Meer oder in die Erde. An Bäume, Pflanzen und Gebäude.
Es erinnerte an einen Sternenregen, der die ganze Erde in Besitz nahm und sie von Grund auf erneuerte. Es sah so schön aus, dass ich am liebsten geweint hätte.
Doch ich hielt die Tränen zurück, da mir wieder in den Sinn kam, was noch zu tun war.
„Los Leute, wir müssen weiter." Ich wollte ungerne die Spielverderberin spielen, doch Sanna war noch immer im Mond. Und ohne das zweite Energieband zu zerstören, war die Schlacht noch nicht gewonnen.
Widerwillig lösten sich meine Freunde von dem schönen Anblick und steuerten stattdessen wieder auf den Mond zu.
Meine Füße kribbelten. Wenn wir nun noch Sanna besiegten, hatten wir den Großteil erledigt. Dann ging es nur noch darum, die Schlacht gegen die Bändiger zu schlagen.
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Kurze Zeit später waren wir wieder beim Mond angekommen.
„Alle bereit?" Es war fast schon komisch, wie oft ich diesen Satz in den letzten Stunden gefragt hatte. Doch er war wie ein Mantra für mich. Ich musste einfach sichergehen, dass es jedem gutging, bevor wir zum Angriff ansetzten.
„Ja. Wir schaffen das."
„Dann los."
Zuerst berührte ich die Oberfläche des Mondes nur leicht. Ich wollte testen, ob ich hindurchgleiten konnte.
Tatsächlich funktionierte es, was mich erleichtert aufseufzen ließ.
Wir glitten also alle nebeneinander durch die Haut des Mondes und suchten nach Sanna.
Fast hätte ich ein Deja vu bekommen, doch zum Glück war diese Reise wesentlich angenehmer als die durch die Sonne. Denn obwohl mir Romys und Jespers – aber definitiv nicht Williams – Anwesenheit fehlte, würde ich die angenehme Kälte des Mondes, der unaushaltbaren Hitze der Sonne auf jeden Fall vorziehen.
„Hat sie schon jemand gefunden?", fragte Zane nach einer Weile.
„Nein, sonst hätte doch jemand etwas gesagt." Elisa kicherte.
Ich musste lächeln. Der Sieg über Mano hatte den Kleinen wirklich gutgetan. Wenn Elisa trotz der Anstrengung kichern konnte, ging es ihr gut.
Auch Zane lachte nun über seine eigene Frage. „Stimmt wohl."
Ich suchte mit meiner Energie nach etwas, was mir einen Anhaltspunkt über Sannas Aufenthaltsort geben könnte. Vielleicht ein Sprung im Felsen, der darauf hindeuten könnte, dass hier mal ein Körper entlanggeflogen war.
Wobei, Sanna hatte sich im Mond nie bewegt. Sie hatte sich selbst darin eingewickelt, wenn auch wahrscheinlich nicht genau in dessen Mitte.
Zumindest hatte sich Mano nicht in der Mitte befunden, sonst hätte es noch länger gedauert, ihn ausfindig zu machen.
Ich flog ratlos weiter. Was könnte mir helfen? Wie konnte ich mich besser zurechtfinden?
„Ich habe etwas gefunden", verkündete Finn in dieser Sekunde. Ich konnte die Energie des Jungen nicht entdecken, doch ein paar meiner Freunde mussten sich in seiner Nähe befunden haben, denn sie stimmten ihm zu.
„Das ist ein guter Anhaltspunkt. Kommt alle her."
Ich flog eine Weile ziellos umher, bevor ich erkennen konnte, wovon sie redeten. Im Mond hatte sich eine Höhle gebildet. Es gab Freiflächen, losgelöst vom kalten, grauen Stein. Vielleicht versteckte sich Sanna hier irgendwo.
„Dann lasst uns innerhalb der Höhle weitersuchen. Sie ist bestimmt nicht zufällig entstanden."
Gut, sie konnte natürlich schon zufällig entstanden sein. Sie war wahrscheinlich auch nicht die einzige Höhle im Innern des Mondes. Doch ich musste mir einfach einreden, dass wir mit ihr auf der richtigen Spur waren.
„Habt ihr ..." Paul wollte gerade dazu ansetzen, uns etwas zu fragen, als plötzlich der Boden zu vibrieren begann. Die Höhle verformte sich. Steine flogen hin und her und durch uns hindurch.
Ich musste mich wahrsinnig darauf konzentrieren, dass meine Sicht erhalten blieb.
Was passierte hier?
„Endlich seid ihr da", rief eine Stimme. Ich konnte nicht zuordnen, von wo sie kam. Sie war quasi überall.
Doch wahrscheinlich war dem so, da sie wieder in meinen Gedanken zu mir sprach. Es musste Sanna sein.
„Korrekt", meine diese und die Wände zogen sich weiter zusammen.
Oh nein, Sanna schien die Kontrolle über den Mond erlangt zu haben. Doch was hatte sie vor? Sie konnte uns ja nicht mit einer einstürzenden Höhle zerquetschen. Unsere Energie könnte einfach durch das Gestein hindurchfliegen.
„Das werde ich euch doch nicht verraten", lachte die gottähnliche Natesim. Ihre Lache war hell und viel zu laut, so dass meine Ohren schmerzten. Sie klang völlig warnsinnig.
Leider schien sie weniger gesprächig als Mano vorhin, denn sie setzte ohne weitere Worte ihren Plan in die Tat um.
Mein Herz begann wie wild zu pochen. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Griff sie uns an? Sperrte sie uns ein? War ich in wenigen Sekunden tot, oder hatte ich noch die Chance, mich zu wehren?
„Wir müssen hier raus!", schrie Pia kurzentschlossen. Die Wände um uns herum begannen sich zu drehen und man verlor ein Gespür, wo oben und unten sein könnte.
Natürlich ergab dieses Gefühl im Weltall ohnehin gar keinen Sinn, doch ich hatte mich, bis eben, daran orientieren können, wo die Erde ungefähr lag und diese als „unten" betrachtet. Nun wusste ich gar nichts mehr.
Schnell wie ein Blitz bewegten sich meine Energie und die meiner Freunde zurück an die Oberfläche. Auch dies stellte sich als schwierig heraus, denn wo waren wir hergekommen?
Der Weg zurück war undefinierbar, weshalb sich unsere Energien in alle Richtungen verteilten. Jeder meinte, wo anders hergekommen zu sein.
Ich hatte nicht die Kraft und vor allem nicht die Ruhe dazu, meine Freunde aufzufordern, zusammen zu bleiben. Ich war so darauf konzentriert, selbst nach draußen zu finden, dass ich für einige Sekunden ausblendete, dass ich nicht allein war.
Als ich mich wieder daran erinnerte, war es schon zu spät. Keiner befand sich mehr in meinem Sichtfeld.
Ich war aus der Höhle, wieder zurück in die Steinwand getaucht und sah nur noch grau.
„Lauft doch nicht weg", kommentierte Sanna unser Verhalten. „Ihr könnt mir sowieso nicht entkommen."
„Wir können es aber versuchen." Pias Tonfall war eiskalt. Als wäre sie in einen Schneesturm geraten.
Wahrscheinlich fühlte es sich auch ungefähr so für sie an. Während mich die Panik überkam, war es bei Pia die Wut. Sie trieb sie an, trotz der Todesangst, Sanna nun noch zu widersprechen.
Ich hatte keine Zeit, mir über die Konsequenzen für uns dazu Gedanken zu machen, denn plötzlich befand sich meine Energie im Freien. Ich hatte es geschafft!
Die Mondoberfläche tat sich vor mir auf, hinter mir sah man die unendliche Schwärze des Alls.
Jetzt blieb nur die Frage, wo meine Freunde waren.
„Seid ihr draußen?", fragte ich mit belegter Stimme. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Warum antworteten sie mir nicht?
Sanna lachte. „Nein, sind sie nicht."
Sofort stiegen mir Tränen in die Augen. „Was hast du getan?"
„Das wüsstest du wohl gerne. Doch mir bleibt keine Zeit, dir von meinem wundervollen Plan zu erzählen. Erst muss ich auch dich fangen."
Fangen also. Darum ging es ihr.
Sofort schaltete ich und flog weiter. Meine Energie musste sich sofort, soweit es ging vom Mond entfernen. Wenn Sanna die anderen schon hatte, durfte ich nicht auch noch gefangen werden.
Doch mein Plan kam zu spät. Ich spürte bereits, wie ich die Energie nicht mehr bewegen konnte. Was passierte mit mir?
Sanna lachte, als meine Energie nicht vorwärts, sondern rückwärts, zurück zum Mond flog.
Ich konnte nichts dagegen machen. Meine Energie gehorchte mir nicht mehr. Ich konnte mich nicht wehren, sondern nur machtlos von der Erde aus dabei zusehen, wie sie Sanna in die Arme flog.
Dies tat sie nämlich im wahrsten Sinne des Wortes. Aus dem Mond löste sich eine steinerde Hand. In ihren Klauen sah ich bereits weitere Energiebälle herumschwirren. Es mussten meine Freunde sein. Und obwohl die Hand nicht an allen Stellen vollständig geschlossen war, schienen sie nicht entkommen zu können.
Wenn ich auch noch in dieses Gefängnis gesperrt wurde, hatten wir verloren. Die Kraft, die sie nutzte, um uns einzusperren, würde uns mit Sicherheit auch vernichten können.
Da der Kontakt zu meinen Freunden abgebrochen war, nahm ich an, dass sie dort unter vollständiger Machtlosigkeit standen. Kein Kontakt zur Außenwelt war mehr möglich.
Dies musste Sannas Plan sein. Sie hatte wirklich dafür gesorgt, dass wir sicher beim Mond ankamen, damit sie uns hier gefangen nehmen und die Energie stehlen konnte. So würden wir machtlos in ihrer Falle sitzen und sie könnte die Weltherrschaft an sich reißen.
„Du hast recht", bestätigte die Natesim meinen Verdacht. „Mano wusste, dass wir getrennt nichts gegen euch ausrichten können, weshalb er seinen Körper dafür geopfert hat, dass unser gemeinsamer Geist mächtig genug ist, eure Energie zu unserer zu machen."
Mein Körper weinte. Meine Freunde saßen wie starre Säulen mit mir im Kreis. Keiner regte sich, oder atmete nur. Sanna schien uns nicht nur die Natesim-Energie, sondern auch unsere Lebensenergie zu nehmen. Wenn ich nichts unternahm, würden wir alle sterben.
Doch was konnte ich schon tun? Ich war handlungsunfähig. Sowohl meine Energie als auch mein Körper standen nicht mehr unter meiner Kontrolle.
Das Einzige, was mir blieb, waren meine Gedanken.
Hey, das war es! Meine Gedanken! Diese konnte mir Sanna nicht. Sie konnte nicht verhindern, dass ich meine ganze Kraft zusammennahm und nun nach meinen Eltern rief. Ich nutzte den letzten Rest Energie, der nicht beim Mond, sondern in der Seelenverbindung zu meinen Freunden steckte, um damit eine neue Verbindung zu erschaffen.
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„Was ist los mein Schatz?", fragte meine Mutter besorgt.
„Ich habe nicht mehr viel Zeit", schnitt ich ihr sofort das Wort ab. „Ihr müsst jetzt gut zuhören: Sanna hat uns unter ihrer Gewalt. Das heißt, wir sind machtlos. Wir schaffen es nicht, sie zu vernichten. Ihr müsst das machen."
„Aber wie?"
„Genau weiß ich es auch nicht. Doch die Energie der Natesim kann eine Stunde im All überleben. Das reicht aus, damit ihr zum Mond fliegt und Sanna aufhaltet. Wie ihr das schafft, weiß ich nicht genau. Doch ihr könnt es versuchen, wie wir es bei Mano gemacht haben. Ihr umzingelt sie und sperrt ihre Energie in ein Gefängnis. Dann könnt ihr das Band durchtrennen, was sie mit der Erde verbindet und sie so ausschalten. Es waren nie die Auserwählten, die sie aufhalten sollen", wurde mir da bewusst. „Die Prophezeiung hierzu stammt von Sanna und Mano. Sie haben sie geschrieben, damit nur wir ins All fliegen. Ihr Plan ging nur auf, weil unsere Energie im Weltall lange genug überlebt, um zuerst zur Sonne zu fliegen und dort Mano zu töten. Nun ist Sanna mächtig genug, uns zu besiegen."
„Ich verstehe nicht ..."
„Das spielt jetzt keine Rolle. Du musst tun, was ich dir gerade gesagt habe. Bitte Mama, versucht es. So viele Natesim, wie du aufspüren kannst sollen zum Mond fliegen. Sonst haben wir verloren. Wir sind ..."
Da schnitt die Verbindung plötzlich ab. Sanna hatte gemerkt, was ich getan hatte und mir den Kommunikationsweg genommen.
„Denkst du wirklich, die Natesim können mich noch aufhalten? Mein Plan ist aufgegangen. Sie haben nur euch acht, nichtsnutzigen Trottel vorgeschickt, denen sie jahrelang keine Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Alle zusammen sind sie viel mächtiger als ihr, doch sie vertrauen auf ein paar simple Sätze auf einem Stück Papier, was euch zu ihren Helden ernennt."
„Sie werden nachkommen", schluchzte ich. Sicher konnte ich mir nicht sein, doch ich musste jetzt vertrauen.
Denn da spürte ich, wie meine Energie bei Sannas Gefängnis angekommen war und hineingezogen wurde.
Mein Körper auf der Erde holte ein letztes Mal Luft, bevor ich das Bewusstsein verlor.
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