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„Echt?" Mein Herz machte einen Sprung. Es war das erste Mal, dass Xenia einer Idee ernsthaft eine Chance gab.
„Ja, ich finde das klingt plausibel und machbar. Die Auserwählten haben längere Zeit geübt, ein Netz zu erzeugen und unsere verbündeten Bändiger werden es sicher schaffen, einen Schild zu erzeugen. Vor allem, wenn sie die Unterstützung ihres flammenden Herzens haben."
„Aber wie wollen die Auserwählten Sanna und Mano befreien?", warf ein Wissenschaftler ein. Es war der Typ, der die ganze Zeit griesgrämig guckte und sich hinter seinem Computer versteckte. Schon oft hatten sich Pia, Marie und ich uns über ihn aufgeregt.
Doch dieses Mal war seine Frage leider berechtigt. Und da ich den eben vorgestellten Plan als meinen verkauft hatte, warteten nun alle darauf, dass ich ihnen dafür eine Lösung vorschlug.
Ich hätte mich gerne hilfesuchend zu Marie umgedreht, doch dann hätte ich sie verraten. Wenn sie selbst nicht ins Rampenlicht wollte, würde ich sie auch nicht hineinschieben. Doch wie sollte ich dann ...
„Die Sonne ist ja quasi ein schwebender Feuerball. Und im Gegensatz zu der normalen Energie, die bei Berührung mit Feuer sich selbst zerstört, können wir Auserwählte die Hitze einige Zeit aushalten."
Freudestrahlend sah ich Marie an. Sie hatte sich doch dazu durchringen können, zu sprechen. Und dafür war ich ihr nicht nur dankbar, ich war auch unendlich stolz.
„Außerdem kann die Energie auch durch Materie hindurchgleiten, so können wir Sanna aus dem Mond befreien. Es ist natürlich trotzdem riskant, da wir nicht wissen, ob unsere Energie dafür ausreicht, doch es wäre ein Weg, die beiden aus den Himmelskörpern zu befreien, ohne diese zu beschädigen. Den Weg, den die Energie geht, kann man danach einfach wieder verschließen."
„Schön und gut ..." Schon wieder war es der Computertyp, der antwortete. „Doch gerade nehmen wir an, dass Sanna und Mano die Welt einnehmen wollen. Da wäre es doch äußerst unklug, wenn wir diese befreien würden."
Marie nickte. „Deshalb müssen wir, bevor sie befreit sind, herausfinden, ob sie uns danach attackieren, oder sich bei uns bedanken, dass wir sie gerettet haben. Die Reise durch Sonne und Mond an die Oberfläche wird ja sicher ein paar Minütchen in Anspruch nehmen. In dieser Zeit steht für uns zur Wahl, wie wir uns entscheiden. Befreien wir sie, so wie es ursprünglich geplant war? Oder kappen wir einfach ihre Energieverbindung zur Erde, damit sie diese nicht weiter zerstören können und lassen sie auf alle Zeit eingesperrt in ihren Himmelskörpern."
Nun waren wirklich alle im Raum still. Auch der Computermensch traute sich nicht mehr, eine Frage zu stellen.
Maries Plan klang wirklich gut! Ich war so begeistert, dass ich einen kleinen, freudigen Aufschrei nicht unterdrücken konnte.
„Endlich!" Freudestrahlend umarmte ich meine Freundin. „Du bist eine Heldin!"
Marie lächelte bescheiden. „Danke."
Nach und nach setzte das Getuschel im Raum wieder ein. Es wurden eifrig Notizen niedergeschrieben und sich über den Plan ausgetauscht. Noch immer war mein Adrenalinpegel unnatürlich hoch. Passierte das gerade wirklich?
Xenia nutze die kleine Pause, um sich ungestört mit Marie, Pia und mir zu unterhalten.
„Das ist wirklich eine gute Idee!", lobte sie nochmal. „Wir sollten heute versuchen, sie weiter auszuarbeiten und uns nochmal mit dem Historikerteam zu unterhalten. Vielleicht haben sie bereits eine entscheidende Quelle gefunden, die Sannas und Manos Schuld oder Unschuld beweist. Dann würde sich die Frage erübrigen, ob ihr sie retten oder vernichten sollt. Wir könnten ..."
In dieser Sekunde klingelte Pias Handy. Sie entschuldigte sich bei Xenia und verließ den Raum. Diese sah der Auserwählten fragend nach.
Marie und ich sahen uns angespannt an. Das war sicher Jesper. Hoffentlich hatte er gute Neuigkeiten. Romy musste unser Experiment einfach heil überstanden haben. Etwas anderes könnte ich mir nie verzeihen.
Im ganzen Trubel um Maries Idee war Romys Schicksal untergegangen, aber plötzlich spürte ich wieder all den Druck auf mir. Was würde es für mich bedeuten, das Leben dieses unschuldigen Mädchens auf dem Gewissen zu haben?
Was würde mit mir passieren?
Was würde ...?
In dieser Sekunde versuchte jemand, eine Seelenverbindung mit mir aufzubauen.
„Pia?"
„Unter anderem." Die junge Auserwählte strahlte. Erst da konnte ich den ganzen Umfang der Seelenverbindung erfassen.
Neben mir, Pia und Marie befand sich noch eine vierte Person hier.
„Romy! Es geht dir gut!"
Die junge Hybrid sah quietschlebendig aus. Sie saß neben Jesper auf ihrem Wohnzimmerboden und lächelte uns an. Auf dem ersten Blick war sie unversehrt.
„Mir geht es mehr als nur gut." Romy strahlte. „Durch unser Experiment ist etwas ganz Großartiges passiert."
„Ach ja?", fragte Marie verblüfft.
„Ja! Seht her." Romy ließ einmal ihre Fingernägel über den Boden trommeln und pfiff durch die Zähne. „Hier her!"
Es folgte kleines Pfoten Getrappel und um die Ecke zur Küche kam ein kleines Geschöpf gelaufen.
Es hatte gewisse Ähnlichkeiten mit einem Hund, bestand aber komplett aus wunderschönen, rot-orangenen Flammen.
„Was ist das?", fragte Marie begeistert. „Es ist wunderschön."
„Wir haben keine Ahnung, was es ist oder wie ich es erschaffen habe. Aber als ich die Energie und das Feuer verbunden habe, gab es einen Knall, der mich so erschrocken hat, dass ich die Seelenverbindung abbrechen musste. Plötzlich stand das kleine Wesen vor mir und hat mich angebellt. Wahrscheinlich hatte ich unterbewusst noch immer an unser Gespräch gedacht. Ihr wisst schon, dass über die süßen Feuerwesen, die ich erschaffen wollte."
Der Hund ... oder was auch immer es war, nahm Anlauf und sprang mit einem kleinen Satz in Romys Arme. Die junge Frau versuchte, den Kopf wegzuziehen, als das keine Tier ihrem Gesicht immer näherkam. Das Feuer würde ihre Haut zwar nicht verletzten, aber bei ihren Haaren war ich mir da nicht so sicher. Die kurzen roten Fransen sahen schon so aus, als könnten sie bei der kleinsten Berührung in Flammen aufgehen.
Aber wahrscheinlich war das nur die Farbe. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass bei den Bändigern auch die Haare feuerfest waren.
„Was machen wir jetzt mit ihm?", hörte ich Jesper durch die Seelenverbindung fragen.
Romy legte sofort ihre Arme schützend um das Tier. Als wäre Jesper bereits dabei gewesen, es ihr wegzunehmen. „Es bleibt bei mir!"
„Ok, aber dann musst du wirklich gut auf es aufpassen. Sobald ein Bändiger es sieht, bist du in Gefahr." Jesper sah seine beste Freundin beschwichtigend an. „Verstanden Romy? Das Tier darf von niemandem gesehen werden."
„Jaja, ich pass schon auf." Die junge Bändigerin streichelte behutsam über den Rücken des Feuerwesens. Auf seiner Oberfläche schien sich so etwas wie eine Haut gebildet zu haben. Das Feuer war hier dichter und anscheinend für die Bändigern ungefährlich, sonst könnte Romy nicht so bedenkenlos darüber streicheln.
„Ich will euch ja nur ungern unterbrechen ...", sagte Pia plötzlich. „Aber wir sind gerade in einem wichtigen Meeting. Können wir uns vielleicht danach um den Hund kümmern? Hauptsache ist, dass es Romy gut geht."
„Natürlich. Nehmt euch alle Zeit der Welt. Ich kann warten." Romy war noch immer konzentriert auf ihren kleinen Begleiter.
Jesper schüttelte grinsend den Kopf. Er konnte uns nicht hören, da er kein Teil der Verbindung war, aber in diesem Fall hatte er wohl auch ohne Worte verstanden, über was wir geredet hatten. Immerhin war die Seelenverbindung für Romy noch neu und sie sprach all ihre Gedanken laut mit.
„Wir hören uns", sagte Jesper. Da fiel mir wieder ein, dass wir ja nachher ein Telefonat mit ihm ausgemacht hatten. Gemeinsam wollten wir noch einmal versuchen, mit seinem Vater zu reden.
Gerne hätte ich ihn zurückgegrüßt, doch er konnte mich nicht hören. Und da brach die Seelenverbindung auch schon wieder ab.
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Tatsächlich war das Treffen eine halbe Stunde später auch schon vorbei. Der Großteil der Anwesenden war sehr angetan von Maries Idee gewesen, weshalb wir nicht mehr viel diskutieren mussten.
Wir hatten besprochen, dass die Auserwählten nachher noch ein paar Experimente machen würden, um auszuprobieren, ob die Taktik auch wirklich funktionieren würde.
Da Marie und Pia dafür im Labor bleiben mussten, würde ich allein den Part übernehmen, das Gespräch zwischen Jesper und seinem Vater zu überwachen.
Ich war ganz nervös, als Pia mir ihr Handy aushändigte, und Jespers Nummer wählte. Der junge Mann nahm ab und ich verabschiedete mich von den Auserwählten.
„Hey Jesper", begrüßte ich ihn, während ich einen Gang des Schlosses entlanglief. Das Labor war nicht allzu weit vom Verließ entfernt, wo William noch immer untergebracht war.
Zum Glück war ich eine Quasselstrippe, weshalb ich mich keine Sekunde unwohl fühlte, mit einem Fremden zu telefonieren. Sonderlich viel wusste ich nicht über Jesper, Pia verriet uns ja nichts.
Doch auf den ersten Blick schien er ganz nett, immerhin half er uns. Außerdem hatte ich nicht im Gefühl, dass er uns jetzt noch verraten würde. Dafür hatte er uns schon zu viel weitergeholfen.
„Hallo", sagte Jesper. „Du bist Luna, oder?"
„Ja genau. Hat Pia dir gesagt, was wir mit dir vorhaben?"
„Ich soll mit meinem Vater reden. Damit er uns vielleicht hilft."
„Genau."
„Ok." Jesper seufzte. „Ich will euch da aber nicht zu viel versprechen. Ich glaube nicht daran, dass mein Vater die Seite wechseln wird."
„Kein Problem. Wir sind selbst auch nicht überzeugt. Aber wir dachten uns, ein Versuch kann ja nicht schaden. Außerdem habe ich gerade sowieso nichts Besseres zu tun. Die Auserwählten sind am Experimentieren und mein Freund und meine Familie haben auch zu tun."
„Okay."
Ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, doch irgendwie klang Jesper plötzlich traurig. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass ich ihm gerade von all meinen sozialen Kontakten berichtet hatte, die sich bei ihm auf zwei Personen beschränkten. Romy und Pia.
Selbst bei den Verbündeten der Bändiger-Treffen konnte er sich nie sicher sein, dass sie ihn vielleicht doch noch hintergehen würden.
Ob noch jemand von seiner Familie übriggeblieben war, wusste ich nicht. Aber selbst wenn, konnte er mit diesen nicht ehrlich sein. Denn sie standen mit Sicherheit nicht auf der Seite der Natesim.
Sofort setzten die Schuldgefühle ein. Oh Mann, ich war mal wieder viel zu unsensibel. „Tut mir leid", entschuldigte ich mich sofort. „Genug über mich geredet. Erzähl mir lieber, was passiert ist, nachdem wir die Seelenverbindung verlassen haben. Wie geht es Romy?"
„Gut. Sie sitzt noch immer auf dem Wohnzimmerboden und spielt mit ihrem neuen Freund. Ich habe mich ins Arbeitszimmer ihrer Familie verzogen, damit ich ungestört telefonieren kann."
„Hat der Hund schon einen Namen?" Als wäre das jetzt wichtig. Aber irgendwie interessierte es mich doch.
Jesper lachte laut auf. „Nein. Aber Romy überlegt eifrig. Ich habe ein wenig Angst, dass sie sich da zu sehr reinsteigert. Keiner kennt das Ausmaß ihrer Kräfte. Vielleicht hält die Verbindung von der Energie und dem Feuer nicht für immer und sie wacht morgen auf, und der Hund ist weg. Du willst dir nicht vorstellen, wie traurig Romy dann sein wird."
„Doch, das kann ich mir ziemlich gut vorstellen." Ich biss mir auf die Lippe. „Ich wäre nämlich genauso."
„Was mache ich denn dann? Wenn Romy einmal weint, ist es echt schwer, sie zu trösten." Jesper seufzte.
„Ich schätze, am besten versuchst du einfach, für sie da zu sein. Du kannst ja schlecht die Zeit zurückdrehen. Oder sie macht das ganze nochmal. Sie weiß ja jetzt, wie es geht." Gerne hätte ich Jesper jetzt gesehen und in den Arm genommen. Es war rührend, wie viele Gedanken er sich um das Glück seiner besten Freundin machte.
Autsch! Bei den Wörtern beste und Freundin begann mein Magen noch immer zu rebellieren. Meine beste Freundin würde nie wieder für mich da sein können. Ich würde sie nie wieder trösten können.
Denn sie lag unter der Erde.
Claire war mein wunder Punkt, meine Schwachstelle. Denn jeder Gedanke an sie schmerzte und es lenkte mich so sehr vom eigentlichen Geschehen ab, dass ich ganz vergaß, was ich gerade tat oder wo ich war.
So wie jetzt auch.
Jesper schien anscheinend noch etwas geantwortet zu haben, doch es war tonlos an mir vorbeigegegangen. Ich hatte nicht bemerkt, dass er gesprochen hatte.
Zum Glück war ich mittlerweile im Kerker angekommen, so dass ich einfach das Thema wechseln konnte.
„Bin jetzt da. Muss den Wachen nur kurz erklären, was ich schon wieder hier mache."
Ich schenkte den drei Reforten mein schönstes Lächeln. Es waren andere als gestern, weshalb ich wirklich noch einmal ganz von vorne anfangen musste.
„Was machen Sie hier unten?", fragte eine Frau mittleren Alters. Ihre Rüstung zeigte Brandspuren auf. Anscheinend war sie beim Kampf gegen die Feuerbändiger anwesend gewesen.
„Ich habe die Genehmigung von Kazumi und Sverre, Jacob William einen Besuch abzustatten." Schnell hielt ich ihnen das Dokument hin, was ich mir vorhin noch von den beiden hatte unterzeichnen lassen.
„Na gut. Aber was soll das Handy? Es ist untersagt, dass die Gefangenen Kontakt zur Außenwelt haben."
Ich deutete auf das Dokument. „Steht ebenfalls hier drauf. Ein Gespräch zwischen William und seinem Sohn ist von Kazumi und Sverre genehmigt. Sollten sie mir nicht glauben, stehen die beiden zu einer klärenden Seelenverbindung bereit."
Es war ein ganz schöner Aufwand gewesen, Kazumi und Sverre davon zu überzeugen.
Noch schlimmer war es aber gewesen, den Kerker für Handyempfang zugänglich zu machen. Mehrere Elektriker hatten in Windeseile Kabel verlegt, damit meiner Verbindung zu Jesper nicht abbrechen würde, wenn ich gleich William Zelle betreten würde. Denn eigentlich gab es keinen Grund, warum es dort ein Signal geben sollte.
Ein wenig skeptisch dreinblickend gab mir die Refortin meine Genehmigung zurück und öffnete dann die erste Schleuße zu Williams Gefängnis.
Es kribbelte am ganzen Körper, wenn ich an unsere Begegnung gestern zurückdachte. Es tat mir leid für Jesper, dass er seinen Vater gleich so sehen musste.
Vom Leben gezeichnet und völlig am Ende.
Die Tür hinter mir ging zu und vor mir öffnete sich ein schweres Eisentor. Ich ging hindurch und holte einmal tief Luft.
Sobald sich das Tor hinter mir geschlossen hatte, griff ich nach dem Türgriff, der mich von William trennte.
„Wir sind da", verkündete ich Jesper. „Ich stelle das Handy jetzt auf laut, damit ich alles mitanhören kann und ich kann dir die Videoübertragung einschalten, damit du William mal sehen kannst. Aber erst werde ich dich ganz allein mit deinem Vater sprechen lassen."
„In Ordnung. Und Luna?"
„Ja?"
„Danke, dass ihr das für mich tut. Ich weiß, dass ihr es nur macht, weil es euch vielleicht weiterbringt. Aber für mich bedeutet das gerade wirklich wahnsinnig viel. Nach allem, was mein Vater angerichtet hat, ist er immer noch ... mein Vater. Ich vermisse ihn."
„Klar", sagte ich und meinte es auch so.
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