Neujahrsbeginn
Leuchtende Punkte schossen von allen möglichen Seiten aus hinauf in den Himmel. Weit über den Köpfen der Anwesenden schienen die kleinen Funken zu explodieren und breiteten sich zu bunt leuchtenden Sternen aus, die hoch oben am Himmel ihre Funken versprühten. Gerade hatte das neue Jahr begonnen. Die alljährlich kribbelnde Vorfreude auf das nächste war eindeutig spürbar. Dünne Rauchfäden waberten durch die klirrend kalte Luft der ersten Minuten des Jahres. Zu dem Knallen und Zischen der Feuerwerkskörper gesellten sich aneinander stoßende Gläser, die ersten Neujahrswünsche und fröhliche, aber ehrfürchtig gedämpfte Stimmen.
In jedem Kopf schwebte mindestens ein guter Vorsatz, den man im nächsten Jahr verwirklichen wollte. Noch war die Begeisterung abzunehmen, etwas mehr zu lernen oder höflicher zu werden keinesfalls gedämpft und die Vorsätze nicht abgeschrieben, noch jedenfalls. Wie es der Vorsätzefluch so wollte, verpufften die aller meisten der guten Absichten innerhalb der ersten paar Wochen, genauso wie die letzten glimmenden Funken am Himmel. Die unzählbar vielen Sterne wurden von dem Nebel des Feuerwerks verdeckt und unkenntlich gemacht.
Nur der Mond stand hoch oben am Himmelszelt. Durch den Nebel und die dünnen Wolken fiel kaum etwas des matten Mondlichts hinunter auf die Silvester feiernden Leute. Niemand derer achtete wirklich auf den kaum auffallenden Schein, bis sich eine der Wolken durch den schneidend kalten Wind davongetrieben wurde und den Blick auf den Vollmond freigab. Wie ein zweites Feuerwerk zog das Licht neugierige Augenpaare auf sich, in denen sich gefüllte Sektgläser schimmernd wie flüssiges Gold und kleine Glücksbringer spiegelten.
Alle sahen hinauf, sahen zum ersten Mal für dieses Jahr in das weiße Mondlicht. Niemand hatte die Absicht sich in der nächsten Zeit groß von diesem Anblick loszureißen. Der Vollmond verbreitete zusammen mit seinem ruhigen Schein eine Art Freude unter den Zuschauenden, verbunden mit einem mulmigen Gefühl. Ein unbeschreibliches Gefühl, als hätte man durch einen einzigen Knopfdruck die ausgelassene Feierstimmen abgeschaltet, dafür den Schalter auf gruseligen Horrorfilm gestellt. Nicht nur das ungewöhnlich helle Licht, auch die fast pechschwarz wirkenden Wolken, boten eine perfekte Kulisse für einen Film, bei dem man selbst bei der kleinsten Bewegung wie Espenlaub erzitterte.
Der weißliche Filter, der sich auf alles legte, was das Auge erblickte, erinnerte an eine gewisse Reinheit frisch gewaschener Wäsche und Unsterblichkeit eines Mannes, der in einem schneeweißem Hemd steckte, selbstgerecht auf seinen "Mörder" hinunter lächelnd und trotz dem Schuss mitten durch sein Herz nicht blutete, geschweige denn starb.
Doch diese Assoziation sollte in eben genau dieser Neujahrsnacht wahr werden: Keine zwanzig Meter von den Feiernden entfernt zitterte eine schwarz glänzende Pistole in den Händen eines gebrechlich wirkenden Mannes. Dem Lauf der Waffe folgend klaffte ein von der Kugel geschlagenes Loch in dem Körper des Hemdträgers. Sein süffisanter Gesichtsausdruck wurde immer, immer offensichtlicher. Seine Lippen teilten sich und offenbarten seine unglaublich spitzen Zähen, fast wie die eines Vampires. Der Knall der Waffe, der sich fast unbemerkt in die silvestertypisch unruhige Abendluft gedrängt hatte, wurde als Feuerwerkskörper abgetan, sodass niemand den beiden seltsam wirkenden Personen auch nur einen Ansatz von Aufmerksamkeit schenkte. Ungesehen aller anderen wanderte der Blick des Angeschossenen auf sein durchlöchertes Hemd. Er seufzte, während er den Schaden näher begutachtete.
"Sieh nur, was du angerichtet hast. Jetzt muss ich mir schon wieder ein neues Hemd kaufen", beschwerte er sich nüchtern bei dem Bewaffneten, der immer noch unbewegt mit der Schusswaffe auf den Oberköper mit dem Loch zielte. Doch war ihm die Waffe leicht verrutscht und drohte jede Sekunde aus seinen klammen Händen zu rutschen. "Tze, tze, tze", machte der unverwundete Verwundetet und nahm dem Kleineren die Waffe ab, um sie sich einzustecken. "Nicht, dass du dich noch verletzt. Mir kann die sowieso nichts anhaben", sagte er lässig als Erklärung, was bei dem anderen nur auf noch mehr Verwirrtheit im Blick stieß.
"Wer sind Sie?", fragte der Entwaffnete stotternd und leise.
"Wie, du schießt auf mich, aber weißt nicht, wer ich bin?", scherzte der andere, sich seine dunkelbraunen Haare richtend. "Deine Aufgabe, mich umzubringen, wird so sicherlich weiterhin scheitern. Bei einem Vampir reichen keine kleinen Metallkugeln."
"Aber-"
"Vergiss einfach deinen Auftrag, mich für deinen Chef umzubringen, und komme mir nicht in die Quere, dann passiert dir auch nichts, ja?", sprach der Braunhaarige, tätschelte dem anderen kurz den Arm und wandte sich dann zum Gehen.
"Wieso leben Sie noch?", presste der Getätschelte hervor, zuckte heftig unter der so unpassend freundschaftlichen Berührung zusammen.
"Hast du etwa schon einmal einen Vampir mit Schusswaffenunverträglichkeit gesehen?" Und der Vampir ging in Feuer auf. Als die züngelnden Flammen langsam erloschen, auf Lagerfeuergröße schrumpften und schlussendlich nicht mehr größer waren, als die Flamme einer Kerze, war der Mann verschwunden.
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-783 Wörter-
Hier meine zweite Abgabe für den Oneshot Award von @SabinaOehler zu den Wörtern Vampir(e), Kerze(n), Fluch und Feuerwerk. Bin gespannt auf die Bewertungen ^^
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