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Engel taugen nichts, wenn sie sich nicht in die Hölle wagen.
Ich hatte Geronimos Satz in tiefblauer Schrift quer über die Wand meines Zimmers gemalt, als ich zwölf Jahre alt war. Vater hatte mir dabei zugesehen, und er sagte kein Wort.
Ich musste aufpassen, dass die Farbe nicht verlief. Ich brauchte genau die richtige Menge Farbe, und ich durfte den Pinsel weder zu leicht noch zu fest aufdrücken und musste ihn im genau richtigen Tempo über die Struktur der Wand bewegen. Ich wollte nicht, dass auch nur ein Tropfen Farbe nach unten lief.
Engel taugen nichts, wenn
"Sind wir das? Engel?"
Vater hatte mir alles über die Jäger erzählt, als er glaubte, ich sei alt genug dafür, um die Aphorismen Geronimos zu verstehen. Aber die Jagd sei nichts für mich, bevor mein Körper stark genug und mein Geist weit genug sei, um Angriffen widerstehen zu können.
"Ja. Aber die meisten von uns haben es vergessen."
Ich musste mich konzentrieren, ich durfte nicht zu langsam werden mit dem Pinsel. Ich hatte es gleich geschafft, und kein einziger Tropfen wäre nach unten unterwegs.
Engel taugen nichts, wenn sie sich nicht in
"Aber wie können wir vergessen, dass wir Engel sind, Vater?"
Diesmal schaute ich ihn kurz an, weil ich es einfach nicht fassen konnte: Etwas so Herrliches wie ein Engel sein und es dann... vergessen? Das war doch unmöglich. Und wie...
Mist! Ein Tropfen Farbe lief langsam vom Bogen des n die Wand hinunter, zog seine Spur wie eine Träne.
Ich nahm den Pinsel weg und begann das nächste Wort, achtete aber diesmal darauf, meinen Vater nicht wieder anzuschauen.
"Geronimo sagt, dass wir es vergessen wollten, und dass wir alles getan haben, um es zu vergessen." Er hielt kurz inne, dann sprach er weiter: "Wir sind abgefallen. Die Aufgabe erschien uns zu groß, und wir waren in Furcht. Also vergaßen wir unsere Unsterblichkeit und alles, was uns aufgetragen war."
die Hölle wagen
Ich war am Ende angelangt und setzte den Punkt, um zu verhindern, dass der Satz weiter ging, und ich wünschte mir auf einmal, dass Vater still sein und dass er nicht weiter sprechen, dass er niemals weiter sprechen würde. Ich wünschte mir so sehr, dass es nichts mehr zu sagen gab, und ich drängte die Fragen zurück - all die Fragen, an die ich denken musste - bevor ich sie aussprechen konnte.
Nun nahm er mir sanft den Pinsel aus der Hand, weil ich zu heftig zitterte, und ich sah, wie der einzelne Tropfen weiter und weiter seine Bahn zog.
"Aber wir können gar nicht anders...", sagte er leise.
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