14
Was ich an Littlewood am meisten liebte, war die Stadtbücherei. Nirgendwo konnte ich Mädchen unauffälliger anschauen, und es war der beste Ort, sie auf eine Art kennen zu lernen, die irgendwie fast normal war. Ich musste nichts Außergewöhnliches tun, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen; ich brauchte keine Show abzuziehen. Ich musste nur beobachten und den richtigen Moment abpassen, um ins Gespräch zu kommen.
Die meisten Mädchen aus meiner Klasse hatten feste Freunde, die mindestens zwei Jahre älter waren als ich und Dinge bieten konnten, von denen ich noch weit entfernt war. Ich hatte mein Fahrrad statt eines Autos, und die paar Ferienjobs brachten nicht genug Geld, um mir die Klamotten leisten zu können, die Mädchen an Jungs so cool fanden. Ich hatte immer nur die Worte. Während die anderen danach suchten, waren sie für mich immer da. Die Worte bewirkten Zauberdinge, und sie ließen mich niemals im Stich.
Im Anfang war das Wort.
Das war der erste Aphorismus des dunklen Engels, den mir mein Vater beigebracht hatte, und ich verstand ihn intuitiv. Ich musste nicht nachfragen, um seine Tiefe zu ermessen, und ich atmete seinen Klang wie reine Luft. Das Wort hatte mir meine Gestalt verliehen, es war die Substanz meiner Seele und meines Körpers, und Sprache wurde dann zum heiligen Akt, wenn sie sich im Augenblick höchster Stille Ausdruck verschaffte. Das war der Moment, den es abzuwarten galt, und alles Weitere war Zauber, wahre Magie. Der Moment für Beatrice war fast da, noch sieben Mal ein- und sieben Mal ausatmen, bis die Atmung langsam genug sein würde, um die Sprache nicht zu stören.
"Ich weiß nichts über dich, Beatrice, aber ich kenne deinen Namen", sagte ich leise, ohne sie direkt anzuschauen. "Ich habe ihn in diesem Buch gelesen."
Mein Blick war gedankenverloren, und ich hatte meine Augen auf das Buch gerichtet, das ich drei Minuten vorher ohne nachzudenken aus dem Regal genommen hatte. Ich kannte weder Titel noch Inhalt, und das alles war unwichtig. Abwarten war wichtig, und die nächsten zwei Sekunden würden alles entscheiden.
Wir waren allein in der Regalreihe, und sie bewegte sich nicht. Jetzt sah sie mich an, ich konnte es spüren, und ich musste weiter ins Buch sehen, wenn ich es nicht verderben wollte.
"Geschichten machen mir manchmal Angst. Sie verraten zuviel." Ich klappte das Buch zu und stellte es zurück ins Regal. An seinem Platz sah es aus wie jedes andere, und ich hätte es nicht mehr finden können. Erst jetzt sah ich sie an, und sie lächelte. Ich fühlte mich verloren, hilflos, und ich schüttelte den Kopf, sah ihr nur kurz in die Augen, bevor ich mich umwandte und den ersten Schritt weg von ihr machte: "Ich muss gehen."
"Nein, warte..", sagte sie, und ich prägte mir ihre Stimme ein, bevor sie weiter sprach. "Wie hast du das gemacht?"
Ich drehte mich wieder zu ihr um, und ihr Blick war offen erstaunt. Sie lachte leise. "Ich meine, wie konntest du...?"
"Deinen Namen erraten?"
Jetzt lächelte ich, aber es war ein vorsichtiges Lächeln, klar, aber nicht zu selbstbewusst, obwohl ich gewonnen hatte. Die Worte fühlten sich gut an in meinem Bauch, und ich wusste, sie würden ihr Ziel treffen, noch bevor ich sie aussprach.
"Ich weiß nicht, ich muss ihn gehört haben, vorne an der Ausleihtheke, als du deine Bücher zurück gegeben hast. Oder vielleicht hast du mit einer Freundin gesprochen? Dann hab ich hier Beatrice gelesen und laut gedacht. Es ist peinlich, also frag jetzt bitte nicht weiter!"
Ich lachte. Ihr gefielen meine Locken, meine Augen, meine Lippen. Ihr Blick streifte meinen Körper, und mir wurde warm, weil ich es zwischen den Beinen spürte. Ich wurde rot, und sie lachte wieder:
"Du bist süß! Und ich hab garantiert mit keiner Freundin und auch mit niemandem sonst geredet..."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht kannst du ja zaubern?" Sie hielt inne und schaute mir einen Moment lang tief in die Augen. "Und was jetzt?", fragte sie leise.
"Sag du's mir!", antwortete ich grinsend, und sie grinste zurück und schubste mich an der Schulter.
Sechs Tage später schlief Beatrice mit mir, und ich konnte ihr das Geheimnis, wie sie es nannte, immer noch nicht verraten. Weil ich es selbst nicht wusste. Denn wie fühlt sich ein Name an? Welche Farbe hat er? Wohin gehen die Glühwürmchen, wenn es wieder Tag wird?
Ihre Küsse schmeckten nach Zimt, und ihr Atem streifte warm die Haut meines Halses, als sie ihn in die Hand nahm. Ich stöhnte, als sie es tat, und es fühlte sich wie das erste Mal an. Es war immer das erste Mal für mich.
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