Freiheit
Wieder saß ich in dem weißen sterilen Raum auf einem weißen Plastikstuhl. Vor mir stand ein Tisch und dahinter ein Mann, um die vierzig, mit kurzen schwarzen Haaren, in einen weißen Kittel gekleidet. Hätte man ihn auf der Straße getroffen, wäre man nie auf die Idee gekommen, dass er Irrendoktor war. Und wenn man mich auf der Straße getroffen hätte, wäre man auch nie auf die Idee gekommen, dass ich in einer Psychatrie lebe.
Der Irrendoktor setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber und betrachtete mich ausgiebig.
„Miss Carter, nicht wahr?“, fragte er mit einer rauen Stimme. Ich nickte stumm. „Nun Miss Carter, wissen sie warum sie hier sind?“, fuhr er fort. Wieder nickte ich. „Warum, wenn ich fragen darf?“ Ich schluckte. „Ich höre Stimmen“, erwiderte ich mit zitternden Stimme. „Und was sagen ihnen diese Stimmen, Miss Carter?“, hakte er nach. „Sie fragen mich ob ich den Tod das Lied der Freiheit spielen höre“, antworte ich monoton. „Hören sie den Tod das Lied der Freiheit spielen, Miss Carter?“
„Nein.“
„Wissen sie was die Stimmen ihnen damit sagen wollen?“
„Nein.“
„Kennen sie die Stimmen? Sind es die von Verwandten oder Freunden?“
„Nein.“
„Nun gut, Miss Carter, John wird sie wieder auf ihr Zimmer bringen“, verkündete er.
Lautlos stand ich auf und ließ mich von John, einem Betreuer, zu meinem Zimmer geleiten. Immer dasselbe. Dieselben Fragen, dieselben Antworten. Überall dieses Weiß. Die Wände, die Möbel, die Kleidung. Wenn ich noch nicht verrückt war, dann wurde ich es hier. Ich war es leid. Ich hatte schon oft den Gedanken abzuhauen. Doch dann waren da diese Stimmen. Meine Stimmen. Alle fragten sie dasselbe.
'Hörst du das Lied der Freiheit? Der Tod spielt es.'
Doch wie sollte ich das Lied der Freiheit hören, wenn ich hier eingesperrt bin?
In meinem Zimmer aß ich das trockene Brot, das es abends immer gab, und sah zwischen den Gitterstäben den Mond durch das Fenster in mein Zimmer scheinen. So klar und hell. Und vor meinen Augen erschien ein Bild von mir und Jamie, wie wir auf der Wiese hinter unserem Haus standen und uns im Mondlicht küssten. Da war alles perfekt. Doch dann kamen die Stimmen und zerstörten alles. Aber das würde sich nun ändern. Ich zog eine Haarnadel aus meinem strenggebundenen Dutt und bog sie gerade, hockte mich vor die Tür und begann im Schloss herumzustochern. Irgendwie hatte ich Glück und mit einem Klicken wurde mir bestätigt, dass ich es geschafft hatte. Barfuß schlich ich über den kalten Steinboden. Nach ein paar weiteren Türen stand ich draußen. Das Mondlicht ließ die Blätter der Bäume silbrig erscheinen und alles sah aus, als wäre es nur eine Illusion, ein Bild, das meinem Kopf entsprungen war. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bis ich den Rand des Waldes, der die Klinik umschloss, erreichte. Ich entschied mich schneller zu laufen, und auch wenn ich keine Ausdauer mehr hatte, merkte ich wie gut es mir tat. Früher, mit Jamie, bin ich oft gelaufen. Oh ja, wir hatten unseren Spaß. Doch dann war alles vorbei. Man könnte meinen nun wäre ich frei, aber nein. Ich fühlte mich noch immer gefangen. Die Stimmen in meinem Kopf wisperten schon wieder. Fragten lüstern nach dem Lied der Freiheit. Ich lief schneller, doch konnte ich sie nicht abhängen. Sie waren in mir, sie waren ich. Vor einer Schlucht stoppte ich. Meine Zehen guckten leicht über den Rand. Das Mondlicht schien hell auf mich herab, die Bäume rauschten im Takt des Windes. Ich ging den letzten Schritt und im Fall, da hörte ich es. Leise Töne und eine zarte Stimme. Eine melancholische Melodie, die nicht von dieser Welt sein konnte.
Der Tod spielte das Lied der Freiheit.
Ich stieg auf und sah meinen Körper am Fuße der Schlucht liegen, mit verdrehten Gliedmaßen, meine schwarzen Locken umrahmten sanft mein Gesicht. Und wie ich mit der kalten Nachtluft verschmolz und dem Lied der Freiheit lauschte, da fühlte ich. Ich fühlte die Freiheit.
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