10. Kapitel - Danke
Tag 2, Danke - 14:46
Ja, ich bin schwul, da bestehen keine Zweifel. Nicht nur, dass ich Tim etwas mehr mag, als ich sollte, nein. Da ist schließlich auch noch Nick. Nick, mit den wunderschönen, strahlend blauen Augen. Nick, den ich so sehr enttäuscht habe, als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht nach London kann. Nick, Nick, Nick. Tim.
Mist, fluche ich in Gedanken. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über so etwas nachzudenken, Stegi. Ich habe andere Probleme. Zum Beispiel, dass mein Gesicht tränenüberströmt ist und ich einfach nicht mehr aufhören kann zu weinen.
Ich schniefe und wische die salzigen Tränen so gut es geht an meinem T-Shirt ab. Was nicht hilft, denn jetzt sieht man den nassen Fleck darauf und ich immer noch weiterweiß.
Reiß dich zusammen, Stegi. Normal verhalten, das hat höchste Priorität. In ein paar Wochen bin ich hier weg und werde die anderen wahrscheinlich nie wieder sehen. Auch nicht Tim.
Was mit Nick ist, das überlege ich mir später. Ich kann ihm nicht sagen, dass ich schwul bin. Dass ich in ihn verliebt bin noch weniger. Warum muss das Leben so unfair sein?
"Stegi?", sagt jemand neben mir. Perplex fahre ich hoch und versuche die Tränen mit einer Handbewegung abzuwischen. Okay, es ist offensichtlich, dass ich geweint habe.
"Stegi, alles in Ordnung?" Erst jetzt schaue ich zu der Person. Es ist Tim. Kann ich nicht einmal Glück haben?
"Ja. Ja, alles in Ordnung." Ich lächele gezwungen und merke im nächsten Moment, wie schlecht diese Antwort war. Natürlich sieht Tim, dass nichts in Ordnung ist. Er legt den Kopf schief und schaut mich fragend und mitfühlend an.
Ich wäge kurz ab, ob ich ihm sagen soll, dass ich schwul bin und verwerfe den Gedanken im nächsten Moment wieder. Keine gute Idee, glaube ich. Tim könnte auf falsche Gedanken kommen, dabei bin ich ja gar nicht in ihn verliebt, sondern in Nick.
"Ich...", mitten im Satz bricht meine Stimme ab. Ja, was soll ich jetzt sagen?
"Du kannst es mir ruhig sagen.", meint Tim sanft und legt einen Arm um mich. Ich sträube mich nicht dagegen, denn es fühlt sich so richtig an.
"Nein, ich... Es ist nichts, okay?" Tim beißt sich auf die Unterlippe, sagt aber nichts. Dann nimmt er seinen Arm von meiner Schulter und steht auf.
"Du sagst es den anderen aber nicht... Also, das ich geweint habe.", sage ich panisch. Tim schüttelt den Kopf.
"Nein. Wenn du das nicht willst, schweige ich." "Danke, Tim. Danke für alles." Ich lächele ihn vorsichtig an, aber Tim's Blick bleibt kalt, also räuspere ich mich nur und richte mich ebenfalls auf.
~
Den Rest des Tages rede ich nicht mehr wirklich, höchstens ein paar Worte mit Tobi, der mich unbedingt darüber ausfragen will, wo ich hingegangen bin und vor allem warum. Ich antworte nicht, sondern zucke abwesend mit den Schultern, während ich nicht anders kann, als an Nick zu denken. Schließlich fasse ich einen Schluss.
Ich muss mein Handy aufladen und wenn wir das nächste Mal nach Boltenhagen oder so fahren, wo ich dann Netz habe- ernsthaft, hier gibt es kein Netz, das haben wir an Tim's Handy festgestellt- und schreibe Nick eine WhatsApp. Ich glaube, das ist erstmal das Einzige, was ich machen kann.
Angespannt ziehe ich einzelne Grashalme aus dem Boden und zerknicke sie. Was soll ich Nick schreiben? Ist er mir vielleicht immer noch böse, wegen London? Und wie soll ich ihm bitte sagen, dass ich mich in ihn verliebt habe? Er ist nicht schwul. Nick hatte bereits zwei Freundinnen, das weiß ich. Es ist sozusagen hoffnungslos und das macht mir Bauchschmerzen. Ich kann mit niemandem darüber reden, die anderen würden mich doch sowieso nicht verstehen.
Also kann ich nichts machen, außer weiter den Himmel anzustarren, aber dieses Mal nicht zur Ruhe zu kommen. Egal, wie sehr ich mich bemühe, mein Gehirn will nicht aufhören zu denken. Und das ist mehr als lästig.
"Stegi.", höre ich Tim's beruhigende Stimme flüstern. "Es ist schon spät. Wir wollen jetzt was essen und danach wahrscheinlich in unsere Hütte." Ich nicke zögerlich und stehe langsam auf.
"Wenn etwas ist, egal was, du kannst es mir sagen, Stegi." Die Worte sollten mir Zuversicht geben, stattdessen zerstören sie mich, denn sie zeigen mir, dass ich nicht ehrlich bin. Nicht ehrlich sein kann, weil ich mich nicht traue ich selbst zu sein.
Vielleicht war diese Entscheidung ein Fehler, vielleicht aber auch genau das Richtige.
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