06 - Paranoia, Horrortrip
SOMMER MEINES LEBENS
06 — Paranoia, Horrortrip
❝ Davon geht der Kopffick weg, hoffentlich.
Bei mir leider nicht, Paranoia, Horrortrip.
Paar Stunden auf der Straße am Zittern. ❞
pov ⸻ nico
Ich dachte nicht groß nach, setzte die Bong an und zündete sie mit zitternden Fingern an.
Dann zog ich tief ein, das kalte Glas an meinen trockenen Lippen. Der Rauch strömte in meine Lungen, und dieser unverwechselbare Druck baute sich auf, genau, was ich gebraucht hatte.
Langsam ließ ich den Rauch wieder raus, die Augen geschlossen. Für 'nen Moment war alles weg. Kein Lärm, keine Gedanken – nur das dumpfe Rauschen in meinen Ohren.
Und dann kam's.
Dieses Gefühl, nach dem ich gesucht hatte, breitete sich aus und zog durch meinen ganzen Körper. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.
Vielleicht war das hier die Antwort auf meine Probleme. Zumindest für jetzt.
»Dicker, Nico...«, hörte ich Moritz' Stimme, 'n bisschen besorgt, aber ich tat so, als wäre er gar nicht da. Natürlich laberte er trotzdem weiter.
»Die Bong ist von meinem Bruder. Du weißt doch, wie der drauf ist. Der ballert sich alles rein, egal wie gestreckt das Zeug ist. Ich wär' da echt—«
»Kannst du nicht einfach mal die Klappe halten?«, fauchte ich ihn an. Immer diese dämliche Moral, immer dieses besserwisserische Gelaber.
Ich wusste genau, was ich da tat. Und ehrlich gesagt, tat's meinem Kopf gerade richtig gut.
Ich sah, wie Moritz die Lippen zusammenpresste und Sil-Yan einen verzweifelten Blick zuwarf. Was sollte der Scheiß? Die kannten mich doch.
Wenn ich Bock hatte, dann kiffte ich halt. Und wenn ich was Stoff da hatte, dann zog ich mir's halt durch die Nase, scheißegal. Hauptsache, diese beschissene Welt war für 'n Moment still.
Ich nahm noch 'nen tiefen Zug und spürte, wie diese komplette Leichtigkeit mich wieder packte.
Verdammt, war das geil.
Ich ließ mich in die Couch fallen, den Kopf nach hinten gelehnt, meine Augenlider wurden immer schwerer. Scheiß drauf. Das war mir egal.
»Beschissene Braut!«, murmelte ich nach 'ner Weile und schnaubte. »Scheiß auf sie!«
Ich machte 'ne fahrige Handbewegung, so unbeholfen, dass Sil-Yan sich zurückziehen musste, um nicht getroffen zu werden.
Moritz saß vor mir, die Beine übereinandergeschlagen, zog an seiner Kippe und beobachtete mich. Sein Gesicht war voller Sorgenfalten, aber wenigstens hielt er die Klappe.
Mein Kopf fühlte sich leer an, wie nach 'ner durchgemachten Nacht.
Alle Probleme waren plötzlich so verdammt weit weg, als wären sie nie existiert.
Alle meine Probleme waren plötzlich so weit weg, als wären sie nie da gewesen.
Die Abfuhr, der Stress mit meinem Arschloch-Stiefvater, die beschissene Schule, das ewige Gejammer ums Geld – alles war unwichtig.
Ich schloss die Augen. Die Welt begann sich zu drehen, aber es war angenehm, fast beruhigend. Es fühlte sich an, als würde ich schweben.
Einfach nur sein. Für 'nen kurzen Moment war alles so leicht, so friedlich.
Über mir verwandelte sich die Decke in 'nen wilden Farbenrausch, die Muster an der Wand begannen, ihren eigenen Tanz zu tanzen.
Dieses Gefühl... es war unfassbar.
Doch dann wurde alles dunkel.
»Nico, wach auf!«, hörte ich Moritz' Stimme, laut und panisch. Er schüttelte mich, aber ich war wie gefangen, irgendwo zwischen Traum und Realität.
Meine Gedanken rasten, wirbelten durcheinander, aber kein Wort drang wirklich zu mir durch. Die bunten Muster um mich herum verzerrten sich zu grinsenden Fratzen, die mich auslachten.
Ich wollte schreien, irgendwas rauslassen, aber kein Ton kam über meine Lippen.
Stattdessen kroch ein bitterer Geschmack in meinen Hals und brannte wie Feuer.
»Scheiße, zu viel!«, keuchte ich schließlich, bevor sich mein Magen umdrehte und alles hochkam.
Es fühlte sich an, als würde mir jemand die Eingeweide herausreißen.
»Ich hab's dir doch gesagt!«, brüllte Moritz, während er 'n Stück zurücksprang.
Ich richtete mich wacklig auf, wischte mir mit zitternder Hand über den Mund und starrte ihn wütend an. »Halt's Maul!«, fauchte ich zurück. »Du verstehst das einfach nicht!«
Statt zu antworten, zog er mich mit glasigen Augen in 'ne Umarmung. »Alles wird gut.«
Aber ich wusste, dass das 'ne Lüge war.
Alles wird gut. Alles wird gut.
Ein Mantra, das in meinem Kopf nur noch mehr Chaos auslöste. Alles wird nie gut.
Ich schloss die Augen, versuchte die Bilder loszuwerden, aber sie waren immer da – diese Schatten, diese Stimmen, so verdammt präsent.
Ich hatte immer geglaubt, Alkohol wäre die Lösung für alles. Immer, wenn ich mich wie 'n Versager gefühlt hatte, griff ich zur Flasche.
Der Schmerz ließ nach, wenn auch nur kurz. Aber der Morgen danach brachte mich immer wieder zurück auf'n harten Boden der Realität.
Die Einsamkeit, das Gefühl der Unzulänglichkeit. Ich war allein, ganz allein.
Du bist 'n Versager, 'n Loser.
Das hab' ich oft genug gehört. Und je öfter ich's hörte, desto mehr glaubte ich daran.
Ich brauchte jemanden, der mich verstand, jemanden, der mir aus dieser Scheiße half.
⸻
Das nächste, was ich mitbekam, war ein nasser Lappen, der mir im Sekundentakt ins Gesicht geklatscht wurde. Genervt öffnete ich die Augen und blinzelte ins grelle Sonnenlicht.
Über mir stand Sil-Yan, mit 'nem wirklich unverschämten breiten Grinsen im Gesicht. »Na, bist du jetzt wach?«, fragte er in 'nem Ton, der viel zu gut gelaunt war für meinen Zustand.
»Dicker, wo bin ich hier?«, murmelte ich mehr zu mir selbst als zu ihm, während ich mir verwirrt die Augen rieb. Nichts hier kam mir bekannt vor.
Nach 'n paar Sekunden kapierte ich, dass ich auf seiner Schlafcouch lag, eingepackt in 'n paar seiner Klamotten, die viel zu groß für mich waren.
Na großartig.
»Wie komme ich denn hierher, Alter?«, fragte ich genervt und warf die Decke zur Seite.
Sil-Yan stand jetzt vor mir rum wie'n begossener Pudel. »Du bist bei mir Zuhause«, sagte er.
»Ach was«, unterbrach ich ihn und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
»Gestern Nacht war 'ne echte Katastrophe«, meinte er dann und machte so 'ne abfällige Handbewegung. »Woran erinnerst du dich?«
»Keine Ahnung, Alter«, stöhnte ich und klatschte mir den Waschlappen wieder auf die Stirn. »Mein Kopf fühlt sich an wie 'ne zerquetschte Tomate.«
»So siehst du auch immer aus...«, murmelte er leise, irgendwas, das ich nicht ganz verstand.
»Wat? Was mach' ich?«, fragte ich lauter.
»Nichts, nichts!«, winkte er schnell ab und wechselte das Thema. »Du hast gestern Bong geraucht, erinnerst du dich daran?«
Verwirrt sah ich ihn an. Ja, an die Bong konnte ich mich noch erinnern. Die hatte mir für 'nen kurzen Moment richtig gutgetan. Aber alles danach?
Einfach weg, wie ausgelöscht.
Sil-Yan wartete nicht mal auf 'ne Antwort, sondern redete einfach weiter. »Alter, du hattest so 'nen krassen Trip. Warst total durch. Hast um dich geschlagen und gebrüllt, wie ein Irrer.«
Scheiße, was für 'n peinlicher Anblick das wohl gewesen sein muss...
»Dann haben wir dich auf die Straße geschleppt, bisschen frische Luft und so«, fuhr er fort, während er in seinem Zimmer auf und ab lief.
Boah, ging mir voll auf'n Sack.
»Du saßt da wie ein Häufchen Elend, hast gezittert wie verrückt. Wir hatten keinen Plan, was wir mit dir machen sollten. Moritz konnte dich nicht mit zu sich nehmen – seine Mutter hätte dich direkt rausgeschmissen. Und allein lassen? War auch kenne Option. Also haben wir dich zu mir geschleppt«, plapperte er weiter, so schnell, dass ich kaum hinterherkam.
»Wie habt ihr mich in meinem Zustand hierher gebracht?«, fragte ich schließlich und versuchte, seinen Blick zu fangen.
Ein breites Grinsen zog über sein Gesicht. »Dicker, du warst zwar total durch, aber irgendwie konntest du noch erstaunlich gut laufen.«
Ich stöhnte laut auf. Das muss so unfassbar bescheuert ausgesehen haben. Bitte, lass mich dabei niemanden getroffen haben, dachte ich nur.
»Brauchst du was?«, fragte er, und ich merkte, dass sein Redeschwall endlich 'n Ende hatte.
»Kaffee, was zu essen und viel Nikotin«, antwortete ich ohne zu zögern.
Sil-Yan lachte kurz auf. »Alles klar, Bruder. Nikotin musst du selbst checken – deine Kippen sollten noch in deiner Hosentasche sein.«
Er hielt kurz inne und grinste. »Frag bloß nicht, wie ich es geschafft hab, dich gestern noch umzuziehen. Das war echt 'ne Nummer für sich!«
Ich grinste zurück. »Na, hat's dir wenigstens gefallen?« Er lachte wieder. »Nach dem, was ich gesehen hab? War nicht übel.«
Hach, ich liebte es, wenn meine Freunde bei so einem Humor mitspielten.
»Nee, Spaß, Alter. Danke, Mann. Ohne euch wäre ich wahrscheinlich draufgegangen«, bedankte ich mich und klopfe mir anerkennend auf die Brust.
»Kein Ding, Bruder«, erwiderte er mit 'nem Lächeln und verschwand aus dem Zimmer.
Kurze Zeit später rief mich Sil-Yan aus irgendeinem Grund zu sich. Schweren Herzens und mit 'nem immer noch dröhnenden Schädel schleppte ich mich hoch. Meine Beine waren wackelig, aber immerhin konnte ich stehen.
Nach kurzem Suchen fand ich ihn in der Küche. Mit 'nem breiten Grinsen saß er da, vor sich zwei dampfende Tassen Kaffee und – ich konnte es kaum glauben – frisch aufgebackene Brötchen.
Manchmal war der Typ echt 'n Engel.
Ich ließ mich auf den Stuhl gegenüber fallen und griff sofort nach einer der Tassen. Der Duft des Kaffees benebelte sofort meine müden Sinne.
»Danke, Mann...«, murmelte ich und nahm 'nen ersten vorsichtigen Schluck.
Sil-Yan grinste nur vor sich hin und machte sich dann daran, sein Brötchen mit 'ner unmenschlichen Menge Butter zu beschmieren.
»Wo sin'n deine Eltern?«, fragte ich mit zerknittertem Gesicht, während Sil-Yan immer noch ungeniert Butter auf seine Brötchenhälfte klatschte, als gäb's kein Morgen.
»Arbeiten?«, kam seine Antwort, wobei es mehr wie 'ne Frage klang. Ich runzelte die Stirn, leicht verwirrt. War heute nicht Sonntag?
Als ob er meine Gedanken lesen könnte – und ich schwöre, manchmal konnte er das –, zeigte er mit 'nem Finger auf einen Wandkalender, der kitschig mit Familienfotos verziert war und so 'ne verschiebbare Datumsanzeige hatte.
Der Zeiger stand auf dem 20. August. Ein Dienstag. Klar, 'normale' Eltern waren an 'nem Dienstag arbeiten. Logisch, oder?
Ich starrte noch einmal wie 'n Idiot auf'n Kalender, als könnte er mir irgendeinen Geheimtipp geben. Und auf 'ne seltsame Art tat er das auch.
»Nächste Woche schon wieder Schule, ey! Das kann doch nicht wahr sein!«, schimpfte ich und ließ meinen Kopf dramatisch auf'n Tisch knallen.
Alles, bloß keine beschissene Schule.
»Ach komm«, sagte Sil-Yan mit vollem Mund und stopfte sich einen weiteren Bissen rein. »Das ist doch unser letztes Jahr. Danach ist's geschafft!«
Klar, theoretisch hatte er recht. Aber hatte er wirklich kapiert, was das bedeutete?
Letztes Jahr. Abitur. Mega viel Stoff. Mega Stress. Prüfungen. Abschluss. Und das Schlimmste: Es waren unsere letzten Sommerferien. Jemals.
Mein Blick wanderte erneut über den Kalender und blieb bei Freitag, dem 23., hängen.
»Ey, war da nicht irgendwas diesen Freitag?«, fragte ich kauend und sah Sil-Yan an, als könnte ich die Antwort direkt in seinem Gesicht ablesen.
Er warf mir einen Blick zu, als hätte ich gerade gestanden, dass ich schwul bin. »Ähm, das End-of-Summer-Battle?«, fragte er so entsetzt, dass ich mich fast an meinem Kaffee verschluckte.
Scheiße, das war schon diesen Freitag??
Sil-Yan hatte sich als DJ dafür richtig reingehängt und praktisch den halben Sommer für diesen Tag geopfert. Mittlerweile war er einer der Hauptacts dort, 'n fester Bestandteil des Abends – zwischen all den Rappen, die sich gegenseitig battlen.
Und mal ehrlich: Nur seinetwegen war ich die letzten zwei Jahre überhaupt dabei gewesen.
»Scheiße...«, murmelte ich und kippte noch 'nen großen Schluck Kaffee hinterher.
»Bitte sag mir, dass du ein paar Killer-Lines am Start hast! Bitte Nico, enttäusch' mich nicht!«, flehte Sil-Yan, als hinge sein Leben davon ab.
Ich winkte lässig ab. »Hab schon 'n paar im Kopf, aber du weißt ja, wie das manchmal ist...« Dabei tippte ich mir schuldbewusst gegen die Stirn.
Dass ich mir Sachen einfach schlecht merken konnte, war kein Geheimnis.
Das war so 'ne Art Lernschwäche, die mir nicht nur in der Schule ständig Probleme gemacht hatte, sondern auch bei sowas.
»Das schaffst du schon«, meinte Sil-Yan und winkte ab, während er wieder die andere Brötchenhälfte mit 'ner absurden Menge Butter einstrich. »Du warst letztes Jahr schon 'n Killer.«
»Aber nicht gut genug«, brummte ich und nahm noch 'nen Bissen. Die Erinnerung ans letzte Jahr war noch frisch. Ich war ziemlich weit gekommen, hatte sogar Fans auf meiner Seite gehabt. Aber am Ende hatte 'n anderer einfach besser abgeliefert.
»Wie hieß nochmal der Typ vom letzten Jahr? Der Dunkelhäutige?«, fragte ich nachdenklich.
Ich erinnerte mich nur daran, dass es damals einen riesigen Shitstorm gegeben hatte, weil der Typ noch nicht mal sechzehn gewesen war.
»Ach, du meinst Tarek Ebéné?«, strahlte Sil-Yan für meinen Geschmack etwas zu breit und so, als würde ich gleich sagen »Ach klar, der!«.
»Ich seh' Tarek manchmal auf dem Schulhof«, plapperte er ungefragt weiter.
Sil-Yan ging aufs Gymnasium hier in Kreuzberg, ich auf die Gesamtschule – für mich war mehr einfach nicht drin. Kennengelernt hatten wir uns durch unsere gemeinsame Liebe zur Musik.
»Und, wie ist der so?«, fragte ich, obwohl ich selbst nicht wusste, warum.
Tarek hatte letztes Jahr echt heftig abgeliefert. Meinen Respekt hatte er definitiv.
»Keine Ahnung, Dicker!«, brummte Sil-Yan, klang dabei aber nicht wirklich genervt. »Hängt in den Pausen immer mit dem gleichen Kumpel ab. Ich stalke den doch nicht oder so, Alter.«
Dabei klang er abfälliger, als es wahrscheinlich gemeint war, denn ich wusste genau, wie gern er Leute einfach so aus der Ferne beobachtete.
»Und wer ist dieser Kumpel?«, hakte ich nach. Vielleicht war's zu viel, denn er stöhnte nur auf.
»Ey, keine Ahnung, Mann. So'n großer blonder, trainierter Typ, auf den die Mädels total abfahren, weil er angeblich mega attraktiv ist.«
»Und, is' er das denn?«, fragte ich neckisch nach. Er warf mir 'nen komischen schiefen Blick zu.
»Ey, woher soll ich das wissen? Der ist halt groß und hat diese übertrieben blauen Augen. Kann ich nicht beurteilen, steh ja nicht auf Typen.«
Komisch, dass er das überhaupt erwähnte. Ich lachte leise in meinen Kaffee und rührte gedankenverloren in der Tasse herum.
»Der kann aber auch rappen«, warf er plötzlich ein und nahm 'nen großen Schluck Kaffee.
Das weckte meine Aufmerksamkeit. »Wirklich?«, fragte ich, auch wenn's irgendwie seltsam klang.
Sil-Yan nickte. »Der war letztes Jahr auch beim Battle. Der, der auf Französisch gerappt hat.«
Ich wühlte in meinem immer noch matschigen Hirn. »Ja, kann sein...«, murmelte ich, aber die Erinnerung war wie 'n unfertiges Puzzle.
»Ist doch jetzt egal«, unterbrach Sil-Yan mich, lehnte sich vor und knallte demonstrativ seine Kaffeetasse auf den Tisch. Ich zuckte zusammen.
»Dieses Jahr bist du 'nen Gewinner, Nico!«
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