Kapitel 2 : Dunkle Gedanken
Robbie, eigentlich Robert Richard Wither, saß alleine am Ufer des großen Sees, der sich nicht unweit unseres Hauses befand. Er war nicht so nahe, wie unser Tümpel, sodass er weniger Gefahr lief von jemandem entdeckt zu werden.
In seinem Mundwinkel glomm eine Zigarette, er zog eher nebenbei immer wieder an ihr, zog tief sodass sich das Ding immer mehr zusammenzog und dünner wurde.
Innerlich war Robbie schon lange nicht mehr 12 Jahre alt. Seine Kindheit war an dem Tag beendet gewesen, an dem ihm der Priester nach der Sonntagsschule an die Wäsche gegangen war.
Der Mann hatte ihm sehr wehgetan. Bei dem Versuch sich zu wehren, brach Robbie dem Arschloch die Nase und verpasste ihm ein Veilchen, aber er war stärker.
Seitdem hatte er, sehr zum Ärger seiner Eltern keine Kirche mehr betreten.
Robbie hatte es nie jemandem erzählt. Er brauchte bei sowas keine Hilfe, redete er sich ein, er würde selber mit der Situation fertig werden.
Und weil er sich nicht eingestehen konnte, wie sehr er sich schämte, wie unglaublich ihn dieser Mann körperlich und seelisch verletzt hatte, wie wund sein Herz war und wie groß die Angst war, verdrängte er all dies und was übrig blieb waren dunkle Gedanken. Rote Wut und blanker Hass zogen sich seit einem Jahr wie ein Faden durch sein Leben.
Robbie warf die Zigarette ins Gebüsch und zündete sich eine neue an.
Dann machte er sich auf den Weg. Er hatte heute noch viel vor. Die Zeit der Rache war gekommen.
Am nächsten Tag erschütterten die Ereignisse der Nacht eine ganze Gemeinde.
Das sehr einsam gelegene Häuschen des Priesters war bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
Die Untersuchungen dauerten nicht lange, das Geschehnis wurde als Unfall deklariert, der Priester unter einem Schwall von Heuchelei wie toll er doch gewesen wäre, wie warmherzig und so um die Kinder der Gemeinde bemüht, beigesetzt und spätestens nachdem sich der neue Priester, der aus einer Großstadt kam und tatsächlich warmherzig und nett war, eingelebt hatte, wurde die ganze Sache kaum noch erwähnt. Die einzigen die noch darüber sprachen, waren die Kinder aus der Sonntagsschule, allem voran diejenigen die ähnliche Erfahrungen hatte machen müssen wie Robbie.
Eigentlich fiel keinem auf, dass er auch der einzige war der den verstohlen genuschelten „Recht ist's" und „Nun schmorrt er selber in der Hölle" nur zuhörte, ohne selber etwas dazu beizutragen.
Früher war er beliebt gewesen, hatte viele Freunde gehabt. Aber allmählich hatten sich die Kinder an sein Schweigen und seine Abwesenheit gewöhnt.
Einige wussten, dass er sich öfters mit Älteren herumtrieb und dachten einfach Robbie würde sich für zu cool halten um noch mit den „Kleinen" rumzuhängen.
Was keiner wusste, war dass es Robbie weniger um seine Coolness, als um den Vorteil hier und da mal ein Bier oder etwas Gras abzugreifen, ging.
Ihm war alles Recht, was den dumpfen Schmerz in seinem inneren betäuben konnte und die immer wiederkehrenden Stimmen zum Schweigen zu bringen vermochte.
Manchmal blitzen in seinem Kopf Bilder einer glücklichen Kindheit auf, Bilder schöner Momente, die er von sich schob. Das war damals gewesen. Als er noch gelebt hatte. Als er noch nicht erwachsen geworden war. So hatte es der Priester genannt.
Nachdem er ihn vergewaltigt hatte, hatte er zu Robbie gesagt: „Jetzt bist du erwachsen. Jetzt weißt du was die Welt dir zu bieten hat."
Oh ja, Robbie wusste es. Er hatte den Priester in die Hölle geschickt, doch in manchen Augenblicken, wenn er nüchtern war und die Stimmen wieder schrien, fragte er sich ob die Hölle nicht manchmal auf Erden zu finden war und der Tod nicht eher Erlösung als Strafe.
Er wusste nicht mehr genau, wann der Hass begonnen hatte. Das Einzige was er wusste war, dass er an ihm nagte wie eine Ratte an einem Stück verfaultem Brot in einer Kanalisation im nirgendwo.
Erst kamen die Bilder. Er sah sie lachen, sich freuen und das Leben genießen.
Anfangs reichte das bloß zu einem verbitterten Funken bedauern und steigerte sich mit der Zeit in eine Art Wahn, dem die Stimmen folgten.
Sie lachten. Sie lachten über ihn. Er hatte nicht gehört was sie gesagt hatten, er hörte sie bloß lachen, tuscheln, flüstern. Sie machten sich lustig, so wie alle es tun würden, wenn sie erfahren würden, dass ihn der Priester in den Arsch gefickt hatte. Er war eine Schwuchtel. Nichts weiter als eine erbärmliche, leblose schwule Lumpenpuppe, die jeder Mann ficken konnte wie und wann er wollte.
Robbie wusste das, aber er wollte nicht, dass es jemals ein anderer erfuhr. Das durfte nicht geschehen. Niemals.
Und doch lachten sie. Sie besprachen, wann sie sein Geheimnis ausplaudern würden.
„Ausplaudern", das klang so harmlos. Sie würden es ausspucken. Herausspeien wie ein Drache sein Feuer. Das durfte er nicht zulassen.
Aber was sollte er tun? Sie waren seine Geschwister.
Während Janine und David im Schilf hockten und sich, unbeobachtet gewähnt, süße Worte der Liebe zuflüsterten denen verstohlene Berührungen folgten, schmiedete Robert Wither einen Plan.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro