Magie im Nirgendwo
Frankreich, 8. Februar 2018
„W-Was?" Ich stand in einer französischen Kneipe und hatte gerade das Gefühl, auf dem kompletten Holzweg zu sein.
"Schätzchen, ich sagte sie können hier nicht bleiben. Sie sind noch minderjährig und damit wäre es ein komplettes Verbrechen, wenn ich..."
„Aber ich werde in einem Monat achtzehn! Das sind doch nur noch ein paar Tage und ich kann Ihnen versprechen, ich habe nicht vor mich auch nur im Mindesten zu betrinken, ich brauche nur einen Platz zum Schlafen! Und sie sind das einzige Hotel weit und breit..."
Man konnte es nicht als Hotel bezeichnen, die Kneipe war eigentlich mehr eine billige Absteige, in der man seinen am Vorabend angetrunkenen Rausch ausschlafen konnte. Der Gestank, der mir schon vor der Tür begegnet war, war hier drinnen beinahe unaushaltbar. Aber ich hielt tapfer durch und klammerte mich an den Tresen, hinter dem ein kleiner dicklicher Mann Mitte vierzig behäbig Biergläser füllte.
Als ich meinen Blick weiter in die Gaststube wandern ließ, konnte ich nur zwei alte Männer erhaschen, die mich mit zusammengekniffenen Augen beäugten. Schnell sah ich wieder weg und fixierte meinen Blick wieder auf den Besitzer.
„Bitte, sie wissen doch, dass der nächste Ort ewig weit weg ist. Zu Fuß schaffe ich das heute niemals mehr!" Ich versuchte, so fiel Hilflosigkeit in meine Stimme zu legen, wie ich nur konnte.
„Tut mir Leid. Bitte geh jetzt." Sein Englisch war eher schlecht als recht, aber ich verstand trotzdem nur zu gut was er sagte. Er sah mich mit unverändertem Gesichtsausdruck an.
Verärgert drehte ich mich um und stürmte aus der Gaststube hinaus. Der Mond schien hell am Himmel und beleuchtete schwach die hügelige Landschaft, die mit einer leichten Schneeschicht bedeckt war. Für Februar war es wirklich abartig kalt. Aber ich müsste das ja eigentlich gewöhnt sein, man könnte meinen die eisigen Temperaturen in Sibirien hätten mich abgehärtet.
Heute war der achte und ich hatte nicht gelogen als ich gesagt hatte, in einem Monat sei mein Geburtstag. Bis zum achten März war es nicht mehr lange und ich hatte mir bis zu diesem Tag ein Ziel gesetzt. Meine leiblichen Eltern zu finden. Und Selian hatte ich ja schon gefunden, fehlte nur noch Estella.
Trotz meiner dicken Jacke fröstelte es mich, als eine Windböe über das Feld am Straßenrand hinwegfegte und weiteren Schnee mit sich brachte.
Das Gasthaus, das direkt hinter mir lag war der nächste Stop auf meiner Landkarte. Und zu Fuß wären es mehr als fünf Meilen bis zum nächsten Dorf! In Frankreich hatte ich mir eigentlich anderes erhofft als unendlich weite Felder.
Städte, Nachtleben und Partys hatten ganz oben auf meiner Liste gestanden doch wohin hatte mich meine Spur letztendlich geführt? Hierher. Noch dazu kam, dass mein Französisch weniger als befriedigend war. Aber das musste ich ja nicht weiter erläutern, meine peinlichen Begegnungen mit Franzosen sprachen da für sich.
Eigentlich müsste ich mich doch an solche Situationen gewöhnt haben, wenn man bedachte, was sich im letzten halben Jahr abgespielt hatte. Es überraschte mich selbst, dass ich hilflos am Rand eines Feldes stand und mich fragte, wo ich nun schlafen sollte. Müsste es mir nicht eigentlich egal sein? Nach dem Motto- ich habe überlebt, jetzt kann mich nichts mehr schocken?
Nachdem Philine und bis Polen durchgeflogen waren, waren wir auf einem kleinen Feld in der Nähe einer großen Stadt gelandet. Ich hatte immer noch keine Ahnung wie Philine es geschafft hatte uns unbeschadet fast eineinhalb Tage in der Luft zu halten, einen Flugfahrzeugschein hatte sie jedenfalls nicht. Wir waren irgendwie nach Paris gelangt, und dort hatten wir entdeckt dass ihre Wohnung durchwühlt worden war. Meine Sachen waren weg, die Wertsachen alle noch da- ich konnte mir denken wer dahinter steckte. Vor meinem Ausweis, meinem falschen Ausweis um genau zu sein, hatten die Diebe auch keinen Halt gemacht, und deshalb saß ich jetzt hier, zitternd in der Kälte.
Seufzend begab ich mich wieder zurück in das stinkende und vor Dreck stehende Gasthaus. Der Besitzer schreckte auf, als ich die Tür zum zweiten Mal laut hinter mir zufallen ließ.
„Was willst du denn noch?", fragte er genervt und legte seufzend den Putzlappen zur Seite.
„Haben Sie ein Telefon?" Er beäugte mich kritisch.
„Ja. Kostet aber was." Er merkte nicht, dass ich in diesem Moment die Schlüssel zu Zimmer vier, von insgesamt nur vier Zimmern sei angemerkt, hinter seinem Rücken vorbei schweben ließ. Die beiden Opis waren zu sehr in ihre Biergläser vertieft, als dass sie mir noch Beachtung schenkten.
„Ist gut", antwortete ich mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen.
Er wandte sich nach rechts, um das Telefon von der Ablage zu angeln und ich ließ die Schlüssel im gleichen Moment links an ihm vorbei gleiten.
Als er sich wieder vorbeugte um mir das völlige verschmierte Telefon in die Hand zu drücken, ließ ich die Schlüssel gerade in meine Jackentasche fallen. Er hatte nichts gemerkt und wandte sich zufrieden wieder dem Putzen seiner Gläser zu, als ich ihm ein paar Münzen in die Hand gedrückt hatte.
Wir hatten keine Ahnung gehabt, was wir jetzt zu tun hatten und so hockten wir drei Tage lang in Paris, verängstigt und ratlos, während wir darauf warteten, dass die wahren Magier zurückkamen um uns zu holen. Meine Gedanken waren die ganze Zeit bei Alex gewesen, ich hatte mich dafür verflucht, nicht bei ihm geblieben zu sein. Auch wenn es wie die richtige Entscheidung ausgesehen hatte, es war keine Entscheidung gewesen die ich mit meinem Herzen treffen würde.
Wir dachten nach und ich fragte mich, wie alles so drastisch hatte enden können.
„Bell Cottage."
„Was?", hatte Philine gefragt, verwundert über die zusammenhangslosen Worte.
„Das hat mir Selian nachgerufen. Ich habe keine Ahnung, was er damit gemeint hat."
„Cottage heißt Haus. Bell..."
„Klar, das ist ein Haus. Aber wo?"
„Warte mal..." Philine hatte die Stirn gerunzelt, bis sich ihre Miene auf einmal wieder erhellt hatte. „Das wir da nicht eher draufgekommen sind! Bell Cottage, so hieß ein Haus an der Küste das meiner Familie mal vor ein paar Jahren gehört hat! Allerdings hat Estella das Haus verkauft..."
„Du meinst..."
„Wieso auch nicht? Er hat es dir bestimmt nicht gesagt wenn er es nicht vermuten würde."
„Und wo ist dieses Bell Cottage?"
„An der Westküste, ich kann die Ortschaft nachschauen wenn du willst."
Und so hatte ich entschieden, wieder aufzubrechen, diesmal zur Küste. Philine war trotz Protestes in Paris geblieben, um die Stellung zu halten. Sie hatte mir Geld geliehen und jetzt war ich hier.
„Aber nicht zu lange!" Ich ignorierte den mürrischen Besitzer und ging zum Fenster, das den Blick auf das Feld freigab. Ich betrachtete das Telefon in meiner Hand. Eigentlich hatte ich es nur als Vorwand benutzen wollen aber jetzt?
Klar, ich hätte auch mit meinem Handy anrufen können aber ich bezweifelte, dass ich hier draußen überhaupt Empfang hatte...
Ich wählte schnell eine Nummer und wartete auf das vertraute Tuten in der Leitung. Kurz darauf knackte es und jemand hob ab.
„Hallo?" Mein Herz versagte kurz, als ich die vertraute Stimme hörte.
„Hier ist Louise."
„Oh mein Gott, Lou! Wie geht es dir? Warum hast du dich so lang nicht gemeldet? Wo bist du, du hast doch gesagt..."
„Ja, ich weiß", unterbrach ich ihn. „Es tut mir Leid, Rick, aber ich hatte meinen Kopf echt total woanders und dann..." Ich ließ den Satz in der Luft hängen. Die Geschichte war mal wieder viel zu kompliziert, zu viel war passiert.
„Das heißt, du bist nicht mehr in Paris?"
„Nein, es ist... was dazwischengekommen."
„Was ist los? Lou, ich höre dir doch an, dass was nicht in Ordnung ist." Rick klang ehrlich besorgt und es wärmte mein Herz.
„Paris war toll, ehrlich. Die ganzen Leute, du hast das Gefühl mitten im Leben zu sein. Aber dann..." Rick sagte nichts und ich wusste, dass er nur darauf wartete, dass ich meinen Satz endlich beendete.
„Ich habe Alex getroffen."
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