Eine glatte Zehn
Paris, 5.Januar 2018
Ich hatte immer mehr Einblick in Philines Leben. Und ich war nicht erstaunt als wir zum vierten Mal in einer Woche durch die Clubs und Bars Paris' zogen. Also, meistens erst durch die Bars. Dort trafen wir Freunde von Philine, die mich allesamt charmant und charismatisch in ihren Bann zogen und in die Geheimnisse der Upper-Class einweihten. Wie man drei Shots Wodka hintereinander ext, ohne bescheuert durch den Raum zu torkeln. Wie man lacht, einfach weil man jemandem schmeicheln möchte. Und natürlich wie man Leute um den Finger wickelt.
Obwohl ich mich in allem ziemlich dumm anstellte hatten wir Spaß und ja, man könnte sagen wir rockten die Clubs.
Allerdings hatte ich bisher immer gedacht dass wäre nicht so mein Ding, aber wie es aussah hatte ich mich getäuscht. Vielleicht gab mir Philine einfach das nötige Selbstbewusstsein und Vertrauen Dinge zu tun.
"Louise, bereit für einen weiteren abgefahrenen Abend?", fragte mich Marléne, die uns ebenfalls begleitete.
"So was von!" Philine hatte mir für heute von einem besonders tollen Club vorgeschwärmt, international bekannt und ziemlich berühmt. Oder berüchtigt. Zwar kein Magierclub, aber man konnte ja bekanntlich nicht alles haben.
"Das wird so cool!" Marlénes Enthusiasmus war nicht nur auf ihre Vorfreude zurückzuführen, nein, sie hatte bereits reichlich Alkohol intus. Vorglühen nannte sie das. Ich konnte nur hoffen dass sie damit noch in den Club kam.
"Louise, was war das eigentlich für einer mit dem du vorhin telefoniert hast?" Oh. Sie redete von Rick, dem ich ein Update über meine Lage gegeben hatte.
"Ein Freund." Im Moment war es ja wirklich nicht mehr. Wir würden sehen ob sich etwas daran änderte wenn ich nach Hause kam. Dafür musste ich allerdings erst mal darüber nachdenken, wann ich überhaupt zurückging. Ich war ganz zufrieden mit der jetzigen Situation. Partys, Spaß und wenn einem doch mal Zweifel kamen spülte man sie mit Alkohol davon. Natürlich war das keine Dauerlösung. Aber ich wollte nicht darüber nachdenken, was morgen war.
"Phil, erinnerst du dich an diesen heißen Typen aus der Bar?" Anscheinend hatte Marléne ihr Interesse an mir verloren und unterhielt sich angeregt über irgendeinen mir völlig Fremden.
Als wir den Club erreichten hatte ich sofort das Gefühl dass er sich von den anderen unterschied. Im Eingangsbereich war nicht das übliche französische Geplapper zu hören, sondern tausend verschiedene Sprache, verschiedene Nationalitäten. Und auch innen konnte man beinahe die Offenheit fühlen, mit der sich die Leute auf andere Kulturen einließen.
Wir steuerten zu dritt mit hoch erhobenem Kinn und sicherem Schritt auf die Bar zu, nur Marléne strauchelte ab und zu und hielt sich deshalb an Philines Arm fest. Was aber nicht hieß das sie deswegen auch nur einen kleinsten Teil ihrer Selbstsicherheit verlor.
"Drei Shots. Nein, machen sie sechs", bestellte Philine. Der Bartender wagte es nicht, auch nur nach meinen Alter zu fragen. Und wenn, hätte ich ihm einfach den falschen Ausweis unter die Nase gehalten.
"Auf uns!"
Die Zeit schien mit Alkohol im Blut wesentlich schneller zu vergehen, nur einer der Nebeneffekte, die ich inzwischen notiert hatte. Was ich aber wirklich hasste waren die kleinen Aussetzer die ich hatte, als wäre ich auf einmal eigeschlafen. Aber ich beklagte mich nicht, ich wollte vor Philine nicht dastehen wie ein unerfahrener Teenager.
"Oh. Mein. Gott!" Marléne sprang kreischend von ihrem Stuhl auf und schwankte etwas, als sie sich in eine unbestimmte Richtung bewegte.
"Habt ihr den gesehen? Zehn Punkte, sage ich da nur!" Philine hatte diese witzige Angewohnheit Typen mit einem System von einem bis zehn Punkten zu bewerten. Und dieser hier war anscheinend eine glatte Zehn. Den wollte ich mir persönlich ansehen.
"Wo ist er?", fragte ich sie mit suchendem Blick
Marléne sah etwas verwirrt aus. "Auf einmal weg... Ich finde ihn wieder, Lou, ich verspreche es!" Sie kicherte ziemlich bescheuert.
"Was ist, Lou? Kommst du?" Schon wieder so ein Aussetzer. Philine war aufgestanden und streckte mir nun einen Arm entgegen, um mich zur Tanfläche zu ziehen.
"Klar."
Vielleicht waren zwei, drei Stunden vergangen als ich auf einmal das Gleichgewicht verlor. Nichts Schlimmes, wenn man bedachte, dass ich die letzten Stunden ununterbrochen getanzt hatte und mir ziemlich die Füße wehtaten. Aber ich hatte das Gefühl, dass mir von einem Moment auf den anderen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.
Ich stolperte gegen Philine, die nicht weit entfernt mit einem Typen herummachte. Das war mir ziemlich peinlich, andererseits hätte sie ihn sowieso nicht nach seiner Nummer gefragt. Das tat sie nie.
"Lou! Alles okay mit dir?"
"Ich... ich weiß nicht..." Es drehte sich immer noch alles.
"Verdammt." Sie sah auf einmal ziemlich besorgt aus und beachtete den Typen mit keinem Blick mehr.
"Mir ist so schwindelig..."
"Okay." Sie wusste anscheinend ziemlich genau was hier los war, anders als ich. "Dir hat garantiert jemand was ins Glas geschüttet." Sie führte mich von den anderen Leuten weg, anscheinend auf der Suche nach einer Tür an die frische Luft.
"Wenn wir Glück waren es nur K.O.-Tropfen."
"Wenn nicht?"
"Andere Drogen." Oh. Ich hatte heute wirklich nicht das Bedürfnis gehabt, einen Ecstasy-Tripp oder sonst was durchzumachen.
"Und jetzt...?" Mein Gott, ich klang wie ein kleines Kind! Aber irgendwie schienen die Nerven meines Gehirns ihr eugenes Ding zu tun. Nichts von dem was ich sagen wollte, kam heraus.
"Keine Angst, ich bin ja da. Wir gehen jetzt nach draußen und ich rufe uns ein Taxi." Das klang nach dem Anfang eines guten Plans.
Philine schob Leute beiseite, einige schienen merkwürdigerweise mitten in die Wand gedrückt zu werden, nein, durch die Wand zu gehen! Ich war fasziniert und schockiert zu gleich.
"Wow." Ich erntete einen irritierten Seitenblick meiner Cousine.
"Definitiv was Stärkeres."
"Phil!" War das Marléne? Im nächsten Moment wurde Philine von mir wegerissen und in die Arme einer sturzbetrunkenen Marléne gedrückt.
"Ich hab dich gesucht, auf einmal wart ihr alle weg."
"Sorry, Lou hat jemand was ins Glas geschüttet und sie ist..." Sie machte eine Bewegung vor ihrem Gesicht. Marléne kicherte. Dann stoppte sie, ihre Augen wurden ganz groß.
"Da!" Sie deutete aufgeregt auf etwas hinter mir. "Die zehn!"
Ich versuchte mich umzudrehen und war etwas verwundert als direkt neben mir eine Sonnenblume aus dem Parkett schoss. "Dumme Blumen, immer..." Ich versuchte der Blume elegant auszuweichen, ohne sie zu zertrampeln. Dabei blieb ich an irgendwas hängen und hätte Philine mich nicht aufgefangen, hätte ich Bekanntschaft mit dem Boden gemacht.
Aber immerhin hatte ich jetzt einen freien Blick auf Marlénes Objekt der Begierde, was auch immer. Vor der Bar tummelte sich ein kleiner Pulk von Menschen, ich hatte momentan nicht die Gehirnzellen mehr Informationen herauszufiltern.
"Holy shit, der ist ja echt krass", hörte ich nun auch Philine neben mir sagen.
"Ich werde ihn ansprechen." Marléne war ganz und gar in ihrem Element, betrunken oder nicht.
Sie wankte in Richtung Bar und kämpfte sich durch die Leute, bis sie hinter einem Rücken verschwunden war.
"Hast du ihn gesehen?", fragte mich Philine. Ich schaffte es noch mit dem Kopf zu schütteln.
"Du hast was verpasst, das sag ich dir... Ach komm, ich lasse mir Marlénes betrunkenes Geflirte auf keinen Fall entgehen!" Wir nahmen also auch Anlauf auf die Bar.
Ich erkannt Marléne, die sich kokett an der Bar aufgestützt hatte und gerade etwas fragte. Den Typ bekam ich nur von hinten zu sehen, er schüttelte gerade den Kopf und Marléne sah etwas enttäuscht aus. Nein, das war eine Untertreibung. Oh, und seltsamerweise flirrte ein Heiligenschein über seinem Kopf. Das war doch nicht normal, oder?
Marléne sagte etwas zu ihm, worauf er sich kopfschüttelnd umdrehte und Marléne einfach stehenließ. Zu wenig getrunken um mit Gleichgesinnten zu kommunizieren, hm?
Ich hatte aber keine Zeit mehr, denn in diesem Moment zuckten tausend Gedanken durch mein Gehirn wie Stromstöße. Selbst mit Wodka und Ecstasy im Blut war ich immer noch anwesend genug, um es zu bemerken.
Wahrscheinlich hätte ich darauf vorbereitet sein müssen, mein Leben war gemein und unfair und Glück hatte ich sowieso nicht. Aber wie um Himmels willen war das hier möglich? Konnte diese verdammte Welt nicht groß genug für zwei Menschen sein? Zwei unter acht Milliarden?
Ich fühlte gerade noch wie Philines Hand mich abermals packte als er keine zwei Meter an uns vorbeilief. Alex. Und er hatte mich noch nicht bemerkt.
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Ich stelle mir gerade vor wie ihr auf diese dramatische Wendung der Geschichte reagiert. Sagt es mir! :D
#alexisback
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