Großstadtleben
Boston, America, today
Unser Flug landete pünktlich nach etlichen Stunden über dem einsamen Ozean und Philine, die wegen der Verkündung, unsere Tickets wären nach einer Doppelbuchung um eine Klasse aufgewertet worden, nicht mehr aufhören hatte können wie eine verrückte Grinsekatze zu strahlen. Hm, wenn ich es mir genauer überlegte: vielleicht lag das auch an der Telefonnummer, die ihren Weg unbeschadet in meinem Handgepäck überstanden hatte. Salem, Amerika also. Ich war noch nie in Amerika gewesen, außer auf Hawaii, aber das war ja eine Inselgruppe und zählte damit für mich nicht. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte. Eine andere Kultur auf jeden Fall. Leute, die keinen Tee tranken und statt Scones Donuts aßen. Tragisch.
„Wir sind da-ha", trällerte Philine sobald wir samt unseren Koffern aus dem Flughafengebäude in Boston traten und prompt mit dem strahlenden Sonnenschein eines amerikanischen Nachmittags konfrontiert wurden, der mir zusammen mit dem strahlenden weiß des Schnees Kopfschmerzen bereitete. Ich gähnte. Für mich war es eindeutig Abend und die Helligkeit schien mein Gehirn, das vom langen Flug und der Zeitumstellung sowieso schon gestresst genug war, nur noch mehr zu strapazieren.
„Siehst du hier irgendwo ein Schild mit unseren Namen?" Estella hatte mir versichert dass Emanuel Gilberto, pardon, Emanuel, wie sie ihn seit neuestem nur noch nannte, jemanden zu unserer Ankunft schicken würde. Bisher sah ich nur Taxifahrer, die genervt auf ihren Handys herumtippten und sich wahrscheinlich fragten wer zur Hölle von diesen Leuten sie per App herbestellt hatte, und Familien, die ihre schweren Urlaubskoffer in übergroße Autos hievten. Philine ließ sich in einer Modelpose neben ihrem Koffer nieder und kontrollierte ihre Fingernägel nach Kratzern, die den gleichmäßigen Glanz der Lackierung unterbrachen.
„Genieß doch einfach das Wetter, Lou." Ich fuhr mir durch die verstrubbelten Haare, die vermutlich wie elektrisiert von meinem Kopf abstanden.
„Kann ich nicht wenn mein Kopf mir sagt dass es zwölf Uhr nachts ist." Meiner Cousine schien der Jetlag nicht wirklich viel auszumachen und ihr fröhliches Wesen auch in keiner Weise zu beeinflussen. Schade, dass in meinem Genpool nicht auch einige dieser Eigenschaften gelandet waren. Außerdem war es hier eindeutig kälter als in Paris. Klar, Boston lag ja auch an der Küste. Der Grund, warum wir hier einen Zwischenstopp machten war simpel: unser Ziel hatte keinen eigenen Flughafen.
Ich wollte gerade dazu ansetzen, Philine breit und ausführlich zu erklären, warum meine schlechte Laune bei weiteren Andeutungen auf das brillante Wetter nur noch grauenhafter werden würde, da hielt vor uns ein Auto mit quietschenden Reifen. Ich zuckte zusammen und Philine schwankte erheblich auf ihrem Gebilde aus Koffern.
„Das ist dann wohl unsere Mitfahrgelegenheit." Ein schwarzer Audi hatte vor uns gehalten und angesichts der Tatsache das wir die einzigen Personen im Umkreis von zehn Metern waren, die vor dem Eingang des Terminals standen, war das sicher keine Verwechslung. Das Beifahrerfenster surrte und öffnete sich. Ein Typ mit Sonnenbrille und ziemlich blauen Haaren starrte mir entgegen, während er die eine Hand noch am Lenkrad hatte und mit der anderen ein Handy in der Hand hielt, auf dessen Bildschirm er immer mal wieder abwechselnd blickte.
„Louise Cartier?" Ich nickte und konnte die Augen nicht von seinen Haaren abwenden. Gott sei Dank sprang Philine in diesem Moment für mich ein.
„Hi, ich bin Philine, ihre Cousine." Sie streckte eine Hand durch das geöffnete Fenster und der Typ brauchte einen Moment, bis er kapierte das sie ihn damit begrüßen wollte. „Oh, hi Philippe." Freut mich dich kennenzulernen aber jetzt springt bitte rein, wir wollen ja keine unnötige Aufmerksamkeit erwecken. Damit hatte er recht. Nachdem wir hauptsächliche Philines Gepäck im Kofferraum verstaut hatten ließ ich mich auf die Rückbank des Autos sinken, Philine direkt neben mir. Sie hatte ihr Handy herausgeholt und scrollte sich gerade durch die sozialen Netzwerke, um ja nichts zu verpassen.
„Danke fürs Abholen", sagte ich, nicht nur um höflich zu erscheinen sondern auch, um die mir unangenehme Stille im Auto zu unterbrechen.
„Oh, ich da musst du dich bei Mister Gilberto persönlich bedanken, ich bin nur der Praktikant." Wow, dieser Emanuel schien sich ja wirklich ein ganz eigenes Königreich aufgebaut zu haben.
„Was ähm... machst man denn da so als Praktikant?"
„Süße, das ist einerseits echt langweilig und andererseits top secret." Ich nickte.
„Sorry."
„Aaaalso... blauer Junge, warum hast du das gemacht?", fragte Philine neben mir. Ich war überrascht dass sie sich von ihrem Handy hatte losreißen können.
„Was?", fragte der Typ vorne etwas irritiert, während er uns nebenbei durch die Straßen Bostons aus der Stadt hinaus kutschierte. Ich sah aus dem Fenster und entdeckte das Meer hinter einer Häuserreihe. Anscheinend nahm er die Küstenstraße nach Norden.
„Na ja, deine Haare. Warum hast du das gemacht? Die einzigen Leute die ich kenne, die diese Haarfarbe haben sind Stars und das war in der letzten Saison." Er zuckte mit den Schultern und schien überraschenderweise nicht beleidigt von Philines Kommentar zu sein. Vielleicht kamen Amerikaner ja besser mit der direkten Ehrlichkeit meiner Cousine zurecht als Franzosen.
„Es heißt ozeanblau. Ich lebe am Ozean."
„Oh", machte Philine, als hätte sie gerade eine Erleuchtung gehabt. „Das ist inspirierend."
„Also mich inspiriert eher die Landschaft da draußen", machte ich meine Cousine auf unsere Umgebung aufmerksam. „Wie lange fahren wir eigentlich?"
„Vierzig Minuten von Boston bis nach Salem", informierte mich der Blauhaarige. „Snacks sind hier vorne, falls ihr Hunger habt." Wir sagten beide ja und genossen den Service eines Fahrers und der Vollversorgung mit Sandwiches und Chips.
„Das erinnert mich total an England", sagte ich zu Philine, als immer mehr Häuser im Ziegelsteinbau auftauchten und mich unweigerlich an meine Heimat denken ließen. Irgendwie vermisste ich unser Haus in Richmond.
„Weißt du was, Lou? Wir müssen mal zusammen in London shoppen gehen!"
„Hm." Ich sah nach draußen und fühlte, wie meine Augenlider mit jeder Minute weiter zufielen. Irgendwann musste ich dann wohl eingeschlafen sein, denn als der Wagen mit einem Ruck anhielt und mein Sicherheitsgurt mich vor einer Bekanntschaft mit dem Vordersitz bewahrte, hatte ich keine Ahnung wann der Ozean den Platz mit hohen Reihenhäusern und Geschäften getauscht hatte.
„Wir sind da," informierte uns der Praktikant und zog den Schlüssel ab. „Aber... aber... das ist eine Kleinstadt! Wenn überhaupt!" Philine hatte recht, Salem schien wirklich ziemlich klein zu sein, wenn das hier schon das Zentrum war. Ich betrachtete das Reihenhaus im Vintage-Stil mit drei Stockwerken, vor dem wir gehalten hatten. Das konnte doch unmöglich das Hauptquartier von Emanuel Gilbertos Königreich sein.
„Ist es... ist es wirklich das?", fragte ich unsicher nach während wir ausstiegen und bereute meine Frage sofort, als der Blauhaarige die Augen verdrehte.
„Habt ihr etwa was Größeres erwartet?", fragte er uninteressiert und eindeutig genervt nach. „Wäre schon ein bisschen auffällig wenn wir hier ne riesige Festung hinstellen würden. Das Netz aus Magiern ist über die ganze Stadt verteilt." „Wahnsinn, eine magische Stadt, Lou!", rief Philine enthusiastisch. Meine Aufmerksamkeit wurde aber von der Tür abgelenkt, die sich in diesem Moment öffnete und in der... ja, ich erkannte ihn von dem Foto, das mir Viola gezeigt hatte. Das war eindeutig Emanuel Gilberto. Um die vierzig, mit einigen wenigen grauen Haaren an seinen Schläfen und einem angedeuteten Bart, den er auf dem Foto eindeutig noch nicht gehabt hatte. Insgesamt sehr elegant gekleidet und wenn er auch noch einen Gehstock mit sich getragen hätte, hätte man fast denken können, er wäre Engländer. Nur, das er das nicht war.
„Hallo, hallo meine Lieben! Ich bin ja so erfreut euch zu sehen. Dean, holst du die Koffer aus dem Auto?" Der blaue Junge hieß also Dean.
„Es freut mich ebenfalls sehr sie kennenzulernen, Mister", begrüßte ich ihn und Philine winkte.
„Mein Gott, dein Akzent ist ja entzückend!" Emanuel Gilberto selbst sprach fließendes Amerikanisch und ich zweifelte, ob sein italienischer Name überhaupt etwas mit seiner Herkunft zu tun hatte.
„Nennt mich einfach Emanuel, die Formalitäten brauchen wir ja nun wirklich nicht. Immerhin kenne ich deine Mutter ja schon länger als ich überhaupt diesen Posten habe." Und das er in Estella eindeutig mehr sah als eine einfache Freundin bewies dieser spontane Trip einmal mehr. „Ihr seid bestimmt ausgehungert, kommt erst mal rein!" Ich wollte dazu ansetzten meinen gestillten Hunger aufgrund der Chips zu erklären, aber Philine stolzierte bereits an mir vorbei und folgte Emanuel ins Innere des sonst so normal wirkenden Reihenhauses. Okay, dann eben nicht. Ich lief den beiden hinterher nachdem ich noch einen kurzen Blick auf Dean geworfen hatte, der aber ziemlich beschäftigt war, Philines Gepäck zu entladen.
Innen war es eindeutig anders als die niedliche Fassade das Hauses vorzugeben schien, und das lag nicht nur an der fehlenden Dekoration. Es war klinisch sauber und die futuristischen Weiß- und Schwarztöne ließen nicht nur auf Geschmack schließen, sondern auch auf Modernität auf dem neuesten Level.
„Einen Tee für unsere kleine Engländerin? Und Macrons für die Französin?"
„Sehr gerne", bedankte ich mich strich mit der Hand über eines der blitzblanken Regale. „Ich weiß gar nicht wie ich mich bedanken soll, dass sie uns helfen."
„Ich habe seit Jahren Probleme mit Viola. Und jetzt hat sie eindeutig eine Grenze überschritten." Philine nickte bekräftigend.
„Ich war selbst dabei, sie ist völlig durch den Wind." Emanuel lächelte.
„Ach, das war sie schon immer ein wenig. Wir waren wie Tag und Nacht. Und seitdem sie das erkannt hat, ist sie ihren eigenen Weg gegangen."
„Sie kannten sie?", fragte ich überrascht. Bisher war ich immer davon ausgegangen dass Violas Hass auf Emanuel daher rührte, dass er die Organisation anführte die dem Gegenteil ihrer eigenen entsprach.
„Oh, wir waren ein Paar. Ich hatte damals vor, sie später zu heiraten... Aber das Leben hat eben andere Pläne."
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Okay...whaaaat? Viola& Emanuel?
Ist das der Grund, warum Viola Emanuel unbedingt loswerden will? Weil er... einen Schwachpunkt für sie darstellt?
Klickt auf das gelbe Sternchen und bis nächste Woche! Das heißt... wahrscheinlich kommt am Wochende noch ein Kapitel bei Evolution. Bis dann! 😊
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