Kapitel 6
Jason. Jason. Jason. Ich kann an nichts anderes denken. Denn er ist hier. Direkt vor mir. Wie kann das sein? Bilde ich mir das nur ein? Nein, unmöglich. So verrückt bin ich nun auch wieder nicht. Aber was macht er hier?
Ich bin unfähig mich zu bewegen. Am liebsten würde ich den Blick abwenden, mich einfach umdrehen und abhauen, doch mein Körper gehorcht mir nicht. Ich stehe einfach nur da und starre ihn an.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, vielleicht ein paar Sekunden, ein paar Minuten, ein paar Stunden, bis Maddie mich antippt, doch ich reagiere nicht.
„Ronnie, alles okay?", fragt mich nun meine Freundin etwas besorgter, die nun energischer an mir rüttelt, sodass ich schließlich aus meiner Starre erwache.
Ganz langsam schüttle ich den Kopf. Verdammt, nichts ist okay. Absolut nichts.
Da Maddie keine vernünftige Antwort aus mir herausbekommt, folgt sie meinem Blick, der immer noch auf Jason gerichtet ist, und als sie erkennt, warum ich so reagiere, verfinstert sich auch ihr Blick.
„Scheiße", höre ich Maddie neben mir murmeln.
Noch bevor ich etwas tun kann, sind Jason und das Mädchen neben ihm auf uns aufmerksam geworden. Verdammt.
Jason sieht auf und plötzlich begegnen sich unsere Blicke. Ich habe das Gefühl, als würden tausende Schmetterlinge in mir flattern und doch fühlt es sich gleichzeitig so an, als würde mir jemand ein eiskaltes Messer mitten ins Herz rammen. Wie kann so ein kurzer Augenblick, wie kann eine einzelne Person dich so viele Emotionen auf einmal spüren lassen? Wie kann ein einziger verdammter Mensch so viel Macht über dich haben?
Ich kann seinen Blick nicht deuten. Ist er überrascht mich zu sehen? Freut er sich? Verdreht er innerlich gerade seine Augen und ist darüber verärgert, dass ich hier bin? Ich kann es bei meinem besten Willen nicht sagen.
Sein Blick bleibt für einen Augenblick bei mir hängen, dann wendet er sich von mir ab und widmet sich wieder dem Gespräch, das er mit dem Mädchen führt.
Vielleicht sollte ich darüber erleichtert sein, dass er mich nicht einmal begrüßt, dass er so tut, als hätten wir uns noch nie im Leben gesehen, das erspart uns nämlich eine unangenehme Situation vor den anderen, aber Fakt ist, ich bin es nicht. Ich bin ganz und gar nicht darüber erleichtert. Im Gegenteil. Es macht mich wütend und traurig zugleich. Meine Gedanken überschlagen sich. Ich könnte im Moment nicht einmal mehr sagen, wie mein Name lautet.
„Kommt ihr?", fragt Luke plötzlich, als er bemerkt hat, dass wir immer noch auf denselben Fleck stehen.
„Wenn du willst, können wir auch gehen", flüstert Maddie mir zu, damit die anderen es nicht mitbekommen.
Ich denke kurz darüber nach. Ja, es ist ziemlich verlockend, einfach abzuhauen, doch wie soll ich meinen Urlaub überstehen, wenn ich Jason jetzt schon aus dem Weg gehen will? Ich kann mich sicher nicht ewig vor ihm verstecken. Besser ich fange erst gar nicht damit an. Das bringt mir absolut nichts.
„Schon gut", antworte ich meiner besten Freundin, die mich jedoch zweifelnd ansieht.
„Sicher?", fragt sie besorgt nach, doch ich nicke nur und gehe auf die anderen zu, die sich schon alle im Pavillon niedergelassen haben.
Während wir eine Vorstellungsrunde machen, damit wir uns auch ja alle beim Namen kennen, wird der Alkohol herumgereicht. Den kann ich jetzt echt gut gebrauchen, anders werde ich den heutigen Abend ganz bestimmt nicht überstehen.
„Also dann, auf zwei Wochen im Paradies", sagt Adrian lächelnd und wir stoßen mit unseren Bechern an. Wenn Adrian zwei Wochen hierbleibt, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass Jason ebenfalls so lange hier bleiben wird. Na toll.
Seufzend trinke ich einen Schluck. Ich weiß nicht genau, was das Getränk ist, aber der bittere Geschmack breitet sich sofort in mir aus und ein wohlig warmer Schauer fließt durch meinen Körper.
Ich unterhalte mich mit Maddie, doch mein Blick wandert immer wieder zu Jason und dem Mädchen neben ihm, das anscheinend Emma heißt. Sie scheinen sich ganz gut zu verstehen, denn während sie miteinander reden, lachen sie immer wieder mal.
„Hey, konzentrier dich nicht zu sehr auf die Beiden, trink lieber noch was", sagt Maddie und drückt mir die Flasche in die Hand.
„Ich werde es versuchen", seufze ich und schenke mir noch etwas nach. Schaden kann es ja nicht.
„Ach Ronnie, ich dachte, du hast dein Alkoholproblem überstanden. Was ist nur aus dir geworden", meint Luke und setzt einen traurigen Blick auf.
„Ich konnte mich einfach nicht beherrschen. Tut mir Leid, falls du jetzt von mir enttäuscht bist", sage ich mit einer genauso ernsten Stimme, doch Maddie kann sich nicht zurückhalten und fängt lauthals zu lachen an. Nun kann auch ich mein Lachen nicht mehr unter Kontrolle halten, doch als ich Jasons Blick auf mir bemerke, vergeht mir die gute Laune so schnell, wie sie gekommen ist. Kurz halte ich dem Blickkontakt stand, doch dann halte ich es nicht mehr aus und ich wende mich wieder den anderen zu, während ich weiter an mein Getränk nippe.
Clara scheint mit Adrian zu flirten. Zumindest versucht sie es, doch es scheint nicht so gut bei ihm anzukommen, denn seine Miene verrät, dass er schon leicht genervt von ihr ist. Kein Wunder, wer wäre das von meiner aufdringlichen Cousine nicht? Jedoch geht es anscheinend nicht in Claras kleinem Gehirn hinein, dass jemand sie abweisen könnte, weswegen sie sich weiter an Adrian ranschmeißt. Soll sie doch, wenn sie unbedingt meint. Es wird sowieso Zeit, dass jemand ihr einen Korb gibt. Sonst lernt sie es nie.
„Lasst uns ein Trinkspiel spielen", schlägt Cora vor.
„Ich bin dabei", ruft Luke grinsend. Auch die anderen stimmen freudig zu.
Doch ich bin skeptisch. Normalerweise hätte ich nicht nein gesagt, aber die Umstände sind anders. Jason sitzt nur wenige Meter von mir entfernt und wer weiß, was bei so einem Spiel am Ende rauskommt. Ich will nichts tun, was ich später bereuen werde.
„Wenn du willst, können wir auch gehen", meint Maddie zu mir. Anscheinend kann sie meine Gedanken lesen. Will ich gehen? Eigentlich schon. Oder?
Die Entscheidung wird mir jedoch abgenommen, als Luke mir einen vollen Becher überreicht, obwohl ich noch einen Becher in der Hand habe. Was soll's. Dann bleibe ich eben. Was soll schon so schlimmes passieren? Außerdem sollte Jason eindeutig nicht über mein Leben bestimmen. Gefühle hin oder her, ich darf mich davon nicht so viel davon beeinflussen lassen.
„Also, welches Spiel soll es sein?", fragt Adrian in die Runde.
„Wie wäre es mit ‚Ich hab noch nie'. Ein harmlosen Spiel für den Anfang", schlägt Emma vor.
Mit harmlos meint Emma, dass man keine verrückten Aufgaben erledigen muss. Das einzige, was man hier tun muss, ist zu trinken, wenn man das Gesagte doch schon einmal gemacht hat.
Da es keine Einwände gibt, trinke ich noch schnell den Rest aus meinem ersten Becher aus, um mich innerlich für das Kommende vorzubereiten.
„Ich fange an", ruft Luke wie ein kleines Kind, das sich über ein Spielzeug freut.
Na dann, lasset die Spiele beginnen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro