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Kapitel 58

Seit er weg war, klaffte diese Lücke in mir, die ich nicht füllen konnte. Je mehr ich darüber nachdachte, umso größer wurde dieses Loch, dass er hinterlassen hatte, als er einfach von dieser Welt verschwand.

Auf einmal von gestern auf heute war er nicht mehr da, fast so, als hättest er nie existiert.

Doch ich saß immer noch hier und starrte auf den leeren Platz, der ihm gehörte, und fragte mich, wie ich diese Lücke jemals füllen konnte.

Die nächsten zwei Monate zogen an mir vorbei, ohne dass ich viel davon mitbekam. Wenn ich nicht lernte, war ich mit Raven oder den anderen unterwegs. Ich hatte wieder angefangen mit Laufen, um den Druck, der sich seit Evans Tod um meine Brust gebildet hatte, für wenige Zeit loszuwerden. Wenn ich rannte, mich völlig verausgabte und mich nur auf meine zittrige Atmung und das schnelle Schlagen meines Herzschlages konzentrierte, fühlte ich mich besser. Nicht gut. Aber es war eine Methode, um mich von der Dunkelheit in mir abzulenken.

Die meiste Zeit war ich immer in Gesellschaft und doch war ich gedanklich kaum anwesend. Ich war mit meinen Freunden zusammen und doch fühlte ich mich allein.

Denn obwohl ich mich an einigen Tagen am liebsten unter meiner Decke verkriechen wollte, um mich dem Schmerz hinzugeben, zwang ich mich jedes Mal nach Draußen zu gehen. Ich setzte alles daran, die Stille in mir zu betäuben.

Der Tag war meine Zuflucht. Wenn es abends langsam dunkel wurde und die Sonne unterging, unternahm ich alles Mögliche, um nicht einzuschlafen. Alice musste stundenlang, teilweise bis tief in die Nacht Kinderserien mit mir ansehen. Hauptsache, es gab ein Happyend.

In den ersten Wochen kurz nach Evans Tod musste Raven jede Nacht bei mir schlafen, da Albträume mich heimsuchten. Jede Nacht wachte ich schweißgebadet und weinend auf. Es war jedes Mal derselbe Traum. Der Unfall spielte sich immer wieder vor mir ab. Die toten Augen meiner Eltern starrten mir leblos entgegen. Eine Stimme, die mir zuflüsterte: Du allein bist schuld an ihrem Tod.

Und jede Nacht war es Raven, der mich in seinen Armen wiegte und mir Geschichten erzählte, bis ich eingeschlafen war.

Seit einigen Wochen war es besser geworden.

Meine Kurse hatte ich vor kurzem mit Bestnoten bestanden. Trotzdem fühlte es sich an, als wäre ich in einer Blase gefangen, aus der ich mich nicht befreien konnte. Mein Leben hatte die letzten vier Jahre daraus bestanden, sich um Evan zu kümmern, sich um ihn zu sorgen und zu hoffen, es würde am Ende alles gut werden. Mit seinem Tod löste sich dieses neue Leben, dass ich mühsam erschaffen und in dem ich verzweifelt versucht hatte, zu überleben, plötzlich in Luft auf. Wieder einmal stand ich mit leeren Händen da und starrte in eine leere Zukunft. Und wieder war ich es, die mit ihren blutigen Händen sich ein neues Leben aus dem Scherben des Vorherigen aufbauen musste.

Manchmal war es mir fast unmöglich, jeden Morgen aufzustehen, mich anzuziehen und in die Kurse zu gehen, als wäre nichts passiert. Fast als wäre ich eine normale Studentin unter all den fremden Gesichtern. Manchmal erwischte ich mich dabei, wie ich mich dieser Illusion hingab und mich fragte, wie mein Leben wohl ausgesehen hätte, wenn ich diese eine Entscheidung nicht gefällt hätte.

Dennoch zwang ich mich dazu, mich aufzurappeln, nicht weil ich die Kraft dafür hatte, sondern weil ich Evan versprochen hatte, mich nicht aufzugeben.

Obwohl ich es nicht wollte, musste ich akzeptieren, dass Evan tot war. Ich setzte alles daran, mich zusammenzureißen. Für Evan. Er hätte nicht gewollt, dass ich mich meiner Trauer um ihn hingab und mich dabei verlor.

Ich wollte ihn loslassen, doch es war nicht so einfach, wie es sich anhörte. Wie sollte man einen Menschen gehen lassen, der dein ganzes Leben an deiner Seite war?

Ich würde ihn nicht vergessen. Stattdessen hielt ich ihn ganz nah bei mir, während ich tief durchatmete und mich daransetzte, mein letztes Versprechen an ihn umzusetzen.

Er hatte recht gehabt. Ich musste etwas finden, das mein Leben mit neuem Glanz erfüllte, sonst würde ich an dem Schmerz zerbrechen. Ich brauchte etwas, an das ich mich klammern konnte. Ein Ziel oder vielleicht sogar ein Traum. Irgendetwas.

Ich allein war für mein persönliches Wohl zuständig. Denn ich war das einzige Ich, das ich jemals im Arm halten würde. Deshalb würde ich gut auf mich aufpassen und mich beschützen.

Eine andere Person würde mich nicht retten können – das hatte ich nun verstanden.

Das konnte ich nur allein. Ich war es, der mein Leben selbst in die Hand nehmen musste.

Vielleicht brauchte ich nur einen Ort, der mir dabei half, in Ruhe zu heilen.

Doch dieser Ort war nicht hier in Kearney.

Tief atmete ich ein und führte meinen Weg über das Campusgelände fort. Meinen Blick hielt ich starr auf meine Füße gerichtet. Bloß keinen Blickkontakt aufbauen. Es könnten Menschen dabei sein, die ich zufällig kannte und auf die blöde Idee kamen, mich anzusprechen.

Mein Weg führte mich an der großen Haupthalle vorbei in Richtung der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät. Ich blendete alles um mich herum aus und konzentrierte mich auf meine Atmung, die stoßweise ging. Was der Professor wohl mit mir zu besprechen hatte?

Meine Beine bestanden größtenteils aus Wackelpudding, sodass ich mich kräftig gegen die schwere Eingangstür lehnen musste, um in das Gebäude zu gelangen. Zielstrebig durchquerte ich die große Eingangshalle, die an der Decke mit einer Glaskuppel ausgekleidet war. Die Wände waren liebevoll mit verschiedenen Malereien und Kunstwerken dekoriert.

Ohne der Architektur weiter Beachtung zu schenken, setzte ich meinen Weg fort und bog in den Korridor ab, der dem Geschichtsbereich gehörte.

Eine Reihe von Porträts wichtiger historischer Persönlichkeiten, die das Geschichtsgeschehen geprägt hatten, hingen dicht aneinandergereiht an den Wänden und starrten mich mit ihren leblosen Augen nieder. Sie erinnerten mich daran, dass sie in ihrem Leben einmal schwere Entscheidungen treffen mussten – ob sie ebenso gezweifelt hatten wie ich? Welchen Schmerz sie wohl durchmachen mussten? Wer waren diese Persönlichkeiten hinter ihren Masken? Waren sie einsam?

Diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich meine Schritte verlangsamte und in jedes einzelne Gesicht schaute und mich bemühte, die Menschen hinter ihren Masken zu sehen.

Bei einem Porträt von Albert Einstein blieb ich stehen und hielt kurz inne. Es irritierte mich.

Ich war mir nicht sicher, was mich an seiner Schwarz-Weiß-Fotografie so berührte. Vielleicht waren es seine gläsernen Augen, die nicht zu dem Lächeln passten, das er aufgesetzt hatte. Weil ich wusste, wie es sich anfühlte, ein Lächeln vorzutäuschen.

Ich trat näher an das Porträt heran. Die Aufnahme stammte aus dem Jahr 1946, ein Jahr nachdem die USA zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten. Mehr als 100.000 unschuldige Menschen wurden auf grausame Weise von der amerikanischen Regierung ermordet. Schon damals im Geschichtsunterricht hatte ich das Gefühl, dass die Schuld der amerikanischen Regierung viel zu wenig thematisiert wurde. Es wurde nie als Kriegsverbrechen angesehen. Nie wurde jemand dafür bestraft.

Ob Einsteins dunkel melierte Augen aus diesem Grund mit einer derartigen Traurigkeit behaftet waren? Hatte er eine Entscheidung getroffen, die er für den Rest seines Lebens bereut hatte? Wie konnte er mit seiner Schuld leben? Schließlich war er es gewesen, der dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt einen Brief zukommen ließ, der die USA vor deutschen Atomwaffenplänen warnte und die Empfehlung für den Bau einer Atombombe herausgab. War er deswegen ein schlechter Mensch? Weil er eine Entscheidung getroffen hatte? Aus Angst?

,,Diese Fotografie geht einem direkt unter die Haut, finden Sie nicht?''

Ich zuckte zusammen, da ich Professor Chang nicht kommen gehört hatte. Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und schaute interessiert in meine Richtung. Ich nickte und wandte mich erneut dem Bild zu.

,,Es ist eine der wenigen Fotografien von ihm, die nicht den Wissenschaftler, sondern den Menschen dahinter abbildet.''

,,Denken Sie, er hätte die gleiche Entscheidung wieder getroffen, wenn er vorher gewusst hätte, welche Konsequenzen seine Tat mit sich zieht?'', fragte ich ihn nachdenklich

,,Sie reden von dem Manhattan-Projekt?''

Wieder nickte ich als Antwort.

,,Einstein sagte nach dem Atombombenabwurf, dass er nichts in seinem Leben so sehr bereute wie diese Entscheidung. Er war kein schlechter Mensch, Aza. Trotzdem musste er sein restliches Leben mit der Schuld leben. Das ist das, was die Geschichte uns lehrt. Jede Entscheidung zieht Konsequenzen mit sich. Manche sind klein und kaum spürbar, doch andere sind so groß, dass sie den Verlauf der Geschichte bestimmen und verändern. In diesem Fall hatte es dramatische Auswirkungen.''

Ich hatte ebenfalls eine Entscheidung in meinem Leben getroffen, die meine Familie letztendlich das Leben gekostet hatte. Strahlten meine Augen ebenfalls diesen matten Glanz und die unverkennbare Spur von Schuld aus? War ich auf dieselbe Weise mein Leben lang gebrandmarkt?

,,Und wenn er es hätte verhindern können? Denken Sie, es hätte etwas verändert?''

Ich spürte seinen nachdenklichen Blick auf mir ruhen, als überlegte er, ob wir immer noch von Einstein sprachen.

,,Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Stattdessen sollten wir unseren Blick in die Zukunft richten und unsere Gegenwart dazu nutzen, das Bestmögliche aus uns herauszuholen.''

Den Blick, den er mir daraufhin zuwarf, traf mich bis tief in die Knochen. War das gerade eine indirekte Aufforderung gewesen?

,,Sie haben recht, Professor. Einstein konnte nichts an der Situation ändern, auch wenn er es mehrfach versucht hat. Immerhin hat er seine letzten Jahre genutzt, um für den Weltfrieden einzutreten'', antwortete ich ihm und lenkte die Aufmerksamkeit zurück auf Einstein. Ich hatte das Gefühl, dass Professor Chang mich längst durchschaut hatte.

,,Gewiss. Seine Leistungen muss man hoch anerkennen. Apropos Leistungen. Ich habe Sie heute nicht umsonst in mein Büro gebeten. Wir haben etwas Wichtiges miteinander zu besprechen. Folgen Sie mir doch bitte.'' Er machte eine ausladende Handbewegung.

Das Lächeln, das er mir schenkte, war warm und vertraut. Seine dunkelbraunen Augen blitzten unter einer schmalen Brille hervor. Mit einer leicht gebückten Haltung und die Hände noch immer hinter dem Rücken verschränkt, machte er auf den Absatz kehrt und lief den Gang entlang. Ich folgte ihm mit einem gebürtigen Abstand, bis wir vor seinem Büro zum Stehen kamen.

Er öffnete mir die Tür und bat mich herein. Ich wusste nicht, was ich mir vorgestellt hatte, doch sein Büro übertraf meine Erwartungen. Wohin das Auge reichte, alles war voller Bücher und Zeitschriften, die teilweise wild übereinander gestapelt im Zimmer standen. Die dunklen Bücherregale aus Buchenholz waren vollgestopft mit alten Büchern. An den Wänden hingen fein säuberlich nebeneinander in dicken Holzrahmen Karten aus der Zeit der Joseon-Dynastie. Fasziniert ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Ich fühlte mich sofort wohl. In diesem Zimmer steckten so viel Wissen und Geschichte. Der unverkennbare Geruch von Büchern lag in der Luft und ließ den Ort wie eine kleine Bibliothek erscheinen.

,,Ich entschuldige mich für das Chaos. Das Zimmer wird leider nicht größer, obwohl es dringend nötig wäre bei all diesen Büchern'', rief er mir von seinem Schreibtisch aus zu und wedelte dabei mit seinen Armen durch die Gegend.

In diesem Moment kam er mir vor wie einer dieser verrückten Professoren, die in ihrem eigenen Chaos versanken, während er lose Blätter von dem Platz aufhob, auf den ich mich setzen sollte. Die Blätter ließ er kurz darauf auf seinem Schreibtisch fallen, ohne noch weiter Notiz von ihnen zu nehmen. Nachdem er auf seinem Drehstuhl Platz genommen hatte, beugte er sich nach vorne und kramte in einer seiner Schreibtischschubladen.

,,Wo habe ich es denn nur hingelegt...'', murmelte er und zog hektisch die nächste Schublade auf. ,,Irgendwo muss es doch sein, ich hatte es vorhin noch gesehen...''

Ich runzelte die Stirn, während mein Blick an einer Katzenfigur hängen blieb, die mir vom Schreibtisch aus entgegenblickte. Das konnte unmöglich Professor Changs Ernst sein. Klischeehafter ging es wohl kaum. Ein leichtes Schmunzeln umspielte meine Mundwinkel, während ich wie gebannt die Katzenfigur dabei beobachtete, wie sie mit ihrer goldenen Tatze immerzu auf und ab wippte.

,,Ahhh, hier habe ich es. Sehr gut. Dann können wir jetzt beginnen.''

Ich nickte, während ich mich fragte, was wohl Professor Chang mit mir zu besprechen hatte. Unruhig fummelte ich an dem Saum meines T-Shirts herum.

,,Worum geht es denn, Professor?'', fragte ich ihn mit belegter Stimme, während die Nervosität mit mir durchging. Mein Herz klopfte unregelmäßig gegen meine Rippen. Schon den ganzen Tag hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. War es vielleicht wegen meiner Abschlussarbeit? War ich durchgefallen und musste deshalb zum Einzelgespräch?

,,Es geht um Ihre Abschlussarbeit...''

Wieder ließ er eine theatralisch lange Pause, in der ich glaubte, jeden Moment einen Herzinfarkt zu bekommen. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Ich verfestigte meinen Griff um die Stuhllehne und bereitete mich innerlich auf das, was als nächstes kommen würde, vor. Die Lippen fest aufeinandergepresst schaute ich Professor Chang dabei zu, wie er durch meine Abschlussarbeit blätterte. Von seiner Miene, die vollkommen ausdruckslos war, konnte ich nichts ablesen. Die Stille war ohrenbetäubend und ich glaubte, jeden Moment zu platzen, wenn er nicht bald seine Kunstpause beendete.

Plötzlich hob er den Blick und schaute mir direkt in die Augen.

,,Ich habe selten so eine gute Abschlussarbeit in meiner bisherigen Kariere als Professor gelesen. Sie haben großes Potenzial, Aza. Sie können sehr stolz auf sich sein.''

Er nickte anerkennend. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel und ich konnte Bewunderung in seinen Augen ablesen. Mein Gehirn war zu langsam, um all die Informationen momentan verarbeiten zu können.

,,Sie hat Ihnen gefallen?'', fragte ich und konnte die Verwunderung in meiner Stimme nicht verbergen.

,,Sie ist von höchster Qualität. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, Sie und einen weiteren Studenten für das diesjährige Stipendium auszuwählen. Herzlichen Glückwunsch, Aza. Sie haben die Möglichkeit an einem unserer laufenden Forschungsprojekte in Südkorea teilzunehmen und ein Semester in Seoul zu studieren.''

Ich hörte zwar, was er sagte, doch seine Worte wollten keinen richtigen Sinn für mich ergeben. Hatte er gerade eben davon gesprochen, dass ich nach Seoul fliegen sollte, um dort zu studieren? Jetzt war der Moment gekommen, wo ich aus diesem unrealistischen Traum aufwachen sollte. Um mich davon zu überzeugen, dass alles nur ein Traum war, zwickte ich mir unauffällig in den Unterarm. Nichts passierte.

,,Professor Chang, sind Sie sicher, dass sie mich nicht mit jemandem verwechseln?'', fragte ich ihn, da ich nicht glauben konnte, dass ausgerechnet ich dieses Stipendium erhalten hatte.

,,Wenn es noch eine andere Aza Davis in meinem Kurs gibt, dann bitte ich vielmals um Entschuldigung. Wenn nicht, dann habe ich wohl alles richtig gemacht. Nur weil mein Büro ein wenig chaotisch ist, heißt das nicht, dass hier auch Chaos herrscht'', betonte er und deutete mit dem Finger auf seine Stirn. ,,Sie sollten anfangen, Ihre eigene Leistung zu würdigen und dieses Stipendium anzunehmen. Es ist eine großartige Chance, die sie kein zweites Mal im Leben bekommen werden. Nutzen Sie ihre Gegenwart, um die Ziele ihrer Zukunft zu erreichen.''

In mir wurde alles still. Noch vor einer halben Stunde sehnte ich mich nach einem Ziel, einem Traum, den ich verfolgen konnte. Nun bot sich mir eine Gelegenheit, die meine berufliche Zukunft positiv beeinflussen würde. Warum war ich nicht außer mir vor Freude? Wieso spürte ich dieses dumpfe Pochen in mir stärker werden? Warum ergriff ich diese Chance nicht?

Was war nur falsch mit mir?

Unruhig rutschte ich auf dem Stuhl hin und her. Ich wich bewusst Professor Changs Blick aus, der noch immer abwartend auf mir ruhte. Er erwartete eine Antwort, die ich ihm in diesem Moment nicht geben konnte.

Nervös knetete ich meine schweißnassen Hände und rieb sie unauffällig an meiner dunkelblauen Jeanshose ab.

,,Benötigen Sie die Zusage sofort?'', fragte ich ihn statt einer Antwort, die er wahrscheinlich nur zu gern gehört hätte.

Als Bestätigung meiner Vermutung seufzte er laut auf. Er beugte sich nach vorne und verschränkte seine Hände ineinander und stützte sich mit den Unterarmen auf den Mahagonitisch ab. Seine Brille rutschte nach unten, sodass er mich mit seinen dunkelbraunen Augen direkt fokussierte.

,,Aza, ich verstehe sehr gut, warum Sie im Moment Zweifel haben. Der Tod Ihres Bruders ist erst wenige Monate her. Wahrscheinlich fühlen Sie sich noch nicht bereit dazu, in ein völlig fremdes Land zu ziehen. Ich möchte mir nicht das Recht herausnehmen und mutmaßen, wie schmerzhaft dieser Verlust für Sie ist. Auch möchte ich Sie nicht in Ihrer endgültigen Entscheidung beeinflussen. Nur sollten Sie wissen, dass Sie das Potenzial und das Talent besitzen, diese neue Herausforderung in Ihrem Leben zu meistern. Vielleicht kann das Studium in Seoul Ihnen einen neuen Blickwinkel auf das Leben ermöglichen. Es ist eine Chance. Sie entscheiden, ob Sie diese ergreifen wollen oder nicht. Lassen Sie sich Zeit und denken Sie in Ruhe darüber nach. Bis spätestens nächsten Freitag erwarte ich eine Antwort von Ihnen. Der Flug nach Seoul startet in einem Monat.''

,,Das werde ich, Professor. Ich danke Ihnen für diese Möglichkeit.''

Wie in Trance erhob ich mich und verließ mit wackligen Beinen das Büro.

Wie würde ich mich entscheiden?

Sollte ich gehen oder bleiben? 

War gehen eine Option für mich?

Und was war mit Raven? Würde er sich von mir abwenden, wenn ich ihm ein zweites Mal den Rücken zukehrte nach allem, was er für mich getan hatte?

Konnte ich so herzlos sein? War ich in der Lage, all das hinter mir zu lassen? Würde ich ohne ihn zurechtkommen?

Oder verpasste ich eine Chance, die ich irgendwann einmal bereuen würde, wenn ich sie nicht ergriff?

Vielleicht könnte ich auf diese Weise den Tod meiner Familie loslassen.

Vielleicht könnte ich heilen.

Allein.

Ohne jemanden, der mich an alles erinnert.

In mir drehte sich alles. Der Schweiß lief mir das Gesicht hinab und befeuchtete meinen Rücken. Mein Herz pochte alarmierend in meiner Brust, während der Korridor vor meinen inneren Augen verschwamm.

Ich presste eine Hand an meine pochende Schläfe. Der Gang wurde immer enger, die Wände bewegten sich aufeinander zu. Die Porträts verhöhnten und lachten mich aus. Ihre Fratzen verfolgten mich, während ich meine Schritte beschleunigte. Ich bekam keine Luft. Meine Lunge drohte zu explodieren. Als ich um die nächste Ecke bog, begannen schwarze Punkte vor meinen Augen zu tanzen.

Ich musste hier raus.

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