Kapitel 39
Der Geruch von frischgebackenen Brötchen und Waffeln stieg mir in die Nase und ich atmete genüsslich den süßen Duft ein. Gleich darauf begann mein Bauch laut zu grummeln, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich schnellstmöglich etwas zu Essen brauchte.
Doch zuvor ließ ich meinen Blick schnell über die umstehenden Tische wandern, konnte aber kein bekanntes Gesicht ausmachen. Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich und ich ließ fast automatisch die Schultern fallen, die ich unwillkürlich angespannt hatte. Vielleicht konnte ich wenigstens in Ruhe frühstücken, bevor ich auf Raven traf. Wie auch immer diese Begegnung aussehen mochte.
Nachdem ich meinen Teller mit allerlei Süßkram vollgeladen hatte, setzte ich mich an einen großen Tisch gegenüber von Alice. Diese knabberte gerade an einem Stück Bacon. Dabei sah sie aus, als hätte sie gerade ihre Liebe des Lebens gefunden.
,,Wenn ich gewusst hätte, dass dich ein Stück Bacon so glücklich macht, hätte ich immer welchen für harte Zeiten einstecken gehabt.''
Sie warf mir einen kurzen warnenden Blick zu, bevor sie sich dem Berg an Rührei widmete, der normalerweise locker für zwei Personen gereicht hätte.
,,Eigentlich'', sagte sie mit vollem Mund ,,ist es gar nicht so schwer, mich glücklich zu machen. Gib mir Essen und ich bin der netteste Mensch auf Erden.''
Ich verdrehte die Augen und nuschelte ein: ,,Wer's glaubt'', bevor ich genüsslich in meine Waffel hineinbiss.
Alice schnaubte und schaute mich herausfordernd an.
,,Aber es stimmt. Ich bin zufriedener, wenn ich etwas gegessen habe.''
,,Hmmm. Wenn du das wirklich ernst meinen würdest, hätte Carter schon längst eine Chance bei dir bekommen. Ich erinnere dich nur an den Tag, als wir shoppen waren, da hatte er am Ende das ganze Essen bezahlt, was du bestellt hattest. Schon dafür hätte er bei dir Pluspunkte bekommen müssen.''
,,Für Carter gilt die Regel nicht'', erwiderte sie trotzig.
,,Ach ja? Und was war mit den vielen Malen, wo er dir Süßigkeiten mitgebracht hatte? Oder für den Flug hatte er dir extra eine große Lunchbox zubereitet, die du, wenn ich mich richtig erinnere, komplett aufgegessen hast, als er geschlafen hatte. Und ich habe deinen Blick gesehen, als er sie dir gegeben hatte. Du bist sogar ein wenig rot geworden'', erinnerte ich sie und kniff ihr dabei provokant in ihre kleinen Mausbäckchen.
,,So war das nicht'', wehrte sie sich und schüttelte dabei widerwillig mit dem Kopf. Doch ihre zarte rötliche Färbung im Gesicht verriet sie.
,,Gib ihm doch einfach eine Chance. Was kann schon groß passieren? Du weißt, dass er Interesse an dir hat und er scheint ein sehr netter Mensch zu sein. Außerdem bist du ihm auch nicht ganz abgeneigt. Aus irgendeinem Grund versuchst du ihn das glauben zu lassen. Der arme Kerl gibt sich echt Mühe, aber du lässt ihn immer wieder abblitzen.''
,,Vielleicht täuscht er es nur vor'', seufzte sie und stocherte mit ihrer Gabel missmutig in ihrem Rührei herum.
Ich runzelte die Stirn und hob fragend eine Augenbraue. ,,Wovon redest du?''
,,Wahrscheinlich meint er es nicht wirklich ernst mit mir. Sein Interesse könnte einfach nur gespielt sein. Er ist bestimmt wie alle anderen Typen nur auf Sex aus und wenn er ihn dann bekommen hat, wird er verschwinden.''
Meine Hand krampfte sich um mein Besteck, als ich ihren traurigen Blick bemerkte, der ins Leere verlief. Was musste ihr passiert sein, dass sie so von Carter dachte? Wer hatte ihr das Herz gebrochen, dass sie annahm, Carter könnte dasselbe mit ihr erneut machen?
Zaghaft legte ich meine Hand auf ihre und zwang sie mich anzuschauen.
,,Dir muss jemand in der Vergangenheit sehr wehgetan haben und es schmerzt mich zu wissen, dass dir so etwas passiert sein muss, sonst würdest du von Carter nicht so denken. Ich verstehe, dass es dir schwerfällt ihm zu vertrauen, besonders da du ihn noch nicht so lange kennst und ihn nicht richtig einschätzen kannst. Aber so wie ich ihn kennengelernt habe und so wie er über dich redet, kann ich nichts anderes als tiefe Zuneigung zu dir heraushören. Auch wenn du zickig zu ihm warst, hat er nie ein böses Wort über dich verloren. Und während du mit Jace am Flughafen herumgealbert hast, war er rasend vor Eifersucht. Doch er hat dich im nächsten Moment trotzdem mit einem Lächeln empfangen, obwohl es ihm wehgetan haben musste, dich mit einem anderen glücklich zu sehen, auch wenn zwischen dir und Jace nichts läuft. Ich kann dir nur das sagen, was ich in den letzten Monaten beobachtet habe.''
,,Und wenn er am Ende merkt, dass ich gar nichts Besonderes bin?''
,,Du hast es selbst gesagt. Es gibt keine Garantie dafür, dass er dich nicht verletzen wird. Doch wenn man geliebt werden möchte, muss man Risiken eingehen. Du gibst mir immer diese tollen Ratschläge, aber selbst kannst du sie auch nicht umsetzen. Ich glaube, wir beiden sind ziemliche Katastrophen in Sachen Liebe'', feixte ich. Auch Alice konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
,,Vielleicht sollte ich ihm wirklich eine Chance geben'', murmelte sie und das Rot ihres Gesichtes wurde eine Spur intensiver.
,,Aber kein Wort zu ihm, verstanden? Ich muss mir erst einmal einen Plan zurechtlegen.''
Typisch Alice! Bei ihr musste immer alles genau durchgeplant sein, sonst fand sie keine Ruhe.
Ich gab ihr mein Indianerehrenwort und widmete mich wieder meinem Essen, als plötzlich neben mir der Stuhl zurückgezogen wurde und ein großer Schatten meine Sicht versperrte.
Mein Herzschlag beschleunigte sich und mein Puls raste. Doch als ich erkannte, dass nicht Raven, sondern Jace neben mir Platz genommen hatte, stieß ich erleichtert die angehaltene Luft aus.
,,Guten Morgen ihr zwei'', grüßte er uns mit seinem typischen Jace-Lächeln und boxte mit Alice kumpelhaft ein. Irritiert starrte ich auf seine zwei Teller, wo so viel Essen darauf lag, dass ich mich locker zwei Tage davon ernähren konnte.
,,Das willst du alles essen?'', fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. Er nickte eifrig und grinste mich breit an. Sein Lächeln war so ansteckend, dass ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
Während sich Alice und Jace angeregt über den Bacon unterhielten, wie unglaublich schmackhaft er doch war und wo sie schon den besten Bacon gegessen hatten, schweiften meine Gedanken zu den Ereignissen von heute Nacht ab.
Ich konnte dieses Bild von Jace, wie er zusammengesunken an der Bar gesessen hatte und seinen leeren traurigen Blick nicht vergessen. Ihn so verletzt zu sehen, hatte etwas in mir berührt und es machte mich traurig, dass er dachte, niemand könnte ihn so mögen, wie er in Wirklichkeit war. Ich kannte diese Angst zu gut. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb ich ihn nun aus anderen Augen sah.
Er fügte sich fast nahtlos in unsere kleine Gruppe ein, die gesät war von gebrochenen Gestalten, die alle mit den Schatten ihrer Vergangenheit zu kämpfen hatten.
Eine Berührung am Arm ließ mich zusammenzucken. Mein Blick huschte zu Jace, der mich aus großen Augen schüchtern anschaute. Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und schien nicht zu wissen, wie er seine Worte formulieren sollte.
Ich klopfte ihm auf die Schulter und schüttelte mit dem Kopf.
,,Alles gut, Jace. Du musst nichts sagen.''
,,Nein. Also ich meine... Ja. Ich wollte dir nur danken für heute Nacht. Dir auch, Alice.''
,,Kein Stress. Das nächste Mal, wenn ich betrunken bin, trägst du mich zurück. Wer weiß, was ich dann alles über mich auspacke'', erwiderte sie achselzuckend und winkte ab.
,,Gibt es irgendwelche dunklen Geheimnisse, die ich noch nicht kenne?", meldete sich die tiefe Stimme von Carter zu Wort. Ich hob meinen Kopf und betrachtete kurz den Neuankömmling, der sich gerade dicht an Alice lehnte. Sie wandte ihm den Rücken zu, weshalb nur Jace und ich ihr rotes Gesicht sehen konnten.
Doch die aufgekommene Schadenfreude konnte ich nicht lange genießen, als im nächsten Moment Ravens unverkennbarer Duft nach Wald und Minze mich umfing. Der linke Stuhl von mir wurde mit einem lauten Scharren zurückgezogen, bevor sich ein schwarzer Schatten auf ihn niederließ. Ich starrte stur auf meinen halbvollen Teller und tat so, als hätte ich ihn nicht bemerkt. Äußerlich wirkte ich ruhig, doch in mir tobte ein Orkan. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren und ich konnte schwören, dass Raven ihn hören musste, so stark schlug es gegen meine Brust. Unruhig wackelte ich unkontrolliert mit den Beinen, während ich gleichzeitig versuchte, das Messer in meiner Hand still zu halten, damit er nicht sah, wie sehr ich zitterte.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie er sich zu mir gedreht hatte und mich abwartend musterte. Ich seufzte innerlich und hob vorsichtig meinen Blick. Das Erste, was ich sah, waren seine schönen hellgrünen Augen, die mich sofort in seinen Bann zogen. Seine Mundwinkel zuckten, als er meine Unsicherheit bemerkte.
Ohne Vorwarnung beugte er sich zu mir und hauchte mir einen zarten Kuss auf die Wange. Sein Bart kitzelte mich und ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, als er sich langsam entfernte. Die Haut, die er soeben berührt hatte, brannte noch immer. Die Schmetterlinge in mir tobten und ich glaubte vor Glück zu explodieren.
,,Guten Morgen, Aza'', flüsterte er mir ins Ohr, ehe er wieder einen gebürenden Abstand zwischen uns schaffte. Seine raue Stimme verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper. Ich mochte es, wie er meinen Namen aussprach. Als wäre er etwas Besonderes oder als wäre ich kostbar für ihn.
Ein schüchternes Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich starrte auf meine Hände, die ich schon die ganze Zeit über knetete.
,,Hi'', murmelte ich, traute mich aber nicht in sein attraktives Gesicht zu schauen. Seine Anwesenheit machte mich schon nervös genug, da konnte ich seinem Blick nicht auch noch standhalten.
Er mochte mich noch. Er hatte das mit uns beiden nicht bereut.
Mein Herz machte Freudensprünge, als ich Alice' Blick bemerkte, der so viel sagte wie habe- ich-es-doch-gesagt.
,,Leute, manche von uns wollen hier essen. Wenn ich ein Drama sehen will, dann gehe ich dafür ins Kino'', stöhnte Jace und zeigte auf uns vier.
,,Halt die Klappe, Jace. Auf die beiden Turteltauben mag das ja zutreffen, aber bring mich nicht mit dem da in Verbindung'', mischte sich Alice ein und deutete angewidert auf Carter.
Ich verdrehte die Augen. Was war aus ihrem tollen Plan geworden, ihm eine Chance zu geben? Alice war ein absolutes Wrack, ehrlich.
,,Sei nicht beleidigt, McKinsey. Sie hatte erst ihren ersten Teller, da kann mein kleiner Tiger schon noch etwas gereizt sein'', erwiderte Carter, während er ihr liebevoll mit einem Hauch Provokation über die Wange strich. Ein selbstzufriedenes Grinsen erstrahlte Carters Gesicht, was uns anderen ebenfalls zum Schmunzeln brachte.
Alice erstarrte kurz in ihrer Bewegung, ehe sie knallrot anlief. Der anfängliche Charme war verschwunden und pure Wut breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Bevor das ganze eskalieren konnte, stieß ich ihr meinen Fuß ins Schienbein und warf ihr einen warnenden Blick zu. Die geballte Wut traf nun mich, doch ich konnte mit Satans Tochter umgehen. Ihre Lippen bebten, sie war kurz davor zu explodieren, doch sie biss ihre Zähne zusammen und atmete kräftig aus.
,,Stimmt. Ich lebe nach der Devise, umso mehr ich esse, umso schwerer ist es, mich zu entführen.''
,,Wer soll dich denn entführen wollen? Der hält es keine drei Stunden mit dir aus, bis er dich freiwillig zurückbringt'', witzelte Carter.
Das hätte er nicht sagen dürfen. Alice schloss die Augen und schien ernsthaft mit sich zu ringen. Doch tief in mir drinnen wusste ich, dass Alice diese Aussage nicht auf sich sitzen lassen würde.
,,Lauf. So. Schnell. Du. Kannst.''
Das ließ sich Carter nicht zwei Mal sagen. In Sekundenschnelle war er aufgesprungen, ehe er mit eiligen Schritten Richtung Ausgang lief.
,,Es war schön, dich gekannt zu haben'', rief Raven ihm noch hinterher, doch er bekam nur seinen Mittelfinger als Antwort.
Alice erhob sich langsam und ließ ihre Finger knacken. ,,Wenn ihr mich entschuldigt.''
Sie schaute mir bewusst nicht in die Augen, da sie wusste, dass in ihnen eine Warnung lag.
,,Keine Sorge, wenn er Glück hat, kommt er im ganzen Stück zurück'', zwinkerte sie mir noch kurz zu, ehe sie ging.
,,Deine Freundin liebt den dramatischen Abgang, oder?'', fragte mich Raven kopfschüttelnd.
,,Du hast ja keine Ahnung'', murmelte ich und schaute noch einmal zum Ausgang.
,,Ich gebe den beiden noch maximal eine Woche, dann werden sie nicht mehr voneinander zu trennen sein'', scherzte Jace, der von der ganzen Angelegenheit nur wenig beeindruckt schien.
Doch was Jace in diesem Moment nicht wissen konnte, war die Tatsache, dass es um einiges komplizierter war.
Die Vibration meines Handys in der rechten Hosentasche riss mich aus meinen Gedanken. Mit gerunzelter Stirn holte ich mein Handy hervor und starrte für einige Sekunden auf das Display, ohne auf Annehmen zu drücken. Zu groß war die Angst, was mich dieses Mal erwartete. Denn ich wusste, meine Oma rief nie ohne Grund an.
Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Was passierte, wenn es Evan wieder schlechter ging? Wenn die Medikamente doch nicht anschlugen?
Mit zittrigen Fingern nahm ich den Anruf entgegen.
,,Guten Morgen, Kleines'', ertönte die weiche Stimme meiner Oma. Bei ihrer Stimme zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Du musst dich beruhigen, alles ist gut, wiederholte ich immer wieder in Gedanken. Obwohl ich wusste, dass überhaupt nichts in Ordnung war.
,,Oma, es ist schön deine Stimme zu hören. Ist alles gut?'', fragte ich mit bebender Stimme.
Eine kurze Stille entstand, in der mein Herz drohte aus seiner Verankerung zu springen. Tränen der Verzweiflung formten sich hinter meinen Augenhöhlen, doch ich unterdrückte sie krampfhaft.
,,Aza, ich rufe an wegen Evan. Es gibt Neuigkeiten.''
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