
41 - Wie man mit Worten malt.
✦ Hugo - Dark Days ✦
Die letzten Wochen vergingen wie im Flug und waren gefüllt mit vielen Ausflügen, schönen Momenten und dem Gefühl, meinen Platz im Leben gefunden zu haben. An Elias' Seite habe ich das Gefühl, wachsen zu dürfen. Ich bin dankbar für die Zeit in Italien, auf Elba und habe jeden einzelnen Tag mit Elias verbracht. Aber ich bin auch traurig, dass die Auszeit und die kleine Ruheinsel vorbei ist und wir uns wieder in den Alltag stürzen müssen - und uns unseren alten Dämonen stellen müssen. Elba war für mich eine Schneekugel und alles außerhalb von Italien war nicht greifbar und weit weg, berührte mich nicht; hatte gar keinen Platz in meinem Kopf.
Wir haben uns die kleinen Örtchen angesehen, waren an vielen Stränden, wovon mir der Capo Bianco am Besten gefiel. Die weißen Steine und Felsen mit den kleinen Buchten haben etwas Zauberhaftes und Magisches, das mich absolut faszinierte. Ich habe so viele Muscheln gesammelt wie schon lange nicht mehr und sie liegen, in einer Tüte verpackt, in meinem Koffer, den ich gerade packe, während ich über die letzten Wochen nachdenke. Wie kann es sein, dass ich alles vor dem Urlaub perfekt hineingebracht habe und jetzt hat kaum noch etwas Platz? Das kann doch nicht sein. Ich rolle meine Jacke zusammen und quetsche sie an die Seite des Koffers. Vielleicht werfe ich den Rest einfach in eine Tüte und lege die so ins Auto. Wir haben ja die ganze Rückbank frei.
Neben den kleinen Städtetrips besuchten wir auch den Monte Capanne, einen Berg, der mit 1019 m Höhe über dem Meerespiegel die höchste Erhebung der Insel ist. Von Marciana Alta aus fuhren wir mit der Seilbahn auf den Gipfel. Die gelben Gittergondeln wirkten nicht so wirklich vertrauenserweckend, aber wir kamen sicher oben an. Deine Höhenangst ist immer noch nicht wirklich besser, Emma. Auch wenn Elias neben dir in der Gondel steht. Und die Aussicht war es wert. Das Meer strahlte in einem wunderschönen Tiefblau und der Himmel war wolkenlos. Wir sahen kleine Dörfchen, die von dieser Höhe aus aussahen wie Playmobildörfer und die Wälder waren in den verschiedensten Grüntönen schattiert. Außerdem waren wir auch in Napoleons Villa, die mir persönlich sehr gut gefallen hat. Ich mochte die Räume und das Grundstück. Es war groß und wunderschön gestaltet und gepflegt. Elias geizte nicht mit Fakten und Informationen und mit jedem gesprochenen Wort, jedem geflüstertem Blick, verliebte ich mich noch ein Stückchen mehr in ihn. Morgen fahren wir nach Hause und ich bin nervös wie schon lange nicht mehr. Du siehst deinen Papa wieder, Basti , Nina und vielleicht auch Malte. Und du und Elias seid nicht mehr länger beste Freunde, ihr seid ein Paar. Ich runzle die Stirn. Sind wir das? Wir haben nie wirklich darüber gesprochen.
Ich grabe meine Zehen in den noch warmen Sand und hebe den Blick. Wir sitzen inzwischen vor unserem Haus am Strand und beobachten die untergehende Sonne. Wir beobachten, wie sie den Himmel in atemberaubendes Gold hüllt, das allmählich pink und orange wird, schließlich zu lila und pastellrot. Und wie sich die Sterne langsam und schüchtern am Himmel zeigen, wie der Mond auftaucht und den Himmel für die Nacht regiert. In all dieser Zeit sitzen wir schweigend am Meer, nebeneinander und nehmen still Abschied. Unsere Hände sind verschlungen und Elias streicht gedankenverloren über meinen Handrücken. Ich sehe ihn an. Ich werde ihn neben mir vermissen, wenn ich aufwache. Wir können ja nicht jeden Tag nebeneinander einschlafen. Vielleicht möchte er das auch gar nicht mehr, wenn wir wieder in Deutschland sind. Ich beiße mir auf die Lippen. Schwachsinn! Warum sollte er das nicht mehr wollen, Emma? Hör endlich auf, dieser dummen Stimme so viel Raum zu geben.
"An was denkst du?", frage ich ihn und mustere sein Profil. Er ist braun geworden, seine Haare sind gewachsen und ich möchte einfach nur mit meinen Händen durchfahren.
Elias nimmt den Blick vom Meer, das im Mondschein glitzert wie Glitzerstaub aus der Tube, und sieht mich mit einem leichten Lächeln an. Ich bin so froh, dass ich ihm gesagt habe, was ich für ihn empfinde. Manchmal muss man eben in den Abgrund springen und darauf vertrauen, dass jemand unten steht und einen auffängt.
"Wenn wir nach Hause kommen, erfahren die Anderen, dass wir zusammen sind. Und ich habe gerade überlegt, wem wir es zuerst sagen sollen."
Dass wir zusammen sind. Mein Herz schlägt doppelt so schnell wie vor einigen Sekunden. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und ich drücke Elias einen Kuss auf den Mund. Er lächelt in den Kuss und hält mein Gesicht in seinen Händen. Lass mich nie wieder los, Elias. Bitte. Als wir uns voneinander lösen, lehnt er seine Stirn kurz an meine und schluckt. Leise räuspert er sich.
"Falls du es ihnen überhaupt sagen möchtest. Falls wir ... falls wir überhaupt zusammen sind. Also ich meine, was ich sagen wi-"
Ich unterbreche ihn, indem ich ihn erneut küsse und wir fallen zurück auf die Decke, die unter uns liegt. Meine Haare landen im Sand. Und ich muss lachen, weil mich das Glück, das mir durch die Adern pumpt, überfordert. Die Dunkelheit des Himmels wird mit dem goldenen Leuchten der Sterne verziert und zieht mich in seinen unendlichen Bann. Wir liegen nebeneinander und starren den Himmel an. Die Weite des Universums hat mich schon immer fasziniert und interessiert. Im Endeffekt sind wir alle nur eine kurze Zeit auf dieser Erde und eigentlich wahnsinnig unbedeutend. Irgendwann sind auch unsere letzten Spuren verwischt und zurück bleibt nur unendliche Leere. Leere die wieder mit neuem Leben gefüllt wird. Wir sind nur ein kleines und kurzes Kapitel für unsere Erde. Und doch denken wir, wir würden sie beherrschen.
"Emma, gehen wir schlafen? Wir müssen morgen früher aufstehen, wenn wir das Haus noch putzen wollen. Ich kann es auch alleine putzen und du kannst ausschlafen."
"Quatsch! Wenn, dann müsstest du ausschlafen. Immerhin bist du der Fahrer und brauchst jede Stunde Schlaf, die du bekommen kannst." Ich überlege und fahre mit meinen Händen durch den Sand. "Du schläfst aus und ich fange in der Zeit schon mal an zu putzen, in Ordnung?"
Elias möchte etwas erwidern, aber ich schüttle so lange ernergisch den Kopf, bis er nachgibt, lächelt und nickt.
"Na gut. Aber ich werde dich vermissen, wenn ich aufwache."
"Vielleicht bin ich bis dahin ja fertig und liege wieder neben dir." Ich zwinkere. Du zwinkerst? Ernsthaft, Emma? Warum? Wieso? Oh Gott.
Er grinst mich nur an und wuschelt mir durch die Haare. Ich seufze.
"Komm, wir gehen schlafen, El", sage ich und stehe auf. Wir schlendern langsam zum Haus zurück und ich halte mich an ihm fest, während mein Blick gen Himmel gerichtet ist. Sterne sind so wunderschön. Und vielleicht sieht Mama mich jetzt gerade.
Als ich aufwache, kann ich den Blick nicht von Elias' Gesicht nehmen, der im Schlaf so viel jünger und entspannter aussieht. Ich kann meine Hand auch nicht davon abhalten, ihm sanft über die Wange zu streichen. Und als ich ihn berühre, lächelt Elias und schlägt die Augen auf. Schokolade trifft auch das Meer und ich lächle ebenfalls.
"Guten Morgen." Elias' Stimme ist noch rau vom Schlaf und zäh wie goldener Honig.
"Guten Morgen", flüstere ich.
Er beugt sich zu mir und küsst mich und ich verdränge alle Gedanken an zu Hause, an das Putzen, an Malte, an Basti und an Nina. Mein Kopf ist leer und ich konzentriere mich nur auf die Spur aus Feuer und Eis, die Elias mit seinen Händen auf meinem Körper hinterlässt. Es fühlt sich alles an wie ein kleiner Abschied und im Endeffekt ist es auch einer. Von unserer eigenen kleinen Welt, die wir uns hier geschaffen haben. Eine Welt, abgeschieden von all dem Alltag in Wasserburg. Weit weg von all den Menschen, die uns kennen. Kurz durchfährt mich die Angst, dass es zu Hause nicht so sein wird wie hier. Aber ich vertraue auf Elias. Und auf unsere Freundschaft. Wir schaffen das schon, Emma. Wir schaffen das. Hab Mut. Und habe Vertrauen.
Heute gehen wir zusammen duschen und ich habe all die Scham abgelegt. Es ist ein schönes Gefühl, sich in Gegenwart eines Mannes so sicher und geborgen zu fühlen, wie ich es bei Elias bin. Vor einigen Monaten wäre das nie denkbar gewesen. Interessant, wie sich die Einstellung verändern kann, wenn man den richtigen Menschen an seiner Seite hat.
Aus den Handylautsprechern kommt 'Dark Days' von Hugo und ich folge der Musik. Elias putzt die Küche, als ich durch die Tür trete und ich beobachte ihn, an den Türrahmen gelehnt. Die Muskulatur seines Rückens zeichnet sich durch das T-Shirt ab und ich merke, dass ich starre. Elias merkt mein Starren scheinbar auch, obwohl er mit dem Rücken zu mir steht. Denn er dreht sich um, ein süffisantes Grinsen auf den Lippen.
"Du bekommst wohl einfach nicht genug von mir, Emma, hm?"
Ich werde rot und wende den Blick ab.
"Sei beruhigt, geht mir mit dir auch so. Ich könnte dich immer ansehen. Vor allem wenn du lachst. Oder wenn du verlegen bist, wie jetzt."
Ich rolle mit den Augen und stupse ihm in den Bauch. Inzwischen steht er direkt vor mir. Nah. Und wir atmen die gleiche Luft. Mir wird schwindelig. Ich bin mir sicher, dass ich auch in zehn Jahren noch Probleme mit dem Schwindel habe, wenn er vor mir steht und mich so ansieht.
Er ist einfach umwerfend.
In einträchtigem Schweigen säubern wir das Haus und schaffen Ordnung. Mama wäre stolz auf mich. Aber Elias kann es nicht lassen, mich zu ärgern, indem er mir Wasser ins Gesicht spritzt. Gerade, als ich mich wehren möchte und die Rache ausüben will, klopft es an unserer Tür. Wir sehen uns kurz an. Aber das Blickduell verliere ich, denn sein Blick ist so intensiv, dass ich wegsehe, weil ich so verlegen bin.
Ich öffne die Tür und es sind Gianna und Franco, die warten. Sie werden mir fehlen. Alle beide. Und die Abende bei ihnen zu Hause. Das Essen. Die Gespräche von denen ich nicht einmal die Hälfte verstehe. Das Leben, das zwischen den Wänden gefangen ist, das Lachen, das im Raum schwebt und das Glück, das sich einem ums Herz legt.
"Hallo Emma. Wir wollten uns verabschieden. Wobei wir uns ja vielleicht sogar in Deutschland sehen. Aber für jetzt möchten wir uns verabschieden. Giannas Mann entschuldigt sich, er muss arbeiten und ist leider nicht zu Hause. Aber er wünscht euch eine gute Heimfahrt."
"Danke", sage ich leise und schlucke. Überwältigt von Francos Wortwasserfall trete ich zurück und lasse die beiden eintreten. Sofort stürmt Gianna auf Elias zu und drückt ihn an sich. Franco grinst, stellt sich neben mich und legt mir einen Arm auf die Schulter.
"Wirst du mich vermissen, Emmalein?"
"Aber natürlich, Franco. Wer würde dich nicht vermissen? Ich bin sicher, dass du in all den Ländern dieser Welt einen Fanclub hast."
"Oh ja, das wäre schön. Den habe ich bestimmt. Wie würde er heißen? Francojaner? Francos Fesche Frechen?"
Ich muss lachen ob seiner Ideen und er stimmt in mein Lachen ein.
"Was denn? Die Namen sind originell. Und eigens von Franco. Franco'sche Namensgebung. Das ist jetzt in."
Lachend schüttle ich den Kopf und beobachte Gianna und Elias, die beide im gewohnt schnellen italienischem Singsang sprechen, von dem ich noch immer kaum etwas verstehe.
"Was sagen sie, Franco?"
"Nur, dass Elias vorsichtig sein soll, wenn er die Leiche begräbt. Die Spürhunde der Polizei haben eine gute Nase."
Ungläubig sehe ich ihn an und hebe eine Augenbraue.
"Nur ein Scherz."
"Du Witzbold." Ich schlage mir die Hände vor mein Gesicht und genieße den kurzen Augenblick der Dunkelheit.
"Gianna ermahnt ihn gerade dazu, auf dich aufzupassen und dich immer gut zu behandeln. Du bist ein gutes Mädchen und sie möchte dich nächstes Jahr wieder hier sehen. Und keine andere, ich zitiere, komische Schnepfe."
"Oh mein Gott." Ich weiß nicht, was ich sonst dazu sagen soll. Gianna mag mich.
"Du wirst gemocht, Emma."
Er drückt mir sein Handy in die Hand und ich sehe das Nummernfeld. Du sollst ihm deine Nummer geben. Also tippe ich sie ein und speichere mich unter 'Emma Francojaner' ein. Franco sieht den Namen und wuschelt mir durch die Haare.
"Ich habe mein erstes offizielles Fangirl."
"Ja", lache ich und wende meinen Blick wieder Elias und Gianna zu. Du kannst keine Sekunde ohne ihn sein. Du bist verrückt. - Ja, vielleicht bin ich das auch.
Gianna umarmt mich zum Abschied und hält mich für einige Sekunden länger fest. Ihr Parfum hüllt mich ein und kurz schweben wir zusammen in dem süßen Duft. Francos Umarmung ist kurz, aber herzlich.
Als wir das Gepäck in das Auto geschafft haben, die Türen und Fenster verschlossen und verriegelt, wenden wir uns noch einmal kurz dem Haus zu und sehen es schweigend an. Als hätten wir es abgesprochen, verschlingen sich unsere Hände miteinander. Wie zwei Anker im stürmischen See.
Elias drückt meine Hand und sieht mich an.
"Wir fliegen zusammen, Emma. Und wir kämpfen zusammen. Wir fallen zusammen. Und wir stehen zusammen auf. Du bist nicht alleine. Ich bin da. Ich fange dich auf. Immer."
Er küsst meine Stirn und ich weiß, dass er die Wahrheit sagt.
Elias malt mit Worten. Er malt mein dunkles Herz bunt. Und als ich mit Elias vor dem Auto stehe, ein letztes Mal das Haus im Auge, weiß ich, dass die dunklen Tage vorbei sind. Du hast das Glück zugelassen und es hat sich nur zu gern bei dir niedergelassen. Du hast es verdient, Emma.
A/N: Sorry für das späte Update. Gestern war einfach nicht mein Tag. Danke für eure Geduld. ♥
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