If I was you
Er liebte sie. Schon seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ihre Erscheinung bezaubert ihn jedes Mal von neuem. Wie ihre roten Haare im Wind flatterteten. Ihre smaragdgrünen Augen im Licht der hellen Sonnenstrahlen glitzerten. Ihre zierliche Gestalt verschwand in großen Menschenmengen fast gänzlich. Sie war unsichtbar für das unaufmerksame Auge. Und doch: Wenn man sie einmal kannte, wusste wann, dass einzigartig war. Dass man sie nicht nur durch ihre dunkelroten Haare in Erinnerung behielt, sondern durch ihr Wesen. Durch ihr Selbst.
Er kannte sie seit Jahren. Seit sie zehn Jahre alt gewesen waren. Seit sie auf den Brief gewartet hatten, der sie nach Hogwarts bringen sollte.
Er hatte es gewusst. Er hatte es ihr gesagt. Ohne ihn wäre sie vielleicht gar nicht da, wo sie jetzt war. Und wer bekam den Dank dafür? Wer war es, dessen Liebe sie schließlich nach gehen würde? Nicht seine, da war er sich sicher. Doch wenigstens war es auch nicht die, von diesem Idiot, den sie voller Abscheu "Potter" nannte. Oder doch?
Der blickte ihr immer so nach, als ob sie ein Weltwunder wäre. War sie ja auch. Und mehr. Doch sie würde Potter nicht wählen. Nicht den, der jede Regel brach, die das Leben ihm in den Weg stellte. Er war ein Vollidiot. Einer der sich im Leid anderer suhlte. Er war nicht gut genug für sie, nicht ansatzweise.
Und immer, wenn er so da stand, die Augen weit aufgerissen, den Mund leicht geöffnet, immer dann hätte er ihm am liebsten eine runter gehauen. Doch bevor ein Wort deinem Mund entfliehen konnte, bevor die Hand ausholen konnte, hatte sich eine dritte Person eingemischt.
"Krone, Krone... die kriegst du auch nicht mehr." Black.
"Pad, du verstehst es nicht. Du verstehst das nicht", hatte Potter geantwortet. Und doch, war er sich sicher, dass Potter selbst genauso wenig Ahnung von dieser ganzen Sache hatte, wie sein zurückgebildeter bester Freund.
Sie hatten ihn nie gesehen. Oder sehen wollen, und doch war er jedes Mal dort. So wie auch jetzt.
Wenn er gewesen wäre, wie Potter, hätte sie ihn gesehen. War es das, was er wollte? Von ihr gesehen werden?
"Schleich dich, Potter!", rief Lily wütend. Sie war noch schöner, wenn sie wütend war. Dann leuchteten ihre strahlenden, smaragdgrünen Augen und ihr Haar wirkte noch feuriger, als das unter normalen Umständen der Fall gewesen war. Dann färben sich ihre blassen Wangen vor Zorn rosa. Dann veränderte sich ihre gesamte Haltung. Er konnte dabei zusehen, wie sie sich noch gerader aufrichtete, die Kiefer zusammenpresste und einen Ausbruch zu verhindern versuchte.
"Schleich du dich doch, Evans!" Es war ihnen scheinbar wichtig die Namen des anderen so oft wie möglich auszusprechen, denn sie taten es in jedem zweiten Satz.
"Keiner von Ihnen 'schleicht' sich, sie Nichtsnutze, sonst können sie sich auf Strafarbeiten freuen!" Die beiden erstarrten.
"P-p-p-professor." Potter blickte drein, als hätte er einen Geist gesehen. Ihre Stiller Beobachter musste sein Lachen unterdrücken. Was war nur mit ihm? Er war doch sonst nicht so empfindlich.
Auch Lily sah nicht gerade begeistert aus, aber sie wurde ja auch nicht alle Tage beim beinahe-Schuleschwänzen erwischt.
"Du schaust aus wie ein Schaf", grinste Sirius, der aus einer Nische sprang, als McGonagall in ihrem Klassenzimmer verschwunden war. Er stieß Potter seinen Ellbogen in die Rippen. Potter stöhnte auf.
"Lass uns reingehen!", sagte er schließlich. Er hatte sich von dem Schock erholt und grinste auf seine abzügliche Art, wie jäh. "Ich finde es zwar schade, dass ich die Chance verpasst habe, mit dir Nachsitzen zu müssen, Evans, aber was soll man machen. Keine Angst, ich bin dir nicht böse!"
Lily schnaubte empört. "Verpiss dich!" Sie rannte an den beiden vorbei. Er konnte von seinem Versteck aus, alles beobachten. Ihre dunkelroten Haare, die bestimmt seidig weich waren, wehten hinter ihr her. Er würde nie herausfinden, ob sie sich so anfühlten, wie er dachte, dass sie sich anfühlten.
Wenn er so überzeugt von seinem eigenen Willen gewesen wäre, wie Potter, hätte er es einmal berührt. Vielleicht schon vor Jahren.
Doch bevor Lily die Schwelle zum Klassenraum übertreten hatte, wurde sie von Potter am Arm zurückgezogen. Man könnte deutlich die leichte Röte auf ihren Wangen erkennen. War sie vielleicht doch...? Niemals.
"Na na, Evans. Seit wann redest du denn so?"
Aber Lily kämpfte mit Händen und Füßen gegen seine Umklammerung.
"Ich werde jetzt gehen, ich will ja nicht zu spät zu Gonni kommen, wir haben eh schon zwei Minuten Verspätung." Das war Sirius, in bester Wichtigtuer-Streber-Stimme.
"Seit wann bist du denn, so ein Musterschüler, Black?" Aber Sirius zuckte nur schief grinsend mit den Schultern und verschwand.
Lily wollte ihm verwirrt hinterhergehen, merkte aber, dass Potter sie immer noch festhielt. "Potter!", fauchte sie, und es klang im Kopf ihres Beobachters wieder. Der Zorn, der Hass. Ein Grinsen schlich sich in sein Gesicht.
"Evans", erwiderte Potter ruhig. Er lockerte seinen Arm, hielt sie aber immer noch fest. "Was ist los mit dir?"
"Nichts! Was ist los mit dir? Seit wann hast du Angst vor McGonagall?"
"Ich hab keine Angst vor-" Er stoppte und starrte ihr fest in die Augen. "Wenn wir streiten, dann verwendest du Ausdrücke, von denen ich nie geglaubt hätte, dass du sie in den Mund nehmen würdest. Dann willst du einfach abhauen... ich hab irgendwie das Gefühl, etwas stimmt nicht mit dir, Evans..."
Ihr Beobachter wusste es. Es machte in trauriger, wütender, verletzter denn je. Und alles nur wegen dieses einen Wortes. Einem Wort, dass er einfach, ohne darüber nachzudenken, gebrauchte. Er wusste, dass es falsch war, doch aus einem unerfindlichen Grund, hatte er selbst nach der Zerstörung seiner Freundschaft mit ihr, nicht aufgehört, es zu verwenden.
"Willst du jetzt den großen Mitfühlenden spielen, Potter? Du hast doch keine Ahnung!"
Ihr Beobachter grinste siegessicher. Hatte er sich das vielleicht doch alles nur eingebildet?
"Ist es wegen Snape?", fragte Potter. Als er seinen Namen vernahm, blickte er überrascht noch genauer in Lilys Gesicht. Nichts regte sich.
"Snape? Wie kommst du jetzt auf Snape?", erwiderte Lily bissig. Sie wirkte überhaupt nicht aus dem Konzept gebracht, eher wütender als zu vor, entschlossener. Es versetzte ihm einen Stich, sie so zu sehen. Im selben Moment erinnerte er sich an den Moment, an dem er sie das erste Mal gesehen hatte.
Es war Sommer gewesen. Heiß, mit strahlend blauem Himmel. Die Menschen um ihn herum waren fröhlich. Zu fröhlich. Es war das perfekte Wetter um draußen zu sein. Und obwohl die Wärme seinem Gefühl widersprach, machte er sich an jenem Tage auf den Weg zum Spielplatz in der Nähe seiner Heimat. Zuhause gab es einmal mehr Streit. Er konnte es nicht ertragen, wie sein Vater seine Mutter behandelte. Er konnte es nicht ertragen, wie sie ihn jedes Mal ansah - als hätte sie keine andere Wahl. Als würde sie hier irgendetwas halten.
Das Metall der Schaukel brannte heiß auf seiner Haut, als er mit der Hand danach fasste, doch es machte ihm genauso wenig aus, wie die Wärme, die sich durch seinen Kittel fraß.
In einem Jahr war er hier weg. In einem Jahr würde er den Brief bekommen. In einem Jahr müsste er nicht mehr die kläglichen, hilfesuchenden Blicke seiner Mutter aus sich spüren. Er müsste nicht mehr so tun, als würde er nicht hören, was sein Vater zu ihr sagte.
Da hörte er Stimmen. Sonst war niemand hier. Die meisten Leute waren an das nächste Gewässer gefahren, um den Tag dort zu verbringen. Die Stimme näherten sich ihm und sobald er sie verstehen konnte, erkannte er, dass es zwei Mädchen waren, die sprachen.
"Du kannst das nicht machen, Mum will das nicht."
"Aber es ist doch vollkommen ungefährlich, Tunia!"
"Das weißt du nicht!"
Die beiden Mädchen traten auf den Spielplatz. Die eine trug ihre braunen Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden. In ihrem Gesicht zeichnete sich ein zorniger Ausdruck ab.
Die andere, kleinere lächelte leicht verträumt. Ihre roten Haare wehten hinter ihr her. Ihre.. es entlockte ihm ein Lächeln... smaragdgrünen Augen funkelten. Er hatte noch nie solche Augen gesehen.
"Du solltest auf sie hören!", sagte die Ältere. Sie klang bestimmt und etwas hochnäsig. Sie hatten ihn noch nicht bemerkt, viel zu sehr waren sie in ihr Gespräch vertieft. Er beschloss, dass es besser war, wenn dies so blieb und versteckte sich hinter dem nächstbesten Busch.
"Und du solltest aufhören mich herumzukommandieren!" Die Rothaarige lies sich auf die Schaukel nieder, auf der zuvor noch er gesessen hatte und blickte ihrer Schwester herausfordernd in die Augen.
"Ich bin deine ältere Schwester und muss auf dich aufpassen, Lily!" Die Rothaarige begann zu schaukeln, so hoch sie konnte und nahm keine Rücksicht auf ihre Schwester. Sie schnaubte verächtlich. Als die Schaukel am höchsten stand, sprang sie. Segelte. In Zeitlupe. Landete schließlich auf dem Boden. "Siehst du?"
Lily. Das war also ihr Name.
Wenn er jetzt in Lilys Augen blickte, erkannte er den selben Zorn, den sie so viele Jahre zuvor gegen ihre Schwester gerichtete hatte, nur dass er dieses Mal gegen ihn selbst ging. Er konnte die leichte Schüchternheit in ihren Augen erkennen, die er das letzte Mal gesehen hatte, als sie elf Jahre alt gewesen waren. Woher kam sie? Da wurde es ihm klar. Sie mochte ihn. Potter.
Er erkannte es an der Art, wie sie ihn ansah und immer wieder den Blick senkte. Ohne Grund.
Lily riss sich los und verschwand. Doch bevor sie vollkommen durch die Tür zum Verwandlungsklassenraum verschwunden war, drehte sie sich noch einmal zu Potter um und blinzelte ihn wütend an. "Snape, also echt!"
Wäre er doch aus so, er vermochte es kaum zu denken, wie Potter. Mutig und unerschrocken. Wäre er nur nicht so stur gewesen und hätte sich nach Gryffindor einteilen lassen. Dieser Gedanke erschreckte ihn noch mehr. Gryffindor? Hätte er doch auch sofort gesagt, wie er sie sah. Lily. Seine starke, kluge Lily. Was mochte sie nur an Potter? Was hatte er, was Snape nicht hatte?
Wenn er so wäre wie Potter, ein starker selbstsicherer Mensch, der genau wusste, was er wollte und nichts anderes akzeptierte, würde sie ihn dann lieben? Aber wenn er so wäre wie Potter, wäre er arrogant. Nur mit selbst beschäftigt. Er würde sich durchs Haar streichen, wie sie es so hasste. Doch er wäre auch ein loyaler, vertrauensvoller Freund, der alles für die Menschen, die ihm nah standen, tat.
Ich wünschte, ich wäre wie er, dachte Snape und das er das dachte, machte ihn noch wütender, als alles zuvor. Wie konnte er sich das wünschen? Wie konnte er so fühlen? Er seufzte verächtlich über sich selbst.
Du bist durchgeknallt.
Nein. Du bist verliebt.
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