2 - GEFANGEN
KRIECHEND KAM DER Schmerz. Entlassen aus den tröstenden Armen der Bewusstlosigkeit, entlassen aus der der Abwesenheit aller Gedanken, nahm Valerija das Pochen ihres Schädels erst ganz schwach wahr. Der Schmerz wuchs, wie Unkraut, dass sich brutal einen Weg durch ihren Geist schlug.
Und mit dem Schmerz kehrte auch die Schwere in ihren Körper zurück. Sie spürte wie ihre Knochen auf kalten, nassen Stein gedrückt wurden, spürte das verklebte Haar auf der schweißnassen Stirn, spürte die Last auf ihrer Brust bei jedem Atemzug.
Einen Moment lang— oder waren es Minuten?— starrte sie in die Schwärze, versuchte etwas auszumachen in der Dunkelheit. Doch da war nichts. Kein Umriss, kein Licht.
Einfach nur pure Schwärze.
Wie war sie hierher gekommen? Dämmrig blinzelte sie in das verschluckende Schwarz. Versuchte sich zu erinnern. Bilder blitzten auf.
Und dann übermannten sie ihre Erinnerungen. Wie in einen Orkan, wurde sie hineingezogen in den unaufhaltsamen Strudel aus Bildern.
Der Park bei Nacht. Eine einsame Ente, die ihre Kreise auf dem Tümpel drehte. Mio. Ein dumpfer Knall. Schmerz. So viel Schmerz. Und dann eine alles auslöschende Schwärze.
Mio?
Sie keuchte, versuchte sich hinaufzukämpfen aus den Tiefen der Bilder. Wieder blitzte das Bild ihres kleinen Bruders auf. Schwarze Locken, ein roter Schulrucksack, der bei jedem Schritt auf und abhüpfte. Dann endlich. Sie schnappte nach Luft.
Luft strömte schmerzhaft klar in ihre Lungen.
Wo war er?
"Mio!", ihre Stimme war nur halb so stark wie sie sich es erhofft hatte. Nur ein kraftloses Krächzen. Sie lauschte in die Dunkelheit.
Nichts. Da war Nichts.
Brennende Tränen traten in ihre Augen, ballten sich in einem Kloß in ihrem Hals zusammen. Wenn sie etwas sehen könnte, dann wäre ihre Sicht nun verschwommen. Doch hier war nichts. Nur der Boden unter ihr verriet, dass sie nicht im leeren Raum umherschwebte. Die Dunkelheit war so durchdringend, so unnachgiebig, dass sie befürchtete blind zu sein.
"Mio", krächzte sie wieder.
Nichts. Stille so unnachgiebig wie die Schwärze vor ihren Augen.
"Mio!" Ein raues Aufheulen durchschnitt die Stille, hallte in ihrer Zelle, als sie noch immer keine Antwort bekam.
Obwohl jede Zelle ihres Körpers sich anfühlte wie zermahlt, kämpfte sie sich in eine aufrechte Position. Ihre Hände tasteten durch die Dunkelheit und fanden ganz in ihrer Nähe eine feuchten Wand aus Stein.
Trotz der aussichtslosen Situation, war sie erleichtert. Eine Wand war immerhin etwas. Etwas an dem man sich festhalten konnte. Eine Wand bewies, dass es einen Ausgang geben musste.
Vorsichtig tastend ließ sie ihre Finger durch die Dunkelheit schweben, wie die Fühler eines Insekt. Die Wände des kleinen, quadratischen Raumes befanden sich näher beieinander als sie vermutet hätte. Näher als ihr lieb war.
Auf den Knien robbte sie von Wand zu Wand— und stellte fest, dass ihr Gefängnis gerade groß genug war, dass sie sich auf den Boden legen konnte oder halbwegs aufrecht sitzen konnte. Das bedeutete nicht viel, denn sie war klein. Eines der wenigen körperlichen Merkmale, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte.
Außerdem hatte sie eine Tür erfühlen können. Sehen konnte sie noch immer nicht. Doch in dem kalten Metall, dass einen ungewohnten Kontrast zu der Steinwand bildete, hatte sie den Umriss einer Tür gespürt. Dabei war ihr aufgefallen, dass nicht besonders hoch zu sein schien. Es war vielmehr eine Klappe, als eine Tür.
Mit zitternden Fingern und einer unangenehmen Vorahnung im Magen hatte sie dann ihre Hand gehoben, sich etwas aus ihrer sitzenden Position gereckt... Und war mit den Fingerspitzen gegen die Decke gestoßen. Panik hatte sie durchzuckt wie ein Messerstich. Sie war gefangen.
In einem Loch kaum größer als sie selbst.
Schwer atmend kauerte sie sich zusammen, umklammerte ihre angezogenen Beine und krallte ihre Fingernägel in den Stoff ihrer Jeans.
⍟
Stunden oder vielleicht auch Tage später, hörte Valerija zum ersten Mal etwas. Ein Klirren wie von Metall auf Metall, ein knirschendes Drehen eines Schlüssels im Schloss. Stimmen.
Aus ihrem Dämmerschlaf gerissen, blinzelte sie. Nicht, dass es einen Unterschied machte, denn sehen konnte sie nach wie vor nicht... Bis jetzt.
Während der Schlüssel im Schloss knirschte, und das mechanische Klicken verriet, dass die Tür entriegelt wurde, wurde es ein wenig heller. Ein leichter Lichtschein breitete sich von den Konturen der Tür aus.
Dann wurde die Klappe geöffnet. Licht brannte in ihren Augen und sie schlug sich wimmernd die Hände vor die Augen.
"Raus mit dir", knurrte eine fremde, tiefe Stimme.
Valerija konnte sich nicht bewegen. Selbst wenn sie gewollt hätte. Ihr gesamter Körper war wie eingefroren, im Überlebensmodus, mit zusammengesackten Schultern und brennenden Augen.
Als sie nicht kam, hörte sie Schritte, die immer näher kamen.
"Lass' sie, Petrow", ertönte eine andere Stimme, "Sie ist doch noch neu hier, die braucht noch n' Moment."
Ein gehässiges Lachen ertönte.
"Ich weiß, was sie braucht, wenn sie nicht gleich rauskommt", brummte der erste Mann mit der tiefen Stimme.
Aus Neugier heraus versuchte sie ihre Augen zu öffnen. Doch allein die Händen von den Augen zu nehmen, verursachte einen so stechenden Schmerz, dass sie befürchtete ohnmächtig zu werden.
"Komm' jetzt", sagte der zweite Mann etwas ungeduldig, "Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
Als sie sich noch immer nicht bewegte, hörte sie Schritte. Ganz nah. Eine große Hand packte sie. Ein raues Schluchzen erfüllte ihre kleine Zelle. Dann wurde sie hinausgezerrt, gezwungen die Hände von ihren schmerzenden Augen zu nehmen. Sie heulte auf, als das Licht vor ihren Lidern noch heller wurde. Das die Männer sie mit zerrten, ihre Knie über den Boden schürften, bemerkte sie kaum. Da war nur quälender Schmerz, der wie Feuer durch ihre Venen züngelte.
Irgendwann wurde sie auf kalte Fliesen geschmissen.
"Aufstehen. Ausziehen", verlangte der erste Mann mit grausamer Begeisterung in der Stimme.
Die Angst in ihrem Magen wurde zu Übelkeit.Da war er nun, der Moment, vor dem sich jede Frau fürchtete, seit sie alt genug war.
Obwohl sie sich sicher war, dass sich nichts mehr in ihrem Magen befand, musste sie würgen. Sie konnte nicht anders. Bittere Galle stieg in ihre Kehle, zwang sich den Weg auf die Fliesen.
"Was haben die nur alle immer?", brummte der Mann.
Dann nahm sie das Geräusch von plätscherndem Wasser wahr. Jemand schubste sie unter den kalten Strahl einer Dusche.
Sie schrie heiserauf und wandt sich unter der eisigen Kälte hin und her, die Hände verzweifelt auf die Augen gepresst, vor Qualen unfähig sich aus der Reichweite des eiskalten Wassers zu bewegen.
Dann stoppte das Wasser abrupt. Sie bemerkte, dass ihre Zähne vor Kälte aufeinanderschlugen.
Wieder wurde sie gepackt und auf ihre Füße gezwungen. Ihr war schwindelig. Als die groben Hände ihren Körper losließen, sank sie wie eine Marionette auf dem Fliesenboden zusammen.
Wimmernd, zitternd, schwach.
Sie wehrte sich nicht, als Hände an ihrer Kleidung zu zerren begann, als Geräusch von reißendem Stoff die Stille zerschnitt.
Sie wehrte sich nicht. Warum wehrte sie sich nicht?
Sie schrie, doch nicht ein Ton verließ ihre Lippen.
Sie trat um sich, ohne einen Muskel zu bewegen.
Sie weinte, ohne eine Träne zu vergießen.
Dann lag sie nackt auf den Fliesen und das erste Mal seit man sie aus der Zelle geholt hatte, öffnete sie ihre Augen.
Schwere Lederstiefel, eine Cargohose, Waffen an einem Gürtel. Ein grimmiger Mann, dessen Montur sie ein wenig an die eines Soldaten erinnerte. Er starrte einen Moment auf sie hinab und als sich ihre Blicke trafen, verwandelte sich das Blut in ihren Venen in pures Eis. Seine Augen waren hellblau, wie Frost im Winter.
"Schade 'drum", knurrte er. Kurz war da ein Flackern in seinem Blick, ein gieriger Ausdruck der über ihren aufgeschürften, nackten Körper wanderte. Ihr war schlecht.
Sie senkte den Blick und starrte wieder auf seine Lederstiefel.
"Meinst'e Strucker überlässt uns misslungene Experimente?", rief er dann mit einem dreckigen Lachen über seine Schulter und ihr wurde klar, dass da noch der Andere war.
Schritte hallten von den klinisch weißen Fließen. Ein zweiter Mann erschien, in den Händen ein frisches Kleidungsset, dass Valerija auf morbide Art und Weise an Krankenhauskleidung erinnerte.
"Schlag' dir das direkt wieder aus dem Kopf, Petrow", sagte der Andere und an seiner Stimme erkannte sie ihn als den zweiten Mann, der sie aus ihrer Zelle geholt hatte.
Petrow murmelte einen unanständigen Fluch, dann riss er seinem Kollegen die Kleider aus den Händen.
"Aufstehen", befahl er kalt. Sie wollte gehorchen, einfach nur weil sie hoffte so seinen Zorn von sich abzuwenden, aber sie konnte nicht.
Ihr Körper brannte vor Schmerz und unwillkürlich fragte sie sich, ob man während sie bewusstlos gewesen war, etwas mit ihr angestellt hatte. Die Schmerzen konnten unmöglich nur von einem Schlag auf den Kopf stammen.
Als Zeichen ihren guten Willens versuchte sie sich wenigstens aufzusetzen. Es gelang und Petrow warf ihr die Kleidung hin, wie einem ausgehungerten Hund einem Knochen.
Als ihre Finger den weißen, steifen Stoff berührten, weinte sie beinahe vor Freude. Ungeachtet der Schmerzen, die sie dabei hatte, streifte sie sich das Hemd über den Kopf. Der Stoff war wie Balsam für ihre Seele, schützend legte er sich über sie. Wie eine Rüstung.
"Und jetzt aufstehen", verlangte der andere Mann, jedoch deutlich rücksichtsvoller als Petrow.
"Kann' nicht", würgte sie mit rauer Stimme hervor. Tränen verhangen ihre Sicht.
Der Mann kam zu ihr und bot seine Hand an.
Obwohl er ebenso für ihre Gefangenschaft verantwortlich war, wie Petrow, nahm sie seine Hand. Er zog sie auf die Beine.
Der Schwindel der sie ergriff war so überwältigend, dass sie in die Arme des Wachmanns taumelte. Er hielt sie einige Momente. Als sie fest auf dem Boden stand, ließ er sie los.
"Und jetzt los. Strucker wartet schon", sagte er und ging voraus. Sie folgte ihm, mit Petrow's Eisblicken im Rücken.
Der geflieste Raum mit den Duschen wurde zu einem gefliesten Gang, ebenso weiß, ebenso steril.
Am Ende des Ganges befand sich eine Tür.
Der Mann öffnete sie und trat ein. Sie folgte. Valerija sah eine Liege, die sie an Arztbesuche in ihrer Kindheit erinnerte. Nur das diese Liege Fesseln an Armen, Beinen und Hals zur Verfügung stellte. Zudem befand sich auf der anderen Seite des Raumes eine Vorrichtung, in der ein Stab aufgebahrt war. Die Spitze des Stabes war spitz und erinnerte an einen Speer— nur dass dort ebenfalls eine blauschimmernde Kugel eingearbeitet war. Die Speerspitze zeigte direkt auf die Liege.
Auch dieser Raum war vollkommen gefliest, bis auf eine dicke Glasscheibe, die sich genau hinter dem Speer befand. Hinter der Glasscheibe stand ein Mann. Er hob die Hand und winkte ihr lächelnd zu.
Unwillkürlich wich sie zurück und stieß mit dem Rücken gegen Petrow. Er grunzte und stieß ihr mit dem Lauf seiner Waffe in den Rücken.
Sie stolperte nach vorne.
Panisch glitt ihr Blick von dem Speer zu der Krankenliege und dann wieder zu den Männern.
Die Tür fiel krachend ins Schloss.
Petrow lachte.
Sie war gefangen.
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