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13. Wahre Gesichter

"IST ES DENN ZU FASSEN?! AAARGH!"
Noch total verschlafen, und aufgrund dessen automatisch schlecht gelaunt, ziehe ich mein Kissen unter meinem Kopf hervor. Was geht denn bei Amber ab? Ich will gar nicht wissen wie viel Uhr wir haben, meine Fresse! Ich versuche mithilfe des weichen Polsters die Lautstärke zu dämmen, indem ich mir damit die Ohren zuhalte. Womit habe ich es nur verdient, mir mit ihr das Zimmer teilen zu müssen? Gott ...
"UND WO IST JETZT MEIN HANDY?!"
Genau aufs Stichwort höre ich meins vibrieren. Ich hole es an mich heran und entdecke freudigerweise eine Nachricht von Nathaniel. Ich lasse das Kissen über meinem Kopf, halte mein Handy vor der Nase und stelle die Helligkeit des Displays auf die geringste Stufe. So dürfte ich kein Risiko eingehen, falls Amber interessieren sollte, wer mir geschrieben hat.
Nathaniel 💘: Guten Morgen! Ich hoffe du hast gut schlafen können. Ich persönlich habe so gut geschlafen, wie lange nicht mehr. Lag vermutlich an deinem Besuch gestern Abend. Ich freue mich dich nachher zu sehen ... ❤️
Ich muss kichern. Gerade war meine Stimmung noch im Keller, doch durch diese Nachricht wurde sie in Windeseile in den Himmel geschossen. Vor allem der letzte Satz ist schön.
"Was gibt es denn da zu lachen?", fragt Amber genervt und zieht mir das Kissen vom Kopf weg. Zum Glück reagiere ich schnell genug und sperre mein Handy noch rechtzeitig, ehe ich zurückfauche: "Verdammt, was soll das?!"
"Machst du dich lustig über mich, oder was?"
"Nein!" Ich richte mich in die Sitzposition auf. "Und ich verrate dir auch warum: Weil die Welt sich nicht nur um dich dreht, Amber!"
Sie guckt mich für einen Moment entsetzt an, ehe sie die Augen verdreht und zurück zum Spiegel geht. Ich habe keine Ahnung was ihr Problem ist aber sie ist meins, so viel steht fest!

Als ich den Frühstückssaal betrete stechen mir direkt zwei Personen ins Auge: Nathaniel, dessen blonde Haare so weich aussehen, dass ich am liebsten so lange durchwuscheln würde, bis mir die Hand abfällt, und Melody. Das ist wieder der Moment, in dem ich auf sie zusteuern will, sie vom Stuhl kicken und ihren Platz einnehmen will. Nathaniel hätte an sich bestimmt nichts dagegen, nur wäre meine Vorgehensweise nicht gerade die feine englische Art. Gut, ich bin Mexikanerin, aber die sind auch keine Rüpel. Ich nehme diese Situation hin und schnappe mir einen Teller. Vor den Brötchen sehe ich Lysander stehen. "Guten Morgen", begrüße ich ihn mit ruhiger Stimme. Irritiert schaut er nach links und rechts, bevor er sich zu mir umdreht und lächelt. "Guten Morgen, Lisa."
"Und, was sagst du zu der Frühstücksauswahl?"
"Sie ist spärlich aber ich bin nicht sonderlich zimperlich, wie du weißt."
"Ja, das weiß ich", grinse ich.
"Wie lautet deine Meinung dazu?"
"Das Frühstück von Zuhause ist mir lieber."
"Wem nicht?", fragt er rhetorisch und lacht in sich hinein. Es ist so ein leises Lachen, dass es schon fast in der Geräuschekulisse wieder verschwindet. Ich greife nach einem Körnerbrötchen und da fällt mir erst auf, dass Castiel nicht hier ist. "Schläft Castiel etwa noch?"
Lysander scheint gerade zu überlegen, ob er lieber Marmelade oder Honig auf seinem Brötchen haben will, und nickt nur auf meine Frage zurück. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist kurz vor Neun. Hoffentlich verschläft er nicht, denn das Frühstück macht in einer halben Stunde dicht. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Lysander gerade gehen will, sich aber dann doch wieder mir zuwendet. Ich sehe ihn an, in der Annahme dass er mir etwas zu sagen hat. "Ich warte auf dich", gibt er schließlich kund. Ich lächle ihm lieblich zu und entscheide mich flott für Erdbeermarmelade. Komischerweise habe ich eine leichte Abneigung zu Wurst und Käse, wenn sie in Jugendherbergen oder Hostelähnlichen Unterkünften, wie dieser hier, angeboten werden. Ansonsten kann ich mir mein Brötchen nicht ohne vorstellen. Ich gehe auf den viktorianisch angezogenen Jungen zu, der voran geht. Mir fallen besonders die Leute auf, die nicht zu unserer Klasse gehören. Wie gut die es haben. Sie haben Urlaub oder manche sind vermutlich bereits in Rente, ihrem Äußeren nach zu urteilen. Während ich mich so umschaue, stoßen meine Augen auf diese unsagbar schönen honiggelben. Nathaniel und meine Blicke treffen sich. Melody folgt seinen Augen und nun hat auch sie mich ins Visier genommen, allerdings beachte ich sie nicht weiter. Nathaniel lächelt mir glücklich zu, woraufhin ich das Selbe zurückgebe. Schnell lächle ich auch noch Melody an, damit sie nicht zu sehr Verdacht schöpft und stattdessen mein Verhalten als bloße Höflichkeit entschuldigt werden kann. Lysander lässt sich zwei Tische weiter von ihnen nieder. Rosalia sitzt dort bereits mit Alexy und Armin. "Guten Morgen, Lisalein!" Alexy springt auf, als er mich sieht, und gibt mir eine kurze aber innige Umarmung. "Wo warst du gestern Abend?"
"Ja, du warst nicht einmal bei uns", schmollt Rosalia.
"Ich bin früh schlafen gegangen, ich war ziemlich müde." Ich werde ihnen wann anders die Wahrheit erzählen. Mit Armin und Lysander am Tisch ist gerade ein ungünstiger Zeitpunkt dafür.
"Aber heute Abend kommst du uns nicht so leicht davon!" Alexy setzt sich hin und auch ich begebe mich auf meinen Platz.
"Renn, solange du noch kannst!", flüstert Armin mir grinsend zu und hält dabei eine Hand als Schutz vor sein Gesicht, als würde diese dagegen wirken, dass sein Zwillingsbruder seine Botschaft an mich mitbekommt. Dieser wirft ihm daraufhin einen genervten Blick zu. "Idiot!"
"Du kennst mich, allerliebster Bruder", grinst der Schwarzhaarige und beißt anschließend in sein belegtes Brot.
"Du warst auch früh weg", spricht Rosalia Lysander an. "Bleib heute Abend auch bei uns!"
"Mal sehen. Ich entscheide das spontan."
"Ach, Lys!"
"Ich habe doch nicht nein gesagt."
"Aber auch nicht ja!"
Seine Mundwinkel zucken daraufhin einen Augenblick. Ich beginne mein Körnerbrötchen aufzuschneiden, als ich Melody laut lachen höre. Automatisch richtet sich mein Blick auf sie aus. Nathaniel lacht ebenfalls, allerdings wesentlich dezenter. Plötzlich spüre ich einen Blick auf mir. Ich sehe zu Lysander, der mich in meiner Handlung offenbar beobachtet hat. Er zieht fragend seine Augenbrauen hoch, worauf ich nur leicht, und möglichst unschuldig, lächle. War meine Beobachtung der beiden schon zu auffällig?

Beim Zusammentreffen der ganzen Klasse, um zum zweiten Mal die Skier und Snowboards unter die Füße zu klemmen, bin ich kaum weniger nervös als gestern. Ich bin gerade dabei mir das selbe Paar von gestern zu schnappen, als mir eine Hand auf die Schulter gelegt wird. Erschrocken drehe ich mich um und blicke Kentin in die Augen. "Warte mal", fordert er und geht an mir vorbei, zu der Auswahl an Ausstattung, die uns zur Verfügung steht. Viel ist nicht mehr davon übrig und ich schaue ihm skeptisch nach. Als er sich wieder zu mir wendet, entdecke ich ein rosafarbenes Snowboard in seinen Händen. Ich muss kichern: "Sehr männliche Farbe!"
"Du Witzbold, das ist natürlich für dich!"
Nicht, dass ich das nicht bereits geahnt hätte. Begeisterung darüber ziert mein Gesicht allerdings nicht. Dem Brünetten entgeht das nicht und er grinst mir aufmunternd zu. "Gestern hat es ja nicht so gut geklappt mit den Skiern, vielleicht solltest du es heute mal hiermit versuchen!" Er hält mir das Snowboard entgegen. Zögernd nehme ich es an. Zeitgleich kommt Castiel auf uns zu und fragt mich lachend: "Was hast du denn damit vor?"
"Das weiß ich ehrlich gesagt auch noch nicht ..."
"Ein Versuch ist es wert", grinst Kentin mit nach oben gehaltenem Daumen. "Du musst nur dein Gleichgewicht halten!"
"Das sagst du so leicht ..."
Castiel lacht erneut. "Bestimmt wird das noch lustiger, als deine Vorstellung von gestern!"
Ich schiebe ihn zur Seite, jedoch bloß wenige Zentimeter von mir weg. Er hat noch immer nicht aufgehört zu lachen, als er zurück zu Lysander geht. So ein Depp ... Letztendlich setze ich mir das Snowboard unter die Füße. Ich bin als Fünfte an der Reihe, die Piste runterzugleiten. Geheuer ist mir das nicht, doch wenn ich sehe, wie leichtfertig Kim hinunter fährt, will ich genauso gut sein wie sie. Vor mir ist Viola dran. Gestern war ich so fokussiert auf mich selbst, dass ich gar nicht mitbekommen konnte, ob sie nun Skifahren kann oder nicht. Jetzt hat sie aber meine volle Aufmerksamkeit. Langsam bewegt sie sich mit ihren Skistöcken nach vorne, um Abschwung zu nehmen und folglich sehe ich ihr an, wie angestrengt sie versucht die korrekte Körperhaltung zu bewahren. Auf einmal passiert es: Sie gerät ins Schwanken und fällt hin. Ich schaue zu unserem Lehrer, um seine Reaktion abzuwarten, doch alles was er sagt ist: "Lisa! Du bist jetzt dran!"
"W-Wie ... Ähm ..." Ich stelle mich seitlich hin. Anschließend ziehe ich meine Skibrille runter. Scheiße, wie soll das funktionieren?!
"Du schaffst das!"
Mr. Faraizes Worte helfen nicht annähernd, dennoch wage ich den Sprung ins kalte Wasser. Ich nehme die Position einer Hocke ein, hüpfe mit dem schweren Brett unter meinen Füßen noch etwas nach vorne und schon beginne ich zu fahren. Erst langsam, dann immer schneller. Mein Herz schlägt wie wild und ich versuche nicht zu sehr zu wackeln. Mithilfe meiner Arme gelingt es mir einigermaßen meine Haltung nicht zu verlieren, doch plötzlich nimmt das Tempo so schnell zu, dass ich deutlich Schwierigkeiten dabei bekomme und als wäre das nicht schon genug, erkenne ich aus dem Augenwinkel Nathaniel an mir vorbei flitzen. Er wirft dabei einen kurzen Blick zu mir zurück, den ich allerdings schnell wieder aus meiner Sicht verliere, aufgrund von weiterer aufkommender Turbulenzen: Ich verliere das Gleichgewicht, zapple wild mit dem Körper nach vorne und hinten, bis ich überraschenderweise abgefangen werde. Ein schreckhaftes Geräusch entflieht meiner Kehle. Alles was ich gerade sehe, ist die strahlendblaue Farbe des Skianzugs vor mir. Ich neige meinen Kopf nach oben und werde dabei ein wenig von der Sonne geblendet. Nathaniel schiebt seine Skibrille rauf. Sein Gesichtsausdruck sieht verwundert aus, sofern ich ihn überhaupt erkennen kann, ehe er beginnt mich warm anzulächeln. "Du hast eine längere Strecke zurückgelegt, als gestern", lobt er mich und rückt mir meine Skibrille ebenfalls aus dem Gesicht sowie ein paar Haarsträhnen. Mir steckt noch immer der Schock in den Knochen, ebenso wie die Erleichterung darüber, dass er mich davor bewahrt hat, im Schnee zu landen. O Gott, wie nahe ich ihm gerade bin! Ich wage einen kleinen Spinkser in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Werden wir angestarrt oder sieht das durch die Entfernung nur so aus? Ich lenke meine Augen wieder auf ihn. Und dann sind da auch noch seine Lippen! So nahe ... Herrje! Widerstand ist zwecklos, sollte man meinen. Herzklopfen breitet sich nicht nur in meiner Brust aus, so stark ist es. Ich löse mich langsam aus seinen Armen. "D-Danke ..."
"Morgen kannst du es noch besser, da bin ich mir sicher!"
Jetzt muss auch ich strahlen. "Ich hoffe du behältst recht."
"Fahr noch ein Stück weiter!"
"Also, eigentlich wollte ich jetzt wieder zu- ..."
"Übung macht den Meister. Außerdem werde ich wieder zu dir eilen, bevor du hinfällst." Charmant senkt er seinen Blick ein wenig, lächelt mich aber weiterhin an. Wenn ich mich nicht täusche, entdecke ich eine leichte Rötung in seinem Gesicht, bevor er seine Skibrille wieder aufzieht. Jedoch könnte genauso gut das grelle Sonnenlicht mir das vorgaukeln. Ich komme gar nicht dazu, noch etwas zu sagen, denn er ist schon wieder weg. Ich folge seinem Ratschlag und versuche weiterzufahren.
Mit Erfolg.

Nach der Skisession von heute begebe ich mich, gemeinsam mit Alexy, auf den Weg zu meinem Zimmer. Er hat gesehen, wie Nathaniel und ich auf der Piste beieinander standen und löchert mich mit Fragen: "Wolltest du ihn küssen?"
"Du ... Natürlich", lache ich.
"Hättest du das gemacht, wäre das ja so ein Schock für alle anderen gewesen!"
"Genau deswegen reiße ich mich ja auch zusammen."
"Aber es wäre obendrein wirklich cool und selbstsicher rübergekommen!"
"Oh, Alexy." Grinsend rolle ich mit den Augen. "Du machst mich fertig!"
"Lisalein. Ich sage dir nur was Sache ist!"
Wir fangen beide gleichzeitig an zu lachen. Dann aber wird mein bester Freund wieder neugierig: "Sag mal, was hast du gestern Abend getrieben?"
"Hm?"
"Ich merke wenn du uns was vorgaukelst!"
"Achso, ja." Ich begreife was er meint und erinnere mich an heute Morgen, als ich Rosalia und ihm erzählt habe, ich wäre früh ins Bett gegangen. "Das lag aber an der Anwesenheit von deinem Bruder und Lysander."
"Dachte ich es mir doch!" Stolz grinst er vor sich hin. "Nun erzähl schon!"
"Ich war anfangs mit Kentin verabredet."
"WAS", schreit er überrascht auf. Ich halte ihm schnell den Mund zu, obwohl sich niemand, bis auf uns, auf diesem Gang befindet. "Wio da dän?" Meine Hand verhindert die Deutlichkeit seiner Aussprache aber ich verstehe ihn trotzdem. Ich ziehe sie wieder zurück und antworte: "Er wollte sich mit mir unterhalten, aber über nichts spezielles. Ich hingegen wollte die Chance nutzen, um das Thema auf dich zu lenken."
Alexy verzieht das Gesicht. Begeisterung sieht anders aus. "Und weiter?", hakt er nach.
"Naja, er hat alles abgestritten, bis auf dass ihr euch geküsst habt. Wie hätte er das auch machen sollen, ich habe euch schließlich gesehen und das weiß er ja schon länger."
"Also hat er auch dir gesagt, dass das ein Fehler war und er keine tieferen Gefühle für mich hat, als Freundschaft?"
Es bricht mir ein wenig das Herz, ihm das zu bestätigen. Gemächlich beginne ich zu nicken. "War ja klar", seufzt er.
"Willst du, dass ich weiter erzähle?"
"Ja, bitte!"
"Nathaniel kam plötzlich dazu. Zwar unter einem Vorwand aber schlecht war der Zeitpunkt natürlich trotzdem."
"Oh man! Ist die Situation eskaliert?"
"Nein, zum Glück nicht. Aber die Angespanntheit lag dick in der Luft! Nachdem Nathaniel weg war, habe ich auch kurzerhand das Gespräch mit Kentin aufgelöst, da es ohnehin zum scheitern verurteilt war. Damit meine ich im Bezug auf meine eigentliche Absicht. Also haben sich unsere Wege erstmal getrennt, bis ich ihm dann gefolgt bin. Er ist auf sein und Nathaniels Zimmer gegangen und ich wartete, in einer dunklen Ecke, dass er dort wieder rauskommt. Oder vielmehr gehofft habe ich das! Irgendwann war es dann so weit und er ist rausgegangen."
"Okaaay ... Ich bin gerade echt gespannt!" Seine Miene erheitert sich wieder.
"Ich habe die Initiative ergriffen und an die Tür geklopft. Nathaniel hat sie mir geöffnet und ich hatte eigentlich erwartet, dass er genervt oder sauer oder irgendwas in der Richtung ist aber ganz im Gegenteil, er war froh mich zu sehen, hat mich zu sich herein gezogen und mich geküsst und ..." Ich verstumme. Ich spüre wie ich dabei bin feuerrot anzulaufen. Reflexartig halte ich mir beide Hände vor die Wangen. Sie glühen richtig. Alexy beginnt zu kichern und wackelt folglich mit den Augenbrauen. Er kommt meinem Gesicht ein Stück näher und flüstert: "Ihr beide habt es faustdick hinter den Ohren!"
"Alexy!!!"
Er umarmt mich herzlich. "Ich ärgere dich doch nur ein wenig, Kleine! Freut mich, dass du einen schönen Abend hattest."
"Dankeschön, das ist süß von dir!"
"Oder sollte ich eher sagen: Einen heißen Abend?"
"Maaan", lache ich verlegen und drücke ihn wieder weg. Er kriegt sich kaum ein und ist offensichtlich kurz davor sich an seinem Gelächter zu verschlucken. So gefällt er mir aber hundertmal besser, als niedergeschlagen, wie noch vor ein paar Minuten. Plötzlich sehe ich Kentin uns entgegen kommen. Er lächelt mir zu, Alexy ignoriert er aber gekonnt. Im Anschluss seines ebenso schnellen Abgangs wie Auftretens werfe ich einen besorgten Blick zu dem Blauhaarigen rüber. Er lächelt mich bestmöglich an. "Es ist doch total bescheuert", gebe ich genervt kund.
"Er redet nur noch mit mir, wenn es wirklich von Nöten ist."
"Ich kann meinen Satz von gerade nur wiederholen!"
Er zuckt mit den Schultern, als hätte er sich daran gewöhnt. Nein! Ich hole mein Handy aus der Tasche und öffne meinen und Kentins Chat, um ihm zu schreiben. Alexy guckt mir dabei zu, bis er ahnt, was ich vorhabe. "Willst du das wirklich nochmal machen, wenn es gestern schon nichts gebracht hat?"
"Ja!" Entschlossen beginne ich zu tippen. "Wenn es sein muss, mache ich es auch noch zehn Mal, bis dieser Junge seinen Mund auf macht und endlich Klartext mit mir spricht!"
Anfangs habe ich wirklich respektiert, dass er nicht mit mir reden wollte aber langsam liegen meine Nerven blank. Es ist akzeptabel, wenn er Alexy nicht liebt, aber es ist zum verrückt werden, wenn er ihn seitdem wie Luft behandelt.
Ich: Komm in einer Stunde auf mein Zimmer, okay? Bevor es Abendessen gibt.
Bis heute Abend will ich auch nicht mehr damit warten. Nachdem ich die Nachricht verschickt und das Handy wieder weggepackt habe, lächle ich Alexy zu und versichere: "Das verspreche ich dir." Ich habe beide viel zu gern, um dir das noch länger mitansehen zu können. Es vibriert in meiner Hosentasche. Demzufolge zücke ich den Verursacher wieder hervor und lese die Antwort.
Kentin: Alles klar! :)
Jetzt heißt es nur noch warten.

Alexy ist zurück auf sein Zimmer gegangen und ich hänge nun auf meinem fest. Warum ich festhänge?
"Dieser Muskalkater, er bringt mich noch um", krächzt Amber und legt sich theatralisch den rechten Arm über die Stirn.
Deswegen.
"Nimm eine heiße Dusche", schlage ich ihr vor. "Eigentlich kenne ich nur, dass ein heißes Bad helfen soll, aber eine Dusche wird es bestimmt auch tun."
"Ich brauche deine Ratschläge nicht."
"Schon gut, schon gut", antworte ich mehr oder weniger beleidigt und halte meine beiden Hände hoch. "Ich wollte bloß nett sein."
"Und wieso? Was willst du?"
"Nichts, keine Sorge. Man kann auch ohne Absichten freundlich zu seinen Mitmenschen sein, weißt du?"
"Pff. Wo ist da der Sinn?"
Ich seufze leicht. "Kann ich dich was fragen, Amber?"
"Hast du schon."
Wow. Sie klugscheißt. Da sehe ich doch glatt eine kleine Ähnlichkeit zu Nathaniel. Was wären die beiden auch für Zwillinge, wenn sie keinerlei Gemeinsamkeiten hätten? Ich lehne mich ein wenig vor, bleibe jedoch auf der Bettkante sitzen und stütze mich wieder mit meinen Händen darauf ab. "Tust du eigentlich immer so ..." Achtung, Lisa! Achte auf deine Wortwahl! "... Fies", fahre ich mit Gänsefüßchen-Handzeichen fort, "oder bist du wirklich so?"
"Was soll DAS denn heißen?", keift sie zurück. Womöglich auch berechtigt, weil das keine schöne Frage ist, die ich ihr da gestellt habe. Aber irgendwann muss ja mal jemand das aussprechen, was viele ohnehin schon denken. Zumindest fragen Rosalia und ich uns das schon seit ich auf die Sweet Amoris gekommen bin. "Ich frage ja nur", verteidige ich mich.
"Du hast ja überhaupt keine Ahnung! Ich kann bloß dich nicht ausstehen!" Sie verdeutlicht ihren Satz, indem sie den Zeigefinger auf mich gerichtet hält. Nun setzt auch sie sich weiter nach vorne, auf die Bettkante. Eineinhalb Meter trennen uns noch voneinander. Ich gehe auf ihre Antwort ein: "Und warum nicht?"
"Hoar, hatten wir das Thema nicht schonmal?!"
Ich zucke mit den Schultern, woraufhin ich kurz überlege. Soweit ich mich erinnere nicht aber mein Gedächtnis ist auch nicht immer in Höchstform, also würde ich es nicht garantieren. Genervt schlägt sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und behält sie auch noch eine Weile dort. Ich lege den Kopf in die Seite und warte darauf, dass sie unser Gespräch fortsetzt. Schweigen bricht ein und ihr Blick erwidert meinen nicht, bis sie kurz aus dem Fenster schaut und dann wieder zu mir. "Du hältst dich einfach für was besseres, schon seit du hier angekommen bist!" Ihre Stimmlage klingt unerwartet nicht mehr so, als würde sie nach Streit suchen. Vermutlich klang Kentin gestern Abend genauso, als er mit Nathaniel über mich gesprochen hat. Ich schüttle nur den Kopf auf ihre Annahme hin. Sie ist aber noch nicht fertig, denn sie fährt fort: "Du bist ja ach so schlau und beliebt! Brauchst jede Aufmerksamkeit die du kriegen kannst, vor allem Castiels! Tust auf unscheinbar und nett, wie gerade eben auch, und das, was mich immer noch am meisten aufregt ist, dass du ausgerechnet mit meinem Bruder zusammenkommen musstest!"
Ich presse die Lippen aufeinander, während ich mir ihre Gründe anhöre. Als ich merke, dass sie nichts mehr zu sagen hat, versuche ich achtsam etwas auf ihre genannten Aspekte zu replizieren. "Ähm", beginne ich zögernd, "also erstmal bin ich nicht unbedingt schlau. Ich lerne bloß so viel, wie es nötig ist."
"Oh, toll", antwortet sie sarkastisch, doch ich lasse mich davon nicht bremsen.
"Und ob ich beliebt bin weiß ich nicht aber ich brauche auf keinen Fall Aufmerksamkeit? Vor allem nicht Castiels. Das ist irgendein Hirngespinst, das du dir da aus Eifersucht aufgebaut hast!"
"Eifersucht?!"
"Du liebst ihn doch, oder nicht?"
Ich entdecke wie sie rot wird. Fraglich ob aus Scham oder Wut. "Was geht dich das an?!"
"Wie dem auch sei", lenke und winke ich ab. "Auf unscheinbar tue ich auch ganz bestimmt nicht und nett ... Ich schätze ich bin einfach so? Damit will ich aber auch nicht sagen, dass ich immer nett bin. Ich kann auch ganz anders, hast du ja heute Morgen gemerkt", gebe ich grinsend zu, doch der Gesichtsausdruck, den ich von ihr ernte, ist weniger anregend. "Und was deinen Bruder angeht ..." Gut, hier muss ich noch vorsichtiger sein, als vorher. "Naja, ich kann mir auch nicht aussuchen, in wen ich mich verliebe."
Sie verdreht die Augen. "Komm mir nicht mit der Tour."
"Aber es stimmt doch? Denk mal nach, Amber. Hast du dir eines Tages gedacht 'Ach, ich glaube ich bin jetzt einfach mal in Castiel verliebt'? Nein, oder?"
Eine Antwort kommt nicht zurück, was mich aber auch nicht sonderlich stört, da das sowieso vielmehr eine rhetorische Frage war.
"Irgendwas oder sogar mehrere Ereignisse haben dich erkennen lassen, dass er toll ist. Dass er vielleicht sogar perfekt für dich ist. Das ist nicht wie shoppen gehen, wo du dir einfach das schönste Teil schnappst, bezahlen gehst und dann ist die Sache abgeschlossen. So einfach ist das nicht." Unsicher darüber ob das ein guter Vergleich war sehe ich sie an. Ihre Mimik verändert sich. Lässt sie sich etwa tatsächlich meine Worte durch den Kopf gehen? "Außerdem weißt du doch, dass mir Nathaniel wirklich etwas bedeutet hat. Meintest du zumindest."
"Ja", erwidert sie plötzlich.
"Siehst du. Es ist nunmal passiert und da kann ich auch nichts dran ändern."
"Moment ... Heißt das etwa, dass du ihn immer noch liebst?"
Wie ... O Gott! Diese verfluchten Zeitformen! Warum muss sie das auch so gut heraushören?! Ich gebe schnell, möglichst überzeugend und mit bestimmten Betonungen zurück: "Oh, tut mir leid! Ich meinte natürlich, dass es nunmal passiert war und dass ich da auch nichts mehr dran ändern kann, weil es ja in der Vergangenheit liegt!" Scheiße. Diese Lüge riecht man doch auf zehn Kilometer schon! Gott, ich bin so dämlich manchmal!
"Mhm", antwortet sie.
Los, Lisa, lass dir was einfallen!
"Und außerdem musst du es so sehen", spreche ich weiter, "besser Nathaniel als Castiel." Ich grinse schief und die Vermutung, dass ich es mir jetzt wirklich bei ihr vermasselt habe, verstärkt sich. Jedoch steht sie bloß auf und sieht sich im Spiegel an, während sie versucht ihre Lockenmähne zu richten. "Hm", murmelt sie. "Ein bisschen recht hast du, zugegeben."
WAS?!
Sie dreht sich wieder zu mir um und verschränkt die Arme vor der Brust. "Über den letzten Punkt kann ich wohl doch hinwegsehen. Castiel wäre echt schlimmer gewesen, als mein Bruder", offenbart sie mir mit schiefgesetzten Mundwinkeln. "Vielleicht ändert sich meine Meinung ja auch noch über dich, in den nächsten Tagen. Immerhin sind wir dazu verdonnert gemeinsam auf einem Zimmer zu sein."
"Vielleicht", wiederhole ich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
Sie mustert mich streng, bevor sie ihre weißen Stiefel anzieht. Als sie sich auf den Weg zur Tür macht, glaube ich dieses Gespräch überstanden zu haben, doch dann wendet sie sich noch einmal halb zu mir und gesteht: "Gerade warst du jedenfalls nicht so ätzend, wie sonst." Sie schließt die Tür hinter sich.
Ich schätze das ist ein Anfang.

Ich warte und warte und warte auf Kentin, doch er will einfach nicht kommen. Dabei ist eine Stunde schon längst vorbei und ich fange langsam aber sicher an mich zu langweilen. Musik hören ist schließlich keine besonders anspruchsvolle Beschäftigung. Immerhin ist Amber gegangen, ohne dass ich sie darum bitten musste. Bestimmt ist sie zu ihren zwei Lakaien gegangen. Hm. Vielleicht sollte ich eine andere Bezeichnung für Charlotte und Li verwenden, wenn ich will, dass sich Ambers und mein Verhältnis bessert. Auch wenn sie das nicht gehört hat. Auf einmal geht die Tür auf und Kentins Kopf linst zu mir rüber. Er grinst, als er mich sieht und kommt schließlich komplett herein. Ich ziehe mir die Kopfhörer aus den Ohren und setze mich hin. Endlich!
"Ich dachte schon du wärst verschollen gegangen", lache ich und er kommt zu mir, um mich in die Arme zu nehmen. Er entschuldigt sich: "Tut mir leid. Ich habe irgendwie die Zeit verpeilt."
"Schon in Ordnung." Er lässt mich wieder los und setzt sich neben mich. Das Bett wippt auf und ab dabei. Plötzlich vibriert mein Handy und es leuchtet 'Nathaniel 💘' auf. Er hat mir eine Nachricht geschrieben. Allerdings komme ich jetzt nicht dazu sie zu lesen. Stattdessen lege ich schnell die Tastensperre wieder ein und drehe es um, sodass der Bildschirm verdeckt ist. Ich lächle Kentin an. "Ich wollte mich nochmal ein wenig mit dir unterhalten. So ganz allein, unter vier Augen."
"Gerne! Ich hatte gehofft, dass gestern nicht das letzte Mal sein würde."
"Aber versprich mir dass du nicht sauer wirst, wenn i-"
"Lisa ..."
"Ja?"
Seine Miene verfinstert sich. "Bitte sag mir jetzt nicht, dass du über das Selbe, wie gestern, reden willst."
"Ähm ... Schon ..."
Er stößt einen tiefen Seufzer aus, der wirklich laut und dröhnend ist. Damit habe ich die gute Stimmung auch gleich wieder zerstört. Vielleicht hätte ich doch noch ein wenig warten sollen. Jetzt ist es aber auch schon zu spät und ich kann die zerbrochenen Teile, der angenehmen Atmosphäre, nicht wieder zusammen kleben. Kentin lässt sich leicht nach hinten fallen und wird von der Wand gestoppt. "Ist das das Einzige, worüber du noch mit mir sprechen willst?"
"Nein, Kentin", schmolle ich schon fast. "Ich möchte bloß, dass du dich mir gegenüber öffnest."
"Aber das habe ich doch gestern bereits?"
"Ich werde es dir immer wieder sagen, wenn es sein muss: Du kannst mir nichts vormachen!" Ich versuche Ruhe zu bewahren. Abrupt beugt er sich zu mir vor und sieht mir tief in die Augen. "Du bist dir da viel zu sicher, Lisa", sagt er gelassen.
"Ich bin da anderer Meinung", entgegne ich im selben Tonfall.
"Soll ich dir beweisen, dass ich ernst meine, was ich gesagt habe?"
"Du sollst mir einfach vornherein die Wahrheit sagen. Wenn du das machst, komme ich gar nicht erst auf die Idee deine Worte zu hinterfragen."
Er weicht kurz meinem Blick aus, wodurch ich mir nur noch sicherer werde, dass er mich angeschwindelt hat. Seine smaragdgrünen Augen lässt er dann aber wieder auf meine schokoladenbraunen treffen. Er holt Luft, als würde er sich jeden Moment in einen tiefen Pool stürzen und tauchen wollen. Meine Augenbrauen ziehen sich ein wenig zusammen. "Weißt du", beginne ich vorsichtig, "ich möchte nur nicht, dass meine zwei besten Freunde sich länger ignorieren, nur weil es bestimmte ... Vorfälle gab."
"Ich habe aber keine Ahnung, wie ich jetzt mit ihm umgehen soll", gibt er zu. Endlich. Jetzt bewegen wir uns langsam auf den richtigen Pfad! "Es war ein Fehler und er sieht das nicht so, wie ich."
"Hast du ihm das mal gesagt?"
"Ja! Ich habe förmlich versucht ihm einzutrichtern, dass ich es bereu-"
"Nein. Nicht das!" Er sieht mich an wie ein Welpe, der sich erschrocken hat. "Ich meinte, dass du nicht weißt, wie du dich ihm gegenüber verhalten sollst."
Er schüttelt mit dem Kopf. "Warum auch?"
"Weil es nur fair ist, Kentin."
"Okay, ich mache das, wenn es dich zufrieden stellt."
"Nein, nein, nein. Es geht bei der Sache doch nicht um mich, sondern nur um euch beide!"
"Alles klar", gibt er seufzend nach. "Ich werde mit ihm sprechen."
"Wirklich?" Die Sonne geht in meinem Gesicht auf.
"Ja." Nun lächelt auch er wieder.
"Das ist toll! Vielleicht könnt ihr euch noch mehr aussprechen!"
Ich komme mir vor wie eine Partnervermittlerin oder Paartherapeutin, doch ich freue mich gerade so sehr darüber, dass Kentin mir endlich wieder entgegenkommt, sodass das völlig außen vor ist. Doch unerwartet schüttelt er wieder mit dem Kopf. "Das ist nicht nötig."
"Wie ... Wieso nicht?"
"Weil ich mir über alles im Klaren bin." Er beugt sich noch weiter vor, sodass sich unsere Gesichter ganz nahe sind. Er lächelt leicht.
"Kentin ..."
"Ich liebe dich."
Mein Atem setzt aus.
"Ich liebe dich, Lisa."
Und es sieht auch nicht so aus, als käme er so schnell wieder zurück.
"Ich liebe dich. Schon so lange und es scheint auch kein Ende in Sicht zu sein." Er erhebt seine rechte Hand von meiner Bettdecke und streichelt mir anschließend mit dieser über die Wange. Ich greife nach seiner Hand, jedoch nicht um diese festzuhalten, sondern wieder zurück aufs Bett zu legen. Er folgt meiner Handlung mit seinen Augen. "Ehrlich", beteuert er. "Ich liebe dich! Seit du mir damals im Kindergarten die Brille wieder aufgesetzt hast weiß ich, dass ich dich liebe."
"Kentin, du ..." Ich kann nicht weitersprechen. Seine Augen strahlen. Es ist aber kein gewöhnliches Funkeln, wie ich es sonst von ihm gewohnt bin, das sich in ihnen abzeichnet. Sie wirken glasig auf mich. Bilden sich etwa ... Tränen in ihnen? Ich streiche ihm ein paar seiner braunen Strähnen aus dem Gesicht. Mein Eindruck verstärkt sich. Seine Lippen beginnen zu zittern und seine Stirn sich zu runzeln. Was passiert hier gerade? "Hey ... Was hast du?", frage ich sanft nach. Jetzt bin ich diejenige, die ihm über die Wange streichelt. Er ist mittlerweile leichenblass. Ich sehe nicht mehr dem Kentin in die Augen, der auf der Militärschule hartes Training absolvieren musste. Dem, der Mumm entwickelt hat und sich nicht mehr alles gefallen lässt. Dem, der der sportlichste Typ ist, den ich kenne. Nein. Dieser Kentin, der gerade vor mir sitzt, ist gefüllt von Emotionen und er scheint jeden Moment zu platzen. Er senkt seinen Blick und sein Körper zittert, nicht mehr nur seine Lippen. Ich will ihm ins Gesicht schauen, doch er lässt mich nicht. Ich weiß gar nicht, was ich machen soll. Einfach zugucken kann ich nicht. Solch ein Anblick ist nicht zu ertragen! Ich erscheine mir so hilflos und unnütz in dem Moment, in dem einer meiner liebsten Menschen kurz davor ist, vor mir zusammenzubrechen. "Ken-"
"Lisa", unterbricht er mich entschlossen. Er baut erneut Augenkontakt auf, dennoch sind seine Augen nicht weniger glasig geworden. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände. Schnell packe ich nach seinen Handgelenken, um ihn gar nicht weiter verfahren zu lassen. "Bitte, lass mich dich küssen!" Er klingt nicht wütend, über meine Reaktion, bloß unendlich traurig. Ich erfülle seinen Wunsch selbstverständlich nicht aber komme näher auf ihn zu, um infolgedessen meine Arme um seinen Hals zu platzieren. Als wäre das der Gipfel des Ganzen gewesen, fängt er plötzlich an zu schluchzen. Ich lege meinen Kopf auf seinem ab. "Li-Lisa", wimmert er. "Lisa!" Ich streichle ihm sanft durchs Haar, in der Hoffnung dass ich ihn damit ein wenig besänftigen kann. Es fällt mir schwer jetzt nicht auch anzufangen zu weinen. Gegenwärtig schlingt er seine kräftigen Arme um meine Mitte und zieht mich so eng an sich ran, dass kein Platz mehr zwischen uns frei ist. Seine kleinen Schluchzer werden größer und lauter. Seine Körperhaltung krümmt sich und er vergräbt sein Gesicht in meiner Brust. "I-Ich", stottert er unbeholfen, "weiß nicht w-was mit mir los ist!"
"Es ist nichts falsch mit dir, Kentin ..."
"Ich wollte doch immer nur dich küssen! Ich habe dich immer geliebt!"
"Ich weiß ...", antworte ich ruhig.
"D-Das ergibt alles kei-keinen Sinn!" Ich drücke ihn so feste ich kann. Ich will gar nicht wissen, wie lange er dieses Weinen unterdrückt hat. Oder ob er des öfteren in letzter Zeit geweint hat, nur dabei ganz alleine war. "Bi-Bitte küss mich und dann ... dann habe ich Antworten! Dann bin ich mi-mir sicherer! Bestimmt!"
Ich drücke ihm einen kleinen Kuss ins Haar. "Nein."
"Bitte!!!", ruft er verzweifelt aus.
"Das wird dir nicht helfen, Kentin." Ich sage das nicht nur, weil ich durch solch eine Aktion Nathaniel betrügen würde. "Alleine dass du schon in diesem Gefühlschaos steckst, beweist dir, dass deine alten Gefühle für mich ab sofort der Vergangenheit angehören."
"Nein! Ich liebe dich!"
"Ich glaube dir, dass du liebst aber nicht mich. Nicht mehr ..."
"I-Ich verstehe es ein-einfach nicht", schluchzt er und sein Körper bebt dadurch. "Du warst doch immer meine Liebe ... Wieso ... Wieso jetzt nicht mehr ... ?"
"Gefühle können sich eben schnell ändern. Ohne dass du es anfangs überhaupt realisieren kannst und ehe du dich versiehst haben sie dich auch schon eingenommen."
"Ich bin s-so verwirrt, Lisa ..."
"Aber ich bin für dich da." Ich verkrieche meine Nase in seinem Haar. "Ich werde immer für dich da sein."
Sein Schluchzen verringert sich allmählich wieder, bis die Stille zurück in den Raum einkehrt. Gerade braucht es nicht viel an Worten. Wir verweilen in dieser festen Umarmung. Unsere Körper wärmen sich gegenseitig auf und vermitteln offenbar gleiches Wohlbefinden, denn als ich erneut versuche Kentin anzusehen, stoße ich dabei auf geschlossene Augen seinerseits. Er ist bestimmt erschöpft von diesem Gefühlsausbruch. Während ich ihm weiterhin durchs Haar und über den Nacken streichle, vibriert jählings die Matratze unter uns. Eventuell hat Nathaniel mir wieder geschrieben aber gerade muss er warten, denn jetzt muss ich für meinen Freund Kentin da sein und er braucht mich schätze ich gerade dringender, als jemals zuvor.
Als Kentin seinen Kopf anhebt und mir in die Augen blickt, erkenne ich wie seine ringsum errötet sind. Ich lächle ihn warm an, wobei er sich wieder aufrichtet. Er versucht zurückzulächeln. Es macht den Anschein, dass ihm, was geschehen ist, sehr unangenehm ist. "Mach dir keine Sorgen", entlaste ich ihn, "ich werde niemandem davon erzählen."
"Ehrenwort?"
"Indianer-Ehrenwort!"
Jetzt lächelt er richtig. "Du bist toll. Ich weiß auf jeden Fall, warum ich dich all die Jahre geliebt habe."
"Das ist ein schönes Kompliment", entgegne ich verlegen. "Ich würde dir raten dich jetzt ein wenig unter die Anderen zu mischen. Ablenkung wirkt Wunder!"
"Ich denke ich werde erstmal aufs Zimmer gehen und dann deine Anweisung befolgen."
"Na! Ratschlag!"
"Ratschlag", wiederholt er lachend. "Wir sehen uns dann später. Ein andermal sprechen wir richtig weiter, okay?"
"Ja. Ich denke für heute ist es genug ... Ich habe dich lieb, Kentin." Früher habe ich das öfter zu ihm gesagt und er auch zu mir, doch je älter wir wurden, desto seltener haben wir diese Worte in den Mund genommen. Er steht auf, streift sich durchs Haar und antwortet lieblich: "Ich habe dich auch lieb, Kleine. Diesmal stimmt es auch zu hundert Prozent und ich verheimliche dir keine tieferen Gefühle."
Nachdem er gegangen und ich wieder alleine bin, nehme ich mir mein Handy und die darauf angekommenen Nachrichten vor.
Nathaniel 💘: Wo bist du? Rosalia und Alexy sind hier, in der Lobby, aber du nicht ...
Nathaniel 💘: Sehen wir uns morgen wieder, nach dem Abendessen? Ich habe einen schönen Ort entdeckt, den ich gerne mit dir teilen würde. Schreib mir bitte zurück. ❤️
Ich: Warum morgen erst, wenn auch heute geht? :)
Sekunden später erhalte ich bereits eine Antwort. Als hätte er auf heißen Kohlen gesessen!
Nathaniel 💘: Du hast recht, wie unüberlegt von mir! Wir treffen uns vor dem Getränkeautomat, im ersten Stock. Ich schreibe dir nachher genau wann!
Dass ich ihm seine erste Frage nicht beantwortet habe war Absicht. Das von vorhin wird Kentins und mein Geheimnis bleiben. Was für ein grausamer Mensch ich auch wäre, wenn ich ein Indianer-Ehrenwort brechen würde!
Ich: Wie der Herr es wünscht!
Nathaniel 💘: Ich bin nicht dein Herr ...
Ich: Haha, im Grunde genommen schon! ❤️
Nathaniel 💘: Okay. Das lasse ich gelten. ❤️
Nach diesem bisher turbulenzenreichen Tag habe ich mir einen schönen Abschluss mit meinem Freund verdient! Ich verlasse mein Zimmer, komme aber nicht weit, denn ich laufe im nächsten Moment auch schon in jemanden rein.

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