3 - Hicks
»Ich verstehe Frauen nicht.«
Gegenüber von mir am Esstisch lachte mein Vater auf. »Keiner tut das.«
Meine Mutter haute ihm spielerisch auf den Arm. »Das stimmt nicht. Wenn man zuhört und aufpasst und ihre Wege und Angewohnheiten lernt, dann ist es gar nicht so kompliziert.« Mein Vater nickte verständlich, warf mir aber einen Blick zu, der besagte, dass genau das das Schwierige war.
Meine Mutter schüttelte nur ihren Kopf. »Wie kommst du darauf, Hicks?«
Ich seufzte. »Astrid ist vorhin auf mich zugekommen, als ich an der Bushaltestelle gewartet habe.«
»Uhh, zwei Interaktionen in zwei Tagen, das ist ein neuer Rekord«, warf mein Vater dazwischen und trank grinsend einen Schluck von seinem Wasser. Meine Mutter stopfte sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund, um ihr eigenes Grinsen zu vertuschen.
»Was ich sagen wollte, ist, dass ich sie gefragt habe, ob wir uns in der Bibliothek treffen können, weil dort wenig Leute sind, und ob sie mich unter unseren Mitschülern weiterhin ignorieren könnte, weil ich keine Aufmerksamkeit auf mich lenken möchte.«
Meine Eltern seufzten fast gleichzeitig, sagten aber nichts. Sie waren nach all den Jahren mit meiner Denkweise vertraut, auch wenn sie die nicht gerne unterstützten. Sie wünschten sich, dass ich mehr aus mir herauskam, mit mehr Gleichaltrigen als nur Fischbein sprach, eben so war, wie früher. Bevor.
Allerdings verstanden sie, wieso ich nicht mehr mein altes Ich war und gaben mir meinen Freiraum. Am Ende des Tages war ich immerhin ein kluger, fleißiger, ordnungsgemäßer Sohn, auf den sie stolz sein konnten. Wenn das hieß, dass ich dafür nicht sehr sozial war, nahmen sie das hin.
Ich war für einen kurzen Moment leise, weshalb sie beide verwundert von ihren Tellern aufsahen. »Sie hat nein gesagt.«
Die Augenbrauen meines Vaters hoben sich fast bis zu seinem Haaransatz. Meine Mutter nickte langsam, weil sie nun den Zusammenhang zu meiner ersten Aussage verstand.
»Sie hat gesagt«, fuhr ich fort, »dass wir uns in der Bibliothek oder privat für das Projekt treffen können, aber sie mich auf den Fluren nicht ignorieren wird. Sie meinte, ich kann nicht ewig wie ein Gespenst die Schule heimsuchen.«
Meiner Mutter rutschte ein Lacher raus. Sie hielt sich sofort die Hand vor den Mund und sah mich mit funkelnden Augen an. »Tut mir leid, Schatz. Das ist nur ... eine lustige Ansicht.«
Ich sank ein wenig tiefer auf meinem Stuhl. »Super, dass du das lustig findest, Mom.«
Sie legte ihre freie Hand auf meine. »Ach, komm. So schlimm wird es schon nicht sein. Dann wird sie dich eben auf dem Flur begrüßen, davon werden die Leute nicht angerannt kommen.«
»Sie werden deshalb aber anfangen mich zu bemerken, was ich seit drei Jahren vermeide.«
»Ich glaube, du stellst dir das schlimmer vor, als es sein wird.«
»Astrid ist beliebt, Mom. Die Leute schauen sie ständig an und sprechen mit ihr. Einmal habe ich mitbekommen, wie ihr eine Gruppe zur Toilette gefolgt ist, weil sie wissen wollten, wo sie ihren Nagellack gekauft hat. Was ist, wenn mir das passiert?«
Mein Vater hob seine Gabel. »Also ich glaube nicht, dass dir ein paar Leute zur Toilette folgen, weil sie wissen wollen, wo du deinen Nagellack kaufst.«
Ich rollte mit den Augen, die beiden lachten leise vor sich hin. »Ihr wisst, was ich meine.«
»Ja, wissen wir, mein Schatz«, sagte meine Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen. »Aber ich glaube immer noch, dass es nicht so schlimm werden wird. Vielleicht spricht dich mal jemand an, davon geht die Welt nicht unter.«
»Meine wird es.«
Sie seufzte. »Ach, Hicks.«
»Deine Mutter hat recht«, sagte mein Vater und schluckte sein Essen hinunter. »Deine Mitschüler werden dich nicht auf einmal alle anstarren, wenn dich ein Mädchen begrüßt oder anspricht. Möglicherweise werden sie ihr alle Fragen stellen und dich weiterhin in Ruhe lassen.« Er zuckte mit den Schultern. »Du weißt erst, was passiert, wenn es passiert. Bis dahin solltest du versuchen, dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich weiß, das ist nicht leicht für dich, aber alles zu überdenken wird dich nicht weiterbringen.«
Ich hasste es, wenn sie recht hatten und mit Logik argumentierten. Mein Kopf konnte sich noch so viele Szenarien ausdenken, am Ende würde nur eine wahr werden, und es könnte sein, dass es eine war, an die ich nicht einmal gedacht hatte. Dass mich das nicht weiterbrachte, war mir bewusst, aber die ganzen Was wäre wenn?-Gedanken wollten nicht verschwinden. So funktionierte mein Hirn einfach: Über alles Schlechte nachdenken, was passieren könnte, bis der Zeitpunkt gekommen und vergangen ist.
Daher ließen mich Angst und Unsicherheit den ganzen Abend nicht in Ruhe. Mein Essen war bereits kalt, als ich die letzten Bissen aß. In der Dusche fielen mir das Shampoo und die Duschgel Flasche hinunter. Für mein tägliches Sudoku brauchte ich viel länger als gewöhnlich. Ich warf mich in meinem Bett Stunden lang hin und her, bis die Müdigkeit mich endgültig übernahm und ich in den Szenarien versank.
Als mein Wecker morgens klingelte, war ich Schweiß gebadet, obwohl es November und bereits ziemlich kalt war. Ich brauchte eine Sekunde, um zu realisieren, dass ich in meinem Bett lag und nicht in der Schule war. In meinem Traum hatte Astrid mich auf dem Flur begrüßt und war mit ihren Freunden normal weitergelaufen, aber alle anderen hatten sich mechanisch zu mir umgedreht, mich mit riesigen Augen angesehen und waren auf mich zugerannt. Als hätten sie mich zwischen ihnen und den Spinden totquetschen wollen. Ich schüttelte mich einmal, bevor ich aufstand und im Badezimmer verschwand.
Zehn Minuten später stand mein Vater in der Küche mit einer Tasse Kaffee in der Hand, eine Zeitung vor ihm auf der Kücheninsel ausgelegt. Er war ziemlich altmodisch, was solche Dinge anging. Er besaß zwar ein Handy, aber kein Social Media, nur WhatsApp und die App von der Firma, wo er arbeitete. Darüber wurde er am Laufenden gehalten, was dort passierte, da sie vor einigen Jahren das Schwarze Brett vor Ort abgeschafft hatten. Meine Mutter und ich hatten uns dann einen Vortrag darüber anhören dürfen, wie schlimm er es fand, dass alles digitalisiert wurde.
»Was ist mit den alten Menschen, die mit der ganzen modernen Technik nicht klarkommen? Wer hilft denen, wenn sie keine Familie oder Freunde oder Pfleger haben? Ich hatte schon Schwierigkeiten und ich bin mit meinen fünfundvierzig Jahren bei Weitem nicht alt! Wieso lässt man nicht beide Optionen, digital und gedruckt?«
Ich gab zu, dass er einige gute Punkte in seiner viel längeren Rede gehabt hatte, aber nach zwei Stunden hatte ich nur noch in mein Zimmer gewollt. Meine Mutter war zwischendurch eingeschlafen und jedes Mal hochgeschreckt, wenn er ein wenig lauter geworden war.
Er bemerkte mich erst, als ich am Kühlschrank stand und den Orangensaft rausholte. »Guten Morgen, Sohn.«
»Morgen, Dad«, sagte ich, während ich ein Glas aus dem Schrank nahm. »Was Interessantes passiert?«
Er schüttelte den Kopf. »Nur allgegenwärtige Nachrichten. Die Politiker werden immer älter, Fußball ist weiterhin der Weltsport, der Superbowl steht an. Das Wetter wird kühler, anscheinend wird bereits nächste Woche Schnee erwartet. Und die Weihnachtslichter werden bald in der Stadt aufgehangen.«
»Oh, das ist schön«, ertönte die Stimme meiner Mutter, welche daraufhin in der Küche erschien. »Ich liebe die vielen Lichterketten und Sterne und Tannenbäume.« Sie gab meinem Vater einen Kuss auf den Mund und mir einen auf den Kopf. Beide hatten schon deren Arbeitskleidung an; mein Vater einen dunkelblauen Anzug, meine Mutter das blaue Oberteil und die blaue Hose, die sie von der Tierarztklinik zur Verfügung gestellt bekommt. Ihr Namensschild hing ordnungsgemäß an ihrer linken Brust. Sie schüttete sich ebenfalls einen Kaffee ein, wonach wir alle drei nun in der Küche standen und an unseren Getränken nippten.
»Sehr nervös?«, fragte sie mich nach ein paar Sekunden und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
Ich nickte. »Wir treffen uns erst in der Mittagspause. Bis dahin versuche ich mich versteckt zu halten.« Sie seufzte in ihre Tasse hinein.
»Einen Vorteil hat das Projekt«, sagte mein Vater, der gerade die Zeitung umblätterte. »Hicks muss mit jemand Neuem sprechen. Er kann sich nicht davor drücken, wenn er eine gute Note will.«
»Ich würde das nicht als Vorteil bezeichnen«, murmelte ich, woraufhin sie beide lachten.
»Vergiss nicht, was ich gesagt habe«, sagte meine Mutter, weshalb ich sie mit gekrauster Stirn ansah. »Mach dir kein Bild von Astrid durch Gerüchte und Erzählungen. Lern sie kennen, ohne sie vorher in eine Schublade zu stecken. Wer weiß, vielleicht gewinnst du eine zweite Freundschaft.« Ich bezweifelte das zwar, nickte aber.
Wir tranken zu Ende und verließen zusammen das Haus. Während sie mit den Autos losfuhren, lief ich zur Bushaltestelle und wartete auf den gelben Schulbus, der nach zehn Minuten um die Ecke bog. Mein Stammplatz hinter dem Fahrer war wie immer leer. Das Gesumme der Gespräche verstummte und wurde durch Guns N' Roses ersetzt, als ich meine Kopfhörer in die Ohren steckte.
Die Fahrt zur Schule dauerte zwanzig Minuten. Ich war immer der letzte, der ausstieg, damit ich mich unter die Masse mischen konnte. Im Winter war sie kleiner, da keiner vor den Türen wartete, sondern in der Eingangshalle. Dafür war es dort einfacher zu verschwinden, weil die meisten in Gruppen beisammenstanden und somit niemanden um sich herum beachteten. Zumindest zeigten sie es nicht, ich schaffte es auch hindurchzukommen, ohne jemanden zu berühren.
Ich schmuggelte mich durch die Lücken in den linken Flur hinein, wo mein Spind an der rechten Wand ziemlich in der Mitte war. An den umliegenden war keiner, also konnte ich erleichtert aufatmen. Während ich mein Mathebuch hervorholte, hielt ich immer wieder Ausschau nach Astrid. Ihr Spind war zwar nicht in diesem Flur, aber sie lief oft mit ihren Freunden hier entlang. Wahrscheinlich waren deren Spinde um die Ecke. Jedenfalls wollte ich es nicht wahr werden lassen, dass sie mich vor jedem begrüßte.
Sie zu umgehen war leichter, als ich gedacht hatte. Bis zur Mittagspause sah ich weder sie, noch einen ihrer Freunde. Mir war vorher nie wirklich aufgefallen, wie wenige Kurse ich mit ihnen hatte. Mit Astrid waren es nur Erdkunde und Biologie, was wir dienstags und freitags nachmittags hatten. In der Cafeteria war ich so gut wie nie, wo sie und ihre Freunde immer zu Mittag aßen, also liefen wir uns dort auch nicht über den Weg, was mir mehr als nur recht war. Mit Rotzbakke kam ich schon seitdem wir klein waren nicht gut aus. Als wir sechs Jahre alt waren, hat er versucht mich bei sich im Pool zu ertränken und es als Atemübung abgetan, nachdem meine Mutter mich rausgeholt und ihn angemeckert hatte. Ich bezweifelte, dass er mich heutzutage netter behandeln würde.
In der Bibliothek waren, wie ich vermutet hatte, nur wenige Schüler. Ich konnte drei an den Computern vorne im Raum sitzen sehen und bemerkte einige zwischen den Regalen im Blickwinkel, während ich nach ganz hinten ging, wo sich niemand befand. Ich setzte mich an einen der dunklen Tische und öffnete eine Kreuzworträtsel App, um die Zeit zu vertreiben, bis Astrid auftauchte.
Die Hälfte des Feldes war ausgefüllt, als ich etwas Dunkelbraunes und Rotes wahrnahm, was sich als Astrids Rock und Oberteil entpuppte. Sie nahm gegenüber von mir Platz, legte ihren babyblauen Rucksack auf den Boden und lächelte mich schließlich an. Ihre blonden Haare trug sie offen mit zwei Strähnen an den Seiten nach hinten geflochten, die in einem dünnen geflochtenen Zopf endeten. Ihre Ohrringe waren einfache Kugelstecker.
»Hallooo, Mister Schulgespenst«, sagte sie leise. Bei meinem Blick breitete sich ihr Lächeln aus.
»Bitte, nenn mich nicht so.«
»Wieso nicht? Ich find's lustig.«
»Ich nicht.«
Sie biss sich auf die untere Lippe. »Okay.« Sie versuchte eindeutig sich das Grinsen zu verkneifen, konnte aber das belustigte Funkeln in ihren Augen nicht verbergen. Anscheinend war ich amüsant.
»Also, welche Länder hast du dir ausgesucht?«, fragte ich, um auf das eigentliche Thema zu lenken.
Ihre Miene änderte sich, das beinahe Grinsen war verschwunden und sie setzte sich gerader hin. Das hieß wohl, dass sie jetzt ernster sein würde. »Als erstes Argentinien, weil ich Südamerika als Kontinent schön und interessant finde und Argentinien mit eines meiner Lieblingsländer dort ist, auch wenn die Kriminalitätsrate schlecht ist. Außerdem denke ich, dass das Thema der Ureinwohner wichtig ist, da sie ebenfalls Teil der Geschichte Nordamerikas sind.«
Ich nickte zustimmend. Neben den Ureinwohnern gab es viele Punkte, die man zu Argentinien nehmen konnte. Sprachentwicklung, Verbindung zur deutschen Geschichte, Kolonialismus. Ich war ehrlicherweise überrascht, dass Astrid an diese Dinge gedacht hatte, im selben Moment wollte ich mich dafür kneifen. Wieso war ich überrascht? Ich kannte Astrid nur vom Sehen, von ihrer Intelligenz und schulischen Leistung hatte ich keine Ahnung. Waren es Vorurteile, die durch die Gesellschaft in mein Hirn integriert wurden? War es internalisierte Misogynie? Wie ich den Einfluss der Gesellschaft verfluchte.
Meine Mutter hatte recht mit dem Schubladendenken, es war dumm und diskriminierend und in den meisten Fällen absolut falsch. Dem wurde ich zum Glück gerade belehrt, während Astrid ihre Ideen vorschlug. Ich versuchte meine Miene so neutral wie möglich zu halten, damit sie nicht dachte, dass ich ihre Vorschläge sofort abtat.
»Dann hatte ich noch an Frankreich gedacht.« Sie lachte kurz. »Ich gebe zu, in erster Linie, weil ich Französisch als Fremdsprache gewählt habe, aber dann habe ich an alles gedacht, was wir im Unterricht gelernt haben und fand es eine gute Idee. Frankreichs Geschichte ist lang, vor allem die ständige Spannung mit Deutschland oder damals den deutschen Völkern. Der Kolonialismus, Kampf auf der See, die Französische Revolution und Napoleon, der Bau von Notre Dame und dem Eiffelturm. Nicht auszulassen, dass Paris eine wunderschöne Stadt ist und es dort Disneyland gibt.«
Meine Mundwinkel hoben sich zu einem Schmunzeln, woraufhin sich ihre Augen weiteten. »Oh mein Gott, habe ich dich gerade zum Lächeln gebracht?«
Ich zog meinen Mund runter. »Nein.«
Sie grinste. »Oh, doch, hab ich.«
Ich schüttelte meinen Kopf. »Hast du noch einen Vorschlag?«
»Ich, Astrid Hofferson«, fuhr sie unbeirrt fort, »habe das Gespenst von der Berk High School zum Lächeln gebracht. Und das nach nur zwei Tagen und zweieinhalb Gesprächen. Das muss ein Rekord sein.«
»Zweieinhalb Gespräche?«, fragte ich mit gekrauster Stirn.
»Jetzt, gestern und Dienstag, als ich dir meine Nummer gegeben habe, aber das war nur sehr kurz, deswegen das halb.«
»Das zählt nicht einmal als halb. Du hast nur nach meinem Handy gefragt, ich habe nicht ein Wort gesagt.« Diskutierte ich gerade ernsthaft mit ihr darüber?
Sie dachte nach. »Hm, stimmt auch wieder. Dann eben unser Chat am Abend, das zählt als halb.«
Ich starrte sie an, wie sie mich lächelnd ansah und schüttelte meinen Kopf. Sie hatte wirklich einige interessante Gedankengänge, die ich nicht verstand. Anscheinend hatte das noch damit zu tun, dass ich für sie amüsant war. Ich versuchte es noch einmal. »Hast du einen weiteren Vorschlag?«
Sie grinste weiterhin. »Einen noch, ja. Australien. Das Great Barrier Reef, die Oper von Sydney, the Bush und the Outback, Koalabären. Das Ozonloch, fünfundneunzig Prozent der gefährlichsten Tiere der Welt, der australische Zoo und Steve Irwin. Um nur ein paar Punkte zu nennen.«
Ich nickte zustimmend. All ihre Vorschläge waren gut, zu denen konnte man viel herausfinden und darstellen. Ihre aufgezählten Punkte waren ebenfalls die, an die ich als erstes gedacht hätte.
»Welche Länder hast du dir herausgesucht?«, fragte sie und sah mich erwartend an.
»Als erstes Ägypten, weil ich die Mythologie recht interessant finde und den Bau der Pyramiden von Gizeh. Es hat eine sehr lange Geschichte, die weit vor Christus zurückreicht und bemerkenswerte Veränderungen in den letzten Jahrzehnten durchgemacht, vor allem in Bezug auf Tourismus.«
»Stimmt«, sagte sie und tippte sich ans Kinn. »Ich glaube, Raff und Taff sind mit deren Mutter letztes Jahr zu einer riesigen Touristenanlage in Kairo geflogen und haben dort Urlaub gemacht. Sie meinten, es war wie eine Stadt nur für Urlauber.«
»Zum Beispiel«, stimmte ich zu. »Dann hatte ich noch Japan, vor allem, weil ich glaube, dass die meisten nicht sehr an asiatische Länder denken werden.«
»Oh«, sagte Astrid auf einmal, weshalb ich stoppte. »Das hat sich Heidrun ausgesucht. Sie arbeitet mit Stacy zusammen und die beiden lesen ultra gerne Mangas, weshalb sie über das Herkunftsland davon berichten wollen.«
»Oh«, machte ich ebenfalls. »Kein Problem, nehmen wir etwas anderes. Als drittes hatte ich auch Frankreich, mit denselben Punkten, die du vorhin aufgezählt hast.«
Sie klatschte ihre Hände zusammen. »Damit haben wir wohl ein Land für unser Projekt.«
Ich nickte. »Allerdings. Wir sollten aber erst ab Dienstag mit der eigentlichen Arbeit beginnen, wenn es sicher ist, dass wir Frankreich nehmen können.«
»Jap«, sagte sie und lächelte mich an. »Wir können nochmal schreiben, sollte irgendwas aufkommen.«
»Ja.«
Für einen Moment saßen wir in betretenem Schweigen. Im Winter war die Bibliothek zur Mittagszeit meine Anlaufstelle, da ich in der Cafeteria aufgrund der ganzen Menschen nicht gerne war. Astrid hingegen aß mit ihren Freunden immer dort, wieso also blieb sie sitzen? Wartete kein leckeres Sandwich oder etwas anderes auf sie?
Dann fielen mir wieder Fischbeins Worte in Bezug auf ihre Absichten ein, dass ich ihr die negativen Aspekte erklären soll, und wie sie gestern gesagt hatte, dass sie mich nicht ignorieren würde, weil es ihr nichts ausmachte, mit mir gesehen zu werden. Mein Blick glitt zu ihrem Gesicht, das sie zu einem der Bücherregale gedreht hatte. »Wieso ist es dir egal?«
Sie drehte ihren Kopf zurück zu mir und sah mich verwirrt an. »Was ist mir egal?«
»Dass wir miteinander assoziiert werden, wenn man uns zusammen sieht. Macht das nicht dein Image kaputt?«
Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. »Wieso sollte es mein Image kaputt machen?«
»Weil ich der Niemand bin, der die Flure wie ein Gespenst heimsucht, um dich zu zitieren.«
Ihr Mundwinkel hob sich ein wenig. »Erstens, habe ich dich nie einen Niemand genannt, nur ein Gespenst.« Ich rollte mit den Augen. »Zweitens, wieso sollte deine Anwesenheit in meinem Leben mein Schulimage kaputt machen? Du bist kein schlechter Mensch, denke ich, nur unbekannt unter der Schülerschaft. Die interessiert es nicht, mit wem ich was mache.«
Ich hob eine Augenbraue, woraufhin sie eine wegwerfende Geste machte. »Okay, vielleicht interessiert es ein paar Leute, aber du machst nichts kaputt. Außerdem ist es mir so ziemlich egal, was sie über mich sagen. Sollen sie mich doch die Ex von Eretson oder Dornröschen nennen, ich geh meinen Weg.« Sie zuckte mit den Schultern.
Ich bewunderte sie für diese Denkweise und wünschte mir, dass sie mir etwas davon abgeben könnte. Es war mir ein Rätsel, wie sie durch die Schule laufen konnte mit dem Wissen, dass die Leute über sie redeten und sie es einfach abtat und machte, was sie wollte. Wie konnte sie nicht Stunden lang über die Gerüchte nachdenken? Wie konnte sie nicht alles überdenken, was sie in der Schule tat und mit wem sie redete? Wieso wollte sie dieses Projekt mit mir machen?
Ich fragte sie genau das. »Warum hast du mich als Partner ausgesucht?«
Sie sah kurz auf ihre Hände, die sie auf dem Tisch liegen hatte. Dann fiel ihr Blick wieder auf mein Gesicht. »Weil ich wissen wollte, wer du bist.«
Ich hob ungläubig eine Augenbraue. Daran glaubte ich eher weniger. Sie war nie im Leben auf magische Art und Weise auf mich aufmerksam geworden und wollte nun meine Freundin werden. Rotzbakke sprach auch höchstwahrscheinlich nicht von mir. Astrid wusste bestimmt nicht einmal, dass wir Cousins waren.
»Wie ich gesagt habe«, fuhr sie fort, »bist du wie ein Gespenst. In einem Moment da, im nächsten verschwunden, meistens wenn die Schulglocke läutet.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das hat mich neugierig gemacht.«
»Und das hast du erst nach drei Jahren bemerkt?« Ihre Erklärung verpasste mir ein komisches Kribbeln im Nacken, als würden meine Gefahrensensoren angehen, aber ich wusste nicht wieso. Vielleicht war es einfach meine Psyche, die mal wieder zu viel reininterpretierte.
»Möglicherweise habe ich dich erst richtig wahrgenommen, nachdem Rotzbakke dich erwähnt hat.«
»Warum hat er mich erwähnt?«
Sie hob eine Schulter. »Wir haben über unsere Familien gesprochen und es kam auf, dass Rotzbakke immer nur über seine Eltern spricht, aber niemand anderem. Also haben wir ihn ein wenig ausgequetscht und er hat uns gesagt, dass ihr Cousins seid.«
Ich nickte einmal, auch wenn ich mich weiterhin unwohl fühlte. Rotzbakke sprach nicht gerne von unserer familiären Situation, dafür fand er es zu peinlich, wie er mir einmal gesagt hatte. Sie hatten ihn wohl wirklich mit Fragen bombardiert, wenn er eingeknickt war.
Sie sah mich immer noch mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an. »Du wirst also weiterhin nicht auf mich hören und mich begrüßen, wenn du mich siehst, weil du mich kennenlernen willst?«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Oh ja. Mich wirst du erst einmal nicht mehr los, Hicks.«
»Ich werde weiterhin versuchen, mich vor dir zu verstecken.«
»Ich weiß, aber ich bin durch Baseball an Herausforderungen gewöhnt. Deine Zurückhaltung ist nur eine weitere, die ich bewältigen werde.« Ich seufzte ergeben. Sie hatte für alles eine Antwort parat.
Da keine verbale Antwort von mir kam, stand sie auf. »Mit dir zu reden macht wirklich Spaß, aber ich habe Hunger und in der Cafeteria wartet ein Stück Apfelkuchen auf mich.« Sie schulterte ihren Rucksack und winkte mir beim Rückwärtsgehen. »Bis morgen in Bio.« Damit verließ sie die Bibliothek und ließ mich mit meinen Sorgen und meinem Überdenken zurück.
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