2 - Hicks/Astrid
»Astrid Hofferson?«
»Ja.«
»Eine Partnerarbeit?«
»Ja.«
»Mit dir?«
Ich seufzte. »Ja, Fischbein.«
»Freiwillig?«
Ich drehte mich zu meinem einzigen Freund, der mir durch den Raum der Handarbeit AG während unseres Gesprächs gefolgt war, mit zusammengezogenen Augenbrauen um. »Ja, Fischbein, freiwillig. Du solltest doch von allen am besten wissen, dass es nicht absolut furchtbar ist seine Zeit mit mir zu verbringen.«
Seine Augen weiteten sich und er hob seine Hände. »So habe ich das nicht gemeint, Hicks, ehrlich. Es ist nur ... Astrid Hofferson? Die Baseballspielerin? Ex von Eretson? Was möchte sie auf einmal von dir?«
Ich zuckte mit den Schultern, während ich mit Raspelpapier das zuvor gesägte Holz bearbeitete. Mein derzeitiges Projekt war eine Schmuckschatulle für meine Mutter, da sie so viele Ketten, Armbänder und Ohrringe besaß, dass sie sie mittlerweile überall im Haus verteilte. Ihr kleiner Schmuckständer war nämlich mäßig überfüllt, weil mein Vater nicht aufhören konnte sie damit zu beschenken. Immer wenn er etwas sah, was er dachte, würde toll an ihr aussehen, kaufte er es, auch wenn meine Mutter immer sagte, sie hätte mehr als genug. Trotzdem liebte sie jedes einzelne Stück und trug sie im Wechsel. Weil wir in der AG unserer Kreativität freien Lauf lassen sollten, habe ich angefangen diese Schatulle aus Palisanderholz zu fertigen, um sie damit zu überraschen.
»Dasselbe frage ich mich auch seit gestern, Fischbein«, sagte ich, ohne von meiner Arbeit aufzublicken. Ich konnte im Augenwinkel sehen, wie er nervös seine Fingerknöchel aneinander rieb. Diese Situation schien ihm mehr zuzusetzen als mir.
»Nicht böse verstehen«, gab er schließlich von sich, »aber es ergibt keinen Sinn.«
»Genau das denke ich mir auch.«
»Sie hat doch immer Heidrun und Raffnuss an ihrer Seite. Sind die nicht ebenfalls in eurem Erdkunde Kurs?«
»Ja, sind sie.«
Er fing an neben mir hin und her zu laufen. »Das gibt mir ein unwohles Gefühl, Hicks. Mädchen sind tückisch.«
Ich zuckte innerlich zusammen und hielt für einen Moment still, versuchte mir mein nun rasendes Herz nicht anmerken zu lassen. Nicht daran denken, nicht daran denken ...
»Hast du sie gefragt?«
Meine Hand stoppte erneut und ich sah zu ihm auf. »Wieso sie mit mir zusammenarbeiten will?« Er nickte. »Nein. Sie ... sie ist sofort gegangen, nachdem sie ihre Nummer eingespeichert hat. Wir haben gestern Abend nur ein paar Nachrichten ausgetauscht, wann wir uns zum Besprechen treffen wollen.«
Er nickte nochmal. »Okay. Es würde sowieso nichts bringen, da sie dich anlügen könnte. Sagt dir das eine ins Gesicht, meint aber in Wahrheit das andere. Es ist immerhin kein Geheimnis, dass ihre Freunde gerne Streiche spielen. Erinnerst du dich an das eine Mal, als sie den Eimer mit dreckigem Wasser über Jack Newton ausgekippt haben, nachdem er duschen war?«
Ich machte mich wieder an das Holzstück ran. »Ja, ich erinnere mich.« Jack war so stinksauer danach, dass er Taffnuss und Rotzbakke durch das gesamte Schulgebäude gejagt hat. Irgendwer hatte die Sache dann Direktor North erzählt und der hat für Ruhe gesorgt, aber ich glaube, Jack hatte sich privat noch gerächt, denn am nächsten Tag hatten Taffnuss und Rotzbakke ein paar blaue Flecken.
»Oder als sie Millie Sanders den Zopf abgeschnitten haben und sie danach eine schiefe Frisur hatte?«
»Jap, das Video habe ich ebenfalls gesehen.« Millie hatte aber, zugegebenermaßen, Raffnuss' Unterwäsche in den Müll gesteckt, während sie nach dem Cheerleader Training duschen war. Die schiefe Frisur für einen Tag hatte sie verdient.
»Oder als Mrs. Hemingway schreiend aus der Toilette rausrannte, weil Taffnuss und Raffnuss eine Schlange darin rausgelassen hatten?«
»Oh ja.« Das war ein schlimmer Tag gewesen. Alle Schülerinnen und Schüler mussten für fast zwei Stunden in den Klassen verweilen und die Türen geschlossen halten, während Tierfänger die Flure nach der Klapperschlange absuchten. Mrs. Hemingway wurde danach bis auf Weiteres krank geschrieben, anscheinend hatte sie eine Schlangenphobie und stand kurz vorm Herzinfarkt an dem Tag.
»Oder als-«
»Fischbein«, unterbrach ich ihn, »du bist echt nicht gut darin jemanden aufzumuntern.« Ich legte das Raspelpapier zur Seite und strich meine Haare aus dem Gesicht.
»Es tut mir wirklich leid, Hicks. Ich bin nur nervös, weil sie auf einmal auf dich aufmerksam ist. Ich meine, bist du es nicht? War es nicht dein Plan bis zum Ende der High School versteckt zu bleiben?«
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. »Doch, schon.«
»Wenn du jetzt mit Astrid gesehen wirst, dann war es das mit dem Verstecken. Jeder wird dich sehen und erkennen und wissen wollen, wer du bist, weil du auf einmal an ihrer Seite bist. Hast du keine Angst davor?«
Doch, riesige, gewaltige Angst. Ich betrat das Schulgebäude für gewöhnlich schon mit schnell schlagendem Herzen, aber heute Morgen war es noch schlimmer gewesen. Mein Kopf hatte sich über Nacht einige Szenarien ausgedacht, die von Alle starren mich plötzlich an und hören damit den ganzen Tag nicht auf bis zu Ich betrete das Grundstück und werde ohne Vorwarnung ausgelacht gingen. Ich dachte, jeder würde jetzt wissen, dass Astrid Hofferson mit dem Loser zusammenarbeitet, denn Teenager liebten es zu lästern und unser Kurs war gestern voll gewesen.
Aber nichts war passiert. Ich hatte das Gebäude wie immer schnell, leise und bedeckt betreten, war zu meinem Spind und danach zum Bioraum gegangen, ohne schief angeschaut zu werden. Bisher hatte mich jeder wie die letzten drei Jahre ignoriert. Bisher waren Astrid und ich auch noch nicht zusammen gesehen worden.
Fischbein hatte recht, dass sich das alles ändern wird, sobald wir miteinander auf dem Flur redeten. Oder sie mir zuwinkte wie gestern, als sie rückwärts zur Tür hinausspaziert war. Wenn sie eben öffentlich anerkannte, dass ich existierte und nicht nur ein Schatten in der Halle war. Mein hart erarbeitetes Image als Niemand würde durch ihr Strahlen in Sekunden vernichtet werden.
Ich seufzte. »Vielleicht kriege ich sie dazu mich weiterhin vor den anderen zu ignorieren und in der hintersten Ecke der Bibliothek zu treffen.«
Sein Blick wanderte zurück zu mir, der bei meiner Stille zum Fenster gehuscht war. Er nickte mehrmals. »Ja, das könnte was werden. Sie möchte bestimmt auch nicht ihr Ansehen beflecken, wenn sie mit dir gesehen wird. Nichts für ungut.«
Ich hob eine Augenbraue. »Denkst du nicht, dass sie jemand anderen als Projektpartner gewählt hätte, wenn ihr das was ausmachen würde?«
Er blinzelte ein paar Mal. »Stimmt auch wieder. Vielleicht hat sie darüber nicht nachgedacht. Du könntest ihr die Folgen und negativen Aspekte erläutern, dann wird sie bestimmt zustimmen sich nur in der Bibliothek mit dir zu treffen.«
»Ja, vielleicht.«
Fischbein bemerkte wohl, dass mich das Gespräch langsam emotional erschöpfte, denn er ging ein paar Schritte in Richtung seines Tisches, bevor er sich noch einmal umdrehte. »Das, äh, das wird schon werden, Hicks. Keine Sorge.«
Ich nickte, woraufhin er endgültig zu seinem Tisch lief und an seinem Projekt weiterarbeitete. Ich glaube, es war eine Replikation von Ironmans Handschuh. Fischbein liebte das MCU seit dem ersten Ironman Film und es war sein Traum, den Anzug in echt herzustellen.
Nick Stevenson hämmerte auf ein Stück Metall ein, Calvin Bow schweißte zwei Teile zusammen, Mr. Wright nutzte die elektrische Säge, Alaine Mendel die Handsäge. All diese Geräusche verschwammen zu einem zusammen, während meine Gedanken weiterhin um die blonde Schönheit kreisten, die mir nach wie vor Kopfschmerzen bereitete.
❊
Astrid
»Lasst uns den Abend ein wenig aufpeppen«, sagte Raffnuss neben mir mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht, was perfekt zu ihrem Hexenkostüm passte.
Ich nippte an meiner Cola-Vodka Mische, versuchte dabei meinen roten Lippenstift nicht zu verschmieren, sonst würde das mein Minnie Maus Kostüm ruinieren, während im Hintergrund weiterhin Popmusik lief. »Und was schwebt dir da vor? Bitte nicht wieder vom Dach in den Pool springen.«
»Oder das Bogen und Pfeil Spiel«, sagte Rotzbakke, woraufhin wir alle schauderten. Das war die schlimmste Idee gewesen, die Raffnuss jemals gehabt hatte. Wir mussten alle im Kreis mit einem Fuß nach vorne stehen, sie schoss einen Pfeil in den Himmel und wer als letztes noch stand, gewann. Das war ein beschissener Abend für Andy Smoltons Fuß gewesen. Wir anderen waren alle weggerannt.
Sie hob die Arme frustriert hoch. »Dann kann ich nicht helfen.«
Ich rollte mit den Augen. Dieses Mädchen kannte keine ungefährlichen Spiele. Es musste immer einen Adrenalinkick geben, sonst war sie raus. Heute Abend schien aber niemand die Lust danach zu haben. Taffnuss, als Krähe für Raffnuss verkleidet, und Rotzbakke, ein Vampir, gammelten auf der einen Seite der Couch, Raffnuss und ich saßen auf der anderen. Eret, ein Cowboy, und Heidrun, als Cher, nahmen den Platz auf der anderen Couch ein und spielten Karten auf dem Kaffeetisch zwischen uns. Es war zwar eine Party, aber keiner von uns hatte große Lust hinaus zu den anderen Gästen zu gehen, wo die Musik zu laut und die Luft zu stickig war, also hatten wir uns hier drinnen verschanzt.
»Ihr könntet ein zweites Kartendeck aus dem Schrank holen und mitspielen«, schlug Heidrun vor. Sie legte eine Karo 7 und nahm sich den Herz Buben. Eret zog seine Augenbrauen nachdenklich zusammen.
Raffnuss ließ den Kopf nach hinten fallen und stöhnte gelangweilt auf. Das war ihre Antwort auf den Vorschlag. Taffnuss' Augenlider fielen tiefer und tiefer, bis Rotzbakke sich neben ihm abrupt aufsetzte. All unsere Blicke flogen zu ihm.
Er grinste genauso schelmisch wie Raffnuss gerade eben. »Wie wäre es, wenn wir einen Deal abschließen?« Mit diesen paar Worten hatte er unsere volle Aufmerksamkeit.
»Was für einen Deal?«, fragte Eret und legte seine Karten offen nieder. Er hatte verloren, aber das war ihm längst egal.
Rotzbakke sah uns alle einmal an. »Ihr kennt ja meinen Cousin, Hicks, oder?« Wir nickten. Er war derjenige, der immer als erstes im Klassenraum und als letztes raus war. Er hielt sich versteckt, trug dunkle Kleidung und redete mit niemandem. Er war wie ein Schatten, ein Gespenst, eine Sage fast. Hätte Rotzbakke uns nicht erzählt, dass er sein Cousin war, wäre er mir wahrscheinlich nie aufgefallen.
»Wie wäre es, wenn wir ihn ein wenig aus seiner Komfortzone rausholen? Ein bisschen mit ihm tricksen und spielen.«
Heidrun zog ihre Augenbrauen zusammen. »Und wie sollen wir das machen?«
Rotzbakkes aufgeregter Blick huschte zu mir. Das hieß nichts Gutes. »Astrid wird ihn ein wenig verführen. Liebliche Worte und Gesten, sowas. Und dann, als krönenden Abschluss, bricht sie ihm das Herz mit der Wahrheit.«
Ich schüttelte meinen Kopf. »Du hattest wohl zu viel Alkohol heute Abend.«
»Ich sag ja nicht, dass du ihn vögeln sollst. Aber du bist die Einzige hier, die seine Aufmerksamkeit erregen kann.«
Raffnuss schnappte empört auf. »Was soll das denn bedeuten?« Heidrun rollte nur mit den Augen.
»Gar nichts, Raff«, sagte er. »Du bist wunderschön, aber ich glaube nicht, dass Hicks an dir einen Gefallen finden würde.« Sie schnaubte, sagte jedoch nichts weiter. Wir alle wussten sowieso, dass sie und Rotzbakke heimlich was am Laufen hatten, das war nur zur Show.
»Und wieso nicht?«, fragte ich trotzdem, einfach um seine Antwort zu hören.
Er gestikulierte ein wenig mit seinen Händen. »Keine Ahnung. Ich kenne ihn zwar nicht sooo gut, vor allem nicht was Geschmäcker bei Frauen angeht, aber ich erinnere mich an ein Mädchen, was er in der Middle School mochte und die war auch blond.«
Ich hob eine Augenbraue. »Also war meine Haarfarbe der entscheidende Faktor?«
»Der entscheidende Faktor ist«, mischte sich Eret ein, »dass du zweifellos die Hübscheste in diesem Raum bist.« Ich rollte mit den Augen, er grinste. »Wenn einer den Loser verführen kann, dann du.«
Sie alle sahen mich an. Rotzbakke und Eret grinsten weiterhin, Heidrun hatte die Arme verschränkt und die Augenbrauen erwartend hochgezogen, Raffnuss' Augen funkelten und Taffnuss sah hungrig nach Action aus. Ich schlug mein rechtes Bein über das linke.
»Was hab ich davon?«, stellte ich in den Raum. Sie würden ihren Spaß daran haben uns zuzusehen und genau zu wissen, was Sache war, aber ich wäre diejenige, die sich mit Hicks abgeben müsste. Das würde einen totalen Image Bruch geben. Der Niemand und Dornröschen.
Rotzbakke überlegte kurz. » Wie wäre es mit Zweihundert Dollar?«
»Von jedem von uns«, fügte Eret hinzu.
Meine Augen weiteten sich. Eintausend Dollar? Spinnt er? Heidrun schien dasselbe zu denken, denn ihr Kopf drehte sich verwundert zu ihm.
Taffnuss hob seine Hand. »Ich bin dabei.«
»Oh, ich auf jeden Fall«, fügte Raffnuss hinzu.
Rotzbakke lehnte sich lässig grinsend nach hinten. »Es war meine Idee.«
Eret forderte Heidrun non-verbal heraus, die schließlich seufzte und nickte. »Na gut, ich bin auch dabei.«
Sie hatten alle eindeutig zu viel Geld. Erets Eltern waren beide im Bankwesen tätig, Rotzbakkes Vater war Politiker, die Mutter der Zwillinge arbeitete in einer Anwaltskanzlei und Heidruns Vater war Bürgermeister von Berk. Meine Familie war zwar nicht schlecht dran mit einem ehemaligen professionellen Baseball Spieler und einer freien Journalistin, die im selben Country Club wie deren Eltern waren, aber ich konnte nicht mal eben zweihundert Dollar für einen Deal springen lassen.
Darum war das Angebot so verlockend. Ich meine, noch einfacher Geld zu verdienen ging es nicht. Eintausend Dollar und alles, was ich tun musste, war Hicks Haddock mit lieblichen Worten, ein paar Berührungen und möglicherweise den einen oder anderen Wangenkuss aus seiner Komfortzone rauszuholen und am Ende alles auflösen.
Über meine Antwort musste ich nicht lange nachdenken. »Deal.«
❊
Maya stand als Batter bereit. Ich holte mit meinem rechten Arm aus, wie mein Vater es mir gezeigt hatte, und warf den Ball in ihre Richtung. Sie schwang den Schläger, traf aber nicht. Also nahm ich den nächsten Ball und warf erneut, so fest ich konnte.
Dieses Gespräch auf Timmy Faulkners Halloween Party verfolgte mich seit über einer Woche, denn meine Freunde ließen mich nicht in Ruhe damit. Sie fragten jedes Mal, was mein Plan war, wann er startete, was ich vorhatte, wie ich es angehen werde, und so weiter und so fort. Manchmal bereute ich es, zugestimmt zu haben, aber dann fielen mir wieder die eintausend geschenkten Dollar ein und ich erfand eine Antwort.
In Wahrheit hatte ich nämlich gar nicht darüber nachgedacht, was ich machen werde, sondern auf einen Zeitpunkt gewartet, der sich als perfekten Einstieg zeigte. Das war gestern Nachmittag in Ms. Donnas Erdkundeunterricht geschehen, als sie eine Partnerarbeit angekündigt hat. Was wäre perfekter, als gezwungen zu sein, zusammenzuarbeiten? So konnte er mich nicht ignorieren oder umgehen, er musste mit mir reden und Zeit mit mir verbringen. Auf diese Weise wäre der Deal schnell beendet.
Ich warf einen letzten Ball, der ebenfalls in die Hände des Catchers flog. Coach Crowley kündigte mit seiner Trillerpfeife das Ende des Trainings an und rief uns zu sich. Es war zwar November, aber heute ein relativ angenehmer Tag, da die Sonne schien und es noch nicht schneite. Ab dem Wochenende würden die Temperaturen fallen, weshalb wir ab nächster Woche in der Turnhalle trainieren würden.
Wir versammelten uns im Halbkreis um unseren Coach. Er war groß und hatte volles, dunkelblondes Haar, das ein paar graue Strähnen aufwies. Sein Kinn war glattrasiert, was ihn ein wenig jünger als zweiundvierzig aussehen ließ. Sein goldener Ehering funkelte im schwachen Sonnenlicht. »Ihr habt heute gute Leistungen erbracht. Ich sehe, dass ihr an euren Fehlern arbeitet und versucht immer besser zu werden. Das finde ich super, denn es zeigt, dass ihr mitdenkt und dieses Team stärken wollt. Auch wenn ihr den Ball nicht trefft oder fangt oder falsch werft: Jedes Training ist ein Fortschritt. Vergesst das nicht. Freitag um dieselbe Zeit. Jetzt geht euch umziehen und ab nach Hause mit euch.«
»Danke, Coach«, sagten wir zusammen und verabschiedeten uns.
Ich wartete an der Tür auf Raffnuss und Heidrun, die nebenan auf dem Football Feld Cheerleader Training hatten, so wie jeden Mittwoch nach der letzten Stunde. Es dauerte nicht lange, da sah ich die Horde um die Ecke biegen und auf mich zukommen. Ein paar grüßten mich, andere winkten nur oder lächelten. Ich lächelte, winkte und grüßte zurück.
Raffnuss grinste, als sie bei mir ankam. »Na, wie läuft deine Partnerarbeit bisher?«
Ich verdrehte die Augen und folgte Heidrun ins Gebäude. »Es ist nichts passiert, Raff. Ich habe ihm nur meine Nummer gegeben und gefragt, ob wir uns morgen treffen wollen. Er hat zugestimmt.«
»Aber du hast dabei geflirtet, oder?«
Ich zog eine Schulter hoch. Unser Gespräch war auf jeden Fall nicht so abgelaufen, wie mit anderen Leuten. »Kann man so sagen.«
In der Umkleide war bereits eine Menge los. Deo und Parfum wurden gesprüht, mindestens zwanzig Gespräche fanden gleichzeitig statt und es gab viel nackte Haut zu sehen. Wir drei holten nur unsere Rucksäcke und Klamotten, duschen taten wir immer zu Hause, weil wir es dort angenehmer fanden.
Während wir auf dem Parkplatz zu meinem Auto liefen, stieß Raffnuss mich mit ihrem Ellenbogen an. »Hey, guck mal. Da ist Hicks.«
Ich folgte ihrem ausgetreckten Finger, der zur Bushaltestelle des Linienbusses zeigte. Der letzte Schulbus fuhr immer eine halbe Stunde nachdem die letzte Schulstunde zu Ende war, gegen halb vier. Es war mittlerweile halb sechs, also musste er mit dem regulären Bus fahren.
Raffnuss grinste mich wieder an. »Du solltest zu ihm gehen.«
»Ach ja? Und wieso?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wieso nicht? Ihr seid doch jetzt Partner.« Sie hatte eindeutig den meisten Spaß an dieser Sache. Aber sie hatte auch recht, es konnte nicht schaden.
Also ließ ich die beiden dort stehen und lief auf Hicks zu, der mich noch nicht bemerkt hatte. Ich setzte ein freundliches Lächeln auf und hoffte, dass ich nicht allzu erschöpft und zerzaust aussah. Immerhin sollte ich ihn verführen und dafür musste ich gut aussehen.
Beim Näherkommen sah ich, dass er Kopfhörer drin hatte, also tippte ich ihm auf die Schulter, wonach sein Kopf zu mir schnellte. Ich hob unschuldig meine Hand, weiterhin lächelnd. Immer freundlich und lieb sein.
Hicks zog einen Stöpsel aus seinem Ohr. »Astrid.« Er sagte meinen Namen wie einen Fakt, nicht verwundert oder überrascht, dass ich auf einmal neben ihm stand. Als wäre es abgesprochen gewesen, dass ich zu diesem Zeitpunkt hier sein sollte.
»Hicks«, gab ich zurück, weshalb er seine Augenbrauen zusammenzog.
»Was machst du hier?«
»Ich hatte bis gerade eben Baseball Training.«
Seine Augen huschten einmal über meinen Körper. Nicht sexuell oder als würde er mich abchecken, sondern genau wie er meinen Namen gesagt hatte, faktisch. »Das kann ich sehen. Ich meine, was machst du an der Bushaltestelle?«
Das würde doch schwerer werden, als ich dachte. »Oh, ich war mit Raff und Heidrun auf dem Weg zu meinem Auto, da hab ich dich gesehen und wollte einfach Hallo sagen.«
Sein Blick flog über meinen Kopf hinweg, was leicht war, weil er einige Zentimeter größer war als ich. Seine Augenbrauen zogen sich noch enger zusammen, falls das überhaupt möglich war. Er sah wieder mich an. »Dir macht es nichts aus, dass sie uns zusammen sehen?«
Nun war ich an der Reihe, meine Stirn zu krausen. »Nein. Wieso sollte es das? Macht es dir was aus?«
Er schien kurz zu überlegen, was er antworten sollte. »Ja.« Ich legte meinen Kopf schief, was er wohl als etwas Schlimmes interpretierte, denn seine Augen weiteten sich. »Nicht, weil du es bist. Generell. Ich mag es nicht im Mittelpunkt zu stehen oder angestarrt zu werden, so wie Raffnuss und Heidrun es gerade tun.«
Ich wagte einen Blick nach hinten. Sie starrten uns wirklich wie zwei Gaffer an. Ich neigte meinen Kopf als Zeichen, dass sie weitergehen sollen. Nur Heidrun schien es zu verstehen, zog Raffnuss aber mit sich. Raff schien etwas dagegen zu sagen, woraufhin Heidrun ihren Kopf schüttelte. Hicks sah mich bereits wieder an, als ich mich zu ihm umdrehte.
»Entschuldige die beiden«, sagte ich lieblich. »Sie sind nur ... interessiert. Niemand weiß irgendetwas über dich.«
»Es wäre mir auch lieber, wenn es so bleiben würde.«
Ich stockte, da ich mit der Antwort nicht gerechnet habe. »Oh, okay. Klar.«
Eine unangenehme Stille bahnte sich zwischen uns, in der er mich weiterhin ansah, als wäre ich nicht von dieser Welt und er gedanklich versuchte mich wie ein Rätsel zu lösen. Ich versuchte derweil ihm nicht in die Augen zu gucken, weil sein Blick so intensiv war. Wie ein stechender grüner Blitz.
Er räusperte sich leise. »Wegen morgen.«
Ich schaute ihn an. »Ja?«
»Können wir uns in der Bibliothek treffen?«
»Ja, natürlich. Ist dort irgendetwas Bestimmtes, was wir brauchen werden?«
Nun wich er meinem Blick aus. »Nein, aber es sind in der Mittagspause nicht viele dort und mir wäre es lieber, wenn uns keiner sehen würde.«
Ich nickte langsam. »Weil du dich weiterhin versteckt halten willst.«
»Ja.«
Das würde wirklich schwerer werden, als ich dachte. »Okay, die Bibliothek in der Mittagspause.«
Seine Augen wanderten zurück zu meinen. »Könnten wir generell nur miteinander reden, wenn niemand dabei ist?«
Meine Güte, was hat man ihm angetan, dass er so sehr unsichtbar sein will? Waren es seine Eltern? So ein Verhalten war bei vielen Kindern und Jugendlichen eine Traumareaktion. Vielleicht war es immer laut in seinem Haus und deshalb versuchte er außerhalb so wenig wie möglich aufzufallen. Rotzbakke hatte zwar nicht allzu viel mit ihm zu tun, aber irgendwer hätte sowas doch bestimmt mitbekommen.
Ich könnte jetzt zustimmen und nur im Privaten mit ihm reden, aber würde ihm das wirklich helfen? Wäre es nicht besser ihm zu zeigen, dass alles okay war, auch wenn Menschen ihn bemerkten? Er schien sozial kompetent zu sein, sonst würde er nicht mit mir reden können oder mit Fischbein befreundet sein. Dann fielen mir unsere Nachrichten von gestern Abend ein, wie er auf meinen ziemlich schlechten Witz mit dem dunklen Loch eingegangen war. Er war bestimmt geselliger und lustiger, als er zeigte.
Ich grinste ihn an. »Nein.«
Er zuckte ein wenig zurück, als hätte ich ihn geschlagen. War es so schlimm? »Nein?«
»Nein«, wiederholte ich mich. »Ich werde mich gerne mit dir in der Bibliothek oder in einem leeren Klassenraum oder zu Hause für unser Projekt treffen, aber ich werde auf den Fluren nicht so tun, als hätte ich weiterhin keine Ahnung, wer du bist. Mir ist es nämlich egal, wenn wir miteinander assoziiert oder zusammen gesehen werden.« Ich gab zu, dass dieser Punkt mir auf der Party durch den Kopf gegangen war, aber jetzt, wo ich es laut aussprach, merkte ich, dass es mir tatsächlich nichts ausmachte. Wahrscheinlich würden mich Leute noch dafür loben, dass ich mich mit dem antisozialen Niemand angefreundet habe.
»Du kannst nicht ewig wie ein Gespenst die Schule heimsuchen«, fuhr ich fort. »Du kannst dich nicht ewig verstecken. Irgendwann kommt jemand und holt dich hervor.«
Damit winkte ich ihm wie gestern, nachdem ich ihm meine Nummer gegeben hatte, drehte mich um und lief zu meinem Auto. Sein Blick bohrte sich in meinen Hinterkopf, aber ich sah nicht zurück.
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