1°C, Klarer Himmel - Gespickt mit Federwolken
Elfenfrauen werden in ihrem Leben meist nur ein einziges Mal schwanger, niemand weiß so genau, warum. Manche finden es traurig, die meisten sind jedoch froh darüber, dass wir nicht wie Menschenfrauen einmal im Monat bluten müssen.
Drei von fünf Elfenschwangerschaften enden in Zwillingen, eine in Drillingen, die durchschnittliche Kinderzahl pro Paar beträgt also zwei.
75 Prozent der Zwillinge sind zweieiig, das Verhältnis von männlichen Elfen zu weiblichen Elfen beträgt ziemlich genau Eins zu Eins.
Das bedeutete für meine Mutter folglich eine Wahrscheinlichkeit von 11,25 Prozent, zweieiige weibliche Zwillinge zu gebären.
Und zusammengenommen mit dem Sommerkönigspaar eine Wahrscheinlichkeit von 1,2656 Prozent, dass die gegebene Konstellation herauskommt: zweieiige Winterzwillingsmädchen und zweieiige Sommerzwillingsjungen.
Nähme man es genau, wäre das alles natürlich noch viel komplizierter. Elfen unterliegen den gleichen Vererbungsregeln wie alle anderen Geschöpfe dieser Erde, auch wir haben die Mendelschen Regeln an uns beobachten und bestätigen können. Ein Elf hat dieselbe Chromosomenanzahl wie ein Mensch, das macht 23 Chromosomenpaare. Insgesamt macht das also 64 Billionen mögliche verschiedene Nachkommen für meine Eltern, wobei die ganze Chose von wegen Crossing-over und Punktmutationen noch nicht einmal berücksichtigt ist.
Aber die Genetik ist nicht ganz so wichtig. Wichtiger ist, was das Ergebnis von dem Ganzen war.
Meine Mutter und die Sommerkönigin empfanden nämlich den Zufall, dass meine Mutter zwei zweieiigen Zwillingstöchtern und die Sommerkönigin zwei zweieiigen Zwillingssöhnen das Leben schenkten, als allzu großen Zufall. Mit der Wahrscheinlichkeit von 1,2656 Prozent, was relativ groß ist im Vergleich zu der gesamten Elfenbevölkerung, wollten sie das Ganze nicht mehr als Zufall beschreiben. Nein, sie interpretierten das Schicksal in diese mit 1,2656 Prozent Wahrscheinlichkeit tatsächlich eingetroffene Gegebenheit.
Deshalb kamen die beiden Königinnen, seit vielen Jahren schon allerbeste Freundinnen, über kurz oder lang natürlich auf die Idee, dass sie ihre Kinder verkuppeln mussten, da sie vom Schicksal füreinander bestimmt wären, was die Könige zwar belächelten, aber selbstverständlich nicht zu verhindern suchten.
So kam es, dass ich seit meinem siebten Lebensjahr jeweils einen Monat im Frühling im Frühlingspavillon und einen Monat im Herbst im Herbsthaus sowie unzählige Treffen, Feste und Essen mit den Sommerzwillingen verbringen musste.
Die erste Begegnung war ... schwierig.
Die Sommerfamilie war bei uns zum Abendessen eingeladen und wir vier saßen gemeinsam am Tisch, etwas abseits von den Erwachsenen.
Crystal war begeistert von ihren neuen Spielkameraden, sie redete und redete, erzählte dies, erzählte das, schwärmte von ihrer neuen Flöte und erklärte uns detailliert ihre Funktionsweise, immer wieder unterbrochen von zahlreichen, faszinierenden Ergänzungen von Soleil und einigen knappen Einwürfen von Ciel.
Ich aber schwieg, stocherte in meinem Essen herum und ignorierte die drei.
Mein Vater hatte mir ein paar Wochen zuvor ein Hengstfohlen geschenkt und all meine Gedanken, all meine Aufmerksamkeit richtete sich nur darauf. Was wollte ich bei diesem formellen, sterbenslangweiligen Essen, wenn ich doch im Stall bei meinem Fohlen sein konnte?
Geistesabwesend zeichnete ich mit Kohle auf ein Blatt Papier, das ich mir irgendwann im Laufe des Abends besorgt hatte, und versank in meiner eigenen Welt.
Bald wollte Crystal den Brüdern ihre Querflöte zeigen und bat um die Erlaubnis, aufzustehen, was unsere Eltern ihr nachsichtig gewährten. Während des Essens hatte Soleil ausführlich von seinem Geigenunterricht erzählt, meine Schwester hatte an seinen Lippen gehangen und wollte sich nun auf diese Art revanchieren.
»Kommst du mit, Fyre?«, bat sie mich, doch ich schüttelte nur den Kopf.
Das war einfach nichts für mich.
Ich bemerkte erst, dass ich nicht allein zurückgeblieben war, als Ciel wissen wollte: »Vor was galoppiert er davon?«
Überrascht blickte ich ihn an, und allein diese Bemerkung und der freundliche, fragende Blick aus seinen braungrünen Augen hatten mich sofort für ihn eingenommen.
Obwohl die Zeichnung nur aus wenigen, gekritzelten Strichen bestand, hatte er nicht fragen müssen, ob das Pferd männlich oder weiblich war. Er hatte sogar sofort die Gangart erkannt, die mein schwarzes Fohlen gerade einschlug.
»Er heißt Passat«, erklärte ich schüchtern, »und ich habe keine Ahnung, vor was er flieht. Ich glaube, er rennt einfach nur gerne. Jedenfalls sieht er dabei immer am schönsten und wildesten aus.«
Ciel lächelte und entblößte dabei eine niedliche Zahnlücke.
»Ich habe auch ein Fohlen«, verriet er mir, »sie heißt Freya.«
Von da an brachte Ciel sein Fohlen und Soleil seine Geige zu jedem Treffen mit.
Die Königinnen waren total aus dem Häuschen und sahen sich in ihren Verkupplungsversuchen und Schicksalstheorien vollkommen bestätigt, organisierten immer weitere Treffen und Feste und Essen nur für uns, aber mir war das egal.
Ciel und ich gewöhnten unsere Fohlen währenddessen gemeinsam an uns, ritten später stunden-, manchmal sogar tagelang durch die Wälder, die Wiesen, die Felder, und wenn Soleil und meine Schwester am Ende ihrer gemeinsamen Probezeit immer kompliziertere und ausgefallenere Konzerte vortrugen, lächelten Ciel und ich uns nur verschwörerisch zu.
Aber das war damals.
Heute ist alles anders.
Sometimes it lasts in love but sometimes it hurts instead, höre ich die Stimme von Adele im Ohr, die ihr trauriges Lied singt, gefüllt von Gefühl und Einsamkeit.
Manchmal bleibt die Liebe, aber manchmal tut es einfach nur weh.
»Ich habe doch Recht, oder etwa nicht?«, flüstere ich Passat zu und drücke mein Gesicht in sein dunkles Fell. Dieser Stall fühlt sich an wie Zuhause – mein wahres Zuhause. Hier habe ich so viel Zeit verbracht, so viel erlebt, und vor allem wohnt Passat hier. Zuhause ist, wo das Herz ist, sagt man doch, und Passat ist alles, was von meinem Herzen übriggeblieben ist. Hier fühle ich mich wohl. Das helle Tageslicht kämpft sich durch die Lücken im Strohdach, der Geruch nach Staub und Heu ist allgegenwärtig. Ich spüre bereits eine Ahnung der Wärme des nahenden Frühlings prickelnd auf der Haut, wenn der Wind durch den Stall fährt und die wenigen Fensterläden, die noch geschlossen sind, zum Klappern bringt. Das raue dunkle Eichenholz knarrt jede Nacht, um aufmerksamen Zuhörern seine Geschichte zu verkünden.
Hier gehöre ich hin. Hier will ich bleiben.
In zehn Minuten werden wir losreiten. Ich will nicht, kann mich einfach nicht überwinden, den Striegel wegzulegen und mit Passat da raus zu gehen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro