Eyecandy-Store
Hochmotiviert – also echt jetzt! – schlenderte ich an meinem ersten Praktikumsmorgen ohne Kater, weil ich am Vorabend früh ins Bett gegangen war wie eine brave Praktikantin, in das SNOW Inc. Headquarter.
„Wir haben keine festen Arbeitsplätze", erklärte mir Mike, ein Programmierer mit Dreitagebart und stylischer Messingbrille. „Setz dich also einfach, wohin du willst."
Okay. Ich möchte gerne auf deinem Schoß sitzen. Oder auf deinem Tisch. Natürlich sagte ich das nicht, sondern: „Danke, voll lieb von dir." Auf meine Unterlippe zu beißen und mit den Wimpern zu klimpern, konnte ich mir aber nicht verkneifen. Mike lächelte freundlich und ging zurück zu seinem Laptop. Der leider auf einem Einzeltisch in einer Ecke stand.
Ich suchte mir einen Platz am Fenster und öffnete den bereitstehenden Firmenlaptop. Er fuhr hoch und begrüßte mich mit einem Login-Screen.
„Deine Login-Daten findest du in dem Dokument in der Snowcloud, in der auch dein Arbeitsvertrag ist. Da kannst du den QR-Code scannen, dein Handy findet den Weg." Ich wandte mich zu der tiefen Stimme um, die sich über meine Schulter gebeugt hatte, um mir die Erklärung zu liefern. Hohe Wangenknochen, glatt rasiert, stechend blaue Augen, dunkle Locken. Lächelnd bedankte ich mich. „Ich bin John. Frag mich gern, wenn was ist." Damit schenkte er ihr ein Lächeln mit – Oh fuck! – Grübchen.
Ich war im fucking Eyecandy-Store gelandet.
Ich versuchte es nicht wie Starren wirken zu lassen, als ich seinen Hintern in der perfektgeschnittenen Chino-Hose betrachtete, während er sich entfernte.
Dieses Praktikum wurde mit jedem Augenblick spannender.
Ich scannte den QR-Code mit meinem Handy und wurde zum Download der Crisp!- Betaversion weitergeleitet. Offenbar brauchte ich die App, um Zugriff auf alles weitere zu erhalten. Schulterzuckend drückte ich also auf Download und öffnete nach dem Klingeln, das das erfolgreiche Heurnterladen bestätigte, die Crisp!-App.
„Dein Leben in Bestform." Erschien auf dem Startscreen in eisblauer Handlettering-Schrift. Kurz blinkte der Tutorial-Bildschirm auf, bevor sich eine Mitteilung davorschob, um zu fragen, ob ich weiter dem Weg des zuvor gescannten QR-Codes folgen wollte. Ich tippte auf „Weiter". Dafür war ich ja schließlich überhaupt erst in der App gelandet. Außerdem verabscheute ich Tutorials.
Ein Fenster öffnete sich, oder eher eine Wolke. Snowcloud. Ich rollte innerlich die Augen. Äußerlich durfte ich mir nicht anmerken lassen, wie cheesy ich dieses sich durch alles durchziehende Schneethema fand.
Dort befanden sich ein paar Dateien. „Willkommen María Perez", „Arbeitsvertrag", „Login Coworking", „Login Socials". Hießen sie und ich nahm mir erst einmal die „Willkommen"-Datei vor. Ein Grußwort der CEO füllte die erste Seite:
Liebe María Perez,
ich hoffe, diese Worte finden Sie gutgelaunt und voller Vorfreude auf die bevorstehenden Wochen. Als CEO von SNOW Inc. freue ich mich, Sie in unserem aufstrebenden Start-up begrüßen zu dürfen.
Ihr Engagement und Ihre Entschlossenheit, die Sie während des Bewerbungsgesprächs gezeigt haben, haben uns beeindruckt. Wir sind stolz darauf, ein Umfeld zu schaffen, in dem junge Talente wie Sie wachsen und lernen können und sind begeistert, Sie dabei zu haben.
Unser Unternehmen steht für Fortschritt und Innovation. Wir leben eine Kultur der Offenheit und des Wachstums und sind stets bemüht, das Bestmögliche aus allen Individuen herauszuholen. Hier bei SNOW Inc. glauben wir, dass jede*r einen wertvollen Beitrag leisten kann, und wir freuen uns darauf zu sehen, wie Sie Ihre einzigartige Perspektive und Ihre Fähigkeiten einbringen, um uns bei unserer Mission zu unterstützen.
Während Ihres achtwöchigen Praktikums werden Sie die Möglichkeit haben, an spannenden Projekten mitzuarbeiten, von erfahrenen Kolleg*innen zu lernen und Ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Ich möchte Sie ermutigen, diese Gelegenheit zu nutzen und das Beste aus Ihrer Zeit bei uns zu machen.
Wir glauben an Sie und Ihre Fähigkeiten und sind gespannt darauf, was Sie erreichen werden. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Praktikum und freue mich darauf, Ihre Fortschritte zu sehen.
Willkommen im Team, María!
Mit besten Grüßen
Hulda Befana, CEO, SNOW Inc.
Ob das ein generisches Schreiben war, was jeder Bewerber erhielt? Oder hatte es eine KI generiert? Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, dass die durchgestylte Eiskönigin, die ich auf der Homepage gesehen habe, diesen Text persönlich verfasst hat. Und doch fühlte ich mich persönlich angesprochen und – urgh! -wertgeschätzt. Ich war so manipulierbar.
Die nächste Seite des Dokuments beschrieb meine nächsten Schritte:
· Suchen Sie sich einen Arbeitsplatz in unserem Coworking-Space aus (Check),
· Starten Sie den PC (Check),
· Rufen Sie Ihre Login-Daten aus der Datei „Login Coworking" ab und melden Sie sich an (noch nicht Check),
· Melden sie sich mit den in der Datei „Login Socials" hinterlegten Social Media-Kanälen von SNOW Inc. an und bearbeiten Sie die angefallenen Kommentare entsprechen der folgenden Netiquette (noch nicht Check).
Ich scrollte weiter, um mir die tolle Netiquette durchzulesen.
Netiquette-Richtlinien für Social Media bei SNOW Inc.
Einführung: Es ist uns wichtig, dass Sie als Mitarbeiter von SNOW Inc. die folgenden Netiquette-Richtlinien befolgen, wenn Sie auf Social Media aktiv sind. Diese dienen dazu, eine positive und respektvolle Kommunikation zu fördern und unsere Unternehmenswerte zu vermitteln.
1. Seien Sie respektvoll: Immer respektvoll und höflich kommunizieren. Vermeiden Sie aggressive oder beleidigende Ausdrücke. Behandeln Sie andere so, wie Sie selbst behandelt werden möchten.
2. Professionalität bewahren: Antworten Sie immer auf eine professionelle und sachliche Weise. Benutzen Sie keine Umgangssprache oder Slang und vermeiden Sie unnötige Abkürzungen.
3. Transparenz: Seien Sie klar und transparent in Ihrer Kommunikation. Stellen Sie sicher, dass die Informationen, die Sie geben, korrekt und aktuell sind. Falschinformationen oder Halbwahrheiten können das Vertrauen in unser Unternehmen schädigen.
4. Firmenpolicy vermitteln: Unsere Firmenwerte und -politik sollten immer in Ihren Antworten mitschwingen. Betonen Sie unseren Fokus auf Innovation, Kundenorientierung und soziale Verantwortung.
5. Diskriminierung unterbinden: Wir tolerieren keinerlei Form von Diskriminierung. Kommentare, die rassistisch, sexistisch, homophob oder auf andere Weise diskriminierend sind, sollten sofort gelöscht und, falls nötig, gemeldet werden.
6. Beschwerden professionell beantworten: Wenn Sie auf Beschwerden oder negative Kommentare stoßen, bleiben Sie ruhig und professionell. Versuchen Sie das Problem zu lösen und den Kunden zufrieden zu stellen. Wenn nötig, leiten Sie das Problem an die entsprechende Abteilung weiter.
7. Vertraulichkeit: Veröffentlichen Sie keine vertraulichen Unternehmensinformationen auf Social Media. Dies schließt auch Informationen über Kunden, Mitarbeiter und Geschäftspartner ein.
8. Positives Bild: Versuchen Sie stets, ein positives Bild von SNOW Inc. zu vermitteln. Seien Sie stolz auf unsere Errungenschaften und teilen Sie positive Erfahrungen und Erfolge.
9. Interaktion: Interagieren Sie mit den Nutzern. Beantworten Sie Fragen, bedanken Sie sich für positives Feedback und nehmen Sie konstruktive Kritik an.
Indem wir diese Richtlinien befolgen, können wir sicherstellen, dass wir SNOW Inc. auf eine Weise repräsentieren, die mit unseren Werten und Zielen übereinstimmt. Vielen Dank für Ihre Zusammenarbeit.
Wow. No shit, Captain Obvious. Überflüssige Regeln. Doch mir schwante schon, dass es mir gar nicht so leicht fallen würde, mich an alle zu halten. Höflichkeit war einfach nicht auf der langen, langen Liste meiner Fähigkeiten.
Doch ich tat, wie mir durch die Dokumente in der Snowcloud geheißen und verbrachte schließlich den ganzen Vormittag damit, Insta-Kommentare zu filtern. Bots und Hate-Speech löschen, Kommentare beantworten, Fragen an den Support weiterleiten und immer schön nett sein. Nett. Meh.
Mittags verswuchte ich Mary abzupassen, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Dabei hatte sie heute Morgen das Haus sehr früh verlassen und nicht gefrühstückt, müsste also am Verhungern sein. Meine Nachrichten beantwortete sie nicht.
Also ließ ich mich von Marcy und Maxwell mit zum Buffet nehmen. Die beiden waren Geschwister, so wie alle hier absurd schön mit ihren blonden Haaren und Schokoaugen und gekleidet, als wären sie gerade auf der Fashion Week gewesen. Wir unterhielten uns beiläufig, über Dies und Das und ich wurde mir immer sicherer, dass beide mit mir flirteten. Kurzum: Die Mittagspause verging wie im Flug und wir tingelten wieder an unsere Arbeit.
Diese Social Media-Sache war echt in Ordnung. Während ich Interesse heuchelte, setzte ich ein Plastiklächeln auf und es ließ sich wirklich aushalten.
Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Ich flirtete mit den heißen Kollegen, setzte mich an meine sozialen Medien und bekam schließlich am dritten Tag auch Aufträge, selbst Posts zu verfassen. Die Marketing-Abteilung lieferte mir dazu Bilder und grobe Ideen zum Inhalt, in der Gestaltung war ich völlig frei. Bei meinen ersten Posts war ich total aufgeregt, fragte immer wieder nach, ob das gut so sei und wurde mit Lob überhäuft. Also gewann ich an Selbstvertrauen und übernahm bald ganz allein die Verantwortung für den Insta- und den X-Kanal. So verflog meine erste Woche und ich war völlig aus dem Häuschen. Vor allem, weil ich auch noch eine gute Stange Geld für meine Arbeit bekam. Bestes. Praktikum. Ever.
1367 Wörter
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