Der Plan
Etwas Staub flog von der Wand auf und rieselte im Schein der Sonne durch den Raum.
„Wie kannst du es wagen", knurrte Orion Black mit Unheil verkündender Stimme. Nicht weit hinter ihm stand Walburga Black mit wütend funkelnden Augen.
„Du beklaust unsere Bibliothek! Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, wie kostbar einige der Bücher dort sind!" Regulus schluckte. „Ich habe nicht...", setzte er kleinlaut an, doch Orion ließ ihn nicht aussprechen.
„Wag es nicht mich anzulügen." „Ich wollte es zurückgeben", setzte er wieder an, doch ohne Gehör zu erlangen.
„Und wir dachten, du machst dich in letzter Zeit so hervorragend. Dabei belügst du uns und schleichst hinter unserem Rücken herum, um unsere Sachen zu entwenden."
Er machte eine weitläufige Bewegung mit seinem Arm und Regulus machte sich auf das Schlimmste gefasst, doch sein Vater stöhnte auf und hielt mitten in der Bewegung inne.
Regulus sah zu ihm auf und erblickte seinen Vater mit vor Schmerz verzogenem Gesicht, seine verletzte Schulter haltend. Er biss die Zähne zusammen und knurrte wütend. Zu Regulus Entsetzen trat nun seine Mutter in den Vordergrund und mit einem Blick, der Tote sich im Grab hätte umdrehen lassen, schleuderte sie einen roten Fluch auf ihn ab.
Er hatte gewusst, was auf ihn zukommen würde und trotzdem war er niemals vorbereitet auf diese Schmerzen, die einen von innen heraus zu verschlingen schienen. Es fühlte sich an, als würden seine Knochen brechen, immer und immer wieder. Und seine Organe standen in Flammen. Er bekam keine Luft mehr. Seine Lungen waren wie aus Staub und trotzdem brannte das Feuer weiter. Seine Augen wollten tränen, doch es war nichts mehr da, was das Brennen seiner Augen hätte lindern können. Er wälzte sich auf dem Boden. Sein Kiefer war so fest zusammengebissen, dass er dachte er würde brechen. Seine Gedanken verloren an Bedeutung, da war nur noch dieser Schmerz. Dieser alles zerstörende Schmerz. Und dann plötzlich war es vorbei.
Der Hitze folgte plötzliche Kälte, die seinen gesamten Körper zum Zittern brachte. Unkontrolliert zuckend lag er am Boden. Im war schwarz vor Augen, also schloss er sie, um ihr Brennen zu lindern. Er glaubte zu hören, wie sich Schritte entfernten, jedoch war er sich nicht sicher, denn bis auf einen schrecklichen Piepton hörte er nur dumpfe Geräusche um sich herum. Es war, als würde er Stimmen hören, jedoch klangen sie als wäre er unter Wasser.
Er wusste nicht wie lange er dort so lag. Es hätten Minuten oder auch Stunden sein können, er bekam sowieso nichts mit.
Das nächste, woran er sich erinnerte war Kreachers vor Sorge verzerrtes Gesicht und etwas Nasses, Kaltes an seiner Stirn. Als er das nächste Mal die Augen öffnete war es stockdunkel. Zunächst glaubte er, ihm sei nach wie vor schwarz vor Augen; nach einigen Sekunden erkannte er jedoch schemenhafte Umrisse, die sich nach und nach zu seinem Zimmer zusammensetzten.
Er befand sich immer noch auf dem Boden. Doch jemand hatte ihm ein Kissen unter den Kopf geschoben und ihm ein Glas Wasser hingestellt. Verwirrt faste er sich an die Stirn, als ihm wieder einfiel, etwas Kaltes, Nasses dort gespürt zu haben.
Er betrachtete den Lappen in seiner Hand und legte ihn dann wieder zurück, diesmal bedeckte er jedoch sein ganzes Gesicht. Es tat gut, die Nässe auf seinem Gesicht zu spüren, auch wenn er immer noch etwas fror.
Vorsichtig versuchte er sich aufzusetzen, verwarf die Idee jedoch schnell wieder, als seinen Körper ein Blitz aus Schmerzen durchfuhr. Also entschied er sich, mit erschöpften Blick an die Decke zu starren und abermals die Spinne zu beobachten.
Sie schien von der Folter, die sich soeben unter ihr zugetragen hatte, gänzlich unbeeindruckt und arbeitete einfach fleißig weiter an ihrem Netz. Eine unglaubliche Sehnsucht nach einem solchen Unwissen ergriff plötzlich von ihm Besitz. Wie es wohl wäre, in einer Welt ganz ohne all diese schrecklichen Dinge zu leben?
Eine Stimme ließ ihn aus seiner Trance aufschrecken.
„Herr Regulus ist wach. Kreacher hat sich große Sorgen gemacht. Herr Regulus war ungewöhnlich lange ohne Bewusstsein."
Er kam auf den am Boden liegenden zu und reichte ihm das Wasser, das immer noch unberührt neben ihm gestanden hatte. Vorsichtig versuchte er, sich aufzusetzen um einige Schlucke zu nehmen, trank dann jedoch gierig alles aus.
Sofort schnipste Kreacher mit den Fingern und das Glas füllte sich erneut.
Vorsichtig nippte Regulus an dem Glas und stelle es dann wieder neben sich, um sich zurück auf den Boden zu legen.
Das Wasser tat gut. Es kühlte die wunden Stellen in seinem Körper und brachte wieder etwas Klarheit in seinen Verstand. Nach und nach kamen Bruchstücke seiner Erinnerungen zurück. Der Nebel, der seine Gedanken verwirrt hatte, lichtete sich langsam.
Mit einem hektischen Ruck drehte er seinen Kopf zur Seite, in Richtung seines Bettes. Das Buch! Wo war es?
Er wollte sich aufzusetzen, um einen besseren Blick über sein Zimmer zu haben. Doch die Schmerzen hielten ihn zurück. „Kreacher", krächzte er schließlich.
„Ja ,Herrn Regulus?" quietschte Kreacher mit zittriger Stimme neben ihm.
Regulus versuchte seine Stimmbänder wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Das Buch...", brachte er nach mehreren Versuchen heraus. Kracher legte den Kopf schief, sodass ihm eines seiner großen Ohren vor dem Auge hing.
„Welches Buch meint Herr Regulus?" „In dem ich gelesen habe. Wo ist es?", etwas Panik schwang in seiner Stimme mit.
Kreacher zog den Kopf ein. „Ihr Herr Vater hat es mitgenommen, nachdem...", er brach ab. Regulus nickte verstehend und seufzte. Zu gerne hätte er sich die Seiten noch einmal durchgelesen, um wirklich zu verstehen was hier vor sich ging.
Doch er hatte genug Gewissheit, um zu sagen, dass er etwas unternehmen musste.
Auch wenn er dieses Grauen nicht gänzlich verstand, musste er es stoppen. Er würde das Richtige tun, auch wenn das hieß sich gegen seine Familie zu stellen.
Er brachte ein schwaches, ironisches Schnauben hervor. Ganz wie sein Bruder. Er glaubte, Sirius noch nie so sehr verstanden zu haben, wie in diesem Augenblick. Und er bereute, es nicht früher gesehen zu haben.
Er bereute es, Sirius nicht an seiner Seite zu haben. Seinen großen Bruder, dem nicht nur seine Eltern sondern auch Regulus unrecht getan hatten.
Eine einzelne Träne prallte von seinem Gesicht ab und er wischte ihre Spuren weg. Starr, von seinen Gefühlen überrannt, blickte er auf seine Hand. Er spürte tiefe Reue und Trauer, als ihm bewusst wurde, was er alles hätte anders machen können. Was er hätte tun können, um für Sirius da zu sein?
Er saß an seinem Schreibtisch und kritzelte gedankenverloren auf einem alten Stück Pergament. In den vergangenen Stunden hatte ein Plan Form in seinem Kopf angenommen und dessen Ende schien Regulus' einziger Ausweg. Er glaubte, nicht weiterhin in diesem Haus leben zu können. Selbst wenn seine Eltern nie etwas von seinem Plan erfahren würden, könnte er nicht mehr an diesem Ort leben. Bei Menschen, die sich einer solchen Ideologie verschrieben hatten, die er nicht mehr vertreten wollte. Die einem Meister dienten, der zu solch grauenvollen, unmenschlichen Taten fähig war.
„Kreacher!" rief er den kleinen Hauselfen herbei.
Mit einem plop tauchte der Gerufene neben ihm auf.
„Ja Herr Regulus?" fragte er. Regulus sah zu ihm hinunter, in seinem Blick schwang etwas Trauriges, fast etwas Schmerzliches.
„Ich brauche deine Hilfe und du musst mir schwören, es niemandem zu erzählen, verstehst du? Nicht mal Mutter und Vater. Ganz besonders nicht Mutter und Vater!" Kreacher nickte heftig zur Bestätigung. „Natürlich, Kreacher würde alles für Herrn Regulus tun. Kreacher macht seine Schuld bei Herrn Regulus wieder gut. Kreacher macht wieder gut, dass er seinen Herrn nicht vor den Herrn Black geschützt hat." Die Stimme des Elfen überschlug sich fast. Regulus schüttelte den Kopf.
„Du hast keine Schuld bei mir. Ich bitte dich als mein Hauself, dem ich vertraue, um die Geheimhaltung von diesem Gespräch. Zu unserer aller Sicherheit." Und besonders zu Kreachers Sicherheit, fügte er in Gedanken hinzu. Er fühlte sich schlecht genug, den armen Elfen da mit hinein ziehen zu müssen, aber ohne seine Hilfe ging sein Plan nicht auf.
Kreacher nickte voller Stolz und Ehre und versicherte ihm, niemandem etwas zu erzählen.
„Ich habe etwas zu erledigen, dafür brauche ich ein Duplikat des Medaillons, das du zusammen mit dem Dunklen Lord in die Höhle gebracht hast. Meinst du, du kannst so eins auftreiben?"
Kreacher schien verwirrt, nickte jedoch schließlich kaum merklich. „Wozu braucht Herr Regulus ein Duplikat des Medaillons?"
„Je weniger du weißt, desto besser", gab Regulus schlicht zurück und bemühte sich, seine Sorge zu verbergen.
Kreacher war der letzte, der ihm noch geblieben war. Er würde sicherstellen, dass ihm in der Höhle nichts zustoßen würde. „Wenn du das Medaillon aufgetrieben hast, musst du mich zu dieser Höhle bringen, Kreacher." Schrecken breitete sich auf dessen Gesicht aus. „Aber...Aber was will Herrn Regulus in dieser schrecklichen Höhle?"
„Später", tat Regulus die Frage ab und wandte sich wieder seinem Pergament zu. Es war besser, den Rest seines Planes erst in der Höhle preiszugeben. Das machte es einfacher. Zumindest hoffte er das.
Als Kreacher mit einem erneuten plop verschwunden, war ging Regulus zu seinem Bett und betrachtete das Bild von sich und seinem Bruder. Er wünschte sich, Sirius noch einmal zu sehen, noch einmal einen seiner Streiche mitzuerleben. Er hatte ganz vergessen, wie sehr ihn diese Kleinigkeiten als Kind gefreut hatten.
Mit seinen Eltern hatte er nie Spaß haben können. Nur Sirius hatte etwas Freude in dieses düstere Haus gebracht.
Wie hatte er das nur all die Jahre verdrängen können? Wie hatten es seine Eltern geschafft, sein Bild von Sirius so zu verfälschen? Das würde er sich selbst nie verzeihen.
Aber sein nie würde nicht mehr lange sein. Zumindest wenn sein Plan aufging. Er zog ein kleines Pergamentstück aus einer Schublade seines Schreibtisches und fing an zu schreiben. Doch die richtigen Worte schienen ihm zu fehlen.
Nachdem er einige Versuche verworfen hatte setzte er ein letztes Mal seine Feder in den Tintenkelch und fing an zu schreiben.
An den Dunklen Lord,
Ich weiß, ich werde tot sein, lange bevor du dies liest,
aber ich will, dass du weißt, dass ich es war, der dein Geheimnis entdeckt hat.
Das Grinsen, das der Dunkle Lord bei der Versammlung aufgesetzt hatte brannte sich abermals in seinen Kopf und seine prahlenden Worte über die Unsterblichkeit hallten in seinen Ohren. Er wollte nichts mehr, als diesen Hochmut aus seiner Stimme zu ziehen und diese Überlegenheit aus seinem Gesicht. Doch er wusste, dass er sich nicht gegen ihn behaupten konnte. Es war nicht seine Bestimmung, den Dunklen Lord zu besiegen, aber er konnte seinen Teil dazu beitragen.
Ich habe den echten Horkrux gestohlen und ich will ihn zerstören, sobald ich kann.
Ich sehen dem Tod entgegen in der Hoffnung, dass du, wenn du deinen Meister findest, erneut sterblich sein wirst.
R.A.B
Als er in dieser Nacht das Haus zusammen mit Kreacher verließ, ließ er auch seine Wut auf seine Eltern zurück.
Er wollte nicht mit einem solchen Gefühl seinem Ende entgegentreten. Er dachte an das, wofür er diesen Weg eingeschlagen hatte. An seinen Bruder. An seine Kindheit mit Sirius und die Freude durch die er gelernt hatte, dass es mehr im Leben gibt, als nur Schrecken. Dass es einen Grund zum Leben geben kann. Aber auch, dass er diesen Grund verloren hatte und nun für andere diesen Grund, diese Freude, retten wollte.
Wenigstens würde er mit seiner letzten Tat etwas Richtiges, etwas Bedeutsames vollbringen.
Ein letztes Mal atmete er die Luft seines Zuhauses ein, bevor Kreacher seinen Arm ergriff und sie mit einem plop aus dem schwachen Licht der Laterne verschwanden.
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