Der Dunkle Lord
Ohne eine weitere Sekunde verstreichen zu lassen, sprang Regulus auf die Füße, sammelte die Bücher auf und verstaute sie im Regal. Er kontrollierte nicht, ob er jedes von ihnen an seinen ordnungsgemäßen Platz stellte, sondern verteilte sie willkürlich, in der Hoffnung, ein weiteres Mal die Möglichkeit zu bekommen, in ihnen zu lesen bevor jemand etwas bemerkte.
Mittlerweile hörte er die schweren Stiefel seines Vaters über die Holzdielen im Untergeschoss schleifen. Mit einem Schwenk seines Zauberstabs erlosch das Licht in der Bibliothek und er eilte zur Tür hinaus.
Kreacher hatte sich schon wenige Sekunden zuvor mit einem erneuten plop von ihm verabschiedet. Wahrscheinlich um Regulus Eltern in Empfang zu nehmen.
Schnellen Schrittes eilte er die knarrende Treppe hinauf. Bei jedem Geräusch, das sie von sich gab, verzog er missmutig das Gesicht. Doch Kreachers sehr laute und überschwänglich ausfallende Begrüßung schien das Knarren der Stufen zu übertönen.
Kaum hatte er seine Zimmertür hinter sich verschlossen, tauchte der kleine Elf auch schon wieder vor ihm auf. Sein Blick sprach förmlich Bände.
„Herr Regulus sollte nicht..." Doch Regulus brachte ihn mit einer abtuenden Handbewegung zum Schweigen.
„Ich weiß. Mir ist klar, dass ich unüberlegt riskant gehandelt habe. Du brauchst mir keinen Vortrag zu halten." Er ließ sich bäuchlings auf sein Bett fallen. Doch als der Elf weiterhin schwieg, drehte er seinen Kopf zu ihm.
Kreacher sah zurechtgewiesen auf den Boden, doch Regulus bemerkte, mit welcher Mühe sich der Elf einen besorgten Kommentar verkniff.
Natürlich wusste er, dass er hätte vorsichtiger sein sollen. Seine Mutter hätte ihn brodelnd zurechtgewiesen und alleine der Gedanke daran brachte seinen Körper zum Schmerzen.
„Danke", nuschelte er schließlich in sein Kissen und setzte sich wieder auf. Der Elf sah mit einem für ihn untypisch glücklichen Gesichtsausdruck zu ihm auf.
„Kreacher hat nur getan was er tun musste, um Herrn Regulus Ärger zu ersparen. Aber die Herren Black waren nicht sehr erfreut über Kreachers Versuche, sie von Herrn Regulus abzulenken." Regulus schenkte ihm ein dankbares Lächeln und schleppte sich dann zu seinem Schrank um ordentliche Kleidung anzuziehen. Seine Eltern erwarteten ihn mit Sicherheit schon.
Als Regulus die Küche betrat, saßen seine Eltern mit müdem Blick an dem großen Esstisch. Sein Vater Orion Black las mit konzentrierten Blick im Tagespropheten und seine Mutter Walburga nippte an einem kleinen Glas Feuerwhisky. Missmutig verzog er das Gesicht. Das konnte nur schlechte Nachrichten bedeuten und schlechte Nachrichten hießen, er musste besonders auf seine Worte achten.
Mit gesenktem Blick nahm er sich ein Glas Wasser und setzte sich zu seinen Eltern an den Tisch. Angestrengt versuchte er seine Müdigkeit zu verbergen. Sie durften auf keinen Fall Verdacht schöpfen.
Quälende Minuten verstrichen, bis Walburga Black die Stille durchbrach.
„Sorge dafür, dass Kreacher mir heute vom Leibe bleibt, seine heutige freudige Ausstrahlung raubt mir den letzten Nerv." „Natürlich, Mutter", wandte er schnell zur Antwort und war froh, Kreacher von ihr fernhalten zu können. Er wollte nicht, dass der Elf Ärger seinetwegen bekam.
Sein Vater räusperte sich und fing, ohne von der Zeitung aufzublicken, an zu sprechen. „Heute findet eine außerplanmäßige Versammlung statt. Du sollst dich zur Dämmerung im Hauptquartier einfinden. Dort werden alle in die momentane Lage eingeweiht."
Wie versteinert saß Regulus da und versuchte die wütenden Gedanken in seinem Kopf nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Es war eine Sache in seinen Gedanken zu zweifeln, aber eine ganz andere, wenn sich diese Zweifel in seinem Gesicht widerspiegelten. „Seit ihr nicht hinberufen worden?" „Wir haben alles Wichtige bereits mit dem Dunklen Lord besprochen und eine andere Aufgabe für heute Abend bekommen."
Ein Klos bildete sich in seiner Kehle. Regulus wollte gar nicht wissen, um was es sich dabei handelte. Er hoffte nur, dass seine Eltern mittlerweile nicht auch zu solch drastischen Maßnahmen wie der Dunkle Lord griffen.
Er wusste, dass sie grausam sein konnten, aber sie wichen dabei nicht von ihren Werten ab und einem Unschuldigen wie Kreacher würden sie nicht töten. Zumindest nicht wenn dieser auf ihrer Seite stand und ihnen treu ergeben war.
Er biss die Zähne zusammen und betrachtete seine Eltern unauffällig. Zumindest war er sich dessen vor einigen Tagen noch ohne zu zweifeln sicher gewesen. Jetzt spürte er seinen Eltern gegenüber ein beunruhigendes Misstrauen.
Zur Dämmerung machte sich Regulus bereit für die Versammlung. Er griff nach seinem schwarzen Umhang und wühlte in einer Schublade seiner Kommode nach seiner Maske. Für gewöhnlich trugen die Todesser ihre Masken zum Betreten des Hauptquartiers. Er war jedoch kein großer Vertreter dieses Rituals. Seiner Meinung nach würde eine tiefgezogene Kapuze für diesen kurzen Weg mehr als ausreichen. Doch gerade heute wollte er nicht zwischen den anderen Todessern auffallen und so zog er sich die silberne Maske über das Gesicht. Danach begab er sich nach unten.
Seine Eltern hatten das Haus schon wieder verlassen. Er hoffte, er hatte sich all die Jahre nicht in seinen Eltern getäuscht. Er wollte sie nicht auch zu den anderen Gestalten in seinem Kopf zählen müssen, die ihn immer mehr zuwider wurden.
Doch bevor er das Haus verließ, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.
Er wusste nicht wann ihm die nächste Gelegenheit geboten wurde, in die Bibliothek seiner Eltern zu schleichen. Und er wollte die verstreichende Zeit bis zur nächsten Gelegenheit nicht mit unnützem Warten vergeuden. Also eilte er die knarrenden Stufen wieder hinauf, bis er vor der Tür der Bibliothek stand. Unsicher sah er einmal über die Schulter und betrat dann flink den dunklen Raum.
Mit einem Schwenk seines Zauberstabes erhellte sich das Zimmer um ihn herum. Hektisch, doch mit einem kühlen Kopf ging er die Regalreihen ab, um das zu erledigen, was ihn in der vorherigen Eile zulange gedauert hätte. Er nahm die Bücher von ihren Regalbrettern und stellte sie wieder an ihren ursprünglichen Platz.
Alle bis auf die zwei Bücher über tiefschwarze Magie, die er noch fertig lesen wollte.
Etwas in ihm flüsterte ihm zu, dass sie nützlich sein würden. Seinem Instinkt folgend stopfte er sie in seine Umhangtasche und verschwand hoch in sein Zimmer, um sie in seinem Versteck unter den alten Dielen zu verstauen, bis er die Zeit fand, sich ihnen in Ruhe zu widmen.
Kurz darauf verließ er den Grimmauldplatz und apperrierte zum Hauptquartier. Direkt in den Schlund seiner Zweifel.
Kaum hatte er einen Fuß auf den Boden gesetzt, erschien nicht weit von ihm eine weitere Gestalt.
Sie schenkte ihm keine Beachtung und glitt sicheren Schrittes zum Tor des Anwesens. Regulus tat es ihr gleich und zückte seinen Zauberstarb, um sich durch die Schutzzauber Zutritt zu verschaffen.
Kälte erfasste ihn und ein Zittern durchfuhr seinen Körper. In der großen Eingangshalle brannte kein Licht, also beschwor Regulus an der Spitze seines Zauberstabes einen grellen Funken und erklomm die steinerne Wendeltreppe am rechten Ende der Halle. Im Stockwerk über ihm waren Stimmen zu hören und kurz darauf trat er zu den anderen Todessern.
Ein ellenlanger Tisch befand sich in der Mitte des Raumes und am hinteren Ende prasselte ein wärmendes Feuer.
Zu seiner Freude ließ die Kälte langsam von ihm ab, jedoch wurde sie durch eine Kühle in seinem Inneren ersetzt, die er gerne wieder eingetauscht hätte. Mit einem leichten Schwenk seiner Hand löschte er das Licht seines Zauberstabes und nahm an dem langen Tisch Platz. Seine Maske ließ er wie alle anderen verschwinden und sah sich in der Runde um.
Er dankte Merlin in diesem Moment für seine Beherrschung.
Er war schon als Kind darin talentiert gewesen, seine Gefühle vor der Außenwelt zu verbergen und er hatte dieses Talent noch nie so sehr geschätzt wie in diesem Augenblick.
Der Dunkle Lord saß schweigend am anderen Ende des Tisches, genau vor dem prasselnden Feuer. Einige Minuten vergingen, bis seine Stimme die Unruhe unterbrach. Er hatte etwas so Einschüchterndes an sich, dass bereits nach einem Wort der gesamte Saal verstummte und an seinen Lippen hing.
Die Tatsache, dass er dies in einer ruhigen und gelassenen Stimme schaffte, hatte Regulus früher sehr bewundert, jetzt erregte es jedoch nur noch mehr Wachsamkeit in ihm.
„Meine getreuen Freunde, ich bedauere es zutiefst euch mit dieser Nachricht begrüßen zu müssen, doch einige aus unseren Reihen wurden während ihrer letzte Mission vom Orden in Gefangenschaft genommen. Zu diesem Zeitpunkt, an dem wir hier alle beisammen sitzen, werden unsere Freunde bereits von den Dementoren in Askaban bewacht. Doch seit euch gewiss, dass wir nichts unversucht lassen werden, um sie zu rächen. Einer meiner Spione hat mir berichtet, dass der Orden in wenigen Tagen eine Sitzung in einem kleinen Muggeldorf abhalten wird. Selbstverständlich werden wir ihnen einen Besuch abstatten."
Bei den nächsten Worten gefror Regulus das Blut in den Adern. Sie würden das gesamte Dorf in die Luft jagen.
Jeder Muggel und jedes Mitglied des Ordens sollte der Macht der Todesser unterliegen, bis auch das letzte Kind tot am Boden lag. Ekel ließ ihn erschaudern und er fragte sich, wie er so blind hatte sein können und diese Fassade nicht früher hatte durchschauen können.
Das Ziel des Dunklen Lords war nicht etwas Denkwürdiges und Glorreiches für die reinblütigen Zauberer zu erschaffen. Es hatte nichts mit Ehrfurcht vor den Traditionen zu tun, die auch die Blacks seit Jahrhunderten befolgten. Es war kaltherzig und erbarmungslos Unschuldigen gegenüber. Wie hieß es so schön, der Zweck heiligt die Mittel. Das waren die Werte, denen all diese Zauberer um ihn herum blind folgten und nichts daran erschien ihm jetzt noch erstrebenswert
Regulus war erleichtert, als die Versammlung ihr Ende nahm.
Ein Gefühl der Einsamkeit hatte sich in ihm ausgebreitet.
In den Dingen, in denen er früher Erfüllung gefunden hatte, auf die er sich sein Leben lang vorbereitet hatte, fand er nun nichts als Einsamkeit. Er hatte niemanden der ihm beistand. Er war alleine mit seinen Zweifeln. Alleine mit der Gewissheit, dass sein Leben in eine völlig falsche Richtung verlief.
Und je mehr er diese Einsamkeit in sich wahrnahm, desto sicherer war er, dass er etwas ändern musste. Das er sogar etwas ändern konnte, wenn er nur herausfand, was der Dunkle Lord im Schilde führte.
Er war bereits aufgestanden und hatte sich zum Gehen gewandt, als ihn eine kalte Hand auf seiner Schulter zu Eis gefrieren ließ.
Bemüht um etwas Gelassenheit drehte er sich um und fand sich direkt vor dem Mann wieder, den er mittlerweile mehr verachtete als jeden anderen auf der Welt.
Der Dunkle Lord lächelte ihn kaum merklich an. Sein Gesicht zeigte keinerlei echte Gefühlsregung, das einzige was Regulus sah, war eine Maske. Jetzt wo er genauer darüber nachdachte fragte er sich, ob dieser Mann jemals in seinem Leben zu einer echten Gefühlsregung im Stande gewesen war.
„Wie ich hörte machst du gute Fortschritte, mein Junge. Deine Eltern können stolz auf dich sein." Er nickte gezwungen. „In ein paar Wochen plane ich dich auf einer etwas größeren Mission einzusetzen. Du hast viel Potenzial." Dabei legte er seinen langen Arm um Regulus Schultern, als wären sie sich vertraut wie Freunde. Ekel regte sich in ihm und er musste den Reflex verdrängen zurückzuweichen.
„Ich bin mir sicher, aus dir können wir noch einen exzellenten Todesser machen. Deine Familie hat mir schon viele Dienste erwiesen und ich bin mir sicher, du wirst ihnen fleißig nacheifern." Er schenkte ihm ein weiteres unechtes Schmunzeln und wandte sich dann wieder ab.
„Ich gebe dir bescheid, wenn ich deine Dienste benötige. Und sei auf der Hut", wandte er sich dann noch ein letztes Mal direkt an ihn. „Nicht jeder hat die Unsterblichkeit auf seiner Seite. Wachsamkeit ist von unheimlichem Wert, wir wollen doch nicht, dass du unseren Freunden in Askaban nacheiferst."
Regulus sah ihm nach und versuchte seine Glieder etwas zu lockern, um nicht wie ein starrer Zauberstab in der Gegend herumzustehen.
Ob er etwas von seinen Zweifeln ahnte? Oder war das eine seltsame Art danke zu sagen, ihm Kreacher ohne weiteres ausgehändigt zu haben.
Sein Kiefer spannte sich an, als ihm das Bild des kleinen aufgelösten Elfens wieder ins Bewusstsein drang. Plötzlich verspürte er eine Wut, die er noch nie in seinem Leben verspürt hatte. Es fühlte sich an, als würden Flammen in ihm lodern und nach Rache lechzten.
Um die Kontrolle nicht zu verlieren, eilte er die steinerne Treppe hinunter und verließ schnellen Schrittes das Anwesen. Die Kalte Luft, die ihn vorhin noch geärgert hatte, erfüllte ihn jetzt mit Frieden.
Doch seine Gedanken brachten ihn immer wieder zurück zu den Worten des Dunklen Lords. Etwas störte ihn daran.
Es nagte an ihm und wollte an die Oberfläche gelangen. Er konnte nur nicht genau sagen was es war.
Etwas in seinen Augen erschien ihm falsch. Sie hatten nicht zu der Maske aus falschen Gefühlen gepasst, die er immer so gekonnt aufrecht erhielt. Es schien im fast so, als ob diese Fassade für einen Augenblick seine Augen freigegeben hätte und ein Funkeln zum Vorschein gebracht hatte, dass Regulus das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Einige Minuten stand er einfach nur so da und atmete die kühle Nachtluft ein. Die Sterne über ihm boten ihm Ablenkung von seinen umherfliegenden Gedanken.
Spät in der Nacht kehrte er zurück zum Grimmauldplatz.
Regulus war stundenlang in der Stadt herumgewandert, um seine Gedanken zu ordnen. Und sein Entschluss stand nun ein für allemal fest. Er würde etwas unternehmen, um dem Dunklen Lord die Stirn zu bieten.
Erschöpft schleppte er sich die Treppen hoch. Er fühlte sich elend. Jede Bewegung schmerzte.
Auch wenn er neugierig war, ob er in den versteckten Büchern etwas Nützliches finden würde, dachte er momentan an nichts anderes als an sein Bett.
In seinem Zimmer angekommen warf er den Umhang achtlos auf den Boden und ließ sich auf seine bequeme Decke fallen. Keinen Augenblick später schlief er bereits tief und fest und vergaß für einen Moment seine Zweifel.
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