Kapitel 8 - Schlangengrube
Die Stimmung am Samstag war beinahe überall ausgelassen. Fast jeder in Hogwarts liebte die Quidditchspiele und unterstützte sein Haus oder eines der anderen, die spielten. Die Große Halle sah aus wie ein Meer aus Rot und Gold mit einer grünen und silbernen Bordüre an einer Seite, denn niemand außer den Slytherins unterstützte je die Slytherins. Deswegen konnten wir besonders laut schreien und singen - wir mussten uns in einem ganzen Stadion, das gegen uns war, Gehör verschaffen. Heute allerdings war die Stimmung bei uns eher gedrückt. Das mit Vaisey lag allen im Magen. Immerhin hatte Gryffindor auch eine Ersatzspielerin im Team, denn das Mädchen, das im Oktober auf dem Rückweg von Hogsmade mit dem schwarzmagischen Objekt verflucht worden war, war eine Gryffindor Jägerin gewesen. Sie lag immer noch im Krankenhaus, nach allem was ich wusste. Gryffindor hatte also wochenlang Zeit gehabt sich eine neue Jägerin zu suchen, wir nicht mal vierundzwanzig Stunden.
„Ich glaub, unser Sucher hat verpennt", murmelte Rin und ließ den Blick über den Slytherin Haustisch schweifen. Die Mannschaft saß weiter vorne und ließ sich von Urquhart zutexten. Draco Malfoy, unser Sucher, war nicht dabei.
„Nicht der auch noch", stöhnte ich.
„Es geht in einer halben Stunde los", sagte Adalyn mit einem besorgen Blick auf ihre Uhr. „Wir sollten bald runter gehen."
Wir alle suchten immer wieder am Tisch nach Malfoy, doch er tauchte nicht auf. Dafür erkannte ich den Jäger, den sie als Ersatz für Vaisey genommen hatten - es war Adrian Pucey, der lange in der Mannschaft gespielt hatte, dieses Jahr aber eigentlich hatte aufhören wollen, weil er zu viel mit seinen U.T.Zs zu tun hatte. Er war zugegebenermaßen eine gute Wahl.
Kurz bevor wir zum Feld aufbrachen, kam Ethan vorbei. Es war an Spieltagen nichts Ungewöhnliches, dass man sich gegenseitig besuchte um sich kurz vor dem Spiel noch ein paar Drohungen an den Kopf zu werfen, aber deshalb war Ethan nicht hier.
„Möge das bessere Team gewinnen", sagte er und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter.
Ich grummelte etwas Unverständliches. Gryffindor war das bessere Team, aber ich war weit entfernt davon, das laut auszusprechen.
„Was machst du heute Nachmittag?", fragte Ethan beiläufig.
„Den Aufsatz für Snape schreiben. Wieso?"
„Ich dachte ... vielleicht -" Er druckste herum, bis er schließlich seufzte und einfach sagte: „Ich will mit dir reden, über deine Mannschaft und vor allem über mich in deiner Mannschaft. Können wir den Aufsatz zusammen schreiben und danach reden?"
Er stand mit dem Rücken zu Rin, die mit den Augenbrauen wackelte und vielsagend grinste.
„Klar, machen wir. Nach dem Mittagessen in der Bibliothek?"
„Spitze! Bis dann!" Er winkte und verschwand durch das Portal nach draußen. Wir folgten ihm langsam. Das Wetter war über Nacht kälter geworden und der grasbewachsene Abhang war mit Raureif bedeckt.
Auf dem Weg zum Feld überholte uns die Hausmannschaft. Ich zählte sieben Köpfe. Also war Malfoy wohl doch noch aufgetaucht. Plötzlich stieß Leslie einen spitzen Schrei aus und packte einen der Spieler am Arm. „Harper!"
Timmy Harper drehte sich zu ihr um und grinste.
„Was - wieso - was tust du hier?"
Er blieb kurz stehen. „Malfoy hat sich krankgemeldet, also haben sie mich gefragt. Abgefahren, oder?"
Rin, Adalyn und ich gratulierten ihm, dann rannte er dem Rest der Mannschaft hinterher zu den Umkleidekabinen.
„Ich hätte das sein sollen", sagte Leslie ungewohnt bitter. „Ich bin besser als er aber weil ich ein Mädchen bin, kann ich nicht mal als Ersatz spielen."
Ich gönnte Harper den Erfolg, aber sie hatte Recht. Sie war besser und ich hätte meine linke Niere gegeben, um sie an seiner Stelle im smaragdgrünen Quidditchumhang mit der Hausmannschaft aufs Feld laufen zu sehen. Doch das war nicht die Welt, in der wir lebten.
Um elf eröffnete Madam Hooch das Spiel. Wir feuerten unsere Mannschaft weniger an, als dass wir sie analysierten. Adalyn und ich hatten ein besonderes Auge auf die drei Jäger, Leslie beobachtete Harper und Rin die beiden Treiber.
Der neue Stadionsprecher war aus Hufflepuff und es war sehr erfrischend, wie wenig er die Gryffindor-Mannschaft zu mögen schien. Er überlegte laut warum Potter zwei Weasleys aufgenommen hatte, war es womöglich weil die beiden seine Freunde waren? Dann allerdings wehrte Ron Weasley, der Hüter, einen Quaffel von Urquhart ab und es wurde allmählich klar, dass auch Ginny Weasley unfassbar gut spielte. Nach einer halben Stunde hatte sie vier Tore für Gryffindor erzielt und die anderen beiden Jägerinnen aus Gryffindor jeweils eins. Slytherin hatte kein einziges Tor gemacht, weil Urquhart ohne jede Strategie spielte, weil Vaisey nicht da war und weil Pucey dieses Jahr noch nicht eine Minute lang trainiert hatte.
Und dann schlug einer der Gryffindor-Treiber einen Klatscher so geschickt, dass er Harper an der Schulter traf und ihn fast vom Besen schlug. Die Menge um mich herum brüllte und ich krallte mich an Leslie fest, voller Panik. Harper krümmte sich vor Schmerz um seinen Besenstiel, hielt sich aber tapfer oben. Ein paar Minuten lang war ihm die Verletzung deutlich anzusehen, dann schien es besser zu werden und er passte einen Moment ab, in dem Madam Hooch nicht hinsah, um Harry Potter, den gegnerischen Sucher, mit dem Knie in die Schulter zu rammen. Er wollte wohl die Chancen ausgleichen. Als die Schiedsrichterin wieder hinschaute, war Harper bereits einige Meter über Potter.
„Er hat den Schnatz gesehen!", rief Leslie neben mir plötzlich und krallte sich ihrerseits an mir fest.
„Wenn er ihn fängt, gewinnen wir!"
Harper legte sich richtig ins Zeug und hatte ein paar Meter Vorsprung, bis Potter erkannte, was eigentlich los war. Aber etwas stimmte nicht. Harper hatte bereits die Hand nach dem kleinen goldenen Ball ausgestreckt, da zögerte er plötzlich und Potter stieß seinen Arm beiseite und riss ihn eine Sekunde später siegessicher in die Höhe. Das Stadion rastete aus. Gryffindor hatte gesiegt und die Spieler trafen sich mitten auf dem Feld für eine Art Gruppenumarmung. Alle außer Ginny, die sich wohl an dem parteiischen Stadionsprecher rächen wollte und mit voller Wucht in sein Podium bretterte. Zacharias Smith lag unter Holz und Bannern begraben da und musste sich selbst befreien, während Ginny bis über beide Ohren grinsend zum Rest ihrer Mannschaft zurückkehrte.
Die Menge löste sich langsam auf und wir gingen früh zum Mittagessen. Der Gryffindortisch war beinahe verwaist, denn es war üblich eine Party im Gemeinschaftsraum zu feiern, wenn man gewonnen hatte. Unsere Mannschaft saß beim Essen nicht zusammen. Pucey saß bei seinen Freunden und Harper war ganz allein. Von Malfoy war keine Spur zu sehen.
„Hey", sagte ich zu Harper und versuchte einfühlsam zu klingen. „Wie geht's dir?"
Als hätten wir uns abgesprochen sammelte sich die ganze Nicht-Hausmannschaft um Harper und nahm die umliegenden Plätze ein.
„Beschissen, wie sonst?", entgegnete Harper mit starrem Blick.
„Was hat Potter zu dir gesagt?", fragte Leslie.
Harper hob überrascht den Blick. „Woher willst du wissen, dass er was gesagt hat?"
Sie hob die Schultern. „Das würde ich machen, wenn der andere Sucher besser ist und ich ihn ablenken muss. Eine super linke Nummer, natürlich, aber unfassbar effektiv."
Er grinste schwach. „Das hast du bei mir nie gemacht."
„Weil du nicht besser bist als ich."
Er boxte ihr freundschaftlich in den Arm und seufzte dann. „Er hat mich gefragt wie viel Malfoy mir zahlt, damit ich ihn ersetze."
„Was?", fragten ungefähr vier von uns gleichzeitig.
„Ich weiß", meinte Harper. „Keine Ahnung, wie er auf so was kommt, aber irgendwie ... es war so ein einfacher Weg mir zu sagen, dass ich die Stellung nicht verdiene, ohne es überhaupt zu sagen. Hätte ich einem Gryffindor gar nicht zugetraut."
Leslie und ich warfen uns einen Blick zu. Ihr wäre so ein Fehler niemals passiert.
„Jetzt war mein erstes Spiel wohl auch mein letztes", jammerte Harper.
„Sag so was nicht." Adalyn nahm seine Hand und drückte sie um ihn aufzumuntern. „Vielleicht zieht Malfoy sich ganz aus der Mannschaft zurück und dann nehmen sie dich auf. Das wäre doch toll, oder?"
Während Harper weiter jammerte und mit Mitgefühl überhäuft wurde, machte ich mich davon um meine Sachen zu holen und in der Bibliothek auf Ethan zu warten. Ich rechnete eigentlich nicht damit, dass er auftauchte, immerhin hatte sein Team gewonnen und würde vermutlich den ganzen Tag feiern. Aber er kam tatsächlich ein paar Minuten nach mir an und setzte sich schief lächelnd zu mir.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst", begrüßte ich ihn und klappte demonstrativ mein Buch zu.
Er setzte sich mit einem fragenden Blick.
„Ihr habt gewonnen", erinnerte ich ihn und musste mir eine bissige Bemerkung verkneifen. „Da feiert man normalerweise."
Er zuckte die Schultern. „Ich hab zwei Stunden gefeiert und da ich nichts dazu beigetragen habe, reicht das völlig. Und du hast wirklich nicht gedacht, dass ihr verliert."
„Hab ich doch gesagt. Der einzige, der heute auch nur ein bisschen gut gespielt hat war Harper und ihn werden sie nie wieder ins Team holen weil er sich von Potter hat ablenken lassen mit dem billigsten Trick der Welt."
Ethan druckste ein bisschen herum, er wollte offensichtlich nichts gegen die Mannschaft von Gryffindor sagen und ehrlich gesagt respektierte ich das. „Also", fragte ich, „warum wolltest du mit mir reden?"
Er spielte mit seiner Schreibfeder und sah mich nicht an. „Es geht um deine Mannschaft."
„Willst du doch nicht mitspielen?"
Sein Blick schoss für den Bruchteil einer Sekunde nach oben. „Doch! Doch, auf jeden Fall, es ist nur ... kannst du mir erklären, wie das normalerweise so abläuft?"
Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich ihn ein paar Sekunden. Er wippte mit einem Fuß, spielte unablässig mit dem Federkiel und schaute überall hin nur nicht zu mir.
„Du bist nervös", stellte ich fest und konnte mir ein Grinsen nicht verbeißen. Immer hatte ich ihn für so einen selbstbewussten Macho gehalten und immer wieder zeigte er mir wie sehr ich mich getäuscht hatte.
„Merlin, ja, ich glaube wenn ich mich vor dir und deinen Freunden auf dem Feld blamiere, überlebe ich das nicht."
Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, als ich kicherte.
„Tut mir leid. Ehrlich." Ich verstand ihn ja wirklich. Vor allem weil Leslie immer noch kein Stück nachgegeben hatte und sie mit Sicherheit die anderen anstecken und gegen Ethan verschwören konnte. Also beruhigte ich mich und begann ihm ein paar Sachen zu erklären, zum Beispiel dass wir immer alle fertig umgezogen aufs Feld gingen, weil wir ja offensichtlich nicht die Umkleidekabinen der Hausmannschaften benutzen durften. Am Ende wirkte er schon etwas selbstbewusster und schlug vor zusammen für Snapes Aufsatz zu recherchieren.
***
Ethan war der einzige, der nicht in grün und silber gekleidet war und so stach er natürlich sofort heraus, als er den grasbewachsenen Abhang herunterkam und sich zu unserem kleinen Grüppchen gesellte. Wir waren jetzt fast vollständig.
Elliott, Zaire und Mads waren die letzten. Elliott streifte Ethan mit einem geringschätzigen Blick und richtete sich direkt an mich.
„Was will er hier?"
„Mitspielen", sagte ich ohne mit der Wimper zu zucken. „Er gehört jetzt zur Mannschaft."
„Hast du den Verstand verloren? Er ist ein Gryffindor! Du hast gesehen, wie er spielt! Er ist scheiße im Quidditsch!"
„Du bist scheiße im Quidditch", entgegnete Leslie angriffslustig. „Ich glaube du hast nicht verstanden, dass das hier keine Demokratie ist, Elliott. Allison ist der Kapitän und sie entscheidet, wer in der Mannschaft ist und wer nicht. Und wenn dir das nicht passt, kannst du ja gehen."
Elliott und Leslie starrten einander an, bis Elliott schließlich wegsah.
„Hat jemand was von Harper gehört?", fragte ich in die Runde.
„Er kommt nicht", sagte Lucia. „Urquhart behält ihn in der Mannschaft, falls Malfoy mal wieder beschließt, dass er keine Lust hat."
Ich nickte und wir begaben uns aufs Feld. Bevor wir dort waren passte ich Leslie ab. „Danke", flüsterte ich.
„Du bist zuerst meine Freundin und dann mein Kapitän", erwiderte sie schulterzuckend. „Ich mag den Gryffindor nicht, aber das heißt nicht, dass ich es zulasse, Elliott so mit dir reden zu sehen."
Alle stellten sich um mich herum auf und ich fragte, was ich zu Beginn des Trainings immer fragte: „Will heute jemand eine andere Position ausprobieren?"
Alle schüttelten die Köpfe.
„Gut. Dann haben wir zwei Hüter, Leslie als Sucher, und drei Treiber. Der Rest spielt Jäger gegeneinander und auf Adelines Tore."
Wir schwangen uns auf unsere Besen und ich ließ die Bälle frei. Wir hatten dank Ethan nun vier Jäger, einen mehr als in einer normalen Mannschaft, aber das machte uns nichts. Ich fragte mich, ob Leslie Harper wohl vermisste. Sonst hatte sie immer ihn als Gegner gehabt, und es ging darum wer von ihnen den Schnatz zuerst fangen konnte. Jetzt war sie allein. Unsere Treiber spielten so, dass sie die Klatscher von uns fernzuhalten versuchten, denn uns vom Besen zu hauen machte im Training keinen Sinn, wie man ja gut an Vaisey sehen konnte.
Adeline sah nicht aus wie eine gute Hüterin. Sie war nicht sehr groß oder kräftig, ohne ihren Helm sah sie mit ihrem langen dunkelblondem Haar und dem Elfengesicht sogar eher zerbrechlich aus. Und sie war erst vierzehn. Aber sie bewegte sich unfassbar schnell und hatte ein beinahe untrügliches Gefühl dafür, wohin der Ball fliegen würde. Zaire Naifeh, unser anderer Hüter war genauso alt wie Adeline, aber deutlich kräftiger gebaut. Sie stand ihm trotzdem in Nichts nach. Ethan schaffte zwei Tore, bevor sie sich an seinen Spielstil gewöhnt hatte und jeden weiteren seiner Bälle hielt. Adalyn und ich kannten sie besser und wussten ein paar Strategien, sie auszutricksen. Wir spielten eine halbe Stunde bevor wir vier Jäger zusammen statt gegeneinander spielten, um Pässe zu üben.
Ethan wurde zum Sündenbock gemacht, wie nicht anders zu erwarten. Aber er war darauf vorbereitet und nahm jede Kritik mit einem stoischen Nicken hin.
„Du musst aufpassen, der Klatscher hätte dich fast getroffen!"
„Du hättest den Schnatz sehen und mir ein Zeichen geben müssen!"
„Hast du gerade den Quaffel fallen lassen?!"
„Wenn du zu mir passt, dann sag vorher Bescheid!"
Am Ende waren wir alle erschöpft und ich war außerdem noch sehr stolz - auf alle, aber besonders auf Ethan.
„Und?", fragte ich neugierig, als ich mit ihm zusammen den Grashang wieder hinaufstieg. „Willst du nächstes Mal wieder dabei sein?"
„Machst du Witze? Na klar!"
Er hatte rote Wangen und ein paar Schweißtropfen glänzen auf seiner Stirn. Unser Atem stieg in weißen Wolken vor unseren Gesichtern auf. „Ich fand's großartig. Weißt du, ich war irgendwie auf einem Leistungsplatau und dachte, ich könnte nie besser werden. Aber das jetzt, das war ... ich glaube, wenn ich weiter mit euch trainiere, schaffe ich es vielleicht nächstes Jahr ins Team."
Ihn so euphorisch zu sehen war ansteckend. Den ganzen Weg zum Schloss stellten wir einander Fragen über Spielzüge und die anderen Spieler, über unsere Lieblingsmannschaften und über Rennbesen. Im Schloss angekommen trennten sich unsere Wege in der Großen Halle - er musste an seinen Haustisch, ich an meinen. Es kam mir noch nie so lächerlich vor wie jetzt.
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