Kapitel 6 - Ein Abend mit einem Vampir
Am Anfang verhielt sich Vivienne noch ziemlich offensichtlich. Sie warf mir bei jeder Gelegenheit höhnische Blicke zu, auf die ich selbstredend niemals eine Reaktion zeigte. Immer wenn ich in der Nähe war legte sie Ethan eine Hand auf den Arm oder machte sich sonst irgendwie an ihn heran, als wäre ich ihr eine Konkurrentin. Es war leicht zu erraten, dass sie Leslie und mich in der Eingangshalle belauscht hatte, als wir über meinen imaginären Freund Yuri gesprochen hatten. Sie hatte es Ethan erzählt und Ethan hatte so reagiert, wie er reagiert hatte. Also gab ich Vivienne nicht die Schuld an dem Debakel - aber verabscheuen konnte ich sie trotzdem.
Und dann ließen auch ihre Blicke und ihr Grinsen nach und ich verschwand allmählich von ihrem Radar. Gegen Ende Oktober war es dann so, als hätte die kurze Annährung unserer beiden Häuser nie stattgefunden und jeder blieb unter seinesgleichen. Aber das war okay. Die Quidditch-Saison hatte wieder begonnen und die Nicht-Hausmannschaft war aufgrund von Urquharts unfairem Ablehnungsverhalten gewachsen. Elliott und ich mussten außerdem hin und wieder Rundgänge durch die Schule machen und aufpassen, dass niemand die Regeln brach. Aber da wir die Schüler aus den anderen Häusern sowieso nur verwarnen durften (wegen des Waffenstillstands, den sich der Typ aus Ravenclaw ausgedacht hatte), war das meistens recht entspannt.
In der Woche vor Halloween verkündete Professor Slughorn während der Zaubertrankstunde, dass am Wochenende das erste Treffen des Slug-Club anstünde. Um das deutlich zu machen, er sagte das während der Stunde und während wir alle vier an unseren Tränken arbeiteten. Die ganze Klasse bekam es mit.
„Sie kommen doch hoffentlich alle? Es wird ein großes Fest mit dem ein oder anderen besonderen Gast!" Er zwinkerte. „Und Sie auch, Miss Weasley, nicht wahr?"
Adalyn sagte für uns vier zu und Ginny, die weiter vorne saß, nickte und zog eine Grimasse, als Slughorn wegsah.
Also war das Wochenende so weit verplant. Samstag würden wir alle mit der Nicht-Hausmannschaft in Hogsmeade verbringen und abends, statt zum Festmahl in der Großen Halle zu gehen, bei Slughorn einkehren.
Hogsmeade war großartig zu Halloween. Ein Schwarm Fledermäuse surrte durch die schmalen Straßen, es trieben sich noch mehr ungewöhnliche Gestalten herum als sonst und jedes Haus war mit Kürbissen und Schädeln dekoriert. Die Auroren, die auffällig unauffällig die Straßen patrouillierten waren das Einzige, was das Bild störte.
Wir waren inzwischen zu zehnt und machten es uns in den Drei Besen bequem. Rin hatte mitgedacht und uns für Samstagmittag einen Tisch reserviert. Madame Rosmerta brachte uns unsere Grtränke und ich betrachtete fasziniert mein Cider Glas. Eine schwarze Spinne aus Farbe kletterte am Glas entlang und versuchte meiner Hand auszuweichen.
„Und ihr geht heute zur Halloween Party von Slughorn?", fragte Harper und verzog den Mund. „Da kann ich mir Schöneres vorstellen, ehrlich gesagt."
„Hey, du hast doch keine Ahnung", sagte Rin grinsend. „Immerhin soll ein echter Vampir kommen."
„Ein Vampir?" Elliott lachte. „Als ob der einen Vampir kennt, Rin."
Adeline Simmons erzählte, sie wäre neulich mal in Slughorns Büro gewesen, um etwas wegen einer Hausaufgabe zu fragen. „Er hat eine Kommode auf der nur Fotos stehen", sagte sie. „Ich konnte sie mir nicht allzu genau ansehen aber abgebildet war immer er mit ein paar Schülern. Vermutlich alle aus dem Slug-Club, als er früher unterrichtet hat."
„Dann müssen wir uns wohl hübsch machen", seufzte Leslie. „Ich will nicht mit Pickeln und verwischter Schminke auf Slughorns Schrankwand der Erinnerung enden."
Es war ein fantastischer Nachmittag. Die Geschichte, wie Urquhart versucht hatte Leslie anzubaggern war der Hit, irgendwann verirrte sich eine Fledermaus von draußen in die Kneipe und landete irgendwie in Mads Vinters Butterbierglas, Hagrid tauchte auf und erzählte uns über die Köpfe er halben Kundschaft hinweg von den Geschöpfen aus dem verbotenen Wald - es war alles genauso wie es sein sollte.
Am frühen Nachmittag dann machten Leslie, Adalyn, Rin und ich uns auf den Rückweg, um uns noch rechtzeitig in Schale zu schmeißen. Hagrid begleitete uns, aber wir waren ihm wohl zu langsam und nach ein paar Minuten verabschiedete er sich, um in seinem eigenen Tempo wahnsinnig große Schritte machend durch den Wind davon zu stapfen.
Frierend kamen wir im Schloss an und hatten gerade die Treppe hinab zu den Kerkern erreicht, als lautes und definitiv unzufriedenes Rufen vom Portal her ertönte. Ich seufzte, verdrehte die Augen und machte kehrt, um mich der Sache anzunehmen. Blödes Abzeichen, ich hatte jetzt wirklich keine Zeit für so was.
Das Portal öffnete sich und herein stolperten ein besonders nerviger Erstklässler aus Slytherin, und - es war doch verflucht - Ethan McCrowley.
Ich betrachtete beide stumm und hochmütig, wie sie sich zankten, bis sie mich bemerkten.
„Was geht hier vor?", fragte ich autoritär und genoss meine Rolle sogar kurz.
„Hagrid hat den gerade auf dem Rückweg von Hogsmeade im verbotenen Wald herumstromern sehen", sagte Ethan.
„Das ist nicht wahr!", rief der Kleine entrüstet.
Ich kannte ihn, Elliott und ich hatten ihn mal auf einer unserer Patrouillen dabei erwischt, wie er versucht hatte die Katze des Hausmeisters aus einem Fenster im dritten Stock schweben zu lassen. Ethan seufzte theatralisch und fuhr dem Kleinen durch die unordentlichen Haare. Tannennadeln rieselten auf den Boden und der Junge lief rot an.
„Na und?", plusterte er sich auf und stellte sich hinter mich. „Was willst du jetzt tun? Mir Punkte abziehen?"
Ethan öffnete den Mund, schloss ihn wieder und blickte mich hilfesuchend an. Er hatte Glück, dass ich dieses Kind besonders wenig leiden konnte.
„Er wird dir keine Punkte abziehen", sagte ich milde lächelnd. Ich war mir ziemlich sicher, dass der Kleine Ethan kurz die Zunge herausstreckte. „Aber ich werde es tun", fügte ich hinzu und sah den triumphierenden Ausdruck aus dem kleinen Gesicht weichen.
„Was? Das kannst du nicht!"
„Ich ziehe dir zehn Punkte ab, weil du im Wald herumgelaufen bist. Und noch mal zehn, weil du dich hast erwischen lassen."
Der Kleine atmete schwer. „Du kannst nicht Punkte von deinem eigenen Haus abziehen!", rief er entrüstet.
„Ach nein? Soll ich's noch mal machen?"
„Nein!"
„Dann verschwinde, oder es werden dreißig."
Das Kind schnaubte wütend, bellte „Schlammblut!", vermutlich die einzige Beleidigung, die er kannte und trollte sich. Ethan kratzte sich nachdenklich am Kopf und sah mich betreten an.
„Du bist mit Kindern doch nicht so übel", sagte er dann. „Das war ziemlich cool."
Ich zuckte die Schultern und beschloss, dass ich keine Lust hatte, mit ihm zu reden. „Ich muss gehen."
Er ließ mich, und sagte nichts mehr und ich war dankbar dafür.
Slughorns Party fand in seinem Büro und im daran angrenzenden Klassenzimmer statt und beide Räume waren überraschend voll. Nicht nur Schüler waren anwesend, auch einige Erwachsene und ein paar von unseren Lehrern. Leslie erkannte einen Mann mit spitzem Hut als den Chefredakteur des Tagespropheten und wir beschlossen einstimmig um ihn einen Bogen zu machen. Es dauerte nicht lange, bis wir uns trennten. Rin und Adalyn hatten Hunger und kundschafteten das Buffet aus und Leslie glaubte in einer Ecke den versprochenen Vampir entdeckt zu haben und stahl sich davon. Ich ließ mir ein Glas Butterbier aufschwatzen und fand mich vor Slughorns Schrankwand der Erinnerung wieder. Er hatte wirklich eine Menge Fotos. Mädchen und Jungen aller Altersklassen waren vertreten und bei einigen auch ihr erwachsenes Selbst. Und - war das etwa...?
„Oh, sehen Sie sich meine Bilder an?" Slughorn strahlte und stellte sich neben mich.
„Ist das Gwenog Jones?", fragte ich mit plötzlich trockenem Mund und deutete auf eine signierte Eintrittskarte, die in einem Bilderrahmen klemmte. Die jüngere Gwenog Jones lächelte peinlich berührt aus dem Bild heraus und hielt einen Besenstiel umklammert.
„In der Tat!", rief Slughorn. „Haben Sie von ihr gehört?"
„Natürlich", hechelte ich und musste mich räuspern. „Sie ist die Kapitänin der einzigen Quidditchmannschaft in Großbritannien, in der nur Frauen spielen." Als wüsste er das nicht selber. „Sie ist großartig."
„Das ist sie", sinnierte Slughorn, bevor er mir zuzwinkerte. „Es hätte mir klar sein müssen, dass Sie von ihr gehört haben. Professor Snape hat mir das eine oder andere über Sie erzählt."
„Oh" war alles, was ich zustande brachte.
„Ich kannte ihn schon als Schüler, müssen Sie wissen, Ihren Professor. Er ist der brillanteste Zaubertrankbrauer, den ich je unterrichtet habe. Da, sehen Sie, da ist er." Er tippte einen Bilderrahmen an, aus dem eine kleine Gruppe Schüler herauslachte. Slughorn saß in ihrer Mitte auf einem Stuhl wie der sprichwörtliche Hahn im Korb. Snape war leicht zu erkennen, seine dunklen Augen und die langen schwarzen Haare hatten sich nicht sonderlich verändert. Er stand ganz außen, als würde er am liebsten den Rahmen verlassen und er lachte nicht so wie die anderen, sondern lächelte nur minimalistisch. Neben ihm stand ein rothaariges Mädchen, dem er immer mal wieder einen Blick zuwarf.
Ein anderes rothaariges Mädchen schob sich gerade an uns vorbei und Slughorn rief erfreut: „Miss Weasley! Warten Sie. Ich würde Ihnen und Miss Hesky gern jemanden vorstellen."
Ginny zuckte mit den Schultern und sah mich fragend an. Ich schüttelte nur den Kopf und wir folgten Slughorn, der sich einen Weg durch die Menge bahnte.
„Ah, Gwenog, da sind Sie ja!"
„Was?", fragte Ginny, so leise, dass nur ich es hören konnte.
Slughorn und Gwenog Jones umarmten sich kurz und anscheinend sprachen sie auch miteinander, aber ich hörte nur statisches Summen in meinen Ohren. Gwenog Jones stand vor mir, groß gewachsen, breitschultrig mit muskulösen Armen, ihre dunkle Haut in brillantem Kontrast zum funkelnden Gold ihres Festumhangs.
„Hallo", sagte sie zu uns, ihre Stimme hatte ein raues Timbre und holte mich irgendwie in die Realität zurück. Ginny neben mir sah immer noch aus wie ein geschocktes Kaninchen.
„Hi", hauchte ich und hätte mich am liebsten selbst vors Schienbein getreten. „Ich bin Allison, das ist Ginny."
Ginnys Name schien sie wiederzubeleben und sie nickte und lächelte schwach.
Gwenog schmunzelte und ließ sich nicht weiter beirren. Sie sprach vermutlich täglich mit verrückten Fans wie uns.
„Und ihr zwei interessiert euch für Quidditch? Spielt ihr in einer Hausmannschaft?"
Ginny taute innerhalb einer Sekunde auf und war wieder ihr normales Selbst. „Ich spiele als Jägerin bei den Gryffindors."
Gwenog nickte anerkennend. „Und du?"
„Ich - also - mein Team nimmt keine Mädchen auf, deswegen..."
„Oh. Du bist in Slytherin?"
Ich nickte und in mir baute sich Panik auf, weil ich vor Gwenog Jones stand und nicht wusste, wie ich ihr sagen sollte, dass ich auch selbst spielte ohne in einer Mannschaft zu sein. Rettung kam von unerwarteter Seite.
„Allison spielt echt gut", sagte Ginny ohne mich auch nur anzusehen. „Sie wurde nicht in die Mannschaft aufgenommen, obwohl sie eigentlich die beste war. Also hat sie ihre eigene Mannschaft gegründet."
Gwenog zog eine Augenbraue hoch. „Tatsächlich?"
Mit rotem Kopf erzählte ich ein bisschen über die Nicht-Hausmannschaft. Gwenog hörte zu und lobte mich am Ende für meine Bemühungen. Sie fand es sei wichtig, Mädchen nicht vom Quidditch auszuschließen. „Ich will gar nicht wissen, wo ich heute wäre, wenn Ravenclaw mich nicht ins Team aufgenommen hätte."
Als sie sich verabschiedete, seufzte Ginny hörbar auf.
„Danke, dass du sie am Anfang von mir abgelenkt hast", sagte sie. „Ich vergesse immer wie man spricht, wenn ich mit einer berühmten Person reden soll."
„Ich auch, anscheinend. Und ... danke, dass du ihr von meinem Team erzählt hast. Ich wusste nicht mal, dass ihr in Gryffindor Wind davon bekommen habt."
„Kein Problem. Na ja, letztes Jahr hat Ethan nicht mehr aufgehört davon zu reden, er fand es so cool. Es kam einem zu den Ohren wieder raus, ehrlich gesagt."
„Moment, was? Ethan McCrowley?"
Sie nickte. „Sollte dich nicht überraschen. Er hing doch am Anfang des Schuljahres wie eine Klette an dir dran."
Über Ethan zu reden fühlte sich nicht gut an und ich wollte so schnell wie möglich wieder damit aufhören. Also schwieg ich und nahm einen Schluck Butterbier.
Ginny verstand den Wink und verfolgte das Thema hörbar vorsichtiger weiter. „Hör zu ... ich bilde mir nicht ein zu wissen, was zwischen euch passiert ist, aber ... ich glaube, er mag dich wirklich."
„Und ich dachte er redet eigentlich nur mit Vivienne", grummelte ich in mein Glas.
Ginny grinste. „Was glaubst du, mit wem Vivienne redet? Oh, entschuldige mich. Meine Freundin wird dauerhaft von diesem Typen angegraben, ich denke sie braucht Hilfe."
Sie spähte durch den Raum zu einem Mädchen, das sich sichtlich unwohl den Träger ihres Kleides immer wieder zurechtrückte, während ein großgewachsener Junge mit blondem Lockenkopf wild gestikulierend auf sie einredete.
„Wenn du willst setze ich Leslie auf sie an, dann kann sie so tun als wäre sie lesbisch."
Das brachte Ginny zum Lachen und sie sagte sie würde darauf zurückkommen. Wir verabschiedeten uns und ich machte mich auf die Suche nach den anderen. Ich fand sie alle zusammen wie sie mit zwei sehr exzentrischen Gestalten sprachen. Der eine war ein rundlicher Mann mit krausem dunklen Haar, das an den Schläfen bereits grau zu werden begann, er war rotwangig und lebhaft und schwenkte beim Erzählen seinen Weinkelch umher. Der andere hätte sich nicht mehr von ihm unterscheiden können. Er trug ein hoch aufgeschlossenes schwarzes Gewand, das mit winzigen Rubinen wie Blutstropfen besetzt war. Seine Haut war weißer als Schnee, er schien beinahe zu leuchten. Und ich sage nur er, weil er sich später als Mann herausstellte, denn mit den glatten schwarzen Haaren, die ihm bis zum Kinn reichten, den dichten Wimpern, hohen Wangenknochen und roten Lippen, hätte er auch durchaus eine Frau sein können.
„Allison! Das ist Eldred Worple, er hat Blutsbrüder: Mein Leben unter Vampiren geschrieben", rief Leslie begeistert und winkte mich herbei.
Ich machte große Augen und schaute von Worple zu dem Mann neben ihm. „Oh ja", sagte Worple freudig. „Das ist Sanguini, mein Lebensgefährte."
Sanguini nickte gelangweilt. Für einen Vampir wirkte er nicht sonderlich interessant. Aber er war immerhin der erste und einzige Vampir, den ich jemals gesehen hatte, also musste ich mich anstrengen, ihn nicht anzustarren. Adalyn war da weniger zurückhaltend.
„Also, trinken Sie Blut?", fragte sie mit leuchtenden Augen. „Ich habe nämlich gelesen, dass Vampire in tropischen Regionen Kokosnusswasser als Ersatz verwenden."
Sanguini zog eine Augenbraue hoch. „Veganer", sagte er gelangweilt. „Es sei dir versichert, ich bin ein Vampir der alten Klasse und ich ernähre mich ausschließlich von Menschenblut. Meistens von Eldreds."
Eldred Worple war da lebhaft, wo Sanguini apathisch war. Er nickte wild. „Ja, wissen Sie, ein Vampir kann von Blut leben solange die Blutzellen nicht absterben. Das sind ungefähr vier Monate. Und -"
„Einhundert und zehn Tage", sagte eine Stimme und außer Sanguini zuckten alle zusammen. Snape hatte sich zwischen Adalyn und Rin gestellt und musterte Worple abschätzend.
„Wie bitte?", sagte Worple mit leicher Empörung.
„Einhundert und zehn Tage", wiederholte Snape. „So lange lebt ein rotes Blutkörperchen durchschnittlich. Sie sollten mehr auf Details achten, immerhin hängt Ihr Leben davon ab."
„Sanguini würde nie - sehen Sie ein Mensch kann bis zu vierzig Prozent seines Blutes verlieren, ohne in kritischem Zustand zu sein. Sanguini entnimmt mir zweimal monatlich Blut, sodass wir diese Grenze nicht einmal erreichen."
Snapes Mundwinkel zuckte, was alles bedeuten konnte. Sein Blick wanderte träge von Worple zu Sanguini, der ihn völlig reglos aus pechschwarzen Augen erwiderte. „Und wann", begann Snape qualvoll langsam, „hat Sanguini das letzte Mal etwas von Ihnen entnommen?"
Niemand achtete mehr auf Worple, der anfing irgendetwas zu sagen, denn Sanguinis Augen hatten plötzlich so viel Macht in ihrem Blick, dass es sich anfühlte als hätte man uns eine Ohrfeige verpasst. Er öffnete die Lippen und entblößte spitze Eckzähne. „Es gibt nichts Köstlicheres als junge Mädchen", raunte Sanguini. „Ihr seid fast noch zu jung ... aber sicherlich unvergleichlich."
Ich ernähre mich ausschließlich von Menschenblut. Meistens von Eldreds. Meistens. Warum noch mal hatte ich unbedingt einen Vampir treffen wollen? Und wie hatte Eldred Worple jahrelang unter ihnen gelebt? Wieso war er mit einem von ihnen zusammen? War Sanguini immer so unheimlich? Wie konnte man mit jemandem zusammenleben für den man ein wandelndes Buffet war?
„Geht", sagte Snape ohne Sanguini aus den Augen zu lassen. „Jetzt."
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Wir verschwanden durch die Menge und brachten so viel Raum zwischen uns wie es ging.
„Was zum Teufel, so hab ich mir Vampire nicht vorgestellt", murmelte Adalyn und trank ihr Butterbier in zwei Zügen leer.
„Er hat in seinem Buch ganz anders über sie geschrieben", sagte Leslie. Sie sah sehr verstört aus. „Er schreibt, sie würden niemals jemandem ohne Einverständnis Blut aussaugen. Und schon gar niemanden verwandeln. Abgesehen davon, dass sie das auch gar nicht dürfen."
„Er trinkt meistens Worples Blut", ergänzte ich und rubbelte mir die Gänsehaut von den Armen. „Wessen Blut trinkt er wohl, wenn er etwas Abwechslung will?"
„Können Vampire Gedanken kontrollieren?", fragte Rin. „Vielleicht bringt er Worple so dazu, bei ihm zu bleiben."
Durch das allgemeine Gewusel fand Snape seinen Weg zu uns. „Ist alles in Ordnung?", fragte er.
Wir vier hatten eine gemeinsame Schrecksekunde bevor wir nickten. Snape war netter zu Slytherins als zu anderen Schülern aber so nett nun auch wieder nicht.
„Halten Sie sich nächstes Mal von den Geschöpfen der Nacht fern", sagte er, kalt wie eine Winternacht. Es war beruhigend normal. „ Haben Sie im Unterricht denn nichts gelernt? Vampire sind gefährliche Kreaturen, unberechenbar und hartnäckig. Es war unverantwortlich, ihn einzuladen."
„Professor", sagte Rin, „wir haben wirklich nichts gelernt. Professor Lockhart hat uns erzählt, er hätte mal einen Vampir getroffen und als er mit dem fertig war, hat der Vampir angeblich nur noch Salat gegessen. Und bei Professor Lupin haben wir nur gelernt, wie man sie sich am besten vom Hals hält, Knoblauch, Kreuze, all das."
„Niemand hat uns gesagt, dass man nicht mit ihnen reden soll", stimmte Leslie zu.
In Snapes Kiefer zuckte ein Muskel. „Dann werden wir dieses Jahr wohl noch eine Stunde zum Thema Vampire einschieben müssen", sagte er. „Wenn Sie nicht in der Lage sind einzuschätzen, von welchen Kreaturen Sie sich fernhalten sollten, nützt Ihnen kein Gegenfluch etwas."
Auf der Kopfseite des Raums gab es Gedrängel und Slughorn kletterte auf ein Podest um anscheinend eine Rede anzustimmen. „Wir sollten jetzt gehen", sagte Rin.
Die anderen stimmten zu, aber ich blieb mit Snape stehen, denn es war endlich an der Zeit, Tacheles zu reden.
„Professor", begann ich, „kann ich Sie etwas fragen?"
„Sie wollen wissen, warum ich Sie zur Vertrauensschülerin ernannt habe."
„Ehm. Also, ja."
„Ich dachte, das hätten wir bereits am ersten Abend geklärt. Weil Sie die Aufgabe erledigen können."
Snape schaute mich dabei nicht an, er blickte stur zu Slughorn, der einen Trinkspruch aussprach.
„Nun wissen wir aber beide, dass das nicht stimmt", sagte ich. „Sie wussten, dass ich lieber Mannschaftskapitän geworden wäre. An der Spielerfahrung kann's nicht liegen; Urquhart hat genauso wenig in einer Hausmannschaft gespielt wie ich. Konnten Sie es nicht über sich bringen, ein Mädchen zum Kapitän zu ernennen?"
Jetzt sah er mich an und sein Blick war so verachtend, wie normalerweise nur Gryffindors ihn abbekamen. „Sein Sie nicht albern."
„Dann sagen Sie mir die Wahrheit."
Er schwieg ungefähr eine Minute lang und ich dachte schon er würde gar nicht antworten. „Sie wissen, dass uns ein Krieg bevorsteht. In einem Krieg schickt man Menschen mit natürlichem Führungstalent nicht zu einem törichten Sport."
Offen gesagt war ich mir ziemlich sicher gewesen, es war weil ich ein Mädchen war. Was ich nicht erwartet hatte war das.
„Was soll ich als Vertrauensschüler gegen einen Krieg tun?"
„Sie können nichts tun. Nicht jetzt. Aber wenn es so weit ist, werden wir Schüler wie Sie brauchen. Vertrauen Sie mir."
Ich sagte nichts und wollte mich schon abwenden, als Snape noch etwas sagte. „Haben Sie noch nicht gehört was heute einer Schülerin auf dem Rückweg von Hogsmeade passiert ist?"
Ich hielt inne. „Nein. Was?"
„Jemand hat ihr in den Drei Besen einen Fluch auferlegt und ihr ein höchst gefährliches, schwarzmagisches Objekt gegeben. Sie sollte es mit in die Schule bringen."
Unwillkürlich musste ich schlucken. In den Drei Besen waren wir heute fast den ganzen Nachmittag gewesen - vielleicht war das passiert während wir dort waren.
„Und was ist dann passiert? Ist das Objekt bei den Kontrollen am Eingang gefunden worden?"
Snape schüttelte einmal den Kopf. „Sie hat es berührt und befindet sich derzeit im St. Mungo Hospital. Ihr Zustand ist kritisch."
Ein Kellner kam mit einem Tablett voller Metkrüge vorbei, aber ich lehnte ab. Mir war plötzlich flau im Magen.
„Passen Sie auf sich auf, Allison", sagte Snape leise. „Das war erst der Anfang."
Der Anfang von was? Von dem Krieg von dem alle sprachen? Ich wollte keinen Krieg und ich wollte schon gar keine Verantwortung für andere Menschen in einem Krieg. Was tat ich hier überhaupt? Ich war eine Muggelgeborene, die sich in Slytherin versteckte, wenn Salazar Slytherin das wüsste, würde er mich rauswerfen oder seinen Basilisken auf mich hetzen. Die Sache war, wenn ich nicht Teil des Krieges sein wollte, konnte ich meinen Eltern einfach sagen, dass ich nicht mehr zurück zur Schule wollte und es wäre vermutlich okay und ich könnte irgendetwas anderes machen. Aber nein, man hatte mir Verantwortung übertragen.
Und ehrlich gesagt, war das nicht der einzige Grund.
Ich hatte es satt, mich zu verstecken.
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