Kapitel 22 - Vorahnung
Ich wusste, dass sie da war, ehe sie den Mut aufbrachte, mich anzusprechen. Der Korridor war leer, ihre Schritte und meine waren das einzige Geräusch abgesehen von den Stimmen anderer Schüler irgendwo in der Nähe.
„Schlammblut!" Sie sprach es nicht als Beleidigung aus, eher als wäre das tatsächlich mein Name.
Ich blieb stehen und fuhr herum, mir ganz genau bewusst wo in meinem Umhang mein Zauberstab steckte. Damit, dass sie ihren bereits in der Hand hielt, hatte ich nicht gerechnet.
„Vivienne", sagte ich kühl, als würde ich das nicht bemerken.
Ihre Zauberstabhand zitterte. Ihre Augen waren gerötet und sie war blass.
„Du - wie kannst du es wagen? Ihn so zu benutzen?"
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Vivienne mitbekam, dass Ethan und ich mittlerweile zusammen waren. Wir verhielten uns nicht super offensichtlich, aber wenn man genau hinsah war es schwer zu übersehen. Dass Vivienne drei Tage gebraucht hatte, grenzte an ein Wunder. Ich mochte Ethan wirklich sehr und ich hatte nicht das Gefühl, das noch bekräftigen zu müssen. Deswegen trafen ihre Worte tatsächlich eine Art wunden Punkt.
„Ich benutze ihn nicht für irgendwas."
Sie zischte wie eine Schlange, obwohl das mein Job gewesen wäre. „Denkst du wirklich, das hat Zukunft?", fragte sie und kam langsam auf mich zu. „Denkst du wirklich, du wirst irgendetwas anders für ihn sein als ein hübsches Ding, an das man so schwer herankommt? Du bist eine Slytherin! Du wirst niemals was anderes sein als ein Todesser und das weiß er auch. Er wird niemals bei dir bleiben."
Ich war sprachlos. Vivienne hatte hier tief in die Trickkiste gegriffen und sie war erstaunlich versiert darin, mich zu verunsichern.
„Umbridge hat gewusst, wie böse ihr alle seid", fuhr sie fort, triumphierend weil sie mich in die Ecke gedrängt hatte. „Das Inquisitionskommando. Ihr wart ihre Helfer. Und du wirst nie mehr sein als das. Hat Snape dir das nicht gesagt? Gab's keine Broschüren von den Todessern bei euch im Gemeinschaftsraum?" Sie spuckte ein Lachen aus. „Er ist doch selber nicht besser. Verdammter Todesser, dein Mentor. Oh, sag bloß, du wusstest das nicht?"
So wie sie es sagte, konnte ich es nicht anzweifeln. Damit hatte sie mich nicht treffen wollen, aber sie hatte direkt ins Schwarze getroffen und war schlau genug, es zu merken.
„Snape ist die rechte Hand von du-weißt-schon-wem. Das weiß in Gryffindor jeder. Und ihr in Slytherin verschließt davor die Augen und du denkst trotzdem du, gerade du, hast jemanden wie Ethan verdient?"
Sie atmete schwer und es sah aus, als würden ihr bald wieder die Tränen kommen. Aber für mich ging es hierbei nicht mehr um Ethan. Es ging um so viel mehr als das.
„Das reicht jetzt", sagte ich leise. „Du hast gesagt, was du sagen wolltest. Und jetzt verschwinde."
„Allison." Ihre Stimme hörte sich so traurig an, dass ich fast ein bisschen Mitgefühl entwickelte. Aber nur fast. „Ich liebe ihn."
Ich reckte das Kinn vor. „Das interessiert mich einen Dreck, Vivienne."
Ihre Haltung straffte sich als würde sie sich durch bloße Willenskraft aufrecht halten. Ihre Zauberstabhand hörte auf zu zittern. „Zieh besser deinen Zauberstab", sagte sie und jedes Gefühl war aus ihrer Stimme verschwunden. „Wir klären das jetzt."
„Nein das tun wir sicher nicht!", sagte ich laut. „Du willst dich duellieren? Bitte, aber nicht hier und nicht heute."
Sie verzog das Gesicht. „Feigling. Du bist deine Kräfte nicht wert." Sie drehte sich um und steckte den Zauberstab ein. „Das hier ist noch nicht vorbei."
Daran zweifelte ich keine Sekunde.
Ich kam viel zu spät zu Kräuterkunde, aber Vivienne tauchte überhaupt nicht auf. Ich winkte ab, als meine Freunde fragten was passiert war, aber man konnte mir wohl ansehen, dass ich durcheinander und aufgebracht war.
Ich ging zum Mittagessen an den Slytherintisch und überließ Ethan solange sich selbst, was er nicht besonders toll fand, weil er sich Sorgen machte. Aber die Sache mit Snape musste geklärt werden.
Rin hatte sich gut informiert was den ersten Zaubererkrieg vor sechzehn Jahren betraf und konnte mich da erleuchten.
„Vivienne hat Recht", meinte sie kauend. „Snape war mal ein Todesser. Aber es gab eine Gerichtsverhandlung und Dumbledore hat für ihn gebürgt. Er ist vor dem Sturz von du-weißt-schon-wem übergelaufen und hat als Spion für Dumbledore gearbeitet."
„Ist das dein Ernst?", fragte ich entgeistert. „Wieso weiß ich das nicht? Wieso haben wir noch nie darüber geredet?"
Rin zuckte mit den Schultern.
Snape war mal ein Todesser gewesen und ich hatte davon nichts gewusst. Wieso fühlte ich mich so betrogen? Als hätte ich ein Recht darauf sauer zu sein, weil er es mir nicht gesagt hatte, das war dermaßen unlogisch und irrational.
„Das liegt doch jetzt schon so weit in der Vergangenheit", versuchte Adalyn mich zu beruhigen.
„Nein, es ist relevant", gab ich zurück. „Snape war wichtig für du-weißt-schon-wen, oder etwa nicht? Wäre er es nicht gewesen, hätte er nicht einfach die Seiten wechseln können. Und jetzt ist du-weißt-schon-wer wieder da und ... und Snape ist noch hier. Wie ist das möglich?"
„Was meinst du damit?", fragte Leslie, die bisher schweigend zugehört hatte.
„Würde du-weißt-schon-wer sich nicht rächen wollen? Ihn ... ihn umbringen?"
Es trat kurz Stille ein. „Sag doch so was nicht", murmelte Adalyn dann.
„Aber sie hat recht", entgegnete Leslie. „Das ergibt Sinn."
„Hört auf, darüber zu rätseln", sagte Rin. „Snape ist kein Todesser und es wird schon seine Gründe haben, warum er noch lebt. Du-weißt-schon-wer kann ja schlecht einfach hier reinkommen und ihn platt machen. Könnte er das, wäre Potter schon lange Toast."
Ich sagte nichts mehr, hörte aber nicht auf, darüber nachzugrübeln. Snape konnte kein Todesser sein, aber es war die leichteste Erklärung. Voldemort brachte ihn nicht um, nicht weil er es nicht konnte, sondern weil er es nicht wollte. Snape war ein Spion, so weit so gut, aber für welche Seite? Dumbledore zu täuschen war sicher einfacher, als Voldemort hinters Licht zu führen. Wie konnten die anderen das so einfach abtun, als ginge es sie nichts an? Mir war klar, dass ich Snape mehr mochte als sie und dass Vivienne den Nagel auf den Kopf getroffen hatte mit dem Wort Mentor. Es gab wirklich keinen Lehrer, dessen Meinung mir wichtiger war. Aber unser Lehrer war er trotzdem und war es da nicht normal, sich zu fragen, ob er für den bösesten Magier aller Zeiten arbeitete oder nicht? Und warum er damals für ihn gearbeitet hatte.
***
„Ich hab das Gefühl, ich müsste mich für Vivienne entschuldigen", sagte Ethan verlegen. Wir saßen zusammen etwas abseits der Lerngruppe im Gras und taten so als würden wir Verwandlung wiederholen.
„Du kannst doch nichts dafür", meinte ich. „Außerdem sind ihre Gefühle mir nicht halb so wichtig wie die Sachen, die sie über Snape gesagt hat."
„Sie hat auch gesagt, du würdest eine Todesserin werden. Kümmert dich das nicht?"
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ich würde eher sterben als das zu werden, deswegen nein, es kümmert mich nicht im Geringsten."
Er lächelte und küsste mich blitzschnell auf die Wange. Ein Grund dafür, warum ich das weitaus lieber mochte, wenn wir allein und unbeobachtet waren, war dass ich rot wurde wie eine Tomate. Und das war mir unfassbar peinlich. Ethan mochte das nur leider am meisten.
„Und am Ende ist sie einfach gegangen?"
Ich nickte. Dass sie mich zum Duell herausgefordert und ich ernsthaft vorhatte, die Sache auf diese Weise mit ihr aus der Welt zu schaffen, brauchte er nicht zu wissen. Das würde auch sowieso erst nach den Prüfungen passieren.
„Sollten wir das hier vielleicht mal versuchen?", fragte ich mit leichter Belustigung und wedelte mit einem Stück Pergament, das ich von Taylor hatte. Sie hatte sich extra für mich Verwandlungsaufgaben ausgedacht, die in der Prüfung drankommen konnten und sich von der Schwierigkeit her stetig steigerten. Und wir saßen hier seit einer Viertelstunde und quatschten.
Ich holte meinen Zauberstab raus und konzentrierte mich auf den kleinen Teller, den ich in einen Pilz verwandeln sollte.
Ethan machte mir allerdings einen Strich durch die Rechnung indem er noch näher an mich heranrückte und mit seinen Lippen mein Ohr streifte.
„Was tust du da?", fragte ich, ohne den Teller aus den Augen zu lassen.
„Ich simuliere die Prüfung", flüsterte er. „Gewöhn dich an Ablenkung."
Ich schnaubte. „Wenn einer der Prüfer mich so ablenkt, zeig ich ihm wie gut mein Schockzauber ist."
„Mhh", machte er nur und blieb wo er war.
So wurde das nichts. Ich konnte mich nicht mal an die Zauberformel erinnern. Falls er dachte irgendein Prüfer könnte mich jemals so durcheinanderbringen, täuschte er sich gewaltig. Ich drehte den Kopf in seine Richtung, um ihm zu sagen er solle das lassen, aber irgendwie landeten meine Lippen völlig unerwartet auf seinen und ich vergaß was ich sagen wollte.
Ein Geräusch ertönte und wir schreckten auseinander. Jedes einzelne Mitglied der Lerngruppe starrte uns an und Colin Creevey tauchte grinsend hinter seiner Kamera auf. „Ist gut geworden", verkündete er und Leslie und ein paar der anderen johlten.
„Ich will einen Abzug davon haben", sagte Ethan zu Colin. Mein Freund hatte tatsächlich etwas rote Ohren bekommen.
Taylor klatschte in die Hände. „Los jetzt! Es ist weniger als ein Monat bis zu den Prüfungen!"
Das brachte mich wieder auf Spur und ich fing an mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ethan zauberte mit mir, statt mich zu boykottieren.
***
Ich war so beschäftigt mit dem Gedanken- und Gefühlskarussell in meinem Kopf, mit der Prüfungsvorbereitung und damit zu lernen jemandes Freundin zu sein, dass ich eine der letzten war, die das neueste Drama mitbekamen.
Ich kam eines Abends aus dem Vertrauensschülerbadezimmer in den Gemeinschaftsraum und war so kaputt, dass ich erst nach ein paar Minuten Malfoy und seine Freunde bemerkte. Er lag ausgestreckt auf einem Sofa, mit geschlossenen Augen, den Kopf im Schoß von Pansy Parkinson, die mit ernstem Gesicht mit Crabbe, Goyle, Harper und einigen anderen Mitgliedern der Hausmannschaft sprach. Alle hatten sich um Malfoy versammelt und schauten ihn immer wieder sorgenvoll an. Ich selbst konnte meinen Blick auch nicht mehr so richtig abwenden, denn Malfoy sah fast aus wie ein Geist. Seine Haut war so weiß, dass sie beinahe transparent wirkte, als hätte er keinen Tropfen Blut im Körper. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und trotz der geschlossenen Augen einen angespannten Gesichtsausdruck. Malfoy hatte in letzter Zeit oft kränklich gewirkt, aber nicht so.
Ich tippte Adeline auf die Schulter, die gerade neben mir saß und ein Zauberkunstbuch auf dem Schoß hatte. „Was ist mit ihm?"
Sie schaute zu Malfoy hinüber und klappte ihr Buch zu. „Wir können nur raten. Er sagt nichts."
„Er sagt nichts?", wiederholte ich perplex. Malfoy war jemand, der Verletzungen und dergleichen stets zu seinem oder Slytherins Vorteil ausnutzte. Als ich im zweiten Schuljahr war, wurde wegen ihm ein ganzes Quidditchspiel verschoben. Wenn er also die Klappe hielt, musste es etwas wirklich Schlimmes sein.
Adeline schaute sich verstohlen um. „Ich weiß allerdings ein paar Sachen. Hey, Mads. Komm mal rüber."
Mads, der mit Leuten aus seinem Jahrgang in der Nähe saß, kam neugierig näher. Adeline nickte zu Malfoy hinüber. „Erzähl Allison was du gesehen hast."
Er quetschte sich zwischen uns aufs Sofa, wodurch Rin am anderen Ende fast runterfiel. Sie guckte erst genervt, dann war auch ihre Neugierde geweckt.
„Snape hat Malfoy in den Krankenflügel gebracht", erzählte Mads mit verschwörerisch gesenkter Stimme. „Malfoy konnte nicht richtig laufen und war vollkommen durchnässt. Mit Wasser, aber auch mit Blut. Sein halbes Gesicht war rot, seine Haare, seine Schuluniform, alles. Snape musste ihn stützen."
„Das hast du gesehen?", fragte Rin und schaute jetzt ebenfalls zu Malfoy hinüber. Es war nicht schwer zu glauben, fand ich, denn Malfoy wirkte völlig blutleer bis auf eine sehr dünne rote Linie, die sich quer durch sein Gesicht zog und die mir erst jetzt auffiel.
„Das ist noch nicht alles", sagte Adeline. „Was ich gesehen habe ist noch viel schlimmer: Potter aus Gryffindor sah fast genauso aus. Er ist an mir vorbeigerannt, auf der Treppe zum siebten Stock. Er war auch durchnässt und blutig. Mehr Wasser als Blut, allerdings, nicht so wie bei Malfoy. Und das war ungefähr zehn Minuten nachdem Mads Snape und Malfoy gesehen hat."
„Fassen wir zusammen." Rin beugte sich zu uns rüber. „Malfoy und Potter, beide nass und voller Blut. Potter wohlauf genug um zu rennen, Malfoy kann nicht mal laufen."
„Außerdem ist ein Jungenklo im sechsten Stock plötzlich mysteriöserweise außer Betrieb", ergänzte Mads.
„Die haben sich in einem Klo duelliert und Potter hat gewonnen?", fragte ich in die Runde. Die anderen nickten zustimmend.
„Was bei Merlins Bart kennt der für Flüche, die so was anrichten?"
Darauf hatte niemand eine Antwort. Ich verstand nichts von Wahrsagen oder Zeichendeuten oder von Aurologie, aber das hier erschien mir wie ein schlechtes Omen.
Wir bekamen auch in den nächsten Tagen nicht besonders viele Informationen. Pansy Parkinson regte sich alle Nase lang fürchterlich über Potter auf und verkündete, Malfoy wäre fast gestorben. Aber das konnte auch durchaus übertrieben sein. Er sah allerdings wirklich eher tot als lebendig aus. Potter musste bei Snape nachsitzen, und zwar sehr oft. So konnte er beim Quidditchspiel Gryffindor gegen Ravenclaw am zweiten Maiwochenende nicht dabei sein - ungünstig, weil er der Kapitän war. Gryffindor gewann trotzdem und sicherte sich den Quidditchpokal das dritte Jahr infolge. Am Samstag danach hatte Slytherin sein letztes Spiel. Sie hatten ganz gute Chancen, da Pucey wieder mitspielte, aber da Gryffindor den Pokal bereits gewonnen hatte und es nur noch um den dritten oder vierten Platz ging, war niemand so richtig motiviert. Das Spiel zog sich in die Länge, bis Harper den Schnatz fing und es für Slytherin entschied. Zum Feiern war trotzdem niemandem so richtig zumute.
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