Kapitel 13 - Hogsmeade
„Irgendwann musst du aufhören mich so anzusehen", warf ich Ethan vor, der es schon wieder tat. Es war mehr als eine Woche vergangen seit ich den Heuler bekommen hatte und seitdem lebte ich so ziemlich am Limit und verbrachte viel Zeit mit Ethan. Der mich immer wieder so anschaute, als glaubte er ich würde im nächsten Augenblick zusammenbrechen.
Er wusste genau, was ich meinte und zog den Kopf ein. Wir saßen zusammen in Zaubertränke und warteten auf die Ankunft von Professor Slughorn. Ethan wandte seinen Blick von mir ab und er streifte stattdessen Leslie, die inzwischen mit Harper, Elliott und den drei anderen Slytherin-Jungen im vorderen Teil des Kerkers saß. Ihre roten Haare waren ein Blickfang im Fackelschein, keine Ahnung wie Adalyn es schaffte ihr so wenig Beachtung zu schenken wie umgekehrt. „An deiner Stelle wäre ich so sauer", murmelte Ethan. „Ich warte nur darauf, dass du sie alle verhext."
Also das war es. „Du denkst, ich bin nicht sauer?", fragte ich belustigt.
„Du benimmst dich jedenfalls nicht so."
„Oh, ich bin sauer. So richtig sauer. Aber sie zu verhexen hilft mir nicht weiter und es ist für sie viel schlimmer, wenn ich so wirke als würde es mir nichts ausmachen."
Ich war eine gute Lügnerin und mit der Zeit würde mir das hier noch besser gelingen. Ich würde nicht jedes Mal schlucken müssen, wenn ich Leslies und Adalyns getrennte Betten sah. Es würde mich mit der Zeit weniger Anstrengung kosten zu lächeln, wenn Robert und Maisie mich bei den Mahlzeiten mit mitfühlenden Blicken bedachten. Ich saß mittlerweile dreimal am Tag am Hufflepufftisch und niemand hatte bisher versucht etwas dagegen zu unternehmen. Die Slytherins dachten, tiefer konnte ich nicht sinken, aber ich sah das anders. Mir war noch kein Hufflepuff begegnet, der unfreundlich zu mir gewesen wäre. Ein paar waren mir gegenüber misstrauisch eingestellt, aber damit kam ich klar. Ich war eine Ausgestoßene und war aufgefangen worden von Leuten, die keinerlei Grund dafür gehabt hatten. Ich konnte mich glücklich schätzen. Ethan ließ es sich nicht nehmen, mir beim Essen Gesellschaft zu leisten.
„Du musst das nicht tun", hatte ich gesagt, „du hast deine eigenen Leute."
„Lass mich. Ich versuche hier was zu beweisen."
„Ach und was?"
„Meine Loyalität."
Maisie und eine Freundin von ihr hatten uns gegenüber gesessen. „Loyalität, na klar..."
Adalyn wollte eigentlich auch mit uns essen aber Rin konnte sich nicht so richtig dazu überreden. Und um Rin nicht alleinzulassen blieb Adalyn bei ihr. Damit waren alle einverstanden.
Soweit wir wussten war Leslie auch nicht mehr im Slug-Club. Rin, Adalyn und ich hatten Einladungen zu einem Abendessen bekommen aber niemand hatte eine Eule bei Leslie gesehen. Ich hatte Slughorn nicht für besonders aufmerksam gehalten aber das Drama war ihm anscheinend nicht entgangen. Und womöglich hatte er sogar Stellung bezogen. Es konnte natürlich auch andere Gründe haben.
Ich dachte es wäre schlimm gewesen, als Ethan mich vor ein paar Monaten nach ein paar Tagen wieder abserviert hatte, aber im Vergleich zu dem hier, war das nichts. Jedes Mal wenn ich Leslies Blick begegnete, stellte sich in meinem Bauch ein schreckliches Gefühl ein. So eine Mischung aus schmerzhaftem Ziehen und Fallgefühl. Leslie war um Welten besser in diesem Spiel als ich und man sah ihr nie auch nur die kleinste Emotion an, wenn das zufällig mal passierte. Bei Adalyn war das anders und Leslie gab sich viel mehr Mühe, ihr auszuweichen. Für Adalyn musste es noch tausendmal schlimmer sein. Sie machte sich hauptsächlich Sorgen um mich, aber ich wusste, sie schlief schlecht und oft waren ihre Augen rot und ihre Wangen fleckig.
Sie sagte immer noch, dass Leslie ihren Fehler früher oder später einsehen würde, aber das war Wunschdenken. Ich kannte Leslie genauso lange wie sie und ich wusste wie stur sie war. Sie würde nie wieder ein Wort mit mir sprechen. Adalyn hätte sich von mir abwenden und ihre Beziehung retten können, doch das kam für sie nicht in Frage. Ich wusste nicht, wie ich ihr das jemals würde zurückzahlen können, aber ich hatte von den Hufflepuffs gelernt, dass nicht alles immer damit zu tun hatte, Schulden zu begleichen.
Rin war da anders gestrickt als wir anderen. Sie verhielt sich ein bisschen mehr wie Ethan: trug ihre Wut offen zur Schau und strafte Leslie und den Rest der ehemaligen Nicht-Hausmannschaft mit so vernichtenden Blicken, dass sie vermutlich blaue Flecken davon bekamen. Vielleicht war das der Grund, warum die beiden inzwischen besser miteinander auskamen. Hass verband Menschen schon seit Jahrhunderten. So wie sich ganz Slytherin einig darin war, mich zu hassen. Eine Sache gab es allerdings, bei der Ethan und Rin verschiedener Ansicht waren: Vivienne.
Wir alle wussten mittlerweile, dass sie nicht nur so drohte, sondern dass sie durchaus gefährlich war. Und ziemlich unberechenbar. Nun weigerte Ethan sich mit ihr zu sprechen und mied sie wo er nur konnte. Rin fand, das würde die Sache nur schlimmer machen und Ethan sollte mit ihr reden um herauszufinden, was sie als nächstes plante.
„Findest du, ich soll zu ihr gehen?", fragte er mich jetzt und nickte in ihre Richtung. Von hinten sahen sie und Leslie sich ziemlich ähnlich.
„Ich finde niemand sollte je wieder ein Wort mit ihr wechseln", murmelte ich aus dem Mundwinkel. Es gefiel mir irgendwie nicht, die Vorstellung, ihn wieder zu ihr zu schicken, damit sie ihn erneut manipulieren konnte. Dazu hatte sie oft genug Gelegenheit gehabt, aber er war trotzdem bei mir.
Abgesehen davon sah die Welt für mich nicht gut aus. Ich kann auch nicht sagen, dass es die nächsten Wochen über besser wurde, ich gewöhnte mich nur allmählich daran. Oft warf ich beim Essen einen Blick auf Dumbledores Stuhl, der so häufig leer war, dass ich mir schon beinahe Sorgen um den alten Mann machte. Aber so weit ging es dann doch nicht. Er kümmerte sich nicht um mich, obwohl ich als Schülerin unter seinem Schutz hätte stehen sollen. Also warum sollte ich mich um ihn kümmern? Wenn ihm auch noch die andere Hand abstarb, was ging mich das an?
Und so schmolz der Januar langsam dahin und das schmutzige Wasser durchtränkte die Erde. Der Februar kam mit neuem Frost, aber keinem neuen Schnee. Ich hatte den Winter schon immer gemocht - Schneeballschlachten, Kaminfeuer, Eiskristalle an der Glasscheibe zum See im Gemeinschaftsraum, und das Geräusch von knackendem, mit gefrorenem Raureif überzogenem Gras. Es war ein eisiger Mittwochnachmittag und Ethan und ich hatten uns nach seiner Wahrsagenstunde getroffen, um noch ein bisschen raus aufs Quidditchfeld zu gehen.
Normalerweise waren Rin und Adalyn dabei, aber heute hatten beide zu viel mit ihren Arithmantikhausaufgaben zu tun. Es war frustrierend zu viert zu trainieren wenn man drei Jäger und einen Treiber hatte. Für Rin war es natürlich am frustrierendsten weil sie der eine Treiber war. Sie flog umher und hielt uns die Klatscher vom Hals, ohne etwas zu haben, auf das sie damit zielen könnte. Heute waren Ethan und ich allein und da die Sonne ohnehin bald untergehen würde, holten wir nur die Bälle aus dem Schrank, nicht die Besen. Wir stellten uns einander gegenüber und warfen uns den Quaffel zu, während Ethan von seiner Wahrsagenstunde berichtete. „Wir wiederholen gerade Kristallkugeln für die ZAGs." Er warf den Quaffel über meinen Kopf und ich musste springen, um ihn zu kriegen.
„Hast du schon mal was in einer Kristallkugel gesehen?", fragte ich neugierig.
Er schüttelte den Kopf und nahm meinen Pass an. „Nur mein Spiegelbild."
Den nächsten Ball gab ich blitzschnell zurück und er bekam ihn gerade noch mit den Fingerspitzen zu fassen. „Wenn du in der Prüfung auch nichts siehst, behaupte einfach du siehst dich selbst", meinte ich. „Weil wir selber unsere Zukunft sind. Klingt doch beeindruckend, oder?"
Er hielt den Quaffel fest und musterte mich prüfend. „Ich mag deine Art zu denken."
Wir lächelten uns an. Dann räusperte ich mich. „Ich mag deine Art den Quaffel für dich zu beanspruchen, während wir eigentlich gerade Passen üben."
Der Moment war dahin und er lachte und warf mir den Ball zu.
„Hast du schon Pläne für Samstag?", fragte er nach einer Weile stillen Werfens.
„Für Samstag?", wiederholte ich und schüttelte den Kopf.
„Es ist Hogsmeade-Wochenende. Es schadet dir sicher nicht, mal rauszukommen. Wir könnten zusammen rumhängen."
Der Ball flog knapp an mir vorbei und ich konnte ihn nur mithilfe einer waghalsigen Drehung noch zu fassen bekommen. „Klar. Klingt gut." Er lächelte breit.
***
Adalyn, Rin und ich hatten uns früh aus dem Gemeinschaftsraum in den Schlafsaal zurückgezogen, weil die verächtlichen Blicke nach einer Zeit schwer zu ertragen waren.
„Wisst ihr schon, was ihr Samstag vorhabt?", fragte ich beiläufig.
Adalyn schaute kurz auf. „Ich denke, ich bleibe wohl einfach hier", sagte sie mit schwerer Stimme. „Ich hab keine Lust nach Hogsmeade zu gehen, nicht an dem Tag."
„Welchem Tag?", fragte ich, aufgeschreckt. Hatte ich etwas vergessen?
„Samstag ist Valentinstag", erklärte überraschenderweise Rin. Sie hatte damit so gar nichts am Hut, aber Adalyn als frischgebackener Single konnte den Tag natürlich nur verabscheuen. Und Rin war das wohl aufgefallen.
„Oh", machte ich betroffen. Das war zwar blöd für Adalyn, aber was bedeutete es für mich? War Ethan das Datum klar gewesen, als er mich eingeladen hatte? Man kann am Valentinstag nicht einfach so rumhängen, es würde immer wirken wie ein Date. Ich musste ihn fragen was das sollte.
„Ethan und ich wollen zusammen nach Hogsmeade", sagte ich so unbefangen wie es ging. „Wir sollten uns nachmittags alle in den Drei Besen treffen. Alkohol ist die Lösung für dein Problem, Adalyn, vertrau mir."
„Mit Butterbier und Met kann man sich nicht betrinken", jammerte sie.
„Mit genug Entschlossenheit schon", entgegnete Rin. „Und außerdem gibt dir Madame Rosmerta sicher einen Feuerwhiskey. Gebrochenes Herz am Valentinstag und so."
Es dauerte eine Weile, aber am Ende konnten wir Adalyn doch noch überreden. Ich nahm mir vor von jeder Schokoladensorte im Honigtopf etwas mitzubringen, um sie aufzuheitern.
Am nächsten Morgen beim Frühstück am Hufflepufftisch begrüßte ich Ethan mit einer hochgezogenen Augenbraue. Er schaffte es, ein paar Minuten lang so zu tun, als wäre nichts, bis er dann schließlich seufzte und fragte: „Was ist?"
„Valentinstag, hm?"
Er lief tatsächlich rot an.
„Es war dir also klar", stellte ich fest.
„Aber es ist nicht, was du denkst", sagte er hastig. „Ich hätte dich auch an jedem anderen Tag gefragt, das ist nur Zufall. Es muss gar nichts bedeuten."
„Also ist es kein Date." Es hatte eine Frage sein sollen, kam aber raus wie eine Feststellung.
„Nein." Er hatte gezögert, aber ich ließ es durchgehen.
Mit ihm am Valentinstag in Hogsmeade zu sein würde für alle anderen ziemlich eindeutig aussehen, allen voran Vivienne. Aber ich wartete nur auf eine Gelegenheit, um mich mit ihr anzulegen. Und bei den Slytherins war mein Ruf ohnehin im Eimer, ich hatte buchstäblich nichts zu verlieren. Den Rest der Woche begegnete mir Vivienne immer mal wieder zufällig auf einem Korridor oder im Mädchenklo. Sie sprach nicht mit mir, sie schien mich eher auszuspionieren. Es konnte ja wohl nicht sonderlich schwer sein, irgendeine negative Sache zu finden, die sie bei Ethan gegen mich vorbringen konnte. Immerhin war ich eine Slytherin. Ihr Problem war vermutlich, dass ich ziemlich wenig machte. Ich lief zwischen den Klassenzimmern hin und her, der Bibliothek, und den Kerkern, wie alle anderen auch. Ich hatte drei Freunde auf diesem Planeten und hatte nicht mal mehr richtiges Quidditchtraining, denn so konnte man das beim besten Willen nicht bezeichnen, was wir da machten. Also verfolgte Vivienne mich völlig umsonst.
Am Samstag also verabschiedete ich mich nach einem späten Frühstück von Adalyn und Rin und traf mich mit Ethan in der Eingangshalle. In einem stetigen Strom von anderen Schülern ließen wir uns die Straße entlang ins Dorf treiben.
„Ach ja", sagte ich, „ich will mich später noch mit den beiden in den Drei Besen treffen. Adalyn ablenken und abfüllen. Bist du dabei?"
„Aber sicher doch."
Ich war einigermaßen erleichtert und ein bisschen überrascht, dass er nicht verlangte, dass ich den ganzen Tag mit ihm allein verbrachte. Er musste mir das angesehen haben, denn wieder kam ein: „Was ist?"
„Es wundert mich etwas, dass dich das nicht stört."
Er hob die Schultern. „Adalyn ist auch meine Freundin geworden und ich hab sie gern. Rin natürlich auch. Und ich halte dich nicht von deinen Freundinnen fern, ich will nicht dieser Typ sein."
Das Treiben um uns herum ebbte mehr und mehr ab, je weiter wir ins Dorf vordrangen. Ich ertappte mich dabei, wie ich lächelte. Unbefangen, als wäre die Welt in Ordnung.
„Wohin gehen wir eigentlich?"
„Oh, ich kenne da einen Laden, der dir sicher gefällt." Er grinste und mein Misstrauen erwachte zum Leben. Wenig später blieben wir vor einem wahrhaft scheußlichen Café stehen, in dem es herzförmiges rosa Konfetti regnete und kleine Engelchen über den Tischen schwebten. Es war ausschließlich von knutschenden und händchenhaltenden Pärchen bevölkert.
„Du bist also ein Romantiker, ja?", meinte ich trocken.
„Was, du etwa nicht?" Er hatte zum Glück nicht ernsthaft vor reinzugehen. „Oh! Guck mal, das ist Vivienne. Mit Hideo Kaku."
Ich spähte durch das Fenster des Cafés und erkannte Viviennes rotes Haar, das in ihrer Kaffeetasse hing, weil sie sich über den Tisch beugte und einem Typen aus unserem Jahrgang die Zunge in den Hals steckte. Als sie sich voneinander lösten begann Hideo sofort, sich nervös umzuschauen, Viviennes Blick dagegen schoss zielsicher zu Ethan und mir, als wolle sie sicherstellen, dass wir sie gesehen hatten. Dann fiel ihr auf, dass ihre Haare voller Kaffee waren.
Ethan und ich tauchten seitlich weg, damit sie unser Lachen nicht sehen konnte. Wir spazierten die Straße entlang bis zum Ende und kehrten dann langsam wieder um. „Sie will mich eifersüchtig machen", stellte Ethan fest, als wir auf dem Rückweg und auf der anderen Straßenseite das Café mit dem Konfetti passierten.
„Funktioniert es?", fragte ich ehe ich mich bremsen konnte.
Er warf mir einen schnellen Seitenblick zu. „Nicht die Spur."
Die Antwort gefiel mir, ohne dass ich hätte sagen können, wieso.
„Es tut mir nur leid für Hideo. Er ist echt nett, er verdient es nicht, so ausgenutzt zu werden."
Ich stupste Ethan in die Seite, um ihn aufzumuntern. „Er sah sowieso nicht aus, als würde ihm das gefallen."
Wir erreichten den Honigtopf, der wie immer sehr gut besucht war. Ich klärte Ethan über mein Vorhaben auf, Adalyn tonnenweise Schokolade zu kaufen und er war sofort Feuer und Flamme. Ich öffnete die Eingangstür und stieß direkt mit jemandem zusammen, der gerade rauswollte. Zu allem Überfluss war es Adeline.
Sie schaute mich erschrocken an und blieb stehen.
Ehe sie dazu kam, mich an meinen Blutstatus zu erinnern, sagte ich „Nicht heute, bitte" und versuchte mich an ihr vorbei zu drängen. Sie ließ mich allerdings nicht.
„Warte, Allison. Ich wollte sowieso mit dir reden."
Ich erlaubte ihr, mich von der Tür wegzuziehen, wo sich auf der Innenseite bereits eine kleine Menschentraube gebildet hatte. Ethan dachte gar nicht daran, mich mit ihr allein zu lassen und folgte uns. Adeline quittierte das mit einem milde interessierten Seitenblick, ehe sie sich wieder ganz auf mich konzentrierte.
„Hör zu, ich ... wollte dir sagen, dass ... es mir leid tut. Was ich zu dir gesagt habe. Das war ziemlich blöd von mir."
Ich war kurz sprachlos, aber nur kurz. „Da hast du völlig recht", pflichtete ich ihr bei.
„Ich weiß. Und ich vermisse dich und die anderen und die Nicht-Hausmannschaft. Also falls du mich zurücknimmst ... ich bin jederzeit bereit. Und wenn nicht - ich bin deine Freundin, auch wenn du nicht meine bist."
Sie senkte den Blick und ließ den Kopf hängen, als würde sie auf ihr Urteil warten. Ethan guckte mich zutiefst fragend an.
„Gut", sagte ich mit etwas belegter Stimme. „Ich verzeihe dir."
Sofort schoss Adelines Kopf nach oben und sie strahlte mich an. „Das ist so toll von dir, danke, Allison!" Sie wollte mich umarmen, überlegte es sich dann aber doch anders. „Dann, ehm, lasse ich euch beide mal allein."
„Ethan und ich treffen später mit Adalyn und Rin in den Drei Besen. Du kannst auch kommen, wenn du Lust hast."
Da lächelte sie dann wieder. „Ich muss nur noch neue Federkiele kaufen, dann komme ich dazu." Sie winkte und schlenderte die Straße hinunter.
Ich ignorierte Ethan und seine hochgezogene Augenbraue und schob mich an ihm vorbei in den Süßigkeitenladen. Es gab alles Mögliche im Honigtopf, aber ich kämpfte mich gezielt durch die Menge zur Schokoladenabteilung vor. Ethan war die ganze Zeit dicht hinter mir und wir wurden extra eng aneinander gedrängt, als ein Zauberer mit drei aufeinandergestapelt vor ihm schwebenden Kisten an uns vorbeiwollte.
„Du verzeihst ihr also wirklich?", fragte er, während ich meinen Kopf unfreiwillig an seine Schulter drückte, um der Ecke einer Kiste zu entgehen. „Einfach so?"
„Sie hat sich entschuldigt", murmelte ich gegen den Stoff seiner Jacke. „Sie kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, nur die Zukunft besser machen. Und dazu gebe ich ihr die Chance."
Er schlang die Arme um mich, ob um mich besser vor den wackelnden Kisten abzuschirmen oder aus anderen Gründen, wusste ich nicht so ganz.
„Das ist ziemlich groß von dir."
Vielleicht war es das. Aber deswegen machte ich es nicht. „Man kann sich nicht aussuchen, ob man jemandem verzeiht", meinte ich und löste mich soweit seine Arme es zuließen. „Es passiert, oder eben nicht. Adeline ist meine Freundin. Zumindest hoffe ich das."
Er ließ mich los, hob aber sofort die Hand, um mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Die Berührung jagte mir einen Schauer über den Rücken.
„Also", sagte Ethan dann fröhlich und der Moment war verflogen. „Was für Schokolade mag Adalyn am liebsten?"
Ich schüttelte kurz den Kopf und wühlte mich dann mit Ethan durch alle möglichen und unmöglichen Schokoladenarten. Zum ersten Mal sah ich einen Vorteil in meiner plötzlich aufgedeckten Identität. Ich konnte Ethan von den Muggelschokoladensorten berichten und da er ein Reinblut war, fand er das sogar spannend. Am Ende kauften wir für drei Galleonen eine Riesenmenge Schokolade, die Ethan heldenhaft in einer großen Tüte zu den Drei Besen schleppte.
Adalyn und Rin waren schon da, Adeline ließ noch auf sich warten. Wir schoben uns durch die Menge zu dem Ecktisch durch, den meine Freundinnen besetzten. Adalyns Lächeln fiel etwas müde aus.
„Schön euch zu sehen", rief Ethan schwungvoll. „Adalyn, du siehst heute bezaubernd aus. Rin natürlich auch."
Rin stöhnte, aber Adalyn ließ sich das Kompliment gefallen. Wir setzten uns und bestellten für uns alle warmen Met. „Ihr glaubt nicht, was gerade passiert ist", begann Ethan und schloss die Hände um seinen gewärmten Becher.
„Was ist denn passiert?", fragte Rin und verdrehte die Augen, als Ethan nicht von allein weitererzählte.
Ich nahm ihm den nächsten Teil ab. „Adeline hat sich bei mir entschuldigt. Sie kommt gleich dazu."
Ich erntete ungläubige Blicke. Adalyn fing sich jedoch schnell wieder. „Das wurde aber auch Zeit", grummelte sie. „Hat lang genug gedauert."
Wenn Adeline es schaffte, über ihren Schatten zu springen und sich zu entschuldigen, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Leslie zurückkam. Das dachte Adalyn, ich wusste es genau. Mir brach ein bisschen das Herz, weil ich auch wusste, wie unwahrscheinlich das war.
„Übrigens, wir haben dir was mitgebracht." Ethan löste die Spannung, in dem er die Tüte aus dem Honigtopf auf dem Tisch auskippte. Pralinentütchen, Schokoriegel, Bruchschokolade, alles kullerte durcheinander.
„Das soll alles für mich sein?", fragte Adalyn belustigt.
„Du darfst es gerne mit uns teilen", bot Ethan grinsend an. „Aber das ist nicht verpflichtend."
Adalyn nahm sich einen Karamellriegel. „Bitte, esst mit sonst gehe ich bald total aus dem Leim."
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. So unterschiedlich wir waren, wir liebten alle Schokolade.
Adeline tauchte ein paar Sekunden später auf und kam zögernd an unseren Tisch. Ein freundlicher Zauberer am Nebentisch schob ihr einen freien Stuhl zu und sie setzte sich auf die Kante, unangenehm berührt.
„Bei euch muss ich mich auch entschuldigen", murmelte sie Adalyn und Rin zu. „Ich hab mich geirrt. Blutstatus sagt gar nichts über jemanden aus. Es tut mir leid."
Adalyn nahm die Entschuldigung sofort an, sie konnte vermutlich gar nicht anders. Rin schaute Adeline noch eine Weile mit verengten Augen an, bevor sie nickte und die Spannung sichtlich von Adeline abfiel. Adalyn nötigte ihr einen Sahneriegel auf und bald war es, als wäre Adeline nie weg gewesen.
„Wie geht es Leslie?", fragte Adalyn irgendwann, nach ihrem dritten Met.
Adeline hob die Schultern. „Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Am Anfang war sie viel bei mir und den anderen, aber dann hat Elliott dich Blutsverräterin genannt und sie hat kein Wort mehr mit ihm gesprochen und meidet ihn jetzt wie die Pest."
Das hatte vor ein paar Tagen bei Zaubertränke noch anders ausgesehen. Oder? Hatte Leslie bei Elliott gesessen oder bei Harper?
„Sie muss einsam sein", murmelte Adalyn und schluckte schwer. „Aber sie überlegt es sich noch. Es dauert nur ein bisschen länger. Sie ist ja so ein Dickkopf."
Ethan und ich tauschten einen Blick. Er kannte meine Meinung. Schief lächelnd schob er Adalyn eine Butterbierpraline über den Tisch.
Rin fing an Adalyn abzulenken und Ethan legte einen Arm über die Rückenlehne meines Stuhls. „Wann denkst du wird sie aufhören daran zu glauben?", flüsterte er.
Ich sah ihn an, dann Adalyn, die sich trotz allem die Mühe machte zu lächeln, obwohl es das traurigste Lächeln war, das ich je gesehen hatte. „Niemals."
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