Kapitel 11 - Gebrochener Wille
Die einzige Tageszeit, bei der niemand aus der Nicht-Hausmannschaft bei mir war, war in Pflege magischer Geschöpfe und auf dem Weg dorthin. Eigentlich hätte ich mir deswegen keine Sorgen gemacht, weil Ethan dabei war, aber er hatte auch am Sonntag kein Wort mit mir gesprochen. Vivienne schien ihn derart mit Beschlag zu belegen, dass nicht mal Zeit für einen kurzen Blick in meine Richtung blieb. Also dachte ich darüber nach, Harper zu bitten mit mir zusammen zum Unterricht zu gehen, aber er hatte sich so weit von der Nicht-Hausmannschaft distanziert, seit er in der Hausmannschaft war, dass ich nicht sonderlich Lust hatte, ihn einzuweihen.
Beim Frühstück saß ich inmitten der Nicht-Hausmannschaft, aber das hielt Taran Urquhart nicht auf. Er drängte sich mit zwei Tassen Tee zwischen Lucia und Adeline und saß mir somit direkt gegenüber.
„Ich will mich entschuldigen", sagte er ungewohnt leise. „Es tut mir leid, ich hätte nicht ..."
„Was hättest du nicht?", blaffte Leslie ihn an.
„Ich hätte das nicht zu dir sagen sollen. Wenn du nicht mit mir ausgehen willst, ist das okay."
Er schob mir eine Teetasse zu und lächelte schief. „Friedensangebot?"
„Was für ein Bullshit ist das?", fragte Mads mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Hör zu." Urquharts Stimme nahm wieder etwas von ihrer gewohnten Härte an, was ihn irgendwie glaubhafter machte. „Ich hab geredet. Mit Rhonwen Baines. Sie sagte, ich soll dein Vertrauen gewinnen."
„Was ich gesagt habe, ändert sich dadurch nicht", sagte ich nachdrücklich. „Ich werde niemals mit dir ausgehen."
Er kniff die Lippen zusammen, senkte den Blick und nickte. „Ich hab dir Himbeertee gemacht. Ich weiß, dass du den gern magst."
„Klar weißt du das. Weil du sie beobachtest wie ein kompletter Irrer", sagte Mads.
Urquhart stand auf. „Es tut mir leid", sagte er noch einmal, nahm seine Tasse und verschwand zurück zu seinen Freunden.
Kopfschüttelnd blickte ich ihm nach.
„Merlin, so was hab ich noch nie gesehen", meinte Elliott. „Du hast ihn kleingekriegt, Allison."
Ich nippte grinsend an meinem Himbeertee. „Meint ihr er lässt mich in die Mannschaft, wenn ich ihn noch ein bisschen zappeln lasse?"
Unser Misstrauen legte sich allmählich, als Urquhart während der restlichen Zeit beim Frühstück nicht mehr zu mir herüberblickte. Vielleicht hatte er es ja wirklich ernst gemeint.
Lucia begleitete mich zum Eingangsportal, obwohl sie in den vierten Stock musste, aber sie traute dem Frieden kein Stück. Ich glaubte nicht, dass Urquhart mir wirklich etwas tun wollte. Es war nur seine Art, mir ein Friedensangebot zu machen, wie er gesagt hatte. Und ich wusste das auch zu schätzen.
Meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihm zurück und bald konnte ich auch wegen der Sache im Zug nicht mehr sauer auf ihn sein. Die Fronten waren geklärt und ehrlich gesagt fühlte ich mich ein bisschen geschmeichelt, dass er so weit gehen würde, nur für ein Date mit mir.
„Allison?"
Ich blickte von meiner Stichpunktliste über Einhörner auf und Ethan stand vor mir. Er sah mich seltsam an.
„Was ist?", fragte ich.
„Du – ist alles in Ordnung?"
„Alles ist toll", sagte ich und lächelte ihn an.
„Du wirkst abwesend. Bist du sicher? Ist irgendwas passiert?"
Ich schüttelte den Kopf. Er wirkte nicht überzeugt. Eine Sekunde später rief Vivienne seinen Namen und er bedeutete ihr zu warten. „Wartest du nach der Stunde auf mich?", fragte er. „Wir sollten reden, denke ich."
„Okay."
Er verschwand und ich hatte wieder Ruhe zum Nachdenken. Ich meine – so schlimm war Urquhart ja auch nicht, oder? Er mochte mich wirklich, was an sich schon interessant war. Er war groß und zwei Jahre älter als ich. Und er sah ziemlich gut aus. Vielleicht hatte ich zu schnell über ihn geurteilt. Wenn ich ihn das nächste Mal sah, wollte ich mich bei ihm entschuldigen. Vielleicht würde er ja noch mit mir ausgehen wollen.
Hagrid beendete die Stunde ein paar Minuten später als planmäßig und ich wollte so schnell wie möglich hoch zum Schloss um eventuell Urquhart in der Eingangshalle oder auf dem Weg zu meiner nächsten Stunde zu sehen. Die Eingangshalle war beinahe leer, nur Nachzügler trieben sich noch herum. Und dann sah ich ihn, wie er gerade die Treppe von den Kerkern aus nach oben kam.
Ich konnte ein Lächeln nicht verhindern und ging auf ihn zu.
„Na, Meinung geändert?", fragte er.
Ich antwortete nicht, sondern stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
„Was bei Merlins Bart –"
Taran löste sich von mir und ich schmiegte mich an seine Brust. „He!", rief Taran unfreundlich. „Verzieh dich!"
Ich wandte mich um, ohne den Körperkontakt zu unterbrechen und sah Ethan dastehen, mit offenem Mund und weit geöffneten Augen.
„Allison", sagte er fassungslos. „Ist alles in Ordnung mit dir?"
„Es ging mir nie besser", erwiderte ich und presste mich noch enger an Taran. „Taran ist der, zu dem ich gehöre."
Ich wollte ihn wieder küssen, aber Taran zog mich mit sich in den Kerker, um vor Blicken geschützt zu sein. Er führte mich in ein verlassenes Klassenzimmer und hob mich aufs Pult. „Ich liebe dich", flüsterte ich. Wir küssten uns wieder, leidenschaftlicher diesmal. Seine Lippen wanderten zu meinem Hals. Er löste meine Krawatte und öffnete den obersten Knopf meiner weißen Bluse. Alles in mir jubilierte, ich war noch nie so vollkommen glücklich gewesen wie in diesem Moment. Taran verlor die Geduld und riss einmal ruckartig an der Bluse. Die restlichen Knöpfe flogen durch die Gegend.
„Lass sie los, du Mistkerl!"
Taran drehte sich um und tastete nach seinem Zauberstab, doch der Andere war schneller. Ein Ruf, ein roter Blitz, und Taran brach neben dem Pult zusammen.
„Oh Gott." Ethan stand mit ausgestrecktem Zauberstab und aschfahlem Gesicht in der Tür. „Oh Gott, Allison."
„Was hast du getan?", schrie ich, meine Stimme gebrochen. Ich glitt vom Pult herunter und neben Taran auf den Boden. Er lag da, völlig leblos. Ich begann leise zu weinen.
„Allison, kannst du – kannst du dich wieder anziehen?"
Wie sollte ich irgendetwas tun, wenn Taran nicht bei mir war?
„Mach ihn wieder gesund", weinte ich und hielt Tarans Hand in meiner.
„Was bei Merlin hat er mit dir gemacht?"
Ich antwortete nicht, ich konnte nicht. Mein Herz war in tausend Stücke gebrochen.
Ethan murmelte etwas vor sich hin, dann reichte er mir seinen Umhang. Verständnislos starrte ich den Stoff an. „Komm schon." Er legte ihn mir um die Schultern und band ihn vorne zu. „Komm mit, Allison, wir gehen zu Snape."
„Nein", sagte ich und klammerte mich weiterhin an Taran fest. „Ich kann ihn nicht hier allein lassen, Ethan ich kann nicht."
„Aber du musst mitkommen. Du musst Snape sagen, was passiert ist, damit er ihn gesund machen kann. Bitte, Allison, komm mit."
Mit großen Augen schaute ich zu Ethan hoch. „Snape kann ihm helfen?"
„Ganz bestimmt."
Ich stand auf und der Umhang rutschte mir fast von den Schultern. Ethan richtete ihn und wies mich an, ihn vorne zuzuhalten, damit niemand meine kaputte Bluse sehen konnte. Weinend ließ ich mich von ihm durch die Korridore führen, bis er stehen blieb und an eine der Türen klopfte. Sie öffnete sich um einen schmalen Spalt.
„Mr McCrowley", sagte eine schleppende Stimme.
„Verzeihen Sie die Störung, Professor –"
Ich schniefte und drängte mich an Ethan vorbei zur Tür. „Ethan hat die Liebe meines Lebens mit einem Schockzauber belegt, bitte, Professor, Sie müssen mitkommen."
Snape zog eine Augenbraue hoch und öffnete die Tür.
„Was ist passiert?", fragte er. Seltsamerweise richtete er die Frage an Ethan.
„Ich weiß es nicht", sagte er. „Aber das ist nicht normal."
Ich zerrte an Ethans Arm, damit er und Snape mir zu Taran folgten, aber niemand rührte sich.
Mit einer plötzlichen Bewegung war Snapes Hand an meinem Unterkiefer und er blickte mir in die Augen. Was auch immer er sah, seine nächste Anweisung war, mich in sein Büro zu bugsieren. Ethan musste einige Kraft aufwenden, denn ich wehrte mich, aber trotzdem war ich wenig später hinter der verschlossenen Tür. Snape war zu seinem Schreibtisch geeilt und Ethan versuchte mich auf den Beinen zu halten. Aber alle Kraft verließ mich und ich glitt langsam an der Tür hinab zu Boden.
„Was ist mit ihr, Professor?", fragte Ethan. Ich legte den Kopf auf den Boden und kratzte halbherzig an der Tür, wie ein Hundewelpe.
„Was Sie hier sehen, sind die Auswirkungen eines Liebestranks."
Ich hörte die Worte, doch sie bedeuteten mir nichts.
„Eine leichte Überdosis, fürchte ich. Es ist einer der Tränke, deren Wirkung über die Dauer stärker wird. Höchst wahrscheinlich Amortentia."
Sie redeten weiter und ich hörte vor allem mein Herz schlagen. Ich hielt es nicht aus, so lange von Taran getrennt zu sein.
„Ist sie glücklich so? Wenn sie bei ihm ist, meine ich."
„Wenn Sie in meinem Unterricht besser aufgepasst hätten, wüssten Sie, dass kein Trank und kein Zauber echte Liebe zu erzeugen vermögen. Amortentia erzeugt romantische Besessenheit, nicht mehr. Eine Überdosis kann zum Wahnsinn führen."
„Aber Sie können ihr helfen, oder nicht? Sir?"
Snape sagte nichts mehr und erschien wenige Sekunden später an meiner Seite. Er hielt ein Glas mit einer roten Flüssigkeit in der Hand.
„Trinken Sie das."
Ich schüttelte den Kopf. „Warum?"
Ethan erschien auf meiner anderen Seite. Er berührte meine Wange mit einem schmerzhaften Gesichtsausdruck. „Du siehst furchtbar aus, Allison. Schneeweiß und krank."
„Was? Ich sehe nicht gut aus? Was soll Taran von mir denken?"
Snape warf Ethan einen Blick zu. „Du willst wieder gut für ihn aussehen?", fragte Ethan mich. „So gut wie immer? Dann musst du das trinken. Taran wird begeistert von dir sein."
Ich schaute Snape fragend an und er nickte. Zögernd nahm ich das Glas von ihm entgegen und trank den Inhalt leer. Es schmeckte bitter und ein wenig scharf. Mein Bauch rumorte und mein Kopf schmerzte und dann war der Spuk vorbei.
Ein Echo der Gefühle blieb in mir zurück, als wäre alles ein Traum gewesen.
Erschrocken sah ich Snape an und fluchte.
„Amortentia", kommentierte Snape. „Sie hatten Glück, dass Mr McCrowley Sie rechtzeitig zu mir gebracht hat."
„Rechtzeitig?" Meine Stimme zitterte, wie der Rest von mir. Ich zog Ethans Umhang enger. So beschmutzt wie jetzt hatte ich mich noch nie zuvor gefühlt.
Mein Blick wanderte zu Ethan, aber ich wusste nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Wäre er Urquhart nicht in den Kerker gefolgt – ich wollte gar nicht darüber nachdenken.
„Du bekommst ja wieder Farbe", sagte er und lächelte mich erleichtert an. „Du hast mir wirklich Angst gemacht, Allison."
„Wer ist das gewesen, Miss Hesky?", fragte Snape. Er war an seinen Schreibtisch zurückgekehrt und räumte die Zutaten für das Gegengift beiseite.
„Taran Urquhart", sagte ich, noch immer zittrig. „Er hat mir was in den Tee getan."
„Er liegt geschockt in dem leeren Klassenzimmer am Ende des Ganges", sagte Ethan.
„Gut", entgegnete Snape. „Sie beide gehen in den siebten Stock zu Professor Dumbledores Büro. Das Passwort ist Toffee Eclaires."
Ich rührte mich nicht. Die Aussicht die Geschehnisse Dumbledore zu schildern war milde gesagt erschreckend.
„Miss Hesky." Snapes Stimme war beruhigend, fast schon sanft. „Was Ihnen passiert ist, ist ein schwerer Verstoß gegen die Schulordnung. Professor Dumbledore möchte über den Missbrauch von Liebestränken informiert werden und muss über den Schulverweis von Urquhart entscheiden."
Ich nickte und ließ mir von Ethan hochhelfen. Gemeinsam verließen wir Snapes Büro und stiegen die vielen Treppenstufen hinauf in den siebten Stock. Ich wusste noch immer nicht, was ich sagen sollte. Jedes danke schien zu wenig zu sein.
„Wie geht's dir?", fragte Ethan zwischen dem fünften und sechsten Stock vorsichtig.
„Fantastisch."
„Kann ich mir vorstellen. Ich frage mich wirklich, wo der Typ den Zaubertrank herhatte."
„Das ist mir ziemlich egal. Ich will nur, dass er sich in Zukunft von mir fernhält."
Ethan nickte. „Ich pass auf dich auf."
„Du musst nicht auf mich aufpassen. Ich werde Urquhart nie wieder unterschätzen." Jetzt wo ich angefangen hatte, zu reden, konnte ich mich irgendwie nicht mehr bremsen. „Warum warst du eigentlich da? Ich meine, Vivienne hatte dich so mit Beschlag belegt, wieso –"
Ich zog das Tempo an und Ethan hatte Schwierigkeiten mitzuhalten.
„Du hättest dich sehen sollen", sagte er. „Du warst nicht du selbst. Ich konnte dich nicht einfach gehen lassen. Und es tut mir leid, dass ich dich nicht schon eher gesehen habe. Wirklich."
Er klang aufrichtig und ich beließ es dabei.
„Vivienne ging es nicht gut", fuhr Ethan fort und ich hatte das Gefühl, er hatte nur auf eine Gelegenheit gewartet, um sich das von der Seele zu reden. „Ich hab mich um sie gekümmert. Am liebsten hätte ich dich schon am Bahnhof gesehen und im Zug und – ich hab dich vermisst, das war mein Ernst."
Ich schwieg und hatte in diesem Moment einen Augenblick der Klarheit was Vivienne anging. Dass sie Ethan mochte war offensichtlich, aber sie sah in mir eine Konkurrentin, was ich seltsam fand. Und wäre da nicht der Pakt mit dem Waffenstillstand, hätte sie sich dieses dumme Slytherinmädchen schon lange vorgeknöpft. Aber damit konnte ich mich jetzt nicht auseinandersetzen. Am Ende des Ganges tauchten die Wasserspeier auf, die den Eingang zu Dumbledores Büro markierten.
„Toffee Eclaires", sagte ich und vor uns öffnete sich die Wand zu einer Wendeltreppe, die uns wie eine Rolltreppe nach oben brachte, in den Turm wo Dumbledores Büro lag.
Wir klopften an die Tür und ein fröhliches „Herein!" empfing uns. Ich schluckte meine Angst hinunter und betrat gefolgt von Ethan den Raum.
„Miss Hesky, Mr McCrowley, es ist schön, Sie zu sehen." Dumbledore saß hinter seinem storchbeinigen Schreibtisch und lächelte. Er hob seinen Zauberstab und ließ zwei Stühle für uns erscheinen.
„Was führt Sie zu mir?", fragte er, ernst aber freundlich.
Ich spielte mit dem Stoff von Ethans Umhang und schaffte es nicht, Dumbledore anzuschauen.
„Bitte haben Sie keine Angst", sagte Dumbledore.
„Habe ich nicht", sagte ich reflexhaft.
Ich schaute auf und sah Dumbledore schmal lächeln. Er schob mir eine Dose mit Keksen über den Tisch hinweg zu. „Nehmen Sie sich einen Keks. Ich verspreche Ihnen, danach fühlen Sie sich besser."
Es kam mir unhöflich vor abzulehnen und ich nahm mir einen Schokokeks und biss hinein, hauptsächlich um das Gespräch hinauszuzögern. Als ich schluckte, fühlte ich mich tatsächlich etwas besser.
„Jemand hat mir einen Liebestrank verabreicht", sagte ich schnell, bevor ich es mir anders überlegen konnte. „Ohne mein Wissen. Oder meine Zustimmung. Ethan ist mir gefolgt und hat verhindert, dass ich – dass er mich –" Ich brachte es nicht über mich, es auszusprechen.
Dumbledores hellblaue Augen waren auf mich gerichtet und er sah plötzlich unversöhnlich aus.
Ohne ein Klopfen öffnete sich die Tür und Snape, der Urquhart am Kragen gepackt hielt, stürmte mit wehendem Umhang ins Zimmer. Urquhart wagte es nicht, mich anzusehen.
„Ethan", sagte Dumbledore freundlich, „würdest du bitte unten auf Allison warten?"
„Professor", protestierte Ethan, brach aber ab, als ich ihm zunickte. Sichtlich unzufrieden verließ er das Büro.
„Mr Urquhart", sagte Dumbledore mit einer Stimme wie ein Gewitter. „Haben Sie Allison einen Liebestrank verabreicht?"
Urquhart nickte ohne ihn anzusehen.
„Warum haben Sie das getan?"
Jetzt schaute er auf, verständnislos. „Ich wollte sie einfach haben."
Mir wurde schlecht.
Dumbledore wandte sich an Snape. „Können Sie bestätigen, dass es ein Liebestrank war?"
„Amortentia", sagte Snape. „Und davon eine Menge."
„Woher hatten Sie den Trank, Mr Urquhart?"
„Gekauft", sagte er. „In Hogsmeade."
Snape hob eine Augenbraue. „Eine Phiole Amortentia mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, nehme ich an."
Oh Gott. Eine Überdosis eines abgelaufenen Liebestranks konnte wirklich gefährlich sein. Ich konnte nicht fassen, was für ein Glück ich gehabt hatte. Es hätte alles schiefgehen können.
„Ist Ihnen bekannt, dass der Missbrauch von Liebestränken einen schweren Verstoß gegen die Schulordnung darstellt?", fragte Dumbledore.
Urquhart nickte.
„Allison, ich werde mit Mr Urquhart über einen Verweis sprechen", sagte Dumbledore. „Wenn Sie gern dabei sein möchten, dürfen Sie bleiben. Falls Sie lieber gehen würden – "
Ich stand auf. Snape stieß Urquhart von sich, wie man eine Kakerlake von sich stoßen würde. Ich blieb kurz vor Snape stehen und schaute ihn an, mein Blick sollte so etwas sagen wie: „Bitte verweisen Sie ihn, bitte."
Er schien verstanden zu haben, denn er nickte.
Unten auf dem Korridor lehnte Ethan an der Wand und wartete auf mich.
„Warum hast du mich weggeschickt?", fragte er vorwurfsvoll.
Ich lehnte mich neben ihn an die Wand und schloss kurz die Augen. Meine Knie waren weich und zitterten und ich wollte mich nur noch hinlegen. Aber sieben Stockwerke und die Kerkertreppe nach unten zu steigen war vollkommen ausgeschlossen. Als meine Knie schließlich nachgaben, war Ethan da und stützte mich. Er führte mich durch einige Gänge und ließ mich nicht los.
„Wohin gehen wir?", fragte ich panisch.
„Keine Angst, ich kenne einen Ort wo dich keiner findet."
Er stellte mich an einer Wand ab, war aber wieder bei mir, bevor ich umfallen konnte. Vor uns war eine Tür erschienen, die eine Minute zuvor sicher nicht da gewesen war. Ethan öffnete sie und zusammen betraten wir einen wundersamen Raum.
Er war oval geformt und die Decke war eine Kuppel aus Glas, durch die Sonnenlicht hereinfiel. Der Boden war weiches Gras und an beiden Enden des Raumes steckten Miniatur-Torringe in der Erde. Es war ein Quidditchfeld.
„Das ist abgefahren", sagte Ethan und half mir, mich ins Gras zu setzen. Ich legte mich auf den Rücken und schaute in den Himmel.
„Was ist das für ein Raum?", fragte ich, als ich mich ein paar Minuten später wieder gut genug fühlte, um zu sprechen.
„Der Raum der Wünsche", sagte Ethan. „Hast du von Dumbledores Armee gehört? Hier haben die sich heimlich getroffen. Der Raum kann alles sein was du willst."
Es schien mir der perfekte Ort zu sein, um sich zu verstecken.
„Wenn du möchtest, gehe ich", bot Ethan an. „Wenn du allein sein willst."
Ich wandte den Kopf um ihn anzusehen. „Nein", sagte ich. „Ich will nicht allein sein, ich ... hab dir noch gar nicht gedankt."
„Das musst du auch nicht."
„Ich hab dich auch vermisst."
Ich hatte im Grunde genommen überhaupt keine Ahnung, warum ich das gesagt hatte, aber es fühlte sich richtig an. Ethan versuchte nicht zu lächeln, aber es half nicht. Er lächelte und wurde rosa.
„Glaubst du, sie werfen ihn raus?", fragte er.
„Ich hoffe es", erwiderte ich. „Ich glaube, wenn ich ihn noch mal sehen muss, muss ich kotzen."
„Ich auch."
„Lass uns über was anderes reden, bitte", sagte ich. „Wie – wie waren deine Ferien?"
Ethan grinste und ließ sich darauf ein. Er erzählte von seinen Eltern und seinem kleinen Bruder, der es nicht abwarten konnte auch nach Hogwarts zu gehen. Ethan kam aus einer Familie, in der jeder zaubern konnte. Ein Reinblüter.
„Und wie ist deine Familie so?"
Ich sah ihn ein paar Sekunden an, wog meine Möglichkeiten ab und beschloss, ich hatte nicht genug Energie, um ihn vor den Kopf zu stoßen. „Meine Schwester Brianna ist so alt wie dein Bruder. Sie ist toll und ich vermisse sie."
„Freut sie sich auch schon auf Hogwarts? Du hast ihr doch bestimmt Quidditch beigebracht, oder?"
Es war so weit. „Sie kann nicht zaubern", sagte ich leise.
„Oh." Er wirkte betroffen. „Aber als Squib kann sie trotzdem in der magischen Gesellschaft ein Leben haben. Es ist immer noch voll ungerecht, wie Squibs behandelt werden, aber wenn sie älter ist –"
„Ethan", unterbrach ich ihn. „Sie ist keine Squib. Ich bin eine Muggelstämmige. Ich hab's nie jemandem gesagt."
Er war sprachlos. „Ich – wusste nicht, dass es Muggelstämmige in Slytherin gibt", sagte er dann. „Ich werd's niemandem sagen. Nur – wow."
Ich schwieg und ließ ihn allein damit klarkommen.
„Weiß dein Freund davon?", fragte er plötzlich.
Ich war ziemlich fertig mit den Nerven, deswegen konnte ich ihm nicht folgen.
„Yuri", sagte er, als ich seinen Blick ziemlich leer erwiderte.
„Oh. Ehm, Yuri gibt es nicht, Ethan. Leslie hat ihn erfunden, damit Urquhart mich in Ruhe lässt. Vivienne muss das mitbekommen haben und du –"
Er starrte mich an, vollkommen geschockt. „Ich hab mich aufgeführt wie ein komplettes Arschloch wegen einem Typen den es nicht mal gibt?"
„Sieht so aus."
„Wieso hast du mir das nicht da schon gesagt?"
„Weil du trotzdem ein Arsch warst. Du hast mir Vorwürfe gemacht ohne jedes Recht dazu. Hättest du mich gefragt, hätte ich es dir gesagt."
Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Shit, es tut mir wirklich leid. Ich verspreche dir, so benehme ich mich nie wieder."
„Danke."
Wir verfielen in Schweigen und wenig später läutete die Glocke zum Mittagessen.
„Wir sollten hingehen", schlug Ethan vor.
„Ich glaube ich werde nie wieder Hunger haben", wich ich aus. „Und ich will niemanden sehen."
Also blieben wir. Ethan hatte montags keinen Nachmittagsunterricht und ich brachte es nicht über mich zu Alte Runen zu gehen. Wir lagen einfach im weichen Gras im Raum der Wünsche bis die Sonne unterging und erzählten uns Geschichten. Aber der Frieden konnte nicht ewig währen und die Welt würde nicht aufhören zu existieren. Als die ersten Sterne zu funkeln begannen entschloss ich mich es wieder mit ihr aufzunehmen. Ethan umarmte mich zum Abschied und sah mir nach, bis ich das Treppenhaus erreicht hatte.
Meine gesamte Quidditchmannschaft wartete im Gemeinschaftsraum auf mich.
„Oh Gott, Allison." Adalyn war die erste, die mich umarmte. „Was ist passiert, wir wussten nicht wo du bist."
„Snape hat gesagt du wärst im Krankenflügel", sagte Rin.
„Aber Madam Pomfrey meinte, du wärst nie da gewesen", ergänzte Leslie.
Ich versuchte die Tränen zurückzuhalten, aber es ging nicht. Sie liefen mir über die Wangen und Adalyn musste ein Taschentuch heraufbeschwören, damit ich eine Chance dagegen hatte.
In Bruchstücken erzählte ich, was passiert war. Es war nicht so schwer wie bei Dumbledore und ich fühlte mich danach besser. Ein bisschen zumindest. Ich beendete meine Erzählung damit, wie ich Dumbledores Büro verließ und danach waren alle sehr still.
„Was ist?", fragte ich.
„Allison", begann Adalyn vorsichtig, „er hat Urquhart nicht verwiesen. Wir haben ihn gesehen, vorhin."
Ich konnte nicht sprechen. Dieser Typ hatte mich um ein Haar vergewaltigt – falls das was passiert war nicht schon als Vergewaltigung zählte – und Dumbledore verwies ihn nicht der Schule? Dumbledore hielt es für das Beste, Urquhart hierzubehalten? Wo ich ihn jeden Tag sehen musste und er die Möglichkeit hatte, seine Taten zu wiederholen? Er wurde nicht bestraft?
„Nein", sagte ich, wischte mir die letzten Tränen weg und ließ zu, dass mich heiße Wut durchströmte. „Nein."
„Wo willst du hin?", fragte Lucia, versuchte aber nicht mich aufzuhalten.
Ich antwortete nicht, sondern verließ mit großen Schritten den Gemeinschaftsraum, durch die Geheimtür in der Wand und weiter zu Snapes Büro. Nur weil es Snape war, hielt ich mich damit auf, zu klopfen. Er saß an seinem Schreibtisch und wirkte allgemein so, als hätte er mich erwartet.
„Er wird nicht verwiesen?", fragte ich, bebend vor Zorn. „Wieso haben Sie Dumbledore nicht zur Vernunft gebracht?"
Snape erwiderte meinen zornfunkelnden Blick unbeeindruckt. „Das sollten Sie den Schulleiter fragen. Ich habe alles getan, um Urquhart der Schule zu verweisen. Er wird jeden Freitag- und Samstagabend bei mir nachsitzen. Mehr kann ich nicht tun."
„Das reicht nicht!", schrie ich ihn an. „Wissen Sie, was er mit mir machen wollte?!"
„Miss Hesky." Er hatte genug. Er war nicht der Typ, der die Stimme erhob, aber das musste er auch gar nicht. „Sie kennen das Passwort, Sie kennen den Weg. Ich bin nicht der mit dem letzten Wort in dieser Angelegenheit."
Ich biss die Zähne zusammen und zwang mich das Büro gesittet zu verlassen ohne etwas kaputtzumachen oder die Tür hinter mir zuzuknallen. Rauchend vor Wut marschierte ich alle Treppen hinauf in den siebten Stock, bellte den Wasserspeier an und klopfte so lange an Dumbledores Tür bis er sie öffnete.
„Miss Hesky." Auch er schien nicht überrascht mich zu sehen. Ich rauschte an ihm vorbei in sein Büro und drehte mich zu ihm um.
„Erklären Sie mir das."
Er schloss in aller Seelenruhe die Tür und nickte. „Selbstverständlich. Möchtest du dich setzen?"
„Nein! Ich will dass Sie mir sagen, warum Urquhart weiter hier zur Schule gehen darf!"
Er nickte wieder, ging um seinen Schreibtisch herum und setzte sich. Mein Blick fiel wieder auf seine abgestorbene Hand und ich musste schlucken.
„Was Urquhart getan hat ist ein schweres Verbrechen. Bitte glaube nicht, dass ich das auf die leichte Schulter nehme."
„Aber genau das tun Sie doch!"
„Er wird nie wieder in der Lage sein sich dir zu nähern. Sollte er es dennoch versuchen, wird er der Schule unwiderruflich verwiesen."
Ich starrte ihn an und wusste gar nicht wo ich anfangen sollte, ihm zu widersprechen. „Das ist nicht alles", sagte ich und musste mich doch setzen, um meine Gedanken zu ordnen. „Was ist mit den anderen Mädchen?"
„Auch da habe ich vorgesorgt. Wenn du mir nicht vertrauen kannst, traue meinem Ruf. Er wird niemandem wehtun können, Allison. Und Professor Snape lässt ihn bis ans Ende des Jahres zweimal die Woche nachsitzen. Er hätte ihn darüber hinaus nachsitzen lassen, doch es ist Mr Urquharts letztes Jahr in Hogwarts. Danach wirst du ihn nie wieder sehen müssen."
„Nein", sagte ich entschieden. „Professor. Ich werde noch monatelang mit ihm zusammenleben müssen. Können Sie sich auch nur ansatzweise vorstellen, wie unangemessen das ist?"
Dumbledore nickte. „Es tut mir leid, Allison. Mehr kann ich nicht tun."
Die Kraft, die mich alle sieben Stockwerke nach oben getrieben hatte, verließ mich mit einem Schlag. Das war nicht fair. Nichts war fair. Dumbledore konnte mehr tun, so viel mehr und er wollte nicht. Urquharts Zukunft war wichtiger als mein Gefühl von Sicherheit in seiner Schule. Das sollte der größte Zauberer aller Zeiten sein? Dieser alte Mann?
Ich war nur ein Mädchen, weniger wert als andere, mit Blut aus Schlamm. Es kostete mich alle Kraft, die noch in mir steckte, aufzustehen und auf den Schulleiter herunterzublicken, mit aller Verachtung, die ich für ihn empfand. Es gab nichts mehr zu sagen, er hatte vermittelt was er dachte. Ich verzieh nicht leicht.
Dumbledorewar nicht die Rettung der Zaubererschaft und Dumbledore konnte mit Sicherheit niemanden beschützen. Er war nur ein alter Mann. Die Erkenntnis kam mit einem stechenden Schmerz und hinterließ ein leeres Gefühl.
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