-34- ➳ Eine andere Welt
Ich hatte noch nie so viel Angst, wie am folgenden Tag, als ich im Aufzug stand und mit jeder vergehender Minute meiner Arbeitsstelle und somit Liam näher kam.
Ich fürchtete mich davor, was er machen würde, falls wir wieder aufeinander trafen.
Er wusste ganz genau, dass ich die Dokumente hatte, oder besser gesagt gehabt hatte. Denn nun waren sie nichts weiter als ein Häufchen Asche auf dem Kehrblech.
Mum hatte kein einziges Wort seitdem mehr verloren, selbst Dad schien sie vergessen zu haben, wenn man sie dabei beobachtete, wie sie ohne mit der Wimper zu zucken zur Arbeit ging und wiederkam.
Doch all meine Ängste erwiesen sich als unbegründet, als ich in die Küche geschickt wurde und mir Margarete schon entgegen kam und dabei rief: „Sophia! Warum bist du denn heute bei mir? Selbst Justice wurde woanders eingeteilt...."
Verwirrt hielt ich inne und strich mir unsicher über meine Schürze.
„Warum denn das? Ist Justice nicht immer hier?"
Margarete schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf meinen Rücken. Während sie mich an den anderen Küchenhilfen entlangführte, erklärte sie mir: „Nein, Mr. Payne, sowie der Sohnemann sind in den Skyscraper Nord 39 zu einer Besprechung. Mrs. Payne isst auswärts. Du musst heute also kein Brot schneiden, aber hmm... was machen wir denn nun mit dir?"
„Skyscraper Nord 39?" fragte ich leicht betröppelt und blinzelte. In meinem Kopf klingelten die Glocken, doch mir wollte nicht klar werden, was mir mein Unterbewusstsein damit sagen wollte.
Denn in meinem Kopf feierten momentan die Gefühle eine Party, dass ich somit Liam für heute aus dem Weg gehen konnte.
„Ja, ganz spontan. Sie sollen auch erst in ein paar Tagen wiederkommen... Weißt du was? Somit haben wir endlich genügend Zeit die Einkaufslisten für die Abendveranstaltung zu überarbeiten und zu planen. Komm mit!"
Und so kam es, dass ich den ganzen Vormittag zusammen mit Margarete und einer anderen Küchenhilfe im Aufenthaltsraum saß und mich durch die ellenlange Liste arbeitete.
Als sie die Einkaufsliste erwähnt hatte, dachte ich, dass wir einfach ein paar Sachen abhakten brauchten und sie dann wieder wegheften könnten.
Doch ich hatte falsch gedacht.
Denn anscheinend lief auch das hier oben ganz anders ab als bei uns.
Die Einkaufsliste, war kein einfacher Zettel, sondern umfasste fünfundfünfzig Seiten akribische Auflistung von einer noch so kleinen Zutat. Allein fünf Seiten nahmen die verschiedenen Weinsorten ein, die zusammen mit dem Entstehungsjahr, Sorte, den Bräu-Skyscraper, sowie den Händler vermerkt stand.
Margarete gab uns dazu noch einen anderen Stapel Blätter auf denen schon die bereits bestellten Sachen standen. Und dann hatte ich die Ehre, die beiden Liste zu vergleichen, um somit einen Überblick zu schaffen, welche Lieferung noch ausstanden und welche erst noch bestellt werden mussten.
Zwischendurch fragte ich mich, was es mit all diesen komischen Namen, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte, auf sich hatte. Auch wurde mir nicht klar, warum man zehn verschiedene Sorten Weintrauben brauchte, um sie mit mehreren verschiedenen Sorten Käse zu kombinieren. Vielleicht fehlte mir in dieser Hinsicht auch einfach nur die Erfahrung...
Als ich nach vier Stunden umblättern, lesen, vergleichen und abhaken endlich meinen Stapel durchgearbeitet hatte, lehnte ich mich seufzend in meinem Stuhl zurück. Das Mädchen mir gegenüber warf mir einen schnellen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf ihren Stapel, den sie auch schon fast durchgearbeitet hatte.
„Margarete hat eine Käseplatte für uns in den Kühlschrank gestellt." Meint sie, ohne jedoch hochzuschauen. Überrascht sah ich sie an, da ich nicht damit gerechnet hatte, heute etwas anderes zu bekommen als das altbekannte Sandwich oder dass das Mädchen überhaupt mit mir redete.
„Ich hole sie, dann kannst du auch etwas essen." Meinte ich nach einer kleinen Pause und stand auf. Tatsächlich gab es eine kleine Käseplatte im Kühlschrank, von der ich die Folie zerrte und in die Mitte des Tisches, zwischen den Blätterstapeln, stellte.
Während ich mir das erste Käsestückchen in den Mund schob meinte ich: „Ich bin Sophia."
Sie jedoch hakte weiterhin die schon bestellten oder gelieferten Waren ab und schien nicht auf mich einzugehen.
Gerade als ich dachte, sie würde mir nicht mehr antworten, hob sie ihren Blick und sah mir direkt in meine Augen. „Ich weiß." Meinte ich sie nur und senkte dann wieder ihren Kopf.
„Und woher?" fragte ich leicht verwirrt und schob mir bereits das vierte Käsestückchen in den Mund.
Unser Käse schmeckte dagegen wie platte Schuhsohlen.
Das Aroma breitete sich schon auf meiner Zunge aus und brachte meine Geschmacksnerven zum prickeln. Ich schob den Käseblock so lange mit meiner Zunge von der einen Backe in die andere, bis sich mein Mund an den Geschmack gewöhnt hatte. Dann erst schluckte ich ihn herunter.
„Du bist das Teemädchen. Jeder in der Küche kennt dich. Was denkst du denn? Manche, die hier schon Jahre arbeiten, haben noch nie etwas in die privaten Räume gebracht und du bist gerade einmal seit ein paar Wochen hier eine Auszubildende und..."
„Ich habe es mir nicht ausgesucht." Unterbrach ich sie und bemerkte selbst meinen scharfen Unterton.
„Ich weiß." Ihre blauen Augen bohrten sich wieder in meine, aber sie wirkte nicht verständnisvoll. „Doch man fängt an zu tuscheln und das könnte für dich schlecht ausgehen... Die andere, die immer Brot schneidet, beschwert sich schon immer häufiger..."
„Justice." Meinte ich knapp und bemerkte wie eine Welle aus Wut durch meinen Körper schwappte. Justice schien mich zu hassen und so langsam konnte ich behaupten, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte.
Leicht legte das Mädchen ihren Kopf zur Seite und strich sich eine hellblonde Strähne aus dem Gesicht.
„Ich will dir nur sagen, dass sie nicht die Angenehme Sorte Mensch ist."
Ich nickte, aber seufzte im gleichen Moment. Doch bevor ich noch irgendetwas sagen konnte, kam Margarete in den Raum und als sie anfing zu reden, verwandelte sich die Wut in Verwunderung und schließlich in Aufregung.
Ich konnte es kaum glauben, als Margarete es zu uns gesagt hatte. Und selbst als ich in einem neuen, hübscheren Angestelltenkleid und ordentlich hochgesteckten Haaren in der Halle stand, schien es, als hätte ich es geträumt.
Justice, die Warnung des Mädchens und die Tatsache, dass man bereits anfing über mich zu Tuscheln waren wie vergessen.
Denn zum ersten Mal würde ich nun nicht durch den Angestelltenflur den Sektor 20c durchqueren, sondern durch die richtigen Korridore.
Grund dafür war der Besuch beim Markt und dass Margarete beim Abarbeiten der Liste Hilfe brauchte. Und da sie keine weiteren Aufgaben für mich hätte, nahm sie mich mit. Zusammen mit dem anderen Mädchen, mit der ich im Aufenthaltsraum zusammen gearbeitet hatte. Margarete nannte sie Clara und der Name passte zu ihr.
Auch sie musste sich umziehen und ihre blonden Haare waren nun zu einem stylischen Haarkranz geflochten, den sie mit Haarnadeln fixierte und zugleich auch aufpeppte, da so noch die kleinen goldenen Perlen am stumpfen Ende der Nadel der Frisur den letzten Schliff verlieh.
Allein die Nadeln ließen mich daraus schließen, dass sie aus der gehobenen Mittelschicht kommen müsste, wobei es mir dann jedoch unklar war, warum sie dann nur eine Küchenhilfe war.
In der Zeit, in der wir auf Margarete warteten, betrachtete sie nur schweigend ihre Fingernägel, wobei ich fast vor Aufregung platzte.
Was würde bloß Eleanor sagen, wenn ich ihr das erzählen würde!
Wahrscheinlich würde sie jedes noch so winzige Detail aus mir heraus quetschen und ich würde es ihr nicht einmal Übel nehmen...
„Mädels, habt ihr die Listen dabei?" Auch Margarete hatte ihren etwas pummeligen kleinen Körper in ein edles aussehendes Kleid gehüllt und trug darüber noch ein Cape. Über ihrer Schulter hing eine Ledertasche, in der es bei jedem Schritt ihrerseits raschelte.
Als wir ihr bestätigten, dass wir die Listen bei uns hatten und auch versicherten, dass wir sie nicht verlieren würden, nickte sie und meinte: „Nun gut, dann hier lang." Sie entfernte sich wieder von der Eingangstür, doch schien meinen etwas verwirrten Blick bemerkt zu haben, denn während sie lief meinte sie an mich gerichtet: „Sophia, auch wenn wir diesmal den Sektor 20c direkt betreten, benutzen wir die Seitentür und nicht den Haupteingang. Dieser ist nur für die Familie Payne selbst oder Besuch erlaubt zu benutzen."
Etwas enttäuscht nickte ich, doch diese verflog sofort, als wir durch den Bedienstetenflügel auf den Gang traten, durch den ich jeden Tag lief. Wir liefen an die vielen Türen vorbei und folgten ein paar anderen schick gemachten Angestellten und kamen nach weiteren fünf Minuten an einer Versammlung von Angestellten an, die sich in eine Reihe aufstellten, um durch die Kontrollen zu kommen.
In der Zeit, wo wir anstanden, drehte sich Margarete zu mir um und fixierte mich: „Sophia, wenn wir gleich durch die Kontrolle gehen, werden sie für dich einen neuen Ordner anlegen müssen, da du zum ersten Mal den Sektor 20c betreten wirst, damit du auch die Befugnis bekommst. Ich jedoch habe die Vollmacht und die Verantwortung über dich, sobald wir die Kontrollen passieren, also erlaube dir nur einen Patzer und du bist schneller wieder ganz unten, hast du verstanden?"
Schnell nickte ich und sie fuhr fort: „Bleibe immer bei mir, verliere mich nie aus den Augen. Manchmal kann es dort ein ganz schönes Gewusel geben, aber ich will dich nicht von irgendeiner Kommandozentrale für die allgemeine Sicherheit abholen müssen und mich somit zum Gespött des gesamten Bediensteten-Zirkels des Sektors 20c machen. Eigentlich ist diese Aufgabe in der Ausbildung noch nicht vorgesehen, aber ich schätze dich als sehr willig ein. Die anderen werden weiterhin für die anderen Vorbereitungen benötigt, da Daria aber weiterhin krank ist, fehlt mir eine zweite Begleitung..."
„Ich werde mein Bestes geben, versprochen." Meinte ich schnell und strich mir über mein Kleid, das mir sogar wie angegossen passte. Ein letztes Mal fixierte Margarete mich, nickte schließlich und lächelte leicht.
Dann waren wir an der Reihe und als meine Identität in das Tablet eingescannt und aufgenommen wurde, kribbelte es in meinem ganzen Körper.
Der Mann, der meine Akte einrichtete, war groß und breit gebaut. Leicht schüchterte er mich ein mit seiner schwarzen Wächter-Ausrüstung, doch zumindest trug er nicht wie im Sektor 2c einen Helm, sodass ich in seine grünen Augen blicken konnte, die zumindest etwas freundlich wirkten.
„Sie haben also noch nicht ihre Ausbildung beendet?" fragte er mich leicht verwundert, aber bevor ich überhaupt meinen Mund öffnen konnte, sprach Margarete: „Nein, aber sie steht unter meiner Beaufsichtigung. Es hat doch sonst auch nie Umstände gemacht die Vollmacht auf eine Leiterin eines Angestelltenbereiches zu übertragen."
„Da haben Sie Recht, Miss, nur ich habe Probleme ihre Akte zu öffnen, um ihre Daten zu überprüfen." Leicht runzelte er die Stirn, als er sich wieder dem Tablet zuwendete.
Er hatte Probleme meine Akte zu öffnen? Was bedeutete das?
„Dann holen Sie bitte ihren Vorgesetzten, denn wie ich sehe, haben sie gerade erst die Ausbildung geschafft." Meinte Margarete und zeigte mit einem Kopfnicken auf die kleine silberne Brosche, die oberhalb seiner Brust befestigt wurde. Es war wahrscheinlich ein Rangabzeichen.
Sein leichtes Lächeln verschwand. „Miss, das hat nichts mit meiner vor kurzem abgeschlossenen Ausbildung zu tun, sondern daran, dass..."
„Gibt's hier Probleme, Styles?" Ein Mann mit schütterem Haar, aber steinerner Miene und einem roten Abzeichen an seiner Uniform erschien hinter dem Jungen, bei dem der Groschen bei mir fiel.
Styles. Mein Blick huschte über sein markantes Gesicht, von den grünen Augen zu den braunen, ordentlich nach hinten gekämmten Locken.
Anne Styles', Mums Arbeitskollegin, Sohn.
Harry.
Mum hatte letztens erst erwähnt, dass er seine Ausbildung beendet hatte, doch ich hatte sie nicht ausreden lassen, da ich sie nach Sam gefragt hatte, der nicht zuhause war.
Aber ich kannte ihn nicht, unmöglich konnte ich mit ihm zusammen in der Schule gewesen sein, woran Mum felsenfest glaubte...
„Die Akte lässt sich nicht öffnen, Sir. Sie wurde manuell von der Meldezentrale eingegeben und somit sind die Daten anders verschlüsselt."
Ich erstarrte und mit einem Mal hörte ich auf, darüber zu spekulieren, ob ich ihn schon jemals begegnet war oder nicht.
Stattdessen kroch der Schock und die Angst durch meinen ganzen Körper und mein Herz setzte einen Moment aus, nur um im nächsten Moment so schnell zu klopfen, als würde es selbständig aus meiner Brust entfliehen und wegrennen wollen.
Ich spürte den raschen Blick des Vorgesetzten von Harry auf mir, bevor er sich dem Tablet zu wendete und darauf herum tippte. Als er für ein paar Sekunden verharrte und die Stirn runzelte, dachte ich, dass mein letztes Stündlein geschlagen hätte und überlegte, ob es sinnvoll wäre, ein Ablenkungsmanöver zu vollziehen, in dem ich so tat, als würde ich ohnmächtig werden.
Gerade, als ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, mich zu Boden zu werfen, tippte der Mann weiter auf dem Tablet herum und meinte zu Harry: „Manchmal verschlüsseln die von dort unten die Daten falsch, wenn sie es manuell eingeben. Das liegt an den unterschiedlichen Servern. War das nicht Teil Ihrer Grundausbildung, Styles?"
„Nein, Sir!" meinte Harry rasch, doch ich sah, wie er seine Lippen zu einem Strich zusammen presste.
„Dann lernen Sie es mal schnell, das wird noch häufiger vorkommen... Die Damen..." Er wendete sich mit einem Kopfnicken an uns. „Entschuldigen sie bitte für die Wartezeit."
Margarete nickte nur, während sie die Aufenthaltsbefugnis entgegennahm, die Harry ihr ausdruckte. Als auch ich schließlich durch den Körperscanner durch war, atmete ich erleichtert auf, konnte es mir aber nicht nehmen lassen, mich noch einmal zu Harry umzudrehen, der schon die nächsten Angestellten einscannte.
Mum irrte sich, ich kannte ihn nicht.
Wir durchquerten eine kleine Halle, die ich schon staunend betrachtete. Sie war eher simpel gehalten, aber dafür rückte der strahlend blaue Himmel in den Vordergrund, der so lebensecht wie ich noch nie zuvor gesehen habe, an die Decke simuliert wurde. Sogar ein paar Vögel tollten am Himmelsrand und ich hatte Mühe Margarete und Clara zu folgen, so sehr war ich fasziniert.
Doch das war nichts im Gegensatz zu dem Schock, als wir den offiziellen Sektor 20c betraten.
Damals, als ich zum ersten Mal das Apartment der Paynes betreten hatte, war ich in eine Schockstarre verfallen und dasselbe passierte jetzt auch.
Ich bekam einfach keine Luft mehr und wurde vollkommen eingenommen. Ich wusste nicht, was ich zuerst sehen, zuerst riechen, zuerst hören und zuerst fühlen sollte.
Ich wurde von all den Sinneswahrnehmungen überrollt.
Es schien als hätten wir eine andere Welt betreten.
Eine Welt in der alles möglich war.
Wir befanden uns mitten auf dem großen Platz, den jede C Etage besaß. Es schien, als wären wir unterm freien Himmel, die Sonne schien und kleine Schäfchenwolken trieben in unterschiedlichen Abständen am Himmel.
Grasflächen waren zu komplizierten Mustern angeordnet, ordentlich gestutzt und gleich neben einem Meer aus Blumenbeeten, die in den unterschiedlichsten Farben blühten. Die Wege waren aus hellem Sandstein angefertigt und selbst kupferfarbene kleine Straßenlaternen gab es.
Der Luxus zeigte sich in jedem noch so kleinen Detail. Das Wasserschauspiel in der Mitte des Platzes spritze in bestimmten Abständen das Wasser als Fontäne in die Luft und schien dort als ein Farbenspiel, wie bei einem Feuerwerk, das ich nur aus alten Filmen kannte, sich in jede Richtung zu verstreuen.
Ich beobachtete eine Gruppe von Kindern, die lachend versuchten die bunten Wassertropfen aufzufangen, aber von der Mutter zurechtgewiesen und dann weiter gezogen wurden. Ein Mobil-Transporter tuckerte automatisch über den Weg und hielt schließlich an, um die Frau, die auf einen der zwei Sitze gesessen hatte, absteigen zulassen.
Ich kannte sie bereits durch die Nachrichten, doch umso erstaunlicher erschienen sie mir, sie in echt zu sehen, wie sie, am Wegrand stehend, auf den nächsten Fahrgast wartete.
Und alle, wirklich alle trugen edel und teuer aussehende Sachen. Es war genauso wie auf den Nachrichtenbildschirmen, die Männer trugen Anzüge, die Frauen stylische Blue Jeans, kombiniert mit den neusten Trends, wie mir Eleanor jetzt ganz sicher verraten hätte, oder schicke Etui-Kleider.
Und wie es hier roch!
Die Luft war schon im Apartment oder im Sektor 15c anders, doch hier bemerkte man es ein weiteres Mal, was gute Lüftungsmaschinen hermachen konnten.
Die verschiedensten Gerüche, von Essen bis hin zu Parfüms, vermischten sich zu einem Geruch, der für mich das wunderbarste war, was ich je gerochen hatte.
Kindergeschrei, Gelächter und das allgemeine Murmeln ging in einem zu der anderen Geräuschkulisse, ausgelöst durch das Wasserplätschern und der Musik über.
Eine Musikergruppe stand auf einer kleinen Anhörung neben den goldverzierten Aufzügen und spielte mithilfe von Instrumenten Lieder.
„Sophia." Riss mich Claras zischende Stimme aus meinem Gedanken und nur schwer konnte ich meinen faszinierenden Blick von der Band lösen. „Komm schon, Margarete ist gleich schon weg!"
Ich stolperte ihr mehr oder weniger hinterher, da ich mich immer noch staunend umsah und jede Sekunde weitere Details bemerkte. Die Blumenfelder wichen nach einiger Zeit riesigen Werbeflächen, alles schien zu blinken und aufzuleuchten. Nicht nur einmal lächelte mir Danielles Gesicht, sowie ihre neue Kollektion von einer Werbetafel entgegen. Selbst Liams Namen entdeckte ich auf einer Nachrichtentafel, doch Clara zog mich so schnell weiter, dass ich keine Chance hatte, die Überschrift zu lesen. „Wenn du nicht aufpasst, hast du uns schneller verloren, als dass du dir die Werbung ansehen kannst." Meinte Clara, ließ vorsichtshalber aber nicht meinen Arm los. Und dafür war ich ihr dankbar, denn ohne sie, hätte ich wohl schon längst Margarete verloren, die nur ein paar Schritte vor uns sich einen Weg durch die Menschen bannte.
Und es waren wirklich erstaunlich viele unterwegs. Einige waren wie wir in den Angestellten-Kleider unterwegs, aber einmal wäre ich beinahe mit einem Mann in einem Nadelstreifanzug zusammengestoßen, da auch er nur auf sein Tablet in seiner Han achtete.
Nach weiteren fünf Minuten erreichten wir schließlich einen weiteren großen Platz, der dem anderen sehr ähnlich war. Doch hier war in einem Art Halbkreis Läden angeordnet. Bei uns gab es nur einen Pub und kleine Läden, die nur das nötigste zu teuren Preisen anboten, deswegen kaufte ich meistens nur auf den Markt.
Auch hier auf dem Platz gab es fein säuberlich aufgestellte Stände, die genauso luxuriös aussahen, wie die zum Verkauf angebotene Ware.
Wir liefen an Ständen vorbei, die sündhaft teuren Stoff anboten, von Käseständen entlang an einem Mandelverkäufer, der gerade einem kleinen Mädchen in einem süßen rosa Kleidchen die Tüte entgegenreichte. Allein der Geruch brachte das Wasser in meinem Mund zum Zusammenlaufen.
Schließlich blieben wir an einem Weinstand stehen und Margarete forderte uns auf, die Listen abzuarbeiten. Sofort versuchte ich mich auf die verschiedenen Weinsorten auf meinen Blättern zu konzentrieren und meine Umgebung auszublenden, was einfacher gesagt als getan war.
Die Aufgabe von Clara und mir war schwerer als gedacht. Zumindest für mich. Denn zuerst hatte ich meine Probleme damit, den richtigen Händler auf meiner Liste zu finden und dann auch noch den richtigen Wein abzuhaken, da alle einen Namen besaßen, die ausgesprochen für mich alle gleich klangen und mit wohl ganz anders geschrieben als gesprochen wurden. Clara schien wohl meine Verzweiflung zu bemerken, sodass sie unbemerkt für mich die Weinliste abhakte. Erleichtert dankte ich ihr mit einem Lächeln, bevor es zum Käsestand ging.
Margarete ging danach mit uns vom Markt zu den Läden, die fast alles nur auf Bestellung hatten. Insgeheim fragte ich mich, wieso sie alle so eine riesige Ladenfläche hatten, aber für nur ein einziges Produkt eine gesamtes Regal brauchten und dann die restlichen Regalbretter freiließen und stattdessen abstrakte Bilder und Lampen auf hingen, sowie eine Sitzecke aus dicken Ledersesseln einrichteten, wo man mit den Tablets durch das Sortiment stöbern konnte, das man dann aber bestellen musste und nicht einfach mitnehmen konnte.
Es kam mir vor, als wäre ich nur eine Stunde hier gewesen, doch es waren vier vergangen, als wir wieder den Weg zurück an den Werbetafeln gingen. Erneut legte Margarete ein schnelles Tempo am Tag, sodass ich mir nicht in Ruhe die andere Werbung ansehen konnte.
Ich schnappte aber ab und zu die Headlines von angesagten Unternehmen auf, die hier oben wohl eine große Rolle zu spielen scheinen.
Und dann, kurz bevor wir wieder den sogenannten Seiteneingang für die Angestellten erreichten, passierte das Unglaubliche.
Eleanor würde mich töten, wenn sie dafür hätte hier sein dürfen. Da war ich mir zu hundert Prozent sicher.
Denn auf einmal wurde es sehr laut und viele Menschen, die eine Kamera in der Hand hielten, schrien durch die Gegend. Ein Blitzlichtgewitter folgte dem nächsten und die Menschenmasse wurde neugierig, wer hier abgelichtet wurde.
Auch ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf die Person zu erhaschen, doch die Beantwortung meiner Frage, wurde durch die Zurufe der Paparazzos abgenommen.
„Danielle! Danielle!"
„Danielle, bist du und Liam nun endlich ein Paar?"
„Danielle, wollen sie sich zu ihrer neusten Kollektion äußern?"
„Danielle, schauen sie hier her für die Young Edition!"
„Mädels, so wie es aussieht, kommen wir nicht an den Quälgeistern vorbei. Ich hoffe doch für Danielle, dass sie ihren Personenschutz dabei hat, es war leichtfertig von ihr genau in dem Höhepunkt ihrer Karriere hier aufzutauchen... Kommt mit, wir müssen dann wohl den Haupteingang nehmen und uns separat bei den Kontrollen abmelden..."
So flink wie ein Aal suchte sie sich einen Weg durch die immer größer werdende Menschenansammlung und Clara und ich hatten Schwierigkeiten ihr zu folgen. Man merkte, dass sie mit so etwas Erfahrung hatte, ich hingegen trat nicht nur einmal einer Person auf die Schuhe oder musste mich an sie vorbeiquetschen, wofür ich entrüstete Laute bekam.
Als wir schließlich in den Wohnungsviertel angekommen waren, fiel mir sofort auf, dass die Korridore etwas breiter waren und die Wände mit einem aufwendigen Muster verziert worden waren.
Die Doppelflügeltüren standen in extrem großen Abständen zueinander - etwas, das mir aber auch schon zuvor bewusst war, da die Apartments auch deutlich mehr Platz einnahmen, als eine kleine Wohnung im Sektor 2b.
Manche hatten kleine Blumenkübel rechts und links neben der Tür aufgestellt oder Wandlampen angebracht. Einmal kam uns sogar ein kleines Mobil entgegen, das computergesteuert zwei Mädchen, die in meinem Altern sein mussten, transportierten. Als sie an uns vorbeifuhren konnte ich sie kichern hören und insgeheim versteifte ich mich.
„David hat dich wirklich gefragt?" konnte ich die eine aber noch fragen hören, bevor das kleine Gefährt um die nächste Ecke verschwand.
Sie hatten wegen einem Jungen gekichert. Sie konnten sich mit solch simplen Sachen beschäftigten, mussten sich nur Sorgen darum machen, ob die Jeans ihnen auch perfekt passte, ob man den Jungen gefiel und ob man schnell genug das Kleid aus der neuen Kollektion von Danielle bekam, bevor es schon wieder vergriffen war.
„Hier sind wir." Riss mich Margarete schließlich aus meinen Überlegungen und hielt vor einer riesigen weißen Doppelflügeltür an. An den Seiten standen imposante Buchsbäume, die zu spitzen Kegeln gestutzt wurden. Der Familienname war oberhalb er Tür in Gold eingraviert wurden und statt einem Schlüsselloch gab es ein Zahlencode, den Margarete eingab, sodass sich die Tür öffnete.
Für einen kurzen Moment zögerte ich, sah wie Margarete und Clara in die schon vertraute Eingangshalle der Paynes traten und warf dann nochmal einen Blick zurück dorthin, wo die Mädchen verschwunden sind.
Ich seufzte auf, trat dann über die Schwelle und verließ somit eine mir so unwirklich erscheinende Welt.
Ich fragte mich, wie es solch ein Leben in Saus und Braus, in Farbe und Musik geben konnte, wenn unten alles in einem tristen Schleier aus der Farbe Grau, Staub, Asche, Müll und Anonymität versank?
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(08.11.2015)
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